VwGH Ra 2015/22/0161

VwGHRa 2015/22/01617.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des S M E, vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. September 2015, VGW-151/064/4647/2015-18, betreffend Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2 litd;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs2;
61999CJ0413 Baumbast VORAB;
62002CJ0200 Zhu und Chen VORAB;
62011CJ0083 Rahman VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
EURallg;
NAG 2005 §52 Abs1 Z1;
NAG 2005 §52 Abs1 Z2;
NAG 2005 §52 Abs1 Z3 impl;
NAG 2005 §52 Abs1 Z3;
NAG 2005 §52 Abs1 Z4;
NAG 2005 §52 Abs1 Z5;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §56 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. September 2015 wies das auf Grund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Verwaltungsgericht Wien den Antrag des Revisionswerbers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom 30. Juni 2014 auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab (Spruchpunkt I). Dem Revisionswerber wurden näher bezeichnete Kosten des Dolmetschers auferlegt (Spruchpunkt II), die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III).

2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber seit November 2013 in Österreich in Lebensgemeinschaft mit der deutschen Staatsangehörigen K J lebe. Am 9. April 2014 sei der gemeinsame Sohn E J, ebenfalls deutscher Staatsangehöriger, geboren worden. K J verfüge über einen unbefristeten Dienstvertrag als Universitätsassistentin, sie verdiene ca. EUR 2.000,- monatlich und erziele somit ein ausreichendes Einkommen, um ihren Lebensunterhalt sowie denjenigen des Revisionswerbers und ihres Sohnes zu bestreiten. Der Revisionswerber verfüge aktuell über keine eigenen finanziellen Mittel. Der Sohn des Revisionswerbers besuche die Kinderkrippe (von ca. 09.00 Uhr bis 15.30 Uhr). E J werde vom Revisionswerber und von K J betreut, das alleinige Sorgerecht komme der Mutter zu. Der Revisionswerber leiste weder Geldunterhalt noch Naturalunterhalt. Die Feststellung, dass der Revisionswerber ungeachtet der vorgelegten Rechnungen über Einkäufe in einem Drogeriemarkt keinen Naturalunterhalt leiste, stützte das Verwaltungsgericht auf den Umstand, dass der Revisionswerber kein Einkommen erziele und die von ihm vorgelegten Kontoauszüge kein nennenswertes Guthaben aufwiesen. K J habe angegeben, dass dem Revisionswerber für den Fall einer Übersiedlung nach Deutschland dort ein Aufenthaltstitel erteilt werden würde.

3 Das Verwaltungsgericht hielt zunächst fest, dass die Säumnisbeschwerde zulässig und berechtigt sei, die Zuständigkeit sei somit auf das Verwaltungsgericht übergegangen.

4 Zur Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 54 NAG führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber sei nicht Familienangehöriger im Sinn des Art. 2 Z 2 der Richtlinie 2004/38/EG , sondern Lebenspartner im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. b dieser Richtlinie. Die Vorgabe der zuletzt genannten Richtlinienbestimmung sei innerstaatlich durch § 56 NAG umgesetzt, der die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" vorsehe.

Auch auf primärrechtlicher Grundlage komme dem Revisionswerber kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu, weil durch die vorliegende Entscheidung weder seine Lebensgefährtin noch sein Sohn de facto gezwungen würden, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen (Verweis auf die Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 8. März 2011, in der Rs. C-34/09 , Zambrano, und vom 15. November 2011, in der Rs. C-256/11 , Dereci ua.). Selbst wenn der Revisionswerber Naturalunterhalt leisten würde, wäre K J in der Lage, ohne derartige Zuschüsse ihren Lebensunterhalt und denjenigen ihres Sohnes zu bestreiten. Da es für ihren Sohn eine Betreuung während ihrer Arbeitszeit gebe, hänge auch ihr berufliches Fortkommen nicht zwingend vom weiteren Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich ab. Weder die Lebensgefährtin des Revisionswerbers noch sein Sohn wären bei Abweisung seines Antrags gehalten, Österreich zu verlassen. Hinzu komme, dass die Familie die Möglichkeit hätte, sich in Deutschland niederzulassen. Der Umstand, dass ein gemeinsames Familienleben in Österreich wünschenswert erscheine, begründe kein primärrechtlich abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Auch aus Art. 45 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), der im Wesentlichen Art. 20 Abs. 2 lit. a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) entspreche, lasse sich ein solches nicht ableiten.

5 Das Verwaltungsgericht erachtete die Ansicht des Revisionswerbers, ihm kämen als Lebensgefährten einer in Österreich lebenden deutschen Staatsangehörigen (im Sinn des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ) alle durch diese Richtlinie gewährleisteten Rechte zu, als unzutreffend. Die in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehene Erleichterung sei nicht der Gewährung aller in dieser Richtlinie enthaltenen Rechte gleichzusetzen. Würde man die "weiteren Angehörigen" (wie Lebenspartner im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG ) mit den "engeren" Familienangehörigen (im Sinn des Art. 2 Z 2 der genannten Richtlinie) gleichstellen, wäre die in der Richtlinie getroffene Unterscheidung sinnentleert.

Den in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG genannten Personen komme kein unmittelbar kraft Unionsrecht zustehendes Aufenthaltsrecht zu. Die innerstaatlich in § 56 NAG vorgesehene Möglichkeit der Erteilung eines konstitutiven Aufenthaltstitels stelle eine Erleichterung dar. Ein solcher Aufenthaltstitel sei allerdings vom anwaltlich vertretenen Revisionswerber bewusst nicht beantragt worden, weil ihm dieser keinen (unmittelbaren) Zugang zum Arbeitsmarkt einräumen würde. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers sei die Umsetzung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG durch § 56 NAG auch nicht als richtlinienwidrig anzusehen. Da Art. 3 Abs. 2 der genannten Richtlinie nur von einer Erleichterung spreche, ohne zu konkretisieren, welche Rechte einzuräumen seien, komme eine unmittelbare Anwendung dieser Bestimmung nicht in Betracht.

6 Soweit der Revisionswerber auf die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom 19. Oktober 2004, in der Rs. C-200/02 , Zhu und Chen, verwiesen habe, hielt dem das Verwaltungsgericht entgegen, dass im hier vorliegenden Fall der Sohn des Revisionswerbers nicht zwingend und ausschließlich auf die Betreuung durch den Revisionswerber angewiesen sei. Dem unionsrechtlich begründeten Freizügigkeitsrecht des E J (sowie der K J) sei somit (auch bei Verweigerung der Ausstellung einer Aufenthaltskarte an den Revisionswerber) nicht jede praktische Wirksamkeit genommen.

7 Das Verwaltungsgericht verneinte eine vom Revisionswerber ins Treffen geführte Verletzung des Art. 8 EMRK bzw. des Art. 7 GRC, zumal der Revisionswerber einen Aufenthaltstitel nach § 56 NAG beantragen und derart seinen Aufenthalt legalisieren könnte.

8 Abschließend begründete das Verwaltungsgericht, warum der Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH nicht gefolgt werde.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung abgesehen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.

10 Die maßgeblichen Bestimmungen des NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 bzw. BGBl. I Nr. 68/2013, lauten auszugsweise:

"Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern

§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

  1. 1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
  2. 2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

    3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

    4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

    5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

    a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

    b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

    c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

    ...

    Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers

§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.

...

Sonderfälle der Niederlassung von Angehörigen von EWR-Bürgern

§ 56. (1) Drittstaatsangehörigen, die Angehörige im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 4 und 5 von EWR-Bürgern gemäß § 51 sind, kann auf Antrag eine quotenfreie ‚Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel, hat der zusammenführende EWR-Bürger gemäß § 51 jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.

(2) Zum Nachweis dieses Rechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 52 Abs. 1 Z 4: der Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;

2. nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates über die Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen.

(3) Angehörigen nach Abs. 1 kann ein Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus' erteilt werden, wenn

  1. 1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllt haben,
  2. 2. ein Quotenplatz vorhanden ist und
  3. 3. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20e Abs. 1 Z 1 AuslBG vorliegt.

    § 47 Abs. 5 gilt sinngemäß."

    11 Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S 77) lauten auszugsweise:

    "Artikel 2

    Begriffsbestimmungen

    Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

    1. ‚Unionsbürger' jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

    2. ‚Familienangehöriger'

  1. a) den Ehegatten;
  2. b) den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

    c) die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

    d) die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

    ...

    Artikel 3

    Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

(2) Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen:

a) jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehörigen ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;

b) des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist.

Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durch und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen.

..."

12 Die Revision ist zulässig, aus den nachstehenden Erwägungen aber nicht berechtigt:

13 Vorauszuschicken ist zunächst, dass sich die vorliegende Revision - ungeachtet dessen, dass beim Revisionsgegenstand undifferenziert von der Anfechtung des Erkenntnisses seinem gesamten Inhalt nach die Rede ist - im Hinblick auf die Ausführungen zum Revisionspunkt und zur Begründung der Revision erkennbar nur auf die Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (Spruchpunkt I), nicht hingegen auf den auferlegten Ersatz der Dolmetscherkosten (Spruchpunkt II) bezieht.

14 Nach § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind, ihrerseits nur dann auf Grund von Unionsrecht zum Aufenthalt berechtigt (und haben Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte), wenn sie die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG (entspricht Art. 2 Z 2 der Richtlinie 2004/38/EG ) genannten Voraussetzungen erfüllen. Demgegenüber kann gemäß § 56 Abs. 1 NAG Drittstaatsangehörigen, die Angehörige im Sinn des § 52 Abs. 1 Z 4 und 5 NAG von EWR-Bürgern sind (entspricht dem in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG umschriebenen Personenkreis), ein Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" konstitutiv erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllen.

15 Nach Auffassung des Revisionswerbers widerspricht es näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf die Erkenntnisse vom 25. März 2010, 2008/21/0342, und vom 5. Juli 2011, 2008/21/0393), "Angehörige" (gemeint offenbar Personen im Sinn des § 52 Abs. 1 Z 4 und 5 NAG) und "Familienangehörige" (offenbar im Sinn des § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG) unterschiedlich zu behandeln. Der Verwaltungsgerichtshof habe (in der zitierten Rechtsprechung) den volljährigen Sohn eines "freizügigkeitserfassten Österreichers" als von § 54 NAG erfasst angesehen.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die jeweils belangte Behörde (im Ausgangsverfahren der beiden zitierten Erkenntnisse) ihren Entscheidungen zugrunde gelegt hatte, dass dem Verwandten in absteigender Linie jeweils vom österreichischen Elternteil tatsächlich Unterhalt gewährt wurde. Eine Vergleichbarkeit mit der hier vorliegenden Situation (der Revisionswerber ist kein Verwandter in absteigender Linie und es wird ihm von seinem Sohn kein Unterhalt gewährt) liegt daher nicht vor. Entgegen der Revisionsauffassung weicht das angefochtene Erkenntnis somit nicht von der genannten Rechtsprechung ab. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht zwischen dem Anwendungsbereich des § 54 NAG und demjenigen des § 56 NAG unterschieden (siehe zur Unterscheidung der verschiedenen "Kategorien" von Familienangehörigen auf Richtlinienebene das Urteil des EuGH vom 5. September 2012, in der Rs. C-83/11 , Rahman, Rn. 19 ff).

16 Unbestritten ist, dass der Revisionswerber nicht Ehegatte oder eingetragener Partner (im Sinn des § 52 Abs. 1 Z 1 NAG) der K J ist. Da der Revisionswerber kein Verwandter in absteigender Linie eines EWR-Bürgers ist, kommt der Tatbestand des § 52 Abs. 1 Z 2 NAG fallbezogen von vornherein nicht in Betracht.

17 Der Revisionswerber behauptet nicht, dass ihm (als Verwandtem eines EWR-Bürgers in gerader aufsteigender Linie im Sinn des § 52 Abs. 1 Z 3 NAG) von seinem Sohn tatsächlich Unterhalt gewährt wird. Allerdings widerspreche die "verfahrensgegenständliche ‚Umkehr' der Unterhaltsleistung vom Sohn zum Vater, die seitens des EuGH (in den Urteilen vom 17. September 2002 in der Rs. C-413/99 , Baumbast und R, und vom 19. Oktober 2004 in der Rs. C-200/02 , Zhu und Chen,) klar ausgeführt wurde, (...) dem verfahrensgegenständlichen Erkenntnis diametral".

Der EuGH hat in seinem Urteil C-200/02 festgehalten (Rn. 42 ff), dass einem Drittstaatsangehörigen, der seinerseits dem aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger Unterhalt gewährt, nicht die Eigenschaft eines Verwandten in aufsteigender Linie zukommt, dem der Aufenthaltsberechtigte Unterhalt gewährt.

Auch aus dem EuGH-Urteil C-413/99 kann entgegen der Ansicht des Revisionswerbers für die vorliegende Konstellation nichts gewonnen werden: Zum einen ging es in den dort zugrunde liegenden Fällen (anders als hier) um das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht der Kinder eines EWR-Bürgers (Rn. 47 ff). Soweit sich das genannte Urteil zum anderen auf (den damals in Geltung stehenden) Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft und somit auf die Teilnahme von Kindern am allgemeinen Unterricht und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den die "Personensorge" tatsächlich wahrnehmenden Elternteil bezieht (Rn. 68 ff), kann daraus schon deshalb für den vorliegenden Fall nichts abgeleitet werden, weil eine Teilnahme (des E J) am Unterricht hier nicht verfahrensgegenständlich war. Aus diesen Gründen lässt sich auch aus dem vom Revisionswerber ins Treffen geführten Urteil des EuGH vom 23. Februar 2010, in der Rs. C-480/08 , Teixeira, für den vorliegenden Fall nichts gewinnen (unabhängig von der Frage, ob der Revisionswerber die "elterliche Sorge" für E J tatsächlich wahrnimmt, handelt es sich bei E J nicht um ein Kind, das im Aufnahmemitgliedstaat (hier: Österreich) eine Ausbildung absolviert; siehe Rn. 61 sowie 68 f des zitierten Urteils).

18 Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers ist es daher nicht hinreichend, dass vorliegend "Mobilitätsrechte gemäß der Richtlinie 2004/38/EG " in Anspruch genommen worden sind, weil der Revisionswerber kein Familienangehöriger im Sinn des Art. 2 Z 2 der genannten Richtlinie (bzw. nach § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG) ist.

19 Zu den weiteren vom Revisionswerber ins Treffen geführten "unionsrechtlichen Implikationen" ist Folgendes anzumerken:

20 Im Hinblick auf die alleinige Obsorge der K J für ihren Sohn E J, ihr Einkommen sowie die zur Verfügung stehende Kinderbetreuungseinrichtung ist das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass durch die Abweisung des Antrags des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte weder sein Sohn noch seine Lebensgefährtin (im Sinn der zitierten Rechtsprechung des EuGH) de facto gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, bzw. dass dadurch ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht seiner praktischen Wirksamkeit beraubt würde. Eine derartige Auswirkung wird auch mit dem Revisionsvorbringen, wonach die Betreuung des E J in der Kinderkrippe nur die Regelarbeitszeiten der K J abdecke, nicht aber allfällige Dienstreisen, nicht substanziiert dargetan. Soweit der Revisionswerber darauf verweist, dass die in § 56 NAG vorgesehene Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" den Ausschluss von der Erwerbstätigkeit bedeuten und die Unterhaltsleistung an seinen Sohn verhindern würde, ist auf das Urteil des EuGH C-256/11 zu verweisen. Nach der darin (Rn. 68) getroffenen Aussage des EuGH rechtfertigt die bloße Tatsache, dass es für einen Unionsbürger aus wirtschaftlichen Gründen wünschenswert erscheinen könne, dass sich ein Familienangehöriger, der Drittstaatsangehöriger ist, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten könne, für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, ohne Gewährung eines Aufenthaltsrechts für den Drittstaatsangehörigen das Gebiet der Union zu verlassen.

Das vom Revisionswerber auch in diesem Zusammenhang angeführte Urteil des EuGH C-200/02 vermag keine davon abweichende Beurteilung herbeizuführen, hat der EuGH in diesem Urteil (Rn. 45) doch darauf abgestellt, dass dem Aufenthaltsrecht des Kindes - bei Nichterteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die für das Kind tatsächlich sorgende Person - jede praktische Wirksamkeit genommen würde. Auch aus dem vom Revisionswerber herangezogenen Urteil des EuGH vom 10. Oktober 2013, in der Rs. C-86/12 , Alokpa ua., lässt sich für ihn nichts gewinnen, ging es dort doch um die Verweigerung des Aufenthaltsrechtes gegenüber einer Drittstaatsangehörigen, die die "alleinige Sorge" für ihre Kinder, die Unionsbürger waren, ausübte bzw. die seit deren Geburt allein tatsächlich für sie sorgte.

21 Der EuGH hat im zitierten Urteil C-256/11 festgehalten, dass es Sache des (nationalen) Gerichts ist, zu prüfen, ob die Verweigerung gegenüber einem Drittstaatsangehörigen, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, dazu führt, dass dem Familienangehörigen der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht diese Frage in als nicht rechtswidrig anzusehender Weise verneint. Ausgehend davon sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, der Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung mit den vom Revisionswerber aufgeworfenen Fragen Folge zu leisten, zumal auch nicht ersichtlich ist, dass § 52 Abs. 1 Z 3 NAG (der Art. 2 Z 2 lit. d der Richtlinie 2004/38/EG entspricht) den Sohn des Revisionswerbers faktisch an der Ausübung seiner Rechte aus der Richtlinie 2004/38/EG bzw. aus Art. 21 AEUV hindert.

22 Nach Ansicht des Revisionswerbers habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass die vom Revisionswerber geleistete Kinderbetreuung (nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung) als voller Unterhaltsbeitrag zu werten sei (Verweis auch auf das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, 2008/21/0362, 0363). Auch der EuGH habe (zuletzt in seinem Urteil vom 16. Jänner 2014 in der Rs. C-423/12 , Reyes) auf die tatsächliche Unterhaltsgewährung - unabhängig vom Rechtsanspruch - abgestellt.

Die Frage, ob Leistungen des Revisionswerbers allenfalls als Unterhaltsgewährung anzusehen sind, ist unabhängig davon zu beantworten, ob das Aufenthaltsrecht seines Sohnes (bzw. seiner Lebensgefährtin) im Fall der Verweigerung der Ausstellung einer Aufenthaltskarte an den Revisionswerber seine praktische Wirksamkeit verlieren würde. Dem Vorbringen zu den in der Revision behaupteten Feststellungsmängeln betreffend die Unterhaltsleistung durch den Revisionswerber fehlt es daher schon an der entsprechenden Relevanzdarstellung.

23 Soweit der Revisionswerber geltend macht, die Umsetzung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG durch § 56 NAG sei nicht unionsrechtskonform bzw. es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage, ist darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel nach § 56 NAG beantragt hat. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wieso durch diese Regelung der in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltenen Verpflichtung, den Aufenthalt bestimmter Personen zu erleichtern, nicht entsprochen werde (siehe zu den aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG resultierenden Verpflichtungen und zu dem den Mitgliedstaaten diesbezüglich zustehenden Ermessensspielraum das bereits zitierte EuGH-Urteil C-83/11 , Rn. 22 ff).

24 Aus den dargestellten Gründen war die Revision daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

25 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Wien, am 7. Juni 2016

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