VwGH Ro 2015/22/0017

VwGHRo 2015/22/001728.5.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der Bundesministerin für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 19. November 2014, Zl. VGW- 151/071/25330/2014-11, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit eines Aufenthaltstitels (mitbeteiligte Partei: A A M T, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/23; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37 Abs1 impl;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
VwGG §42 Abs4;
VwGVG 2014 §28 Abs7;
VwGVG 2014 §8;
VwRallg;
AVG §37 Abs1 impl;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
VwGG §42 Abs4;
VwGVG 2014 §28 Abs7;
VwGVG 2014 §8;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 13. August 2010 beim Landeshauptmann von Wien (in der Folge: Behörde) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009. Dieser Antrag wurde am 10. Oktober 2012 dahin modifiziert, dass ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 10 NAG (in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012) begehrt werde.

Mit Datum vom 31. März 2014 brachte der Mitbeteiligte bei der Behörde eine Säumnisbeschwerde ein.

Das Verwaltungsgericht Wien gab mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis der Säumnisbeschwerde Folge (Spruchpunkt I.) und forderte unter Spruchpunkt II. unter Berufung auf § 28 Abs. 7 VwGVG die Behörde auf,

1. eine begründete Stellungnahme vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 NAG einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen einzuholen,

2. ein Verfahren gemäß §§ 73 und § 74 NAG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012 durchzuführen, sowie

3. binnen einer Frist von acht Wochen ab Zustellung des Erkenntnisses einen Bescheid unter Bindung an die Rechtsansicht zu erlassen, dass die Voraussetzungen gemäß § 41a Abs. 10 NAG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012, abgesehen von der Zustimmung des Bundesministers für Inneres gemäß § 74 NAG in der genannten Fassung, für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" vorliegen.

Weiters erklärte das Verwaltungsgericht die ordentliche Revision für zulässig.

In den Entscheidungsgründen führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Säumnisbeschwerde zu Recht erhoben worden sei. Weiters kam es unter Berücksichtigung dessen, dass sich der Mitbeteiligte mittlerweile mehr als zehn Jahre in Österreich aufhalte, mehr als die Hälfte der Zeit aufenthaltsberechtigt gewesen sei, seit 2007 eine Lebensgefährtin habe, seit 2008 ein Bachelorstudium der Kunstgeschichte absolviere, in Österreich voll integriert sei, ausgezeichnete Deutschkenntnisse habe, und einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vorgelegt habe, zum Schluss, "dass im Falle des Beschwerdeführers die Voraussetzungen des § 41a Abs. 10 NAG in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 87/2012 vorliegen".

Die ordentliche Revision erklärte es mit der Begründung für zulässig, dass Rechtsprechung zu § 28 Abs. 7 VwGVG zur Gänze fehle.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der Bundesministerin für Inneres, der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Verwaltungsgericht erklärte die Revision zu Recht für zulässig, weil - für den vorliegenden Fall - relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 7 VwGVG fehlt; die Revision ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 81 Abs. 23 NAG sind vorliegend die Bestimmungen des NAG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012 maßgeblich.

§ 41a Abs. 10 NAG lautete:

"Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 oder 5 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist,

2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist und

3. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 14a) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt.

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung und die Art und Dauer der Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein, einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt."

§ 28 Abs. 7 VwGVG lautet:

"Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt."

§ 28 Abs. 7 VwGVG ermöglicht es somit dem Verwaltungsgericht, sich in Säumnisbeschwerdeverfahren zunächst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen zu beschränken. Die Erläuterungen (RV BlgNR 2009 24. GP 7) nehmen ausdrücklich Bezug auf die frühere Bestimmung des § 42 Abs. 4 VwGG. Wie auch die Revisionswerberin zutreffend erkannt hat, kann daher die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 42 Abs. 4 VwGG aF grundsätzlich auf § 28 Abs. 7 VwGVG übertragen werden. Die Revisionswerberin missversteht in diesem Zusammenhang jedoch das von ihr genannte Erkenntnis vom 3. Oktober 2013, 2012/06/0229, grundlegend. Die in § 28 Abs. 7 VwGVG genannten "einzelnen maßgeblichen Rechtsfragen" sind auch solche, die für die Entscheidung der Rechtssache (der materiellen Verwaltungssache) von Bedeutung sind. § 28 Abs. 7 VwGVG ermöglicht es dem Verwaltungsgericht somit (ebenso wie nach der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage § 42 Abs. 4 VwGG dies dem Verwaltungsgerichtshof ermöglichte), aufgrund einer Säumnisbeschwerde zunächst ohne Durchführung eines umfassenden Ermittlungsverfahrens (ohne vollständige Feststellung des maßgebenden Sachverhalts im Sinne des § 37 Abs. 1 AVG) die wesentlichen für die Lösung des Falles maßgeblichen Rechtsfragen zu entscheiden (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2014, Ra 2014/22/0106). Daran ändert auch die von der Revisionswerberin hervorgehobene Formulierung in der Begründung des angeführten Erkenntnisses nichts, da es weder auf die Motive des Verwaltungsgerichtshofes ankam, aus denen er von der Möglichkeit des § 42 Abs. 4 VwGG Gebrauch machte, noch die von der Revisionswerberin zitierte Formulierung zum Ausdruck bringen

sollte, dass nur dann wenn eine "Klärung ... betreffend die

Frage der eingetretenen Säumnis" erfolge, eine Entscheidung nach § 42 Abs. 4 VwGG in Betracht käme.

Weiters sieht die Revisionswerberin einen Widerspruch darin, dass das Verwaltungsgericht einerseits die Erteilung des Aufenthaltstitels angeordnet habe, andererseits aber auftragsgemäß weitere Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels, nämlich die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 NAG (keine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen bzw. der internationalen Beziehungen) erst geprüft werden müssten sowie die Zustimmung der Bundesministerin gemäß §§ 73 und 74 NAG erst eingeholt werden müsste.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass dem angefochtenen Erkenntnis unschwer zu entnehmen ist, dass das Verwaltungsgericht allein die Rechtsfrage geklärt hat, ob die in § 41a Abs. 10 erster Satz NAG aufgezählten Voraussetzungen erfüllt seien und ob die Integration des Mitbeteiligten im Sinn des zweiten Satzes des § 41a Abs. 10 leg. cit. den Grad eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles erreicht habe.

Von daher gesehen nahm das Verwaltungsgericht somit nicht die Erteilung des Aufenthaltstitels vorweg, sondern erklärte das Vorliegen einzelner Voraussetzungen für diesen Titel für gegeben. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin besteht somit kein Widerspruch zwischen den Z 1 und 3 bzw. 2 und 3 des Spruchpunktes II des angefochtenen Erkenntnisses.

Da somit dem angefochtenen Erkenntnis die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Revision als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandsersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Mai 2015

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