VwGH Ra 2014/11/0013

VwGHRa 2014/11/001314.12.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision der BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse in Wien, vertreten durch Mag. Vera Noss, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Reichsratstraße 17/11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 14. März 2014, Zl. LVwG-300154/2/MK, betreffend Übertretung des § 7i Abs. 3 AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz; mitbeteiligte Partei: S K in H, vertreten durch Mag. Wolfgang Kempf, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Bürgerstraße 41), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs3;
VwGG §41;
VwGVG 2014 §10;
AVG §45 Abs3;
VwGG §41;
VwGVG 2014 §10;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1.1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 4. März 2013 wurde der Mitbeteiligte als verwaltungsstrafrechtlich verantwortlicher Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft einer Übertretung des § 7i Abs. 3 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) schuldig erkannt, weil diese Gesellschaft als Arbeitgeberin vier namentlich genannte Arbeitnehmer im Zeitraum 1. September 2011 bis 31. Oktober 2011 als Eisenbieger beschäftigt habe, ohne dass ihnen der nach dem Kollektivvertrag zustehende Grundlohn (Bruttostundenlohn von EUR 11,46) geleistet worden sei. Über den Mitbeteiligten wurden deshalb vier Geldstrafen zu je EUR 2.500,-- verhängt.

In der Begründung verwies die belangte Behörde auf eine diesbezügliche Anzeige der Revisionswerberin (Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse ) und stellte fest, dass die Arbeitnehmer nur einen Bruttostundenlohn von EUR 9,92 erhalten hätten, was einer Unterentlohnung von 13,4 % entspreche.

Weiters gab die belangte Behörde, abgesehen von den Aussagen der als Zeugen einvernommenen Arbeitnehmer, die Rechtfertigung des Mitbeteiligten wieder, wonach die von ihm vertretene Gesellschaft nur Eisenbinde- und Eisenlegearbeiten, jedoch keine sonstigen Bauarbeiten verrichte. Im Unternehmen seien daher nur Arbeitnehmer ohne Lehrausbildung beschäftigt, die meisten von ihnen - so auch die in Rede stehenden Arbeitnehmer - als "Hilfsarbeiter". Es gebe aber auch Arbeitnehmer, die "angelernt" worden seien und dann kollektivvertraglich als Eisenbieger entlohnt würden.

Diesem Vorbringen erwiderte die belangte Behörde, dass die Tätigkeit des Eisenbiegers bereits mit dem "Antransport" (Anlieferung) des Eisens auf der Baustelle beginne und in Österreich von "angelernten Hilfskräften" ausgeführt werde, wobei die Einstufung nach der Lohnstufe IIIc (angelernte Arbeitnehmer/Eisenbieger, -flechter) des Kollektivvertrages für das Baugewerbe zu erfolgen habe.

1.2. Dagegen erhob der Mitbeteiligte die mit 20. März 2013 datierte Berufung, in der er u.a. ausführte, dass die vier in Rede stehenden Arbeitnehmer als Hilfsarbeiter gemäß Punkt IV. des Kollektivvertrages eingestuft worden seien und die Ansicht der belangten Behörde, es hätte eine andere Einstufung erfolgen müssen, unrichtig sei. Dazu verwies er auf die Definition des "Hilfsarbeiters", der laut "Gabler Wirtschaftslexikon" ein Arbeiter ohne branchenspezifische Berufsausbildung, der ungelernt gering qualifizierte Tätigkeiten (Hilfstätigkeiten) ausführe, sei.

Hingegen sei der von der belangten Behörde genannte "angelernte" Arbeiter eine Mittelstufe zwischen Facharbeiter (positiver Lehrabschluss) und Hilfsarbeiter. Ein angelernter Arbeiter habe daher zwar keinen Lehrabschluss, aber doch jahrelange Erfahrung im selben Beruf bzw. Fortbildungskurse absolviert.

Im vorliegenden Fall verfüge keiner der vier in Rede stehenden Arbeitnehmer über einen entsprechenden Abschluss, einen Kurs zur Qualifikation oder sonstige Zertifikate. Es gebe keine wie immer gearteten objektiven Urkunden, aus denen sich eine Qualifikation dieser Arbeitnehmer ergebe.

Zu den von der belangten Behörde angesprochenen Arbeiten der Anlieferung führte der Mitbeteiligte aus, dass der Transport des "tonnenschweren Materials" zur Baustelle mit dem Lkw erfolge und dieses mittels Kran abgeladen werde. Die in Rede stehenden Arbeitnehmer hätten keine Abladetätigkeiten vorgenommen, sondern Eisen händisch lediglich vom Lagerplatz zu den jeweiligen Verlegestellen getragen. Dafür seien aber keine besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich.

1.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der gemäß § 3 VwGbk-ÜG nunmehr als Beschwerde geltenden Berufung gemäß § 50 VwGVG statt, hob das angefochtenen Erkenntnis auf und stellte das Strafverfahren ein. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

In der Begründung verwies das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens auf die Definition (u.a.) des "angelernten Arbeiters", der im Unterschied zum Facharbeiter über eine begrenzte Ausbildung (mindestens 3 Monate bis 2 Jahre) und über Spezialkenntnisse und -fertigkeiten verfüge. Die erforderliche Dauer der Anlernphase hänge vom Gegenstand und Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit ab, wobei das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Anlernzeit ("aus objektiver Sicht") mit "einer Bausaison" annahm. Ausgehend vom gegenständlichen Tatzeitraum von lediglich zwei Monaten sei daher die Ausbildungsphase noch nicht abgeschlossen gewesen. (Noch) nicht angelernte Arbeitskräfte seien aber als "Hilfsarbeiter" einzustufen, auch wenn es nach der Nomenklatur des Kollektivvertrages einen "Eisenbieger-Hilfsarbeiter" nicht gebe. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, insbesondere den Zeugenaussagen, gehe zweifelsfrei hervor, dass die in Rede stehenden Arbeitnehmer "über keinerlei einschlägige Erfahrungen oder Kenntnisse verfügten, die Anlernzeit also auch 'benötigten'" und dass sie im Tatzeitraum unter weitestgehender Aufsicht eines Vorarbeiters, also nicht als angelernte Kräfte, beschäftigt gewesen seien. Daher habe die Einstufung der Arbeitnehmer nicht gegen den Kollektivvertrag verstoßen, es liege folglich keine Unterentlohnung und keine Verwaltungsübertretung vor.

Da sich dieser Sachverhalt bereits aus der Aktenlage ergebe, habe die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben können.

1.4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse, zu der die belangte Behörde und der Mitbeteiligte jeweils eine Revisionsbeantwortung erstattet haben.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Die Revisionslegitimation der Revisionswerberin ergibt sich aus § 7i Abs. 8 AVRAG. Nach dieser Bestimmung kam der Revisionswerberin auch Parteistellung im gegenständlichen Strafverfahren zu.

2.2. Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit und zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG aus, das Verwaltungsgericht sei gegenständlich von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es das Recht auf Parteiengehör der Revisionswerberin verletzt habe. So habe das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung in wesentlichen Punkten einen anderen Sachverhalt, nämlich das Vorliegen einer Anlernphase der Arbeitnehmer, unterstellt, als die belangte Behörde. Außerdem sei der Revisionswerberin die Beschwerde gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis nicht zugestellt worden, sie habe vielmehr erst durch die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses von der Beschwerde Kenntnis gelangt.

Zur Relevanz der Verfahrensfehler wird in der Revision vorgebracht, dass sich die Revisionswerberin mangels Kenntnis von der Beschwerde weder zum Beschwerdevorbringen habe äußern können, noch eine mündliche Verhandlung oder die Vernehmung von Zeugen habe beantragen können. Die Revisionswerberin hätte insbesondere darlegen können, dass sich die in Rede stehenden Arbeitnehmer nicht mehr in einer Anlernphase befunden hätten, sondern im Tatzeitraum bereits angelernte Arbeitskräfte gewesen seien, weil diese Arbeitnehmer bereits vor dem gegenständlichen Tatzeitraum bei (anderen) Unternehmen als Eisenbieger - und zwar als "Angelernte Arbeiter" - beschäftigt gewesen seien (der Revision sind Unterlagen über entsprechende Arbeitsverhältnisse dieser Arbeitnehmer angeschlossen).

2.3. Die Revision zeigt damit einen Verfahrensmangel und dessen Relevanz auf und ist daher sowohl zulässig (vgl. zur Beachtung der Relevanz schon im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung den hg. Beschluss vom 9. Oktober 2014, Zl. Ra 2014/18/0036) als auch begründet:

2.4. Gemäß § 10 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn in einer Beschwerde neue Tatsachen oder Beweise, die ihm erheblich scheinen, vorgebracht werden, hievon unverzüglich den sonstigen Parteien Mitteilung zu machen und ihnen Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist vom Inhalt der Beschwerde Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.

Weder aus dem vorliegenden Verfahrensakt noch aus den Schriftsätzen der Parteien im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergibt sich, dass die gegenständliche Beschwerde der Revisionswerberin zugestellt wurde. Insbesondere wurde dies auch vom Verwaltungsgericht im Zuge der Vorlage der Revision nicht vorgebracht.

Damit ist gegenständlich von einer Verletzung des § 10 VwGVG auszugehen, weil der Mitbeteiligte in seiner Beschwerde (damals noch Berufung) vom 20. März 2013 zu der nach dem angefochtenen Erkenntnis entscheidenden Frage, ob die in Rede stehenden Arbeitnehmer als Hilfsarbeiter einzustufen seien, erstmals konkret vorgebracht hat, dass einerseits die Anlieferung des "tonnenschweren Materials" gar nicht zu den Aufgaben dieser Arbeitnehmer gehört habe und andererseits keiner dieser Arbeitnehmer über einen entsprechenden Abschluss, einen Kurs zur Qualifikation oder sonstige Zertifikate, die ihn als angelernten Arbeiter einstufen ließen, verfüge, und dass es diesbezüglich auch "keine wie immer gearteten objektiven Urkunden" gebe.

Der aufgezeigte Verfahrensfehler ist wesentlich, weil die Revisionswerberin, wie erwähnt, mit ihrer Revision Unterlagen vorgelegt hat, die sehr wohl dafür sprechen, dass einige der in Rede stehenden Arbeitnehmer sogar schon vor dem gegenständlichen Tatzeitraum als "Eisenbieger" - und zwar als "Angelernte Arbeiter" - beschäftigt waren.

Das letztgenannte Vorbringen verstößt im Übrigen, anders als der Mitbeteiligte in seiner Revisionsbeantwortung meint, nicht gegen das vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot, weil dieses Verbot nur im Falle des gewährten Parteiengehörs gilt (vgl. die bei Mayer/Muzak, B-VG, 5. Auflage, zu § 41 VwGG zitierte hg. Rechtsprechung).

3. Das angefochtenen Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Eine Kostenzuspruch an die obsiegende Revisionswerberin kommt gemäß § 47 Abs. 4 VwGG iVm Art. 133 Abs. 8 B-VG nicht in Betracht.

Wien, am 14. Dezember 2015

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