VwGH Ro 2015/03/0045

VwGHRo 2015/03/004513.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der revisionswerbenden Partei W GmbH in W, vertreten durch B&S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in 1040 Wien, Gußhausstraße 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. September 2015, Zl W110 2012204- 1/15E, betreffend Unwirksamerklärung von Vertragsbestimmungen gemäß § 74 EisbG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Schienen-Control Kommission; mitbeteiligte Partei: Ö AG in W, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 5; weitere Partei: Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

32012L0034 Eisenbahnraum-RL Art56 Abs1 lita;
32012L0034 Eisenbahnraum-RL Art56 Abs1 litb;
32012L0034 Eisenbahnraum-RL Art56 Abs10;
32012L0034 Eisenbahnraum-RL Art56 Abs9;
62011CJ0136 Westbahn Management VORAB;
62011CJ0509 ÖBB-Personenverkehr VORAB;
AVG §68 Abs1;
EisenbahnG 1957 §54 Z3;
EisenbahnG 1957 §74 idF 2009/I/095;
EisenbahnG 1957 §74;
EURallg;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RO2015030045.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I. Sachverhalt

1 A. Die Revisionswerberin betreibt ein Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Sitz in W. Mit Schreiben vom 19. März 2013 gab die belangte Behörde die Einleitung eines wettbewerbsaufsichtsbehördlichen Verfahrens zur Zahl SCK-13-028 über den von der Revisionswerberin mit der Ö AG abgeschlossenen Infrastrukturnutzungsvertrag mit der Nr NZ-V beiden Vertragsparteien bekannt und räumte sowohl der Ö AG als auch der Revisionswerberin die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zu einzelnen Punkten des Vertrags innerhalb einer entsprechenden Frist ein.

2 B. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2013 zur Zahl SCK-13- 041 erklärte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde gemäß § 74 Abs 1 Z 3 Eisenbahngesetz 1957, BGBl Nr 60/1957 idF BGBl I Nr 95/2009 (EisbG), folgende Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Infrastrukturnutzungsvertrag der Ö AG unwirksam:

6.1 Sollte die Ö AG durch Fälle höherer Gewalt oder sonstige Umstände, die mit zumutbaren Mitteln nicht abgewendet werden können, an der Erfüllung ihrer Verpflichtung nach dieser Anlage ganz oder teilweise gehindert werden, so wird diese Verpflichtung der Ö AG für die Dauer der Hindernisse bzw. Störungen ausgesetzt.

6.2 Die Ö AG kann betriebsbedingte Abschaltungen der Anlagen nach vorhergehender Verständigung des EVU (Eisenbahnverkehrsunternehmen), bei Gefahr im Verzug jedoch sofort und ohne vorherige Verständigung des EVU durchführen. Dies geschieht zu Lasten auf Gefahr des EVU. Die Haftungsbestimmungen in Punkt 20 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Infrastrukturnutzungsvertrag bleiben davon unberührt."

Außerdem trug die belangte Behörde der Ö AG auf, diese Bestimmungen binnen fünf Arbeitstagen aus den auf ihrer Internetseite abrufbaren allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Infrastrukturnutzungsvertrag, aus dem Produktkatalog Netzzugang Stationen 2013 und 2014 sowie aus der Anlage 3 zum Infrastrukturnutzungsvertrag ("Netznutzung Energie") zu entfernen, und es ab Bescheidzustellung zu unterlassen, sich gegenüber den Zugangsberechtigten auf die für unwirksam erklärten Bestimmungen zu berufen. Die für unwirksam erklärten Klauseln stimmten insofern mit den im Schreiben vom 19. März 2013 von der belangten Behörde beanstandeten Punkten des zwischen der Revisionswerberin und der Ö AG geschlossenen Infrastrukturnutzungsvertrags inhaltlich überein, als die allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Infrastrukturnutzungsvertrag, der Produktkatalog Netzzugang Stationen 2013 und 2014 sowie die Anlage 3 zum Infrastrukturnutzungsvertrag ("Netznutzung Energie") einen Anhang der Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2013 und 2014 der Ö AG bildeten.

3 Begründend wurde im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde zur Zahl SCK-WA-11- 052 ein wettbewerbsaufsichtsbehördliches Verfahren zur Prüfung des Muster-Infrastrukturnutzungsvertrags der Ö AG eingeleitet habe, in welchem die mitbeteiligte Ö AG zu den Beanstandungen einzelner Bestimmungen der damals geltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den bescheidgegenständlichen Vertragsbestimmungen inhaltlich "weitestgehend" entsprochen hätten, Stellung genommen habe. In der Folge habe die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht dieses Verfahren formlos eingestellt und 29 wettbewerbsaufsichtsbehördliche Verfahren zu den von der mitbeteiligten Partei mit den einzelnen Zugangsberechtigten für die Netzfahrplanperiode 2012/2013 abgeschlossenen Infrastrukturnutzungsverträgen eingeleitet, darunter auch das erwähnte Verfahren SCK-13-028 über den Infrastrukturnutzungsvertrag mit der Revisionswerberin.

4 Das zur Erlassung des Bescheides vom 25. Oktober 2013 führende Verfahren SCK-13-041 betreffe Vertragsbestimmungen, die in allen von der Ö AG für die laufende Netzfahrplanperiode 2012/2013 abgeschlossenen Infrastrukturnutzungsverträgen enthalten seien, weshalb aus verfahrensökonomischen Gründen davon Abstand genommen worden sei, bezüglich aller insgesamt 32 Infrastrukturnutzungsverträge jeweils einen eigenen Bescheid zu erlassen und die Klauseln in jedem einzelnen Vertrag für unwirksam zu erklären.

5 C. Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2014 beantragte die Revisionswerberin im Verfahren SCK-13-028 die Unwirksamerklärung jener Bestimmungen ihres konkreten Infrastrukturnutzungsvertrags mit der mitbeteiligten Partei, die "sinngemäß" bereits im Verfahren SCK-13-041 von der belangten Behörde beanstandet und für unwirksam erklärt worden waren. Dabei vertrat sie die Auffassung, dass die im Verfahren SCK-13-041 mit dem Bescheid vom 25. Oktober 2013 für unwirksam erklärten Klauseln mit identem Wortlaut nach wie vor Inhalt des Infrastrukturnutzungsvertrags seien, den die Revisionswerberin mit der mitbeteiligten Partei für das Jahr 2013 abgeschlossen habe. Ferner beantragte die Revisionswerberin, die mitbeteiligte Partei erneut zur Stellungnahme aufzufordern, um eine einvernehmliche Aufhebung jener Vertragsbestimmungen zu ermöglichen sowie das rechtliche Gehör des Infrastrukturbetreibers zu wahren.

6 Mit Bescheid vom 7. Juli 2014 zur Zahl SCK-13-028 wies die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde sämtliche Anträge der Revisionswerberin zurück. Begründend erläuterte die belangte Behörde, dass die in den Anträgen der Revisionswerberin zitierten Bestimmungen schon mit Bescheid vom 25. Oktober 2013 im Verfahren SCK-13-041 gemäß § 74 Abs 1 Z 3 EisbG für unwirksam erklärt worden seien und deren weitere Anwendung untersagt worden sei, weshalb diese Bestimmungen nicht mehr Bestandteil der Infrastrukturverträge seien. Einer nochmaligen Unwirksamerklärung stehe das Wiederholungsverbot des § 68 Abs 1 AVG entgegen, weil der vorangegangene Bescheid in Rechtskraft erwachsen sei. Darüber hinaus sei der Antrag der Revisionswerberin auch inhaltlich nicht berechtigt, weil dem Interesse der Revisionswerberin bereits mit dem Bescheid vom 25. Oktober 2013 zur Zahl SCK-13-041 dahingehend entsprochen worden sei, dass die jeweiligen Bestimmungen für unwirksam erklärt wurden und der Ö AG aufgetragen wurde, sich nicht mehr auf diese zu berufen. Eine Verbesserung ihrer rechtlichen Situation sei somit nicht denkbar.

7 Dagegen erhob die Revisionswerberin am 14. August 2014 Beschwerde.

8 D. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

9 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass jene Vertragsbestimmungen des zwischen der Revisionswerberin und der mitbeteiligten Partei geschlossenen Infrastrukturnutzungsvertrags mit der Nr NZ-V mit den Vertragsklauseln, die einen Anhang zu den Schienennetz-Nutzungsbedingungen 2013 und 2014 bildeten und von der belangten Behörde mit Bescheid vom 25. Oktober 2013 zu SCK-13- 041 für unwirksam erklärt wurden, inhaltlich ident seien, weshalb einer nochmaligen Entscheidung nach § 74 Abs 1 EisbG das prozessuale Hindernis der entschiedenen Sache entgegenstehe. Einer Auslegung, die der Unwirksamerklärung von Inhalten der Schienennetz-Nutzungsbedingungen keinerlei Auswirkungen auf konkrete Vertragsverhältnisse zugestehe oder etwa lediglich eine Pro-Futuro-Wirkung auf noch nicht abgeschlossener Verträge einräume und jeweils eine zusätzliche separate Unwirksamerklärung jeder inhaltlich identen Klausel eines aufrechten konkreten Vertrags erfordere, stünden die im EisbG und in der Richtlinie 2012/34/EU festgelegten Grundsätze entgegen. Es wäre weder mit der Effektivität der von der belangten Behörde auszuübenden Kontrolle noch mit der Bedeutung der unionsrechtlich vorgesehenen Schienennetz-Nutzungsbedingungen, die gemäß § 59 Abs 1 zweiter Satz EisbG gegenüber jedem Zugangsberechtigten in gleicher Weise anzuwenden seien, vereinbar, wenn Klauseln der Schienennetz-Nutzungsbedingungen, die ihm Rahmen eines wettbewerbsaufsichtsbehördlichen Verfahrens für unwirksam erklärt worden seien - ungeachtet der Rechtskraft einer solchen Entscheidung - nochmals für ein konkretes Vertragsverhältnis für unwirksam erklärt werden müssten.

10 E. In ihrer dagegen gerichteten ordentlichen Revision bringt die Revisionswerberin vor, dass im gegenständlichen Verfahren kein Fall einer "entschiedenen Sache" vorliege, weil der Prozessgegenstand ein anderer sei als der Mustervertrag, über den die belangte Behörde im Bescheid vom 25. Oktober 2013 zu SCK-13-041 verfügt habe. Für die Wahrung der rechtlichen Interessen der Revisionswerberin seien nicht ausschließlich die Rechtsansicht der belangten Behörde und des BVwG maßgeblich, sondern auch die praktischen Auswirkungen einer regulierungsbehördlichen Entscheidung "im Bereich der zivilgerichtlichen Sphäre" der Revisionswerberin. Eine effektive Regulierung im Sinne des EisbG könne nur gewährleistet werden, wenn Zugangsberechtigte ihre Rechte insgesamt - dh nicht nur im öffentlich-rechtlich determinierten Bereich - durchsetzen können, also auch sichergestellt sei, dass im Zivilrechtsweg diesen Rechten zum Durchbruch verholfen werde. Ohne die verfahrensgegenständlich beantragten Aufhebungen sei aber nicht sichergestellt, dass die Revisionswerberin ihre Rechte gegenüber dem Infrastrukturbetreiber auch vor den Zivilgerichten durchsetzen könne.

11 Die belangte Behörde und die Ö AG erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung und beantragten, die ordentliche Revision abzuweisen.

II. Rechtslage

12 A. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des EisbG, BGBl Nr 60/1957 idF BGBl I Nr 38/2004 (§ 59) bzw BGBl I Nr 124/2011 (§ 59a) und BGBl I Nr 95/2009 (§ 74), lauteten:

"Schienennetz-Nutzungsbedingungen

§ 59. (1) Für den Zugang zur Schieneninfrastruktur durch Zugangsberechtigte und für die Zurverfügungstellung sonstiger Leistungen haben Eisenbahninfrastrukturunternehmen Schienennetz-Nutzungsbedingungen zu erstellen, in denen sie die Bedingungen festlegen, unter denen sie diesen Zugang einräumen und unter denen sie diese sonstigen Leistungen zur Verfügung stellen. Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen sind auf dem neuesten Stand zu halten, gegenüber jedem Zugangsberechtigten in gleicher Weise anzuwenden und haben die wesentlichen administrativen, technischen und finanziellen Modalitäten (...) zu enthalten (...). (...)

(2) Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen haben die Schienennetz-Nutzungsbedingungen sowie deren Änderungen mindestens vier Monate vor Ablauf der Frist (§ 65 Abs. 3) für die Einbringung von Begehren auf Zuweisung von Zugtrassen unentgeltlich im Internet bereitzustellen und der Schienen-Control GmbH innerhalb eines Monats ab Erstellung oder Änderung derselben vorzulegen."

"Allgemeine Geschäftsbedingungen

§ 59a. (1) Für die Zurverfügungstellung von Serviceleistungen und die Zusatzleistung Durchführung von Verschubbetrieb haben Eisenbahnverkehrsunternehmen allgemeine Geschäftsbedingungen zu erstellen, in denen sie die Bedingungen festlegen, unter denen sie diese Serviceleistungen zur Verfügung stellen. Diese allgemeinen Geschäftsbedingungen haben alle wesentlichen administrativen, technischen und finanziellen Modalitäten zu enthalten.

(2) Die Eisenbahnverkehrsunternehmen haben die allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie deren Änderungen unentgeltlich im Internet bereitzustellen und der Schienen-Control GmbH innerhalb eines Monats ab Erstellung oder Änderung derselben vorzulegen."

"Wettbewerbsaufsicht

§ 74. (1) Die Schienen-Control Kommission hat von Amts wegen

1. einer Zuweisungsstelle hinsichtlich des Zuganges zur Schieneninfrastruktur einschließlich sämtlicher damit verbundener Bedingungen im Hinblick auf die administrativen, technischen und finanziellen Modalitäten wie etwa das Benützungsentgelt und hinsichtlich der Zurverfügungstellung sonstiger Leistungen einschließlich sämtlicher damit verbundener Bedingungen im Hinblick auf die administrativen, technischen und finanziellen Modalitäten wie etwa angemessener Kostenersatz und branchenübliches Entgelt ein nichtdiskriminierendes Verhalten aufzuerlegen oder das diskriminierende Verhalten zu untersagen oder

2. einem Eisenbahnverkehrsunternehmen hinsichtlich der Zurverfügungstellung von Serviceleistungen und der Zusatzleistung Durchführung von Verschubbetrieb einschließlich sämtlicher damit verbundener Bedingungen im Hinblick auf die administrativen, technischen und finanziellen Modalitäten wie etwa angemessener Kostenersatz und branchenübliches Entgelt ein nichtdiskriminierendes Verhalten aufzuerlegen oder das diskriminierende Verhalten zu untersagen oder

3. diskriminierende Schienennetz-Nutzungsbedingungen, diskriminierende allgemeine Geschäftsbedingungen, diskriminierende Verträge oder diskriminierende Urkunden ganz oder teilweise für unwirksam zu erklären.

(2) Die Zuständigkeiten des Kartellgerichtes bleiben unberührt."

13 B. Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums, ABl 2012/L 343/32 (RL), lauten:

"Artikel 56

Aufgaben der Regulierungsstelle

(1) Ist ein Antragsteller der Auffassung, ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein, so hat er unbeschadet des Artikels 46 Absatz 6 das Recht, die Regulierungsstelle zu befassen, und zwar insbesondere gegen Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers oder gegebenenfalls des Eisenbahnunternehmens oder des Betreibers einer Serviceeinrichtung betreffend:

a) den Entwurf und die Endfassung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen;

  1. b) die darin festgelegten Kriterien;
  2. c) das Zuweisungsverfahren und dessen Ergebnis;
  3. d) die Entgeltregelung;
  4. e) die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die er zu zahlen hat oder hätte;
  5. f) die Zugangsregelungen gemäß Artikel 10 bis 13;
  6. g) den Zugang zu Leistungen gemäß Artikel 13 und die dafür erhobenen Entgelte.

(2) Unbeschadet der nationalen Wettbewerbsbehörden für die Sicherstellung des Wettbewerbs in den Schienenverkehrsmärkten ist die Regulierungsstelle berechtigt, die Wettbewerbssituation in den Schienenverkehrsmärkten zu überwachen; sie prüft insbesondere von sich aus die in Absatz Buchstaben a bis g genannten Punkte, um der Diskriminierung von Antragstellern vorzubeugen. Sie prüft insbesondere, ob die Schienennetz-Nutzungsbedingungen diskriminierende Bestimmungen enthalten oder den Infrastrukturbetreibern einen Ermessensspielraum geben, der die Diskriminierung von Antragstellern ermöglicht.

...

(9) Binnen eines Monats ab Erhalt einer Beschwerde prüft die Regulierungsstelle die Beschwerde und fordert gegebenenfalls einschlägige Auskünfte an und leitet Gespräche mit allen Betroffenen ein. Innerhalb einer vorab bestimmten angemessenen Frist, in jedem Fall aber binnen sechs Wochen nach Erhalt aller sachdienlichen Informationen entscheidet sie über die betreffenden Beschwerden, trifft Abhilfemaßnahmen und setzt die Betroffenen über ihre begründete Entscheidung in Kenntnis. Unbeschadet der Zuständigkeiten der nationalen Wettbewerbsbehörden für die Sicherstellung des Wettbewerbs in den Schienenverkehrsmärkten entscheidet sie gegebenenfalls von sich aus über geeignete Maßnahmen zur Korrektur von Fällen der Diskriminierung von Antragstellern, Marktverzerrung und anderer unerwünschter Entwicklungen in diesen Märkten, insbesondere in Bezug auf Absatz 1 Buchstaben a bis g.

Entscheidungen der Regulierungsstelle sind für alle davon Betroffenen verbindlich und unterliegen keiner Kontrolle durch eine andere Verwaltungsinstanz. Die Regulierungsstelle muss ihre Entscheidungen durchsetzen können und gegebenenfalls geeignete Sanktionen, einschließlich Geldbußen, verhängen können.

Wird die Regulierungsstelle mit einer Beschwerde wegen der Verweigerung der Zuweisung von Fahrwegkapazität oder wegen der Bedingungen eines Angebots an Fahrwegkapazität befasst, entscheidet die Regulierungsstelle entweder, dass keine Änderung der Entscheidung des Infrastrukturbetreibers erforderlich ist, oder schreibt eine Änderung dieser Entscheidung gemäß den Vorgaben der Regulierungsstelle vor.

(10) Die Mitgliedstaaten gewährleisten die gerichtliche Nachprüfbarkeit von Entscheidungen der Regulierungsstelle. Die Beschwerde kann nur dann aufschiebende Wirkung auf die Entscheidung der Regulierungsstelle haben, wenn die Entscheidung der Regulierungsstelle dem Beschwerdeführer unmittelbar irreversiblen oder offensichtlich unverhältnismäßigen Schaden zufügen kann. Diese Bestimmung lässt die etwaigen durch Verfassungsrecht übertragenen Befugnisse des mit der Beschwerde befassten Gerichts unberührt."

III. Erwägungen

14 A. Die von der vor dem Verwaltungsgericht belangten Schienen-Control Kommission im Rahmen des § 74 EisbG wahrzunehmenden Befugnisse dienen der Herstellung eines chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen im Bereich des Schienenverkehrsmarkts (EBRV 1835 BlgNR 20. GP , 18). War die mit BGBl I Nr 166/1999 eingeführte Wettbewerbsaufsicht der Schienen-Control Kommission vorerst auf die Kontrolle von Verträgen beschränkt, wurde sie mit BGBl I Nr 38/2004 dahingehend erweitert, dass derselben nun auch Schienennetz-Nutzungsbedingungen und allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen, weil diese nicht mehr genehmigungspflichtig sind (EBRV 349 BlgNR 22. GP , 8, 11).

15 Seither ermöglicht es § 74 EisbG idF BGBl I Nr 95/2009 der Schienen-Control Kommission, sowohl ein nichtdiskriminierendes Verhalten aufzuerlegen oder ein diskriminierendes Verhalten zu untersagen, als auch diskriminierende Schienennetz-Nutzungsbedingungen, allgemeine Geschäftsbedingungen, Verträge und Urkunden ganz oder teilweise für unwirksam zu erklären (vgl dazu VwGH vom 30. Juni 2015, 2012/03/0087; VwGH vom 30. Juni 2015, 2013/03/0150). Das Gesetz beschränkt die Möglichkeit zur Unwirksamerklärung nicht auf Verträge, deren Laufzeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht beendet ist, und es enthält auch keine Anhaltspunkte, wonach einer Unwirksamerklärung lediglich ex-nunc-Wirkung zukommen sollte. Gerade der in § 54 Z 3 EisbG festgelegte Zweck der Wettbewerbsaufsicht - Schutz von Zugangsberechtigten vor Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung - spricht gegen eine einschränkende Auslegung, die es der belangten Behörde verunmöglichen würde, diskriminierende Verträge für unwirksam zu erklären, wenn deren Laufzeit bereits abgelaufen ist (VwGH vom 30. Juni 2015, 2012/03/0087).

16 B. In seiner zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG geltenden Fassung stützte sich § 74 EisbG auf die Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung, ABl 2001/L 75/29. Am 21. November 2012 war diese Richtlinie vom Europäischen Parlament und Rat durch die Richtlinie 2012/34/EU zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums, ABl 2012/L 343/32, ersetzt worden, die bis zum 16. Juni 2015 in den Mitgliedstaaten umzusetzen war (vgl Art 64 Abs 1 leg cit). Die Richtlinie 2012/34/EU wurde in Österreich allerdings erst mit der EisbG-Novelle 2015, BGBl I Nr 137/2015 (ausgegeben am 26. November 2015) umgesetzt, womit auch § 74 EisbG eine neue Fassung erhielt. Im Fall des vorliegend bekämpften Erkenntnisses aus dem September 2015 ist daher § 74 idF BGBl I Nr 95/2009 anzuwenden, für seine Auslegung aber bereits die Richtlinie 2012/34/EU heranzuziehen.

17 Art 56 Abs 1 lit a und b der Richtlinie 2012/34/EU räumt einem Antragsteller, der sich als ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt erachtet, das Recht ein, die Regulierungsstelle mit Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers betreffend den Entwurf und die Endfassung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen und die darin festgelegten Kriterien zu befassen. Nach Art 56 Abs 9 zweiter Satz der Richtlinie 2012/34/EU hat die Regulierungsstelle innerhalb einer vorab bestimmten angemessenen Frist, jedenfalls aber binnen sechs Wochen nach Erhalt aller sachdienlichen Informationen über eine Beschwerde zu entscheiden, Abhilfemaßnahmen zu treffen und die Betroffenen über ihre begründete Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Art 56 Abs 10 der Richtlinie 2012/34/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, die gerichtliche Nachprüfbarkeit von Entscheidungen der Regulierungsstelle zu gewährleisten. Auf dem Boden dieser unionsrechtlichen Vorgaben, denen die nationalen Rechtsvorschriften zu deren Umsetzung zu entsprechen haben, sind die Bestimmungen des 6. Teiles des EisbG soweit wie möglich im Lichte des Wortlauts, des Zusammenhangs und der Ziele dieser Richtlinie auszulegen und anzuwenden, um das mit ihr angestrebte Ergebnis zu erreichen (vgl VwGH vom 21. Oktober 2014, 2013/03/0112; VwGH vom 27. November 2014, 2013/03/0092; VwGH vom 30. Juni 2015, 2013/03/0150; vgl auch EuGH vom 22. November 2012, C-136/11 , Westbahn Management GmbH, Rz 33; EuGH vom 26. September 2013, C-509/11 , ÖBB-Personenverkehrs AG, Rz 64).

18 C. Der Verwaltungsgerichtshof hat zum VwGVG bereits ausgesprochen, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen grundsätzlich nicht mehr in merito entschieden werden darf (vgl VwGH vom 24. Mai 2016, Ra 2016/03/0050, Rz 6, mwH). Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Dieser Grundsatz ist insbesondere auch dann zu beachten, wenn § 17 VwGVG eine sinngemäße Anwendung des IV. Teils des AVG und damit des § 68 Abs 1 AVG im Rahmen des VwGVG nicht vorsieht. Fest steht weiters, dass auch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts mit ihrer Erlassung rechtskräftig werden, wobei alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft haben. Aus der danach grundsätzlich einschlägigen Rechtsprechung zu § 68 AVG ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist (ne bis in idem).Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung (vgl dazu etwa VwGH vom 24. Mai 2016, Ra 2016/03/0050, Rz 6). Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl nochmals VwGH vom 24. Mai 2016, Ra 2016/03/0050, Rz 7). "Sache" einer rechtskräftigen Entscheidung ist dabei stets der im Bescheid enthaltene Ausspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgebenden Sachverhalt zum Ausdruck kommt, und der Rechtslage, auf die sich die Behörde bei ihrem Bescheid gestützt hat.

19 Der revisionswerbenden Partei ist einzuräumen, dass durch den rechtskräftigen Bescheid der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vom 25. Oktober 2013 den von ihr mit der mitbeteiligten Partei abgeschlossenen Verträgen nicht formell derogiert wurde. Es wurde derart nicht ausdrücklich ausgesprochen, dass die jeweiligen konkreten Vertragsurkunden ausdrücklich abgeändert würden, sodass die hier gegenständlichen, mit Bescheid vom 25. Oktober 2013 für unwirksam erklärten Klauseln aus diesen Vertragsurkunden förmlich getilgt würden.

20 Allerdings wurde der mitbeteiligten Partei im Spruch des Bescheides vom 25. Oktober 2013 (unter Spruchpunkt 5)) ausdrücklich aufgetragen, es "ab Zustellung dieses Bescheides zu unterlassen, sich gegenüber den Zugangsberechtigten" - somit auch gegenüber der revisionswerbenden Partei - "auf die ... für unwirksam erklärten Bestimmungen zu berufen."

Vor dem Hintergrund des der Erlassung des Bescheides vom 25. Oktober 2013 zugrunde liegenden Verfahrens der Wettbewerbsaufsicht, in dem ohnehin sowohl die Revisionswerberin als auch die Mitbeteiligte Parteistellung hatten und Adressaten des Bescheides waren, kann diese Unterlassungsverpflichtung nicht anders verstanden werden, als dass auf ihrem Wege die Unwirksamkeitserklärung auf den Inhalt der konkreten Vereinbarungen zwischen der Revisionswerberin und der Mitbeteiligten durchschlägt. Schon auf Grund dieses ausdrücklich normierten Unterlassungsgebotes ergibt sich, dass die Revisionswerberin durch die von ihr angestrebte förmliche Unwirksamkeitserklärung der in den konkreten Vertragsurkunden enthaltenen Bestimmungen (von denen sie auch nicht behauptet, dass sie weitergehend wären als die durch den Bescheid vom 25. Oktober 2013 unwirksam erklärten) keine bessere Rechtsstellung erlangen könnte. Bei dieser Konstellation erweist sich der Antrag der Revisionswerberin vom 16. Mai 2014 iSd § 68 Abs 1 AVG als auf dieselbe Sache gerichtet, über welche bereits mit dem Bescheid vom 25. Oktober 2013 rechtskräftig abgesprochen worden war.

21 Damit war die vom Verwaltungsgericht im Rahmen des VwGVG bestätigte Zurückweisung des Antrages der Revisionswerberin vom 16. Mai 2014 nach § 68 Abs 1 AVG rechtskonform.

IV. Ergebnis

22 A. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als

unbegründet abzuweisen.

23 B. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf

den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. September 2016

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