VwGH Ra 2015/02/0167

VwGHRa 2015/02/016720.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des Bürgermeisters der Stadt Graz in 8011 Graz, Keesgasse 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. Juli 2015, Zl. LVwG 30.31-937/2015-2, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: S in G), zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §29b Abs4;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §45 Abs1 idF 2014/I/033;
VStG §45 Abs1 Z4 idF 2014/I/033;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
StVO 1960 §29b Abs4;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §45 Abs1 idF 2014/I/033;
VStG §45 Abs1 Z4 idF 2014/I/033;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Partei vom 3. März 2015 wurde die Mitbeteiligte schuldig erkannt, mit einem Fahrzeug ohne Kennzeichnung mit einem Ausweis gemäß § 29b Abs. 4 StVO im Bereich des Vorschriftzeichens "Halten und Parken verboten" ausgenommen "dauernd stark gehbehinderte Personen" gehalten zu haben, wofür eine Geldstrafe von EUR 70,-- verhängt wurde.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Erkenntnis dieses Straferkenntnis dahin abgeändert, dass gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG iVm § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG von der Verhängung einer Geldstrafe abgesehen und der Mitbeteiligten unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens eine Ermahnung erteilt wurde. Die Revision wurde als nicht zulässig erklärt.

Begründend schätzte das Verwaltungsgericht unter anderem die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden der Mitbeteiligten als gering ein.

In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision wird Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die Mitbeteiligte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 45 Abs. 1 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2014 lautet:

"(1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;

2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;

  1. 3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
  2. 4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
  3. 5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
  4. 6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.

    Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten."

    Die revisionswerbende Partei rügt das Unterlassen einer rechtlichen Würdigung der im § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände durch das Verwaltungsgericht. Das Vorliegen der Kriterien für eine Verfahrenseinstellung sei jedoch die Voraussetzung für das Absehen von einer Strafe. Ob dies gegeben sei, werde im vorliegenden Erkenntnis nicht begründet.

    Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

    Eine Entscheidung gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG liegt im Ermessen der Behörde ("kann") und hängt von einer auf den Einzelfall abzustellenden spezialpräventiven Prognose ab. Dahingehend liegt daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern nur eine die Einzelfallgerechtigkeit berührende Wertungsfrage vor. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. die hg. Beschlüsse vom 5. März 2015, Ra 2015/02/0027, und vom 29. Juli 2014, Ra 2015/07/0096, mwN, und vom 7. September 2015, Ra 2015/02/0146).

    Allerdings setzt diese Ermessensentscheidung voraus, dass die in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände kumulativ vorliegen.

    Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Verschulden der Mitbeteiligten auseinandergesetzt und dieses als gering eingestuft. Mit der Einschätzung, dass der Schutzzweck der Vorschrift "Halten und Parken verboten", nämlich hier die Freihaltung der Behindertenzone, nur geringfügig geschädigt worden sei, hat sie die geringe Intensität der Beeinträchtigung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes durch die Tat zum Ausdruck gebracht. Mit der weiteren Frage der Geringfügigkeit der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes hat sich das Verwaltungsgericht nicht befasst, ist aber offenbar vom Vorliegen auch dieses Kriteriums ausgegangen.

    Das zu schützende Rechtsgut ist im vorliegenden Fall die Erhaltung der Mobilität von Menschen, die dauernd stark gehbehindert sind. Diese sind in der Regel auf reservierte Parkmöglichkeiten im öffentlichen Raum angewiesen, um jene Wege zurücklegen zu können, die Menschen ohne dauernde starke Gehbehinderung auch ohne solche besonderen Halte- und Parkmöglichkeiten bewältigen können. Den vorbehaltenen Halte- und Parkmöglichkeiten kommt demnach erhebliche Bedeutung zu, keinesfalls kann davon gesprochen werden, dass die Bedeutung dieses strafrechtlich geschützten Rechtsgutes gering ist.

    Diese Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes findet ihren Ausdruck auch in der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens, der für entsprechende Zuwiderhandlungen gemäß § 99 Abs. 3 lit. a) StVO immerhin Geldstrafen bis zu EUR 726,-- vorsieht (vgl. auch das zur GewO 1994 ergangene hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2001, Zl. 2001/04/0137).

    Ist aber die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht gering, fehlt es an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens, weshalb auch keine Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG in Frage kommt.

    Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt und damit das angefochtene Erkenntnis mit Rechtwidrigkeit des Inhaltes belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

    Wien, am 20. November 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte