VwGH 2013/10/0147

VwGH2013/10/014730.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der beschwerdeführenden Parteien Rathausapotheke H L OHG, 2. B L, 3. K K, alle in Voitsberg, alle vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn Rechtsanwälte GmbH in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 14. Mai 2013, Zl. UVS 48.12-7/2008-114, betreffend Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke (weitere Partei: Bundesminister für Gesundheit; mitbeteiligte Partei: A F in Voitsberg, vertreten durch Piaty Müller-Mezin Schoeller Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Glacisstraße 27/2), zu Recht erkannt:

Normen

ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs4;
ApG 1907 §10 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs4;
ApG 1907 §10 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. November 2010 wurde der mitbeteiligten Partei die Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in Voitsberg an der Betriebsstätte Grazer Vorstadt 142 erteilt.

Dieser Bescheid wurde mit hg. Erkenntnis vom 18. April 2012, Zl. 2010/10/0254, aufgehoben.

Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst aus, die belangte Behörde habe - dem Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer folgend - die Besucher dreier Einkaufszentren bei Ermittlung des der "Rathaus-Apotheke" und der "St. Josefs-Apotheke" in Voitsberg verbleibenden Kundenpotenzials zu Unrecht im Ausmaß von 2.524 Einwohnergleichwerten berücksichtigt.

Im fortgesetzten Verfahren holte die belangte Behörde neuerlich ein Bedarfsgutachten der Österreichischen Apothekerkammer (vom 28. März 2013) ein. Darin wird ausgeführt, dass den beiden erwähnten bestehenden Apotheken in Voitsberg nach der Neuerrichtung der beantragten Apotheke ein gemeinsames Versorgungspotenzial von 14.628 Personen verbleibe, das sich wie folgt zusammensetze:

2.466.100 Besucher der Einkaufszentren "Fachmarktzentrum Blue Sky", "WEZ Bärnbach" und "Kaufwelt Rosental"

1.596 Einwohnergleichwerte, wovon ein Drittel, dh. insgesamt 532 Einwohnergleichwerte, den beiden bestehenden Apotheken in Voitsberg (die anderen zwei Drittel weiteren, "in der Nähe" dieses Einkaufszentrums gelegenen, öffentlichen Apotheken) zuzurechnen seien.

Sohin ergäben sich für die genannten Einkaufszentren insgesamt 2.757 maßgebliche Einwohnergleichwerte.

Gemeinsam würde den beiden bestehenden Apotheken auch nach Eröffnung der beantragten öffentlichen Apotheke sohin jeweils ein potenzieller Kundenkreis von über 5.500 verbleiben.

Da der Bedarf an der neu zu errichtenden Apotheke somit gegeben sei, sei der mitbeteiligten Partei die beantragte Konzession zu erteilen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezembers 2013 geltenden Bestimmungen anzuwenden sind.

2. § 10 Apothekengesetz, RGBl. Nr. 5/1907 idF BGBl. I Nr. 70/2012 (ApG), lautet (auszugsweise):

"Sachliche Voraussetzungen der Konzessionserteilung

§ 10.

(1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

(...)

3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich in Folge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5 500 betragen wird.

(...)

(4) Zu versorgende Personen gemäß Abs. 2 Z 3 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus dieser bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgen sein werden.

(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne des Abs. 4 weniger als 5 500, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigten.

(...)

(7) Zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der österreichischen Apothekerkammer einzuholen. Soweit gemäß § 29 Abs. 3 und 4 Ärzte betroffen sind, ist auch ein Gutachten der Österreichischen Ärztekammer einzuholen.

(...)"

3. Dem angefochtenen Bescheid liegt die auf das Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer vom 28. März 2013 (einschließlich der darin verwerteten "Besucherinnenzählung" des Team S. und des "Ergebnisberichts Apothekennutzung durch Besucher von Einkaufs- oder Fachmarktzentren") bzw. auf eigenständige Rechenoperationen (zu den maßgeblichen Besucherzahlen der genannten Einkaufszentren) der belangten Behörde gestützte Auffassung zugrunde, das der "Rathaus-Apotheke" und der "St. Josefs-Apotheke" verbleibende gemeinsame Versorgungspotenzial würde einschließlich

2.757 Einwohnergleichwerten für Besucher der genannten drei Einkaufs- bzw. Fachmarktzentren mehr als 11.000 betragen. Der "Rathaus-Apotheke" der beschwerdeführenden Parteien würden sohin mehr als 5.500 zu versorgende Personen verbleiben.

Die Beschwerde bringt dagegen unter Anderem vor, die Heranziehung der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Studie "Apothekennutzung durch den Besuch von Einkaufs- oder Fachmarktzentren - Erweiterung Jänner 2013" sei unzulässig, weil diese nicht den Kriterien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspreche; die Studie ermögliche keine prognostische Zuordnung konkreter Kundenpotenziale.

Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

4.1. Die belangte Behörde hat bei der Ermittlung des den beiden bestehenden Apotheken verbleibenden Versorgungspotentials insgesamt 2.757 Einwohnergleichwerte aufgrund der Einkaufszentrenbesucher berücksichtigt. Bei der Ermittlung dieser Einwohnergleichwerte stützte sich die belangte Behörde - ausgehend von den von ihr festgestellten jährlichen Besucherzahlen - erkennbar auf die (in den Verwaltungsakten erliegende) Studie "Apothekennutzung durch Besucher von Einkaufs- oder Fachmarktzentren" aus Jänner 2013, die auch dem Gutachten der Apothekerkammer vom 28. März 2013 zu Grunde lag. Wie sich daraus entnehmen lässt, wurde diese Studie (gegenüber einer früheren Version, mit der sich der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Vorerkenntnis zur Zl. 2010/10/0254 auseinandergesetzt hat) durch eine Erweiterung der Befragung von insgesamt 2000 interviewten Personen modifiziert, die nunmehr auch befragt wurden, wieviele Packungen jeweils pro Apothekenbesuch bezogen worden seien.

Die gegenständliche Studie gleicht insofern der sog. "erweiterten Ambulanzstudie", mit der sich der Verwaltungsgerichtshof jüngst in seinem Erkenntnis vom 22. April 2015, Zl. Ro 2015/10/0004, befasst hat.

4.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat sich die Prüfung des Bedarfs gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG auf eine - auf entsprechende Ermittlungsergebnisse gestützte - prognostische Zuordnung konkreter Kundenpotentiale zu den beteiligten Apotheken nach den örtlichen Verhältnissen zu gründen: Die Behörde hat zunächst festzustellen, wie viele der ständigen Einwohner im Umkreis von 4 Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke(n) nach Errichtung der geplanten Apotheke ihren Arzneimittelbedarf aufgrund der örtlichen Verhältnisse voraussichtlich weiterhin aus der (den) bestehenden öffentlichen Apotheke(n) decken werden. Ergibt sich dabei für eine bestehende öffentliche Apotheke die kritische Zahl zu versorgender Personen nicht schon aus den ständigen Einwohnern des 4 km-Umkreises, so ist weiter zu prüfen, ob diese Zahl unter Berücksichtigung der aufgrund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet weiterhin zu versorgenden Personen erreicht wird.

Die Bedarfsbeurteilung hat sich somit primär an der Wohnbevölkerung zu orientieren, im Übrigen ist jedoch auch ein durch andere Umstände als den Wohnsitz begründeter Bedarf an einer öffentlichen Apotheke zu berücksichtigen. Während der Gesetzgeber bei der Beurteilung des Bedarfes durch die Wohnbevölkerung jedoch auf eine Durchschnittsbetrachtung abstellt, sodass der "ständige Einwohner" als "zu versorgende Person" gilt, ohne dass im Einzelnen festgestellt werden müsste, in welchem Ausmaß durch ihn ein Bedarf an der öffentlichen Apotheke (mit)begründet wird, sind bei der Beurteilung des durch andere Umstände als den Wohnsitz hervorgerufenen Bedarfes grundsätzlich auf die im Gesetz angeführten Tatbestände ("Beschäftigung", "Einrichtungen", "Verkehr") bezogene Ermittlungen erforderlich, aus denen eine Inanspruchnahme der betreffenden Apotheke(n) ersichtlich wird, die jener durch eine bestimmte Anzahl ständiger Einwohner (der Maßstabfigur des § 10 ApG) entspricht. Erst auf einer solchen Grundlage kann die Anzahl jener "zu versorgender Personen" ermittelt werden, die iSd § 10 Abs. 5 ApG bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigen sind (vgl. zu all dem das erwähnte Vorerkenntnis zur Zl. 2010/10/0254, mwN).

Im genannten Vorerkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:

"Schließlich erweist sich noch die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Beurteilung des Ausmaßes, indem die Apothekennutzung durch einfache 'Besucher der Einkaufszentren' jenem durch ständige Einwohner entspricht, als mangelhaft. Der als Maßstab herangezogene Umstand, dass 2000 Befragte angegeben hätten, in den letzten 12 Monaten eine Apotheke durchschnittlich 12,25 Mal aufgesucht zu haben, besagt in Wahrheit nämlich noch nichts über das (in der Sache wesentliche) Ausmaß der Inanspruchnahme einer öffentlichen Apotheke durch einen 'ständigen Einwohner' iSd § 10 ApG.

(...)

In der Frage, in welchem Ausmaß durch einen 'ständigen Einwohner' im Sinne des § 10 Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 ApG Bedarf an einer öffentlichen Apotheke begründet wird, geht es (...) nicht um Gegebenheiten des konkreten Falles. Vielmehr stellt der Gesetzgeber hier auf eine Durchschnittsbetrachtung ab: Der 'ständige Einwohner' gilt als 'zu versorgende Person', ohne dass im Einzelfall festgestellt werden müsste, in welchem Ausmaß durch ihn ein Bedarf an einer öffentlichen Apotheke begründet wird (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 26. September 2011, Zl. 2009/10/0261, und die dort zitierte Vorjudikatur). Gleichzeitig ist der 'ständige Einwohner' als 'Maßstabfigur' die zentrale Bezugsgröße für die Frage, ob bei Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke (noch) von der Existenzfähigkeit einer bestehenden öffentlichen Apotheke ausgegangen werden kann; dies ist nur dann zu bejahen, wenn von der bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin mindestens 5500 Personen zu versorgen sein werden und zwar in einem Ausmaß, das der Versorgung von 5500 ständigen Einwohnern entspricht.

Bei der Ermittlung des durch einen 'ständigen Einwohner' hervorgerufenen Bedarfs nach einer öffentlichen Apotheke, an dem dann eine Inanspruchnahme im Sinne des § 10 Abs. 5 ApG gemessen werden kann, ist daher im Sinne einer Durchschnittsbetrachtung der Bedarf der Bevölkerung nach Leistungen der öffentlichen Apotheken im Allgemeinen heranzuziehen. Dabei können der durchschnittliche Medikamentenverbrauch, der Arzneimittelumsatz udgl. nicht außer Acht gelassen werden. Es sind alle verfügbaren Daten einzusetzen, um jenen Durchschnittsbedarf festzustellen, der dem Bedarf eines 'ständigen Einwohners' im Sinne des § 10 Abs. 2 Z 3 ApG zugrunde liegt.

Zur Feststellung dieses Bedarfs war die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Methode der Befragung von Personen über die ihnen erinnerliche Häufigkeit ihrer Apothekenbesuche in den letzten 12 Monaten somit nicht geeignet. Die den Ergebnissen der Studie zugrunde liegende Gleichsetzung der durch Befragung ermittelten Nutzungsfrequenz einer Apotheke 'durch jeden Österreicher und jede Österreicherin' (12,25 Mal pro Jahr) mit dem Ausmaß der Inanspruchnahme einer öffentlichen Apotheke durch einen 'ständigen Einwohner' gemäß § 10 ApG belastet daher die darauf aufbauende Berücksichtigung von Kunden der in Rede stehenden Einkaufszentren wie 'ständige Einwohner' mit einem (weiteren) Mangel."

4.3. Nach der hg. Rechtsprechung ist somit eine bloße Befragung von Personen keine geeignete Methode, um den nach dem Gesagten zu ermittelnden durchschnittlichen Bedarf der Bevölkerung an Leistungen der öffentlichen Apotheken im Allgemeinen, an dem dann eine Inanspruchnahme im Sinne des § 10 Abs. 5 ApG zu messen ist, zu erheben, sind dafür doch "alle verfügbaren Daten einzusetzen" (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom 22. April 2015, Zl. Ro 2015/10/0004).

Der aufgezeigte Verfahrensmangel ist auch wesentlich im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG, weil ohne die in Rede stehenden

2.757 Einwohnergleichwerte aufgrund der Einkaufszentrenbesucher das verbleibende Versorgungspotential der "Rathaus-Apotheke" nicht die nach § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG erforderlichen 5.500 Personen erreichen würde.

5. Das angefochtene Erkenntnis war somit, ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. September 2015

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