Normen
AVG §52;
BBG 1990 §40 Abs1;
BBG 1990 §42 Abs1;
EinschätzungsV 2010 §2 Abs1;
EinschätzungsV 2010 §3 Abs1;
EinschätzungsV 2010 §4 Abs1;
EStG 1988 §34;
EStG 1988 §35 Abs1;
EStG 1988 §35 Abs2;
EStG 1988 §41 Abs2;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Der Revisionswerber hatte am 4. Juli 2013 (im Wesentlichen unter Berufung auf psychiatrisch/neurologische Erkrankungen) die Ausstellung eines Behindertenpasses beantragt und im Verfahren vor der belangten Behörde mit Schreiben vom 12. Oktober 2013 unter Hinweis auf einen beim Finanzamt für das Jahr 2008 zu stellenden Antrag um Feststellung des Grades der Behinderung "rückwirkend ab 2008" ersucht. In einem weiteren Schreiben vom 22. Oktober 2013 verwies er, nachdem ihm seitens der belangten Behörde im Rahmen des Parteiengehörs angekündigt worden war, es sei ein Grad der Behinderung von 50 % festzustellen, auf Befunde aus dem Jahr 2008, die seiner Auffassung nach die Feststellung eines höheren Grads der Behinderung rechtfertigten.
1.2. Die belangte Behörde veranlasste daraufhin eine Beurteilung durch ihren ärztlichen Dienst, die dahin lautete, dass die vorgelegten Unterlagen keine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung rechtfertigten; der befundbelegte Krankheitsverlauf lasse auch keine rückwirkende Anerkennung des aktuellen Behinderungsgrades über das Jahr 2011 hinaus zu; für den Zeitraum zwischen 2008 und 2009 wäre eine Einschätzung von 30 % zutreffend.
1.3. Daraufhin erging der Bescheid der belangten Behörde vom 4. November 2013, womit dem "Antrag auf Ausstellung eines
Behindertenpasses ... stattgegeben und der Grad der Behinderung
mit 50 vH festgestellt" wurde. Begründend führte die belangte Behörde - auch unter Hinweis auf das von ihr eingeholte, gleichzeitig übermittelte Gutachten - im Wesentlichen aus, die Einschätzung des Grades der Behinderung erfolge gemäß § 41 Abs. 1 BBG nach der Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010. Das vom ärztlichen Dienst erstellte Gutachten habe den Grad der Behinderung mit 50 % festgestellt; der Gesamtgrad der Behinderung liege seit 2011 vor, eine "rückwirkende Bestätigung des GdB über den angeführten Zeitpunkt hinaus" sei nicht möglich. Die dagegen seitens des Revisionswerbers erhobenen Einwände seien überprüft, aber als nicht zielführend erkannt worden.
Der Aktenlage nach wurde dem Revisionswerber gleichzeitig folgendes - formularmäßige - Schreiben übermittelt:
"An das
zuständige Finanzamt
...................................
Seitens der Landesstelle Wien des Bundessozialamtes ergeht
nachstehende Mitteilung:
( Aufgrund des obigen Antrages wird bestätigt, dass der bei Obg. festgestellte Grad der Behinderung von 50 v.H. zumindest seit 2011
30 | -"- | 2008 |
besteht.
Wien, am 4. Nov. 2013 |
| 24. Okt. 2013 |
|
| Dr. K. Drucker |
|
| Der/Für den leitenden Arzt" |
2.1. Der Revisionswerber erhob Berufung und brachte mit näherer Begründung unter Hinweis auf einzelne Positionen der Einschätzungsverordnung im Wesentlichen vor, bei langem Verlauf der Erkrankung, hochdosierter Therapie, affektiven Zusatzerkrankungen und höhergradiger kognitiver Beeinträchtigung sowie schwerer durchgängiger sozialer Beeinträchtigung (all dies liege bei ihm vor) sei ein GdB von 70 vH gerechtfertigt. Es müsse daher zumindest ab 2012 ein Behinderungsgrad von 70 vH diagnostiziert werden, weshalb er beantrage, den Behinderungsgrad auf 70 vH zu erhöhen und den Pass entsprechend neu auszustellen.
2.2. In ergänzenden Schriftsätzen im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht machte er zudem - zusammengefasst - Ausführungen zu seinem psychischen Zustand, der (was näher konkretisiert wurde) die Einschätzung des Grades der Behinderung mit 70 vH rechtfertigte. Weiters beantragte er neuerlich die rückwirkende Bestätigung des Grades der Behinderung. Für den Zeitraum ab 2008 möge ein höherer Grad an Behinderung als 30 vH, ab 2011 ein solcher von 70 vH festgestellt werden.
2.3. Das Verwaltungsgericht veranlasste eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet Psychiatrie. Das daraufhin von Dr. C am 22. August 2014 erstellte Gutachten kommt zu folgender Beurteilung:
1. "(Der Revisionswerber) leidet an einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10 F 20.00), welche trotz Behandlung nicht symptomfrei ist.
Positionsnummer 03.07.02
50 %
Unterer Rahmensatz, da zwar mehrere stationäre Aufenthalte und nach wie vor psychisch instabil und nicht symptomfrei, aber derzeit ambulant führbar.
2. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 % und ist ab Antragstellung anzunehmen.
3. Die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist gegeben, da im Rahmen der Schizophrenie eine ausgeprägte Sozialphobie vorliegt, die es ihm unmöglich macht, die Blicke und die vermeintliche Beobachtung von Mitfahrenden zu ertragen. (siehe aktueller Befund Dr. I, Psychiaterin, vom 11.8.2014, .....Sozialphobie....)
4. Eine höhere Einstufung ist nicht gerechtfertigt, da unter 70 % eine 'cognitive Beeinträchtigung und Betreuungsnotwendigkeit' vorliegen müsste. Dies ist nicht der Fall, daher bleibt es bei 50 % Einstufung.
5. Änderung gegenüber Vorgutachten, da im aktuellen Befund nunmehr die 'Sozialphobie' im Rahmen der paranoiden Schizophrenie ausgewiesen ist.
6. ..."
2.4. Nach Erstattung dieses Gutachtens legte der Revisionswerber am 25. August 2014 einen psychologischen Befund des Landesklinikums Hollabrunn vom 30. Jänner 2012 vor, basierend auf klinisch-psychologischen Untersuchungen vom
12. und 13. Jänner 2012 im Rahmen eines stationären Aufenthalts in dieser Klinik, dessen Zusammenfassung wie folgt lautet:
"In der Persönlichkeitsdiagnostik bestätigt sich der Verdacht einer schizoaffektiven Störung: Depressiver Typ (F25.10 nach ICD- 10) mit Beziehungsideen auf Achse 1. Komorbide zeigt sich das klinische Bild einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung (F60.6 nach ICD-10) für erfüllt. Aufgrund des klinischpsychologischen Eindrucks wird eine weiterführende klinischpsychologische oder psychotherapeutische Therapie dringend empfohlen um in einem weiteren Schritt einen angemessenen Umgang mit seiner Erkrankung und Unterstützung im Umgang zu finden. Zudem wird eine ergotherapeutische Begleitung für unerlässlich erachtet, um eine Tagesstruktur, Alltagstätigkeiten und Belastungserprobungen zu trainieren."
2.5. In der vom Verwaltungsgericht veranlassten Ergänzung des Gutachtens von Dr. C vom 2. September 2014 wird zu diesem Befund folgendes ausgeführt:
"Dieser Befund ergibt als Diagnose: 'schizoaffektive Störung, depressiver Typ' und als Comorbididät das klinische Bild einer 'selbstunsicheren Persönlichkeit'.
Dieser Befund steht in keinem Widerspruch zum Ergebnis des Gutachtens vom 22.8.2014, da es sein kann, dass 2012 im psychologischen Testverfahren der Eindruck einer schizoaffektiven Erkrankung erhoben wurde. In den weiteren Jahren bis zum Untersuchungszeitpunkt hat sich dann eben deutlicher herauskristallisiert, dass es sich doch um einen schizophrene Erkrankung handelt.
Daher bleibt das Gutachten unverändert aufrecht."
2.6. Im Rahmen des Parteiengehörs vom Verwaltungsgericht zur Stellungnahme aufgefordert, machte der Revisionswerber zusammengefasst Folgendes geltend: Da die Gutachterin von einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH ab Antragstellung ausgehe, müsse sich dies auch auf vergangene Zeiträume, insbesondere seinen Antrag auf rückwirkende Feststellung ab 2008, auswirken. Strittig sei allenfalls, ob tatsächlich eine höhergradige kognitive Beeinträchtigung vorliege. Zumindest habe Dr. I und der psychologische Befund vom 30. Jänner 2012 eine Orientierungsschwierigkeit festgestellt. Eine "Betreuungsnotwendigkeit" ergebe sich gemäß der Anlage zur Einschätzungsverordnung erst ab einem GdB von 80 vH, ihr Fehlen sei daher kein schlüssiges Argument für die Verneinung eines GdB von 70 vH. Aufgrund eines von ihm gleichzeitig vorgelegten, in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachtens von DDr. W ergebe sich, dass er seit 2008 an einer schizoaffektiven Störung leide, einem Krankheitsbild, das durch schizophrene und affektive Symptome gekennzeichnet sei. Es liege also eine in der Einschätzungsverordnung angeführte affektive Zusatzerkrankung vor. Diese rechtfertige die Feststellung eines Grads der Behinderung von 70 vH.
2.7. Im Folgenden wurde vom Verwaltungsgericht, ohne weitere Ergänzung des Ermittlungsverfahrens und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, das nunmehr angefochtene Erkenntnis erlassen.
Mit ihm wurde die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde "gemäß § 1 Abs. 2, § 40 Abs. 1 und 2, § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 1 und 2, § 45 Abs. 1 und 2, § 54 Abs. 12, § 55 Abs. 4 Bundesbehindertengesetz (BBG) sowie § 35 Abs. 2 Einkommenssteuergesetz 1988 idgF" als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.
2.7.1. In der Begründung dieser Entscheidung legte das Verwaltungsgericht zunächst (zusammengefasst) den Verfahrensgang dar und führte aus, dass zur Überprüfung des Beschwerdegegenstands ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt worden sei, dessen wesentlicher Inhalt ebenso wiedergegeben wurde wie die am 2. September 2014 erstattete Ergänzung.
Im Folgenden wurden die dazu vom Revisionswerber erhobenen Einwendungen zusammengefasst wiedergegeben.
2.7.2. Die daran anschließenden Feststellungen beschränken sich auf Folgendes:
"Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 vH."
2.7.3. In der Beweiswürdigung wird Folgendes ausgeführt:
Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten seien schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei; es sei auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen worden. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung des Revisionswerbers erhobenen klinischen Befund, entsprächen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Weiters heißt es:
"Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, die befasste Sachverständige hat sich eingehend damit auseinandergesetzt, diese stehen demnach nicht im Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung.
Betreffend die Einschätzung des Grades der Behinderung besteht auch Übereinstimmung mit den im angefochtenen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten, welche als diesbezüglich schlüssig ebenfalls für die Beurteilung herangezogen werden.
Auch im vom Beschwerdeführer vorgelegten Sachverständigengutachten Dris. W vom 24.07.2012 werden keine kognitiven Defizite beschrieben, vielmehr wird auf Seite 33 des Gutachtens das intellektuelle Begabungsniveau als gut durchschnittlich eingeschätzt. Betreffend die damalige Diagnose 'schizoaffektive Störung' hat Frau Dr. C plausibel ausgeführt, dass sich in den Jahren danach deutlicher herauskristallisiert hat, dass es sich doch um eine schizophrene Erkrankung erhandelt. In den fachärztlichen Befunden Dris. I wird ebenfalls als Diagnose schizophrene Störung bzw. Schizophrenie angegeben.
Darüber hinaus wird von Frau Dr. I primär darauf Bezug genommen, inwieweit es dem Beschwerdeführer möglich ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zur Höhe des Grades der Behinderung nimmt Frau Dr. I nicht Stellung.
Der im Rahmen des Parteiengehörs erhobene Einwand war auch mangels Vorlage neuer Beweismittel nicht geeignet die gutachterliche Beurteilung, wonach ein Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH vorliegt, zu entkräften.
Die Angaben des Beschwerdeführers konnten nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden.
Die eingeholten Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Der Beschwerdeführer ist den - nicht als unschlüssig zu erkennenden - Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.
Die Sachverständigengutachten werden daher im oben angeführten Ausmaß in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt."
2.7.4. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung werden zunächst die maßgebenden Normen wiedergegeben.
Nach Wiedergabe der Erläuterungen in der Einschätzungsverordnung zum Krankheitsbild "mittelschwere Verlaufsformen schizophrener Störungen" wird ausgeführt, es hätten beim Revisionswerber keine affektiven Zusatzerkrankungen objektiviert und nicht festgestellt werden können, dass er kognitiv höhergradig beeinträchtigt sei. Ebenso wenig habe eine "schwere durchgängige soziale Beeinträchtigung" bestätigt werden können. Die Einschätzung des Grads der Behinderung in Höhe von 70 vH sei daher nicht gerechtfertigt. Die im Befund Dris. I angeführten Orientierungsschwierigkeiten bedingten in Zusammenschau mit dem objektivierten Krankheitsbild des Revisionswerbers keinen höheren Grad der Behinderung als 50 vH.
Zum Antrag auf rückwirkende Feststellung des Grads der Behinderung wird Folgendes ausgeführt:
"Die Einwendungen des Beschwerdeführers, das erkennende Gericht möge feststellen, dass der Grad der Behinderung zumindest seit 2008 vorliege, können nicht berücksichtigt werden. In zeitlicher Hinsicht können die Rechtsfolgen eines Bescheids im Allgemeinen nur pro futuro angeordnet werden, es sei denn, es bestünde für die Normierung einer Rückwirkung eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung (vgl. VwGH 24. 01. 1994, Zl. 93/10/0173).
Das Bundesbehindertengesetz sieht jedoch keine Bestimmungen vor, wonach rückwirkend über den Grad der Behinderung abzusprechen ist. Eine rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung im Rahmen der Hoheitsverwaltung ist deshalb unzulässig.
Angemerkt wird, dass die belangte Behörde eine Bestätigung im Sinne des Beschwerdevorbringens bei Vorliegen der Voraussetzungen ausstellen kann. Eine diesbezügliche Überprüfung und entsprechende Bestätigung kann seitens der belangten Behörde jedoch nur im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung, sohin außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Bundesverwaltungsgerichtes, erfolgen".
Im Weiteren begründete das Verwaltungsgericht, warum seiner Auffassung nach die mündliche Verhandlung habe entfallen können. Nach einer Wiedergabe der maßgebenden Bestimmungen des § 24 VwGVG führte es aus, dass für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung Art und Ausmaß der festgestellten Gesundheitsschädigungen maßgeblich seien, weshalb zur Klärung des Sachverhalts ärztliche Sachverständigengutachen eingeholt worden seien. Diese seien als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet worden. Sohin erscheine der Sachverhalt geklärt, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben habe können. Im Übrigen sei deren Durchführung im Beschwerdeverfahren nicht beantragt worden.
Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme, sondern von Tatsachenfragen, nämlich dem festgestellten Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht unter Vorlage der Akten des Verfahrens vorgelegte außerordentliche Revision.
Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Die Revision ist - wegen Fehlens von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Zulässigkeit einer rückwirkenden Feststellung des Grads der Behinderung auf Basis des § 42 Abs. 1 BBG - zulässig.
Sie ist im Ergebnis auch begründet.
3.1.1. Das Verwaltungsgericht hat der Sache nach den Antrag des Revisionswerbers auf rückwirkende Feststellung des Grads der Behinderung abgewiesen (im Wesentlichen mit der Begründung, das BBG biete dafür keine Grundlage).
3.1.2 Dem gegenüber vertritt der Revisionswerber die Auffassung, § 42 Abs. 1 zweiter Satz BBG, wonach zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, auf Antrag des behinderten Menschen zulässig seien, biete Raum für eine entsprechende Vorgangsweise, also die rückwirkende Feststellung des Grad der Behinderung. Diese diene nämlich dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen. Ein Steuerpflichtiger könne steuerliche Vorteile für den Fall geltend machen, dass er behindert sei, wofür er aber einen Nachweis benötige. Die von ihm vertretene Sichtweise sei auch mit Blick auf das Gebot einer verfassungskonformen Auslegung erforderlich, zumal von der Ablehnung der rückwirkenden Feststellung des Grads der Behinderung nur behinderte Menschen betroffen seien könnten, deren Diskriminierung aber verboten sei.
3.2. Dieses Vorbringen ist zielführend.
3.2.1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990 (BBG), lauten - auszugsweise - wie folgt:
"Ziel
§ 1. (1) Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen soll durch die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Maßnahmen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert werden.
(2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
...
BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
..."
3.2.2. Im Beschwerdefall sind weiters folgende Bestimmungen des Einkommenssteuergesetzes 1988 (EStG 1988) von Bedeutung:
"Außergewöhnliche Belastung
§ 34. (1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:
- 1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs. 2).
- 2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
- 3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.
(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.
(3) Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
...
(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
- ...
- Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.
...
Behinderte
§ 35. (1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
- ...
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe‑)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.
(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,
1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,
2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.
Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:
- Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).
- Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.
- In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
(3) Es wird jährlich gewährt
bei einer Minderung der | ein |
Erwerbsfähigkeit von | Freibetrag |
| von Euro |
25% bis | 75 |
34% ..................................... |
|
35% bis | 99 |
44% ..................................... |
|
45% bis | 243 |
54% ..................................... |
|
55% bis | 294 |
64% ..................................... |
|
65% bis | 363 |
74% ..................................... |
|
75% bis | 435 |
84% ..................................... |
|
85% bis | 507 |
94% ..................................... |
|
ab | 726. |
95% ..................................... |
|
...
(7) Der Bundesminister für Finanzen kann nach den Erfahrungen der Praxis im Verordnungsweg Durchschnittssätze für die Kosten bestimmter Krankheiten sowie körperlicher und geistiger Gebrechen festsetzen, die zu Behinderungen im Sinne des Abs. 3 führen.
...
4. TEIL
VERANLAGUNG
Allgemeine Veranlagung und Veranlagungszeitraum
§ 39. (1) Die Einkommensteuer wird nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraumes) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat. Hat der Steuerpflichtige lohnsteuerpflichtige Einkünfte bezogen, so erfolgt eine Veranlagung nur, wenn die Voraussetzungen des § 41 vorliegen.
...
Veranlagung von lohnsteuerpflichtigen Einkünften
§ 41. (1) Sind im Einkommen lohnsteuerpflichtige Einkünfte enthalten, so ist der Steuerpflichtige zu veranlagen, wenn
1. ...
(2) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht vor, so erfolgt eine Veranlagung nur auf Antrag des Steuerpflichtigen. Der Antrag kann innerhalb von fünf Jahren ab dem Ende des Veranlagungszeitraums gestellt werden. § 39 Abs. 1 dritter Satz ist anzuwenden.
..."
3.3. Gemäß § 41 Abs. 2 zweiter Satz EStG 1988 kann ein Antrag auf Veranlagung - mit dem außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden können (vgl. § 34 Abs. 1 EStG 1988) - vom Steuerpflichtigen innerhalb von fünf Jahren ab dem Ende des Veranlagungszeitraums gestellt werden.
Zu den außergewöhnlichen Belastungen, die gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts nach Abs. 4 abgezogen werden können, zählen auch behinderungsbedingte Mehraufwendungen iSd § 35 Abs. 1 EStG 1988. Das Ausmaß des Freibetrags bestimmt sich dabei nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. nach dem Grad der Behinderung (§ 35 Abs. 2 und 3 EStG 1988).
Nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 sind sowohl die Tatsache der Behinderung als auch das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. der Grad der Behinderung durch eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Stelle nachzuweisen. Diese ist - abgesehen von im Revisionsfall nicht relevanten Ausnahmen - regelmäßig das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen. Dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach § 40 ff BBG bzw. - "im negativen Fall" - durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen (§ 35 Abs. 2 letzter Satz EStG 1988).
Vor dem dargestellten Hintergrund (ein Antrag auf Berücksichtigung von behinderungsbedingten Mehraufwendungen im Wege der Veranlagung ("Jahrsausgleich") kann für fünf Jahre zurück gestellt werden; für die erfolgreiche Geltendmachung ist ein Nachweis durch die belangte Behörde erforderlich) ist mit Blick auf das Gebot eines effektiven Rechtsschutzes ein rechtliches Interesse eines behinderten Menschen an einer rückwirkenden Feststellung des Grads der Behinderung, sei es durch Ausstellung eines Behindertenpasses, sei es durch Erlassung eines - mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht anfechtbaren - Bescheids nicht zu bezweifeln, wenn dies - wie im vorliegenden Falls - iSd § 42 Abs. 1 zweiter Satz BBG zum Nachweis von Rechten erforderlich ist. Daran ändert nichts, dass die Feststellung des Grades der Behinderung für vergangene Zeiträume - in praktischer Hinsicht - fallweise schwer gelingen mag.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist daher die in Rede stehende Bestimmung des § 42 Abs. 1 zweiter Satz BBG dahin auszulegen, dass sie auch Basis für eine rückwirkende Feststellung des Grads der Behinderung bildet: Eine rückwirkende Feststellung des Grads der Behinderung kann nämlich - wie dargelegt - als Nachweis für die erfolgreiche Geltendmachung von außergewöhnlichen Belastungen im Sinne des § 34 EStG 1988 und damit von "Rechten und Vergünstigungen" iSd § 42 Abs. 1 zweiter Satz BBG erforderlich sein.
Das Verwaltungsgericht hat daher, was die Frage der rückwirkenden Feststellung des Grads der Behinderung anlangt, die Rechtslage unrichtig beurteilt und damit das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
3.4. Die Revision wendet sich auch - unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - gegen die Annahme eines Grads der Behinderung von bloß 50 vH.
3.4.1. Sie bemängelt dabei zum einen, dass das Verwaltungsgericht sich im Rahmen der Beweiswürdigung zwar mit dem Facharztbefund Dris. I vom 11. August 2014 auseinandergesetzt habe, nicht aber mit deren weiteren Befunden vom 28. Oktober 2013 und 19. November 2013.
Der Revisionswerber unterlässt es aber, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzutun, was im Übrigen schon deshalb geboten gewesen wäre, weil die genannten Befunde ohnehin der Beurteilung durch die vom Verwaltungsgericht bestellte Sachverständige Dr. C zugrunde gelegt worden sind.
3.4.2. Mit dem weiteren Vorbringen allerdings, das Gutachten Dris. C sei insoweit nicht schlüssig, als es ausgehend von der Annahme des Vorliegens einer schizophrenen Störung, nicht aber einer schizoaffektiven Erkrankung beim Revisionswerber einen Grad der Behinderung von bloß 50 vH festgestellt habe, zeigt die Revision einen relevanten Verfahrensmangel auf:
3.5. Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung, BGBl. II Nr. 261/2010 idF BGBl. II Nr. 251/2012 (Einschätzungsverordnung), lauten - auszugsweise - wie folgt:
"Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten."
Die Ausführungen zum Krankheitsbild "Schizophrene Störungen" in der Anlage 1 der Einschätzungsverordnung (Position 03.07) lauten:
"03.07 Schizophrene Störungen
Schizophrenie, schizoide Persönlichkeitsstörung, schizoaffektive Erkrankungen, akut psychotische Zustandsbilder
03.07.01 | Leichte Verlaufsform | 10 ‑ 40 % |
10 ‑ 20 %: Psychopathologisch stabil, Medikation im Schub, Akut psychotischem Zustandsbild in der Anamnese (z.B. drogeninduzierte Psychose) 30 %: Psychopathologisch stabil, Intervalltherapien Residualzustand mit geringen Auffälligkeiten Im sozialen und Arbeitsleben voll integriert 40 %: Psychopathologisch auffällig (beginnende Störung des formalen Denkens, gelegentlich Wahninhalt und Negativsymptomatik) trotz Dauertherapie Mäßige soziale Beeinträchtigung, Arbeitsleistung gering eingeschränkt | ||
03.07.02 | Mittelschwere Verlaufsform | 50 ‑ 70 % |
50 % : Mindestens zwei psychotische Zustandsbilder in den letzten 1,5 Jahren, Psychotische Symptome im Status Psychopathologisch instabil (Störung des formalen Denkens, Wahninhalte und Negativsymptomatik) trotz Dauertherapie Soziale Integration und Arbeitsleistung deutlich herabgesetzt 60 %: Durchgängig geringe Belastbarkeit in allen Lebensbereichen Soziale Isolation, sozialer Abstieg 70 %: Langjährige Anamnese, hochdosierte Therapie, Affektive Zusatzerkrankungen Kognitiv höhergradig beeinträchtigt (Orientierung, Merkfähigkeit) Schwere und durchgängig soziale Beeinträchtigung | ||
03.07.03. | Schwere Verlaufsform | 80 ‑ 100 % |
80‑90 %: Betreuung in allen Lebensbereichen notwendig Trotz Ausschöpfung aller Therapiereserven psychotische Episoden 100 %: Psychopathologisch hoch auffällig Cerebraler Abbau einer hochgradigen Demenz entsprechend Ständige Aufsicht und Betreuung" | ||
3.6.1. Ausgehend von der Einschätzungsverordnung, wonach der Grad der Behinderung nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigungen entsprechend den (festen oder Rahmen‑)Sätzen der Anlage (die - wie die obige Wiedergabe zeigt - im Einzelnen konkrete Parameter für die jeweilige Einstufung anführt) festzulegen ist, bedarf es für die Feststellung von Art und Ausmaß der Beeinträchtigungen wie auch deren Auswirkungen eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, wie § 4 Abs. 1 der Verordnung unmissverständlich normiert.
3.6.2. Der im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich nicht vertretene Revisionswerber hatte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zwar nicht verlangt, auf eine solche aber auch nicht ausdrücklich verzichtet.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es diese für erforderlich hält; damit steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 2015, Zl. Ra 2015/11/0036, mwN).
3.6.3. Das Verwaltungsgericht hat die Meinung vertreten, dass "der Sachverhalt geklärt" erscheine, weshalb eine mündliche Verhandlung unterbleiben habe können.
Davon, dass (im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG) eine weitere Klärung der Rechtssache durch die mündliche Erörterung nicht zu erwarten war, konnte im vorliegenden Fall nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs allerdings keine Rede sein:
Der Revisionswerber hatte gegen die Einschätzung des Grads seiner Behinderung mit bloß 50 vH zuletzt - neben den bereits in der Berufung erhobenen Einwänden - im Wesentlichen geltend gemacht, es sei strittig, ob eine höhergradige kognitive Beeinträchtigung vorliege, jedenfalls aber seien bei ihm Orientierungsschwierigkeiten festgestellt worden; er leide schon seit dem Jahr 2008 an einer schweren psychiatrischen Erkrankung, einer schizoaffektiven Störung, weshalb auch eine "affektive Zusatzerkrankung" vorliege.
In der Anlage zur Einschätzungsverordnung werden einer - mit einem GdB von 50 bis 70 vH zu bemessenden - "mittelschweren" Verlaufsform einer schizophrenen Störung (Position 03.07.02) die oben genannten Parameter zugeschrieben; für eine Bewertung mit 70 vH ist also Folgendes erforderlich: "Langjährige Anamnese, hochdosierte Therapie, Affektive Zusatzerkrankungen Kognitiv höhergradig beeinträchtigt (Orientierung, Merkfähigkeit) Schwere und durchgängig(e) soziale Beeinträchtigung".
Vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung, wonach primär Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung (bzw. der Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen) für die konkrete Bemessung des Grads der Behinderung entscheidend sind, und des § 3 Abs. 1 leg. cit., wonach bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen deren Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer Wechselbeziehungen maßgebend sind, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass eine entsprechende Beurteilung auch bei der Bewertung der einzelnen, in der Anlage zur Einschätzungsverordnung bei einem bestimmten Krankheitsbild genannten und für die Bemessung des GdB innerhalb einer Bandbreite entscheidenden Parameter erforderlich ist. Eine derartige Beurteilung ist gemäß § 4 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung von einem Sachverständigen vorzunehmen.
Die vom Verwaltungsgericht bestellte Sachverständige Dr. C hatte in ihrem oben wiedergegebenen Ergänzungsgutachten vom 2. September 2014 zu dem auf einem Befund des Landesklinikums Hollabrunn vom 30. Jänner 2012 gestützten Vorbringen des Revisionswerbers, es liege bei ihm (auch) eine schizoaffektive Erkrankung vor, mit näherer Begründung ausgeführt, es möge sein, dass 2012 Testverfahren den Eindruck einer schizoaffektiven Erkrankung erbracht hätten, in den weiteren Jahren habe sich aber deutlicher herauskristallisiert, dass es sich doch um eine schizophrene Erkrankung handle. Sie ist also offenbar davon ausgegangen, dass eine schizophrene Erkrankung, nicht aber eine schizoaffektive Erkrankung vorliegt.
Demgegenüber hatte auch die von der belangten Behörde bestellte Sachverständige Dr. S in ihrem Gutachten vom 19. September 2013 das Bestehen einer schizoaffektiven Störung beim Revisionswerber angenommen.
Schon zur Aufklärung dieses Spannungsverhältnisses, aber auch zur Beurteilung der weiteren Parameter "langjährige Anamnese" bzw. "hochdosierte Therapie" wäre eine Gutachtensergänzung erforderlich gewesen, zumal bei Bestehen von schizophrenen Störungen das Vorliegen von "affektiven Zusatzerkrankungen" nach der anzuwendenden Einschätzungsverordnung einen wesentlichen Parameter für eine allfällige Höherbemessung des Grads der Behinderung darstellt. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Beiziehung des Sachverständigen und des Revisionswerbers hätte dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit geboten, ergänzende Fragen an den beigezogenen Sachverständigen zu stellen und unmittelbar beantworten zu lassen, und derart eine "weitere Klärung der Rechtssache" iSd § 24 Abs. 4 VwGVG ermöglicht.
3.7. Es wäre also die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten gewesen, was aber vom Verwaltungsgericht - augenscheinlich auf Basis einer unzutreffenden Rechtsansicht - unterlassen wurde.
3.8. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im zugesprochenen Pauschalbetrag bereits enthalten ist.
Wien, am 11. November 2015
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