VwGH Ra 2015/05/0092

VwGHRa 2015/05/009223.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofrätin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des Gemeinderates der Marktgemeinde M, vertreten durch DDr. Christian F. Schneider, Rechtsanwalt in 1220 Wien, ARES Tower, Donau-City-Straße 11, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 17. September 2014, Zl. LVwG-AB-14-4082, betreffend eine Bauangelegenheit (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. M G und 2. G G, beide in M; 3. H B und 4. F B, beide in M, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Feldgasse 10/9), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §62 Abs4;
B-VG Art119a Abs9;
B-VG Art133 Abs6 Z2;
VwGVG 2014 §18;
ZustG §5;
ZustG §7 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der als Revisionsbeantwortung bezeichnete Schriftsatz der dritt- und viertmitbeteiligten Parteien wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) hob mit dem angefochtenen Beschluss den Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde M vom 20. März 2012 auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Gemeinderat der Marktgemeinde M zurück.

2 In der Zustellungsverfügung des angefochtenen Beschlusses ist der Gemeinderat der Marktgemeinde M nicht genannt. Angeführt ist lediglich "2. Marktgemeinde M, z.H. des Bürgermeisters, Hauptstraße 37, 2344 M".

3 In der Folge erhob die Marktgemeinde M gegen den auch hier angefochtenen Beschluss Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof (vgl. dazu den hg. Beschluss vom 4. November 2016, Zl. Ra 2014/05/0046).

4 Der hier gegenständlichen Revision beigeschlossen ist ein Schreiben des LVwG vom 29. Juni 2015, gerichtet "an die Marktgemeinde M (Gemeinderat) z.H. des Bürgermeisters, Hauptstraße 37, 2344 M". Als Betreff ist die "Übermittlung einer Abschrift des Beschlusses vom 17. September 2014" angeführt. Nach der Anrede "Sehr geehrter Herr Bürgermeister !" wurde in diesem Schreiben zum "Anschreiben" vom 26. Juni 2015 im Anhang eine Abschrift des gegenständlichen Erkenntnisses (richtig: Beschlusses) mit der Bemerkung übermittelt, dass eine Zustellung an die belangte Behörde bereits am 18. September 2014 erfolgt sei.

5 In der vorliegenden Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, der Beschluss des LVwG vom 17. September 2014 sei nur der Marktgemeinde M zugestellt worden, nicht aber dem Gemeinderat der Markgemeinde M. Dies habe zur Folge gehabt, dass zunächst die Marktgemeinde M als solche gegen den Beschluss vom 17. September 2014 Revision erhoben habe. Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2015 habe der Gemeinderat der Marktgemeinde M auf Grund des Gemeinderatsbeschlusses vom 17. Juni 2015 und vertreten durch den Revisionsvertreter den Antrag gestellt, ihm den Beschluss vom 17. September 2014 zuzustellen, da er als belangte Behörde dem Verfahren vor dem LVwG beizuziehen gewesen wäre. Diesem Antrag habe das LVwG am 29. Juni 2015 entsprochen, wobei die Zustellung nicht an den ausgewiesenen Rechtsvertreter des Gemeinderates, sondern am 2. Juli 2015 zu Handen des Bürgermeisters der Marktgemeinde M erfolgt sei. In der Gemeinderatssitzung vom 7. Juli 2015 habe der Gemeinderat der Marktgemeinde M beschlossen, gegen den Beschluss des LVwG vom 17. September 2014 die gegenständliche Revision zu erheben. Rechtzeitigkeit sei gegeben, weil der Beschluss am 29. Juni 2015 nicht zu Handen des ausgewiesenen Rechtsvertreters der belangten Behörde, sondern zu Handen des Bürgermeisters der Marktgemeinde M zugestellt worden sei. Eine Weiterleitung an den Rechtsvertreter sei erst am 3. Juli 2015 mit E-Mail erfolgt, sodass er diesem gemäß § 9 Abs. 3 Zustellgesetz tatsächlich erst am 3. Juli 2015 zugekommen sei. Zur Vertretung der Gemeindeinteressen vor dem Verwaltungsgerichtshof sei nicht die Gemeinde als solche, sondern jenes Gemeindeorgan legitimiert, das als belangte Behörde dem Verfahren vor dem LVwG beizuziehen gewesen sei. Dementsprechend hätte das LVwG seinen Beschluss vom 17. September 2014 schon ursprünglich nicht der Gemeinde als solcher, sondern dem Gemeinderat zustellen müssen. In der ursprünglich vorgenommenen Zustellung könne daher keine Zustellung an den Gemeinderat der Marktgemeinde M erblickt werden, zumal die ursprüngliche Zustellverfügung explizit eine Zustellung an die Marktgemeinde M z. H. des Bürgermeisters vorgesehen habe und nicht an den Gemeinderat. Eine Bindung an die Auffassung des LVwG im Schreiben vom 29. Juni 2015, dass eine Zustellung an die belangte Behörde bereits am 18. September 2014 erfolgt sei, bestehe nicht. Des Weiteren wird in der Revision dargelegt, dass das LVwG eine Zurückverweisung vorgenommen habe, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt gewesen seien (wurde näher ausgeführt). Beantragt wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

6 Die dritt- und viertmitbeteiligten Parteien beantragten in einer "Revisionsbeantwortung", der Revision stattzugeben, und begehrten Kostenersatz.

7 Das LVwG hat die Akten des Verfahrens bereits zum hg. Verfahren Zl. Ra 2014/05/0046 vorgelegt.

8 Art. 133 B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, idF BGBl. I Nr. 164/2013

lautet auszugsweise:

"Artikel 133.

...

(6) Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes kann wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben:

1. wer durch das Erkenntnis in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet;

  1. 2. die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht;
  2. 3. der zuständige Bundesminister in den im Art. 132 Abs. 1 Z 2 genannten Rechtssachen;

    4. der Landesschulrat auf Grund eines Beschlusses des Kollegiums in den im Art. 132 Abs. 4 genannten Rechtssachen.

    ...

(9) Auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sind die für ihre Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Artikels sinngemäß anzuwenden. Inwieweit gegen Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Revision erhoben werden kann, bestimmt das die Organisation und das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes regelnde besondere Bundesgesetz.

..."

9 § 18 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet:

"Parteien

§ 18. Partei ist auch die belangte Behörde."

10 § 26 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. Nr. 10, idF BGBl. I Nr. 33/2013 lautet auszugsweise:

"Revisionsfrist

§ 26. (1) Die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) beträgt sechs Wochen. Sie beginnt

...

2. in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG dann, wenn das Erkenntnis der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung;

...

(2) Ist das Erkenntnis bereits einer anderen Partei zugestellt oder verkündet worden, kann die Revision bereits ab dem Zeitpunkt erhoben werden, in dem der Revisionswerber von dem Erkenntnis Kenntnis erlangt hat.

...

(5) Auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sind die für ihre Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden."

11 Von Bedeutung ist weiters die Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973, LGBl. Nr. 1000-0 (GO), in der Fassung LGBl. Nr. 1000-23:

12 Gemäß § 1 Abs. 1 GO gliedert sich das Land Niederösterreich in Gemeinden. Die Gemeinde ist Gebietskörperschaft mit dem Recht auf Selbstverwaltung und zugleich Verwaltungssprengel.

13 Organe der Gemeinde sind gemäß § 18 Abs. 1 GO unbeschadet der folgenden Bestimmungen der Gemeinderat, der Gemeindevorstand (Stadtrat) und der Bürgermeister.

14 § 37 Abs. 1 GO normiert, dass der Bürgermeister die Gemeinde nach außen vertritt. Er ist Vorstand des Gemeindeamtes und Vorgesetzter der Gemeindebediensteten. Diese sind an seine Weisungen gebunden.

15 Die Einberufung des Gemeinderates hat gemäß § 45 Abs. 1 GO durch den Bürgermeister oder bei seiner Verhinderung durch seinen Stellvertreter (§ 27) zu erfolgen.

16 Gemäß § 45 Abs. 5 GO hat der Bürgermeister oder bei dessen Verhinderung sein Stellvertreter im Gemeinderat den Vorsitz zu führen. § 27 gilt sinngemäß.

17 Das LVwG führt in seinem Vorlageschreiben an den Verwaltungsgerichtshof aus, wenn aus der Erledigung insgesamt offenkundig sei, wer gemeint sei, schade die fehlerhafte Bezeichnung des Adressaten nicht. In diesem Fall liege ein berichtigungsfähiger Fehler vor, bei dem, solange eine Berichtigung nicht erfolgt sei, durch Auslegung zu klären sei, an wen der Beschluss gerichtet sei (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 21. November 2013, Zl. 2013/15/0215). Der gegenständliche Beschluss sei daher bereits am 18. September 2014 der belangten Behörde zugestellt worden.

18 Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 25. Mai 1992, Zl. 91/15/0085, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass "die unrichtige Anführung eines (prozessual) nicht rechtsfähigen Organs eines Rechtsträgers anstelle des Organträgers selbst als Adressat eines abgabenrechtlichen Bescheides jedenfalls dann dem ‚richtigen Bescheidverständnis' nicht im Wege steht, wenn in einem konkreten Fall unter Berücksichtigung der objektiven Rechtslage und der Begründung des Bescheides bei der Betrachtung anders als bei Außerachtlassung dieser Elemente schon für die Betroffenen nicht mehr zweifelhaft sein kann, dass die Verwaltungsbehörde eine bescheidmäßige Erledigung gegenüber dem Rechtsträger selbst treffen wollte und getroffen hat". In einem solchen Fall könne nicht von einem unzulässigen "Umdeuten", sondern nur von einem (zulässigen und gebotenen) "Deuten" des bloß fehlerhaft bezeichneten Bescheidadressaten gesprochen werden, als dessen Ergebnis der vom Organ repräsentierte Rechtsträger als Bescheidadressat anzusehen sei (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 27. März 2003, Zl. 2002/15/0061, vom 10. November 2011, Zl. 2009/07/0204, und das zitierte hg. Erkenntnis vom 21. November 2013).

19 Im vorliegenden Fall ist es jedoch nicht so, dass die belangte Behörde (hier: der Gemeinderat der Marktgemeinde M) ein prozessual nicht rechtsfähiges Organ eines Rechtsträgers wäre, hat die belangte Behörde doch einerseits Parteistellung vor dem LVwG und andererseits das Recht, gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG gegen die Entscheidung des LVwG Revision zu erheben. Rechtlich geboten wäre somit eine Zustellverfügung an den Gemeinderat der Marktgemeinde M gewesen. Ein berichtigungsfähiger Fehler liegt insofern nicht vor. Die zitierte hg. Judikatur kann daher im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommen.

20 Wenn folglich aber ein unzutreffender Empfänger (hier die Marktgemeinde M anstelle des in Bezug auf das Verfahren vor dem LVwG und die Revisionsberechtigung prozessual rechtsfähigen Gemeinderates der Marktgemeinde M) in der Zustellverfügung genannt wird, so liegt kein Fall vor, bei dem im Sinne des § 7 Abs. 1 des Zustellgesetzes durch das tatsächliche Zukommen des Dokumentes an den Empfänger eine Heilung eines Zustellmangels und damit eine wirksame Zustellung erfolgen könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 2008, Zl. 2005/11/0171, mwN).

21 In Bezug auf die Zustellverfügung im angefochtenen Beschluss selbst ist noch zu bemerken, dass die Gemeinde M eine juristische Person ist und als solche auch Partei in einem Beschwerdeverfahren (siehe Art. 119a Abs. 9 B-VG) sein kann. Abgesehen davon, dass der angefochtene Beschluss noch an die Mitbeteiligten als weitere Parteien ergangen ist, ist somit auch deshalb, weil die Marktgemeinde M ein eigenständiges Rechtssubjekt ist, insgesamt nicht davon auszugehen, dass ein Nichtbeschluss vorliegt.

22 Die Zustellverfügung im Schreiben des LVwG vom 29. Juni 2015, dem der angefochtene Beschluss als Beilage angeschlossen war, lautete "An die Marktgemeinde M (Gemeinderat) z. H. des Bürgermeisters". Aus dieser Zustellverfügung lässt sich nun nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennen, an wen das zuzustellende Dokument als Empfänger gerichtet sein soll, da, wie bereits dargestellt, sowohl die Marktgemeinde M als eigenständige juristische Person als auch der Gemeinderat der Marktgemeinde M als Empfänger in Frage kommen. Es ist daher nach wie vor davon auszugehen, dass durch diese Unklarheit mit dem Schreiben vom 29. Juni 2015 keine rechtswirksame Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Revisionswerber erfolgte.

23 Im Ergebnis ist daher dem Gemeinderat der Marktgemeinde M der angefochtene Beschluss dadurch nicht rechtswirksam zugestellt worden.

24 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen. Im Übrigen stützt sich die Revision nicht auf § 26 Abs. 2 VwGG, sodass es sich erübrigt, darauf einzugehen, ob nicht der Gemeinderat angesichts der Stellung des Bürgermeisters als seines Vorsitzenden bereits seit 18. September 2014 von dem angefochtenen Beschluss Kenntnis erlangt hatte.

25 Die dritt- und viertmitbeteiligten Parteien haben sich in ihrem als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz der Auffassung der revisionswerbenden Partei angeschlossen, sodass schon deshalb dieser Schriftsatz zurückzuweisen war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2004, Zl. 2001/08/0073).

Wien, am 23. November 2016

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