VwGH Ra 2015/04/0061

VwGHRa 2015/04/006111.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Revision des H S in E, vertreten durch Dr. Peter Armstark, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 25, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 16. Juni 2015, Zl. LVwG-AV-173/0001-2015, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg), zu Recht erkannt:

Normen

VwGVG 2014 §24 Abs3;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;
VwGVG 2014 §24 Abs3;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit Bescheid der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vom 29. Jänner 2015 wurde dem Revisionswerber - soweit Gegenstand der Beschwerde an das Verwaltungsgericht - die Gewerbeberechtigung für das Gewerbe "Metalltechnik für Metall- und Maschinenbau, verbunden mit Metalltechnik für Schmiede und Fahrzeugbau und mit Metalltechnik für Land- und Baumaschinen (Handwerk)" an einem näher bezeichneten Standort gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 iVm § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994 entzogen.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (Verwaltungsgericht) vom 16. Juni 2015 wurde die - im Hinblick auf das genannte Gewerbe erhobene - Beschwerde des Revisionswerbers gegen diesen Bescheid gemäß § 28 VwGVG als unbegründet abgewiesen (1.) sowie die Revision gegen dieses Erkenntnis für nicht zulässig erklärt (2.).

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, auf Grund der Tatsache, dass der Revisionswerber am 27. November 2007 wegen der Vergehen der Freiheitsentziehung, der gefährlichen Drohung, der Sachbeschädigung und der Körperverletzung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe unter Setzung einer dreijährigen Probezeit (zusätzlich zu einer näher bezeichneten Geldstrafe) und in der Folge im Jahre 2014 wegen Nötigung, schwerer Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden sei, bestehe die Befürchtung der Begehung gleicher oder ähnlicher Straftaten bei Ausübung des Gewerbes durch den Revisionswerber. Diese Befürchtung ergebe sich aus der Eigenart der konkreten Straftat. Die letzte Verurteilung des Revisionswerbers habe erst vor einem Jahr stattgefunden und seither sei zu wenig Zeit vergangen, um von einem Wohlverhalten des Revisionswerbers ausgehen zu können. Ergänzend wurde ausgeführt, dass der Rückfall des Revisionswerbers bei vorsätzlichen Delikten gegen Leib und Leben in einer Zeitspanne von ca. sieben Jahren auch auf eine durchaus gewaltbereite oder doch zumindest unbeherrschte Persönlichkeit des Revisionswerbers hindeute.

Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 24 VwGVG habe von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden können, da der Sachverhalt bereits auf Grund der Aktenlage festgestanden sei und die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse. Überdies habe keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Revision bringt als grundsätzliche Rechtsfrage die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 24 VwGVG vor, zumal der Revisionswerber einen ausdrücklichen Verzicht auf Durchführung einer Verhandlung nach § 24 Abs. 5 VwGVG nicht geleistet habe.

Die Revision ist zulässig. Sie ist aus folgenden Erwägungen auch berechtigt:

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat im hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2015, Ra 2014/04/0035, im Zusammenhang mit einer Erteilung der Nachsicht vom Ausschluss von der Ausübung eines Gewerbes nach § 26 Abs. 1 GewO 1994 im Hinblick auf den Ausschlussgrund nach § 13 Abs. 1 GewO 1994 Folgendes ausgeführt:

"... Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen durchzuführen. Die Erläuterungen zu § 24 VwGVG enthalten die Anmerkung, dass die Bestimmungen über die Verhandlung (im VwGVG) den Bestimmungen über die Verhandlung im Verfahren der unabhängigen Verwaltungssenate entsprechen, wobei insbesondere auf (den bisher geltenden) § 67d AVG hingewiesen wird (RV 2009 BlgNR 24. GP , 6). Zu § 67d Abs. 1 AVG hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des unabhängigen Verwaltungssenates steht (vgl. das Erkenntnis vom 9. September 2014, Zl. Ro 2014/09/0049, mwN; allgemein zur Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 67d AVG auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten siehe das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Zlen. Ra 2014/20/0017 und 0018; vgl. zur amtswegigen Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 67d Abs. 1 AVG auch Hengstschläger/Leeb, AVG, § 67d Rz 17.

...

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Erteilung der Nachsicht gemäß § 26 Abs. 1 GewO 1994 ausgesprochen, dass diesbezüglich eine Prognoseentscheidung über das zukünftige Verhalten des Betroffenen zu treffen ist, bei der auch auf seine Persönlichkeit bzw. auf sein Wohlverhalten abzustellen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Oktober 2014, Zl. 2013/04/0103, und vom 22. April 2010, Zl. 2006/04/0069).

Der Verwaltungsgerichtshof hat (zur Rechtslage vor Einführung der Verwaltungsgerichte) auch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass bei Erstellung einer Zukunftsprognose der Verschaffung eines - im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gewonnenen - persönlichen Eindrucks von der betreffenden Person besondere Bedeutung zukommt (vgl. aus dem Bereich des Disziplinarrechts die hg. Erkenntnisse vom 12. Juli 2011, Zl. 2011/09/0097, und vom 26. Jänner 2012, Zl. 2009/09/0187; vgl. zur Erforderlichkeit der Durchführung einer Verhandlung im Zusammenhang mit der Beurteilung der von einer Person ausgehenden Gefährdung im Bereich des Fremdenrechts etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. April 2013, Zl. 2012/18/0072, und vom 20. März 2012, Zl. 2011/21/0298). Hinzuweisen ist weiters auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach eine Verhandlung dann nach Art. 6 EMRK nicht geboten ist, wenn etwa keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann (vgl. in diesem Sinn EGMR vom 18. Juli 2013, Nr. 56422/09, Schädler-Eberle/Liechtenstein, Rz. 97 ff).

Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht auf Grund des schriftlichen Berufungsvorbringens des Mitbeteiligten eine von der Einschätzung der belangten Behörde (des Revisionswerbers) abweichende Prognoseentscheidung vorgenommen (vgl. zu einer - von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichenden - Prognoseentscheidung im Rahmen des Berufungsverfahrens das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2009/09/0187). Angesichts der Bedeutung des persönlichen Eindrucks im vorliegenden Revisionsfall für die vorzunehmende Prognosebeurteilung wäre das Verwaltungsgericht in einem solchen Fall gehalten gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

... Ein Fall des § 24 Abs. 2 VwGVG, der einen Entfall der Verhandlung ermöglichen würde, ist nicht gegeben. Der - sachverhaltsbezogen einzig in Betracht zu ziehende - zweite Fall des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG setzt voraus, dass bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid 'ersatzlos' aufzuheben ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. November 2014, Zl. Ra 2014/07/0052, mwN), was vorliegend nicht der Fall ist. Ebenso wenig sind in einer Konstellation wie der dargestellten die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG für das Absehen von einer Verhandlung als gegeben anzusehen."

3. Der vom Verwaltungsgerichtshof in dieser Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz, dass das Verwaltungsgericht angesichts der Bedeutung des persönlichen Eindrucks für die nach § 26 Abs. 1 GewO 1994 vorzunehmende Prognosebeurteilung auf Grund des bestehenden pflichtgemäßen Ermessens gehalten gewesen sei, gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen, trifft auch in der vorliegenden Rechtssache zu:

So ist die gegenständlich maßgebliche Prognose gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 inhaltsgleich mit der Prognose zu § 26 Abs. 1 GewO 1994 (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Oktober 2014, 2013/04/0103, mwN). Im Übrigen ist die vorliegende Rechtssache in ihren wesentlichen Umständen mit der im Erkenntnis Ra 2014/04/0035 entschiedenen Rechtssache vergleichbar. Zwar hat das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Rechtssache keine von der Einschätzung der belangten Behörde abweichende Prognoseentscheidung vorgenommen, jedoch hat es unter Berücksichtigung des gegen diese Prognoseentscheidung gerichteten Vorbringens des Revisionswerbers eine solche selbst vorgenommen.

4. Wenn sich das Verwaltungsgericht darauf beruft, dass der Revisionswerber keine Durchführung einer Verhandlung beantragt habe, so ist auf Folgendes hinzuweisen:

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Auf den Anspruch auf Durchführung einer Verhandlung kann zwar verzichtet werden, was dann angenommen werden kann, wenn der Beschwerdeführer keinen Verhandlungsantrag im Sinn des § 24 Abs. 3 VwGVG stellt. Ein schlüssiger Verzicht liegt aber nach der hg. Judikatur nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2015, Ra 2014/09/0007, mwN).

In der vorliegenden Rechtssache war der Revisionswerber vor dem Verwaltungsgericht unvertreten. In seiner Beschwerde stellte er keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, es bestehen aber auch keine Anhaltspunkte, dass der Revisionswerber über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde oder von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber auf die Durchführung der Verhandlung verzichtet hätte.

5. Somit wäre das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen, gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. November 2015

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