VwGH Ra 2015/21/0117

VwGHRa 2015/21/011715.10.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des N S in G, vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Juli 2015, Zl. G301 2016933- 1/12E (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 9. Juli 2015, Zl. G301 2016933-1/13Z), betreffend Festnahme und Anhaltung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

62001CJ0317 Abatay VORAB;
62006CJ0242 T. Sahin VORAB;
62012CJ0225 Demir VORAB;
ARB1/80 Art13;
BFA-VG 2014 §34 Abs3 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
NAG 2005 §47;
VwGG §34 Abs1;
62001CJ0317 Abatay VORAB;
62006CJ0242 T. Sahin VORAB;
62012CJ0225 Demir VORAB;
ARB1/80 Art13;
BFA-VG 2014 §34 Abs3 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
NAG 2005 §47;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Revisionswerber ist türkischer Staatsangehöriger und reiste 2013 nach Österreich ein. Er stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 19. August 2014 - in Verbindung mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung - vollinhaltlich abgewiesen wurde.

Am 22. August 2014 heiratete der Revisionswerber eine österreichische Staatsbürgerin, mit der er sich schon zuvor in Lebensgemeinschaft befunden hatte. Im Hinblick darauf beantragte er die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, doch wurde dieser Antrag gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen (Erkenntnis des BVwG vom 29. Oktober 2014).

Am 2. Dezember 2014 stellte der Revisionswerber den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 NAG. Ungeachtet dessen wurde er in weiterer Folge auf Grund eines auf § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-Verfahrensgesetz gestützten Festnahmeauftrages des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 14. Dezember 2014 - zum Zweck seiner Abschiebung auf dem Luftweg in die Türkei - festgenommen und bis zum 17. Dezember 2014 angehalten. Unmittelbar vor dem Vollzug der Abschiebung wurde diese über Intervention des Vertreters des Revisionswerbers "storniert" und der Revisionswerber enthaftet.

Gegen die Festnahme und die daran anschließende Anhaltung erhob der Revisionswerber "Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG". Er habe sich - so die Beschwerde - ungeachtet der Rückkehrentscheidung vom 19. August 2014 im Hinblick auf die Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin rechtmäßig in Österreich befunden, sodass eine Abschiebung nicht in die Wege hätte geleitet werden dürfen. Die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes ergebe sich daraus, dass er der Niederlassungsbehörde mit seinem Antrag nach § 47 NAG die Einstellungszusage eines Friseurbetriebs vorgelegt habe, woraus eindeutig seine Erwerbsabsicht hervorgehe. Damit könne er sich als türkischer Staatsangehöriger auf die "Stillhalteklausel" des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ARB 1/80) berufen, was zur Folge habe, dass er gemäß den bis 31. Dezember 2005 geltenden Vorschriften des Fremdengesetzes 1997 als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin aufenthaltsberechtigt gewesen sei; die das ändernden, am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen - verschärfenden - Regelungen seien auf ihn dagegen nicht anzuwenden.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und verpflichtete ihn zum Kostenersatz. Dabei ging das BVwG davon aus, dass sich der Revisionswerber nicht auf Art. 13 ARB 1/80 berufen könne. Er habe nämlich in Österreich bislang keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position innegehabt, weshalb sein Aufenthalt nicht als "ordnungsgemäß" im Sinn der genannten Bestimmung - deren Voraussetzungen somit "nicht zur Gänze" erfüllt seien - eingestuft werden könne. Das ergäbe sich aus näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb das BVwG sodann noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aussprach, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Revision - ausschließlich - geltend gemacht, das BVwG sei zu Unrecht vom Vorliegen eines "nicht ordnungsgemäßen Aufenthalts" ausgegangen. Dazu beruft sich der Revisionswerber insbesondere auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 15. November 2011, C-256/11 "Dereci", in dem in einem vergleichbaren Fall ausgesprochen worden sei, dass "eine solche Situation" - wie jene des Revisionswerbers - nicht als "nicht ordnungsgemäß" zu beurteilen sei. Dem ist allerdings - der Sache nach mit dem BVwG - entgegenzuhalten, dass in der Rechtssache "Dereci" ein zunächst rechtmäßiger Aufenthalt vorlag, der nur durch das Inkrafttreten des NAG zu einem nicht ordnungsgemäßen Aufenthalt wurde. Insofern hielt der EuGH auch unter Randnr. 100 seines Urteils fest, dass eine nicht ordnungsgemäße Situation deshalb nicht gegeben sei, "da die Unregelmäßigkeit infolge der Anwendung der Bestimmung eingetreten ist, die eine neue Beschränkung darstellt".

Im vorliegenden Fall - und das verkennt der Revisionswerber - lag die Unregelmäßigkeit seines Aufenthalts aber schon von vornherein vor, und zwar insbesondere vor seiner Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin und damit unabhängig von der mit 1. Jänner 2006 durch das NAG eingeführten "neuen Beschränkung". Die Unregelmäßigkeit der Situation des Revisionswerbers ist daher gerade nicht infolge der Anwendung der neuen Bestimmungen eingetreten; sie hatte sich vielmehr schlicht dadurch ergeben, dass er während seines Asylverfahrens keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position im österreichischen Hoheitsgebiet innehatte. Sein Aufenthalt war daher nicht "ordnungsgemäß" (siehe zuletzt das Urteil des EuGH vom 7. November 2013, C-225/12 "C. Demir", Randnr. 48), weshalb er sich nicht auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen kann.

Das dargestellte Ergebnis steht nicht nur in Einklang mit den erwähnten Urteilen des EuGH (vgl. auch dessen Urteile vom 21. Oktober 2003, C-317/01 , "Abatay", Randnr. 84, sowie vom 17. September 2009, C-242/06 , "T. Sahin", Randnr. 53), sondern entspricht auch der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (dazu, dass eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung keine "gesicherte Position" vermittelt, siehe etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0402, oder vom 21. März 2013, Zl. 2011/09/0171; zum Erfordernis der "Ordnungsgemäßheit" für die Anwendbarkeit von Art. 13 ARB 1/80 siehe etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 2012, Zl. 2008/21/0304, oder vom 24. März 2015, Ro 2014/09/0057).

Zusammenfassend vermag die Revision damit keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 15. Oktober 2015

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