Normen
ASVG §35 Abs1;
ASVG §59 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §59 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse (SGKK) vom 19. Juli 2014 wurden dem Mitbeteiligten gemäß § 35 Abs. 1 ASVG Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 15.274,85 sowie Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG in Höhe von EUR 19.927,-
- vorgeschrieben. Begründet wurde dies mit Melde- und Beitragsdifferenzen auf Grund von Abgleichsdifferenzen zwischen den gemeldeten Beitragsgrundlagen und den in der Lohnverrechnung aufscheinenden Beitragsgrundlagen, von falschen Einstufungen innerhalb der Beitragsgruppen, an welche die Höhe der zu entrichtenden Beiträge gekoppelt seien und von Trinkgeldern, wonach eine Nachverrechnung erfolgt sei. Aufzeichnungen über den Trinkgeldbezug seien nicht geführt worden. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass im Taxigewerbe Trinkgelder lukriert würden. Die Nachverrechnung des pauschalen Trinkgeldes in der Höhe von EUR 5,00 täglich erfolge abhängig davon, ob die Anzahl der Arbeitstage in der Kalenderwoche bekannt gewesen seien oder nicht, nach zwei verschiedenen Berechnungsmodi. Bei den Dienstnehmern, bei denen die Arbeitstage bekannt gewesen seien, sei das Trinkgeld von EUR 5,00 mit der Anzahl der Arbeitstage innerhalb der Kalenderwoche und mit dem Faktor 4,33 multipliziert worden. Bei jenen Dienstnehmern, bei denen die Anzahl der Arbeitstage nicht bekannt gewesen sei und sie geringfügig beschäftigt gewesen seien, sei die Beitragsgrundlage für die Nachverrechnung anhand der verrichteten Gesamtstundenanzahl, geteilt durch eine fiktive Arbeitszeit von 8 Stunden täglich und multipliziert mit der pauschalen Trinkgeldhöhe von EUR 5,00 ermittelt worden.
Bezüglich der Schätzung von Trinkgeldern orientierte sich die SGKK an einer Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9. Juni 1980, 43 R 508/80, hinsichtlich des dort ermittelten Trinkgeldpauschales.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei sich diese lediglich gegen den Punkt "Trinkgeld" richtete. Mit Schreiben vom 28. August 2014 legte die SGKK dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde vor.
3 Über diese Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Beschluss den bekämpften Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Gebietskrankenkasse zurückverwiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu aus, dass es zutreffend sei, dass Trinkgelder im Taxigewerbe branchenüblich seien und die SGKK bei fehlenden Aufzeichnungen zur Schätzung berechtigt sei. Die Schätzung des Trinkgeldes mit EUR 5,00 pro Arbeitstag pro Bus- und Taxifahrer sei nicht hinreichend nachvollziehbar. Die SGKK habe es verabsäumt die für die Schätzung des pauschalen Trinkgeldes notwendigen Erhebungen zu tätigen und habe somit die Schätzgrundlage in nicht ausreichendem Maße festgestellt. Es lägen dem Bundesverwaltungsgericht keine den Teilpunkten des Bescheides entsprechenden gesplitteten Unterlagen über die Arbeitstage der Beschäftigten sowie die exakten Beitragsgrundlagen im relevanten Zeitraum vor. Weiters verfüge das Bundesverwaltungsgericht auch über keine entsprechenden EDV-Programme, die eine zahlenmäßig exakte Berechnung der Nachzahlung ermöglichen würden.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision der Gebietskrankenkasse. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Die Revision ist - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG - zulässig, weil das Bundesverwaltungsgericht, wie die SGKK in der Revision zutreffend aufzeigt, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen ist.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in zahlreichen Erkenntnissen, beginnend mit jenem vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, zur Befugnis der Verwaltungsgerichte zur Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG Stellung genommen.
7 Demnach stellt die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 2015, Ra 2015/08/0042, mwN), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind. In Anbetracht dessen, dass die Verwaltungsgerichte in ihrer Konzeption nun die erste gerichtliche Tatsacheninstanz sind, haben sie auf Basis von vorhandenen Ermittlungsergebnissen und allfälligen Ergänzungen in der Sache selbst zu entscheiden.
9 Im Hinblick auf die (oben zusammengefasst wiedergegebenen) Feststellungen der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse lagen dem Bundesverwaltungsgericht brauchbare Ermittlungsergebnisse vor (wie bspw. der Prüfbericht), die von ihm allenfalls zu vervollständigen gewesen wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. April 2015, Ra 2015/08/0012, mwN).
Gravierende Ermittlungslücken werden auch vom Bundesverwaltungsgericht nicht aufgezeigt, sondern es ergibt sich vielmehr aus den Ausführungen im angefochtenen Beschluss selbst, dass die bereits vorliegenden Unterlagen zu ergänzen wären. In Anbetracht der materiell-rechtlichen Verteilung der Mitwirkungspflichten der Parteien eines Verfahrens wird zunächst mit diesen zu erörtern sein, welche rechtlich relevanten tatsächlichen Umstände strittig sind bzw. bleiben. Daran hat sich ein auf die (rechtlich) relevanten Fragen konzentriertes Ermittlungsverfahren anzuschließen, das insbesondere die Vernehmung von Parteien bzw. Zeugen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht umfasst. Sodann ist ein Erkenntnis zu fällen, das den Anforderungen des hg. Erkenntnisses vom 3. Juli 2015, 2013/08/0060, gerecht wird.
Die Präzisierung der Arbeitstage, die Ermittlung der exakten Beitragsgrundlagen sowie die Tatsache, dass das Bundesverwaltungsgericht über kein entsprechendes EDV-Programm verfügt, ist kein Grund für die Zurückverweisung im Sinne der genannten Judikatur. Sollten Neuberechnungen notwendig sein, wird die Gebietskrankenkasse aber im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht entsprechend mitzuwirken haben. Zu den Ermittlungsergebnissen wird selbstverständlich Parteiengehör zu gewähren sein, sodass die vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten Rechtsschutzbedenken nicht nachvollziehbar sind.
10 Vor diesem Hintergrund erweist sich der angefochtene Beschluss als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 6. April 2016
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