VwGH 2012/11/0233

VwGH2012/11/023327.1.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des M R in W, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 29. Oktober 2012, Zl. VwSen-523277/7/Bi/Kr, betreffend Aufforderung gemäß § 24 Abs. 4 FSG (weitere Partei: Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

FSG-GV 1997 §14 Abs1;
FSG-GV 1997 §14 Abs5;
FSG-GV 1997 §14 Abs1;
FSG-GV 1997 §14 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert, der Behörde binnen zwei Wochen ab Rechtskraft dieser Entscheidung die Stellungnahme eines Facharztes für Psychiatrie vorzulegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1.1. Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

1.2. Das Führerscheingesetz, BGBl. I Nr. 120/1997 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 61/2011 (FSG), lautet auszugsweise:

"§ 24. ...

(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen."

1.3. Die Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl. II Nr. 322/1997 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. II Nr. 427/2002 (FSG-GV), lautet auszugsweise:

"§ 14. (1) Personen, die von Alkohol, einem Sucht- oder Arzneimittel abhängig sind oder den Konsum dieser Mittel nicht so weit einschränken können, dass sie beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht beeinträchtigt sind, darf, soweit nicht Abs. 4 anzuwenden ist, eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden. Personen, bei denen der Verdacht einer Alkohol-, Suchtmittel- oder Arzneimittelabhängigkeit besteht, haben eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme beizubringen.

...

(5) Personen, die alkohol-, suchtmittel- oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Missbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen."

2. Die belangte Behörde stellte in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen fest, der Beschwerdeführer habe Ende November 2011 und im Jänner 2012 insgesamt etwa 70g Cannabiskraut von S.M. gekauft. Den Konsum von Cannabis habe der Beschwerdeführer bei der polizeilichen Vernehmung am 6. März 2012 bestritten, ein (nach der Aktenlage: im Zuge dieser Einvernahme durchgeführter) Harntest sei negativ gewesen.

Eine danach beim Amtsarzt am 6. März 2012 (nach der Aktenlage: am 6. April 2012) abgegebene Harnprobe sei vom Institut für Gerichtsmedizin auf Cannabinoide gestestet und als "schwach positiv" befunden worden. Ein vom Beschwerdeführer in Eigeninitiative vorgelegter Drogenbefund vom 25. Mai 2012 sei negativ gewesen.

Im Zuge einer weiteren amtsärztlichen Untersuchung, der sich der Beschwerdeführer am 19. Juni 2012 unterzogen habe, sei ihm vom Amtsarzt eine Zuweisung zum Facharzt für Psychiatrie zwecks Erstattung einer Stellungnahme betreffend den "Verdacht auf Cannabisabhängigkeit" ausgefolgt worden. Eine solche fachärztliche Stellungnahme habe der Beschwerdeführer mit Hinweis auf die bisherigen negativen Drogenbefunde nicht vorgelegt, sondern einen weiteren negativen Harnbefund vom 25. September 2012 beigebracht.

In ihrer rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde vom genannten "schwach positiven" Drogenbefund aus. Zum Einwand des Beschwerdeführers, er habe noch nie Cannabis konsumiert und das "schwach positive" Ergebnis könne nur auf der bei solchen Tests bestehenden Fehlerquote oder dem Konsum von THC-hältigen Lebensmitteln beruhen, führte die belangte Behörde aus, es liege im Bereich des Möglichen, dass der Laborbefund aus nicht im Bereich des Beschwerdeführers liegenden Gründen "falsch schwach positiv" ausgefallen sei. Allerdings könne dieser Laborbefund auch auf einem "noch nicht allzu lange zurückliegenden Cannabiskonsum" des Beschwerdeführers beruhen. Für die letztgenannte Annahme sprächen auch die Aussagen des S.M., die auf einen mehrmonatigen "suchtmittelbezogenen Kontakt" mit dem Beschwerdeführer hindeuteten, sodass es dem Beschwerdeführer "obliege, den Gegenbeweis anzutreten".

Die vom Beschwerdeführer vorgelegten negativen Laborbefunde seien aufgrund ihrer Planbarkeit nicht geeignet, die Bedenken gegen seine gesundheitliche Eignung zu revidieren. Vielmehr bestätige auch die Weigerung des Beschwerdeführers, die vom Amtsarzt verlangte fachärztliche Stellungnahme vorzulegen, die bei der belangten Behörde bestehenden Bedenken, dass beim Beschwerdeführer ein "Cannabiskonsum in einem Ausmaß vorliegt", das seine gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen in Frage stelle.

Da gemäß § 14 Abs. 5 FSG-GV Personen, die suchtmittelabhängig gewesen seien oder damit gehäuften Missbrauch begangen hätten, die Lenkberechtigung nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme zu belassen sei, sei die spruchgemäße Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Beibringung einer Stellungnahme eines Facharztes für Psychiatrie rechtens.

3. Der Beschwerdeführer wendet in der Beschwerde ein, der gegen ihn (im sicherheitsbehördlichen Verfahren) gerichtete Verdacht habe sich auf den Ankauf von Cannabis bezogen, nicht aber auf dessen Konsum. Auch die belangte Behörde habe nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer Cannabis konsumiert habe, sondern bloß diesbezügliche Spekulationen angestellt, die für begründete Bedenken iSd § 24 Abs. 4 FSG nicht ausreichten. Gegen begründete Bedenken betreffend die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen spreche außerdem, dass der schwach positive Schnelltest im maßgebenden Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ca. sechs Monate zurückgelegen und seither mehrere Harnbefunde negativ gewesen seien. Zwei der Harnproben habe der Beschwerdeführer unvorbereitet vor der Behörde abgegeben, davon sei jene vom 6. März 2012 negativ gewesen. Was das "schwach positive" Ergebnis der Harnprobe vom 6. April 2012 betreffe, so habe er die Einholung einer Auskunft des den Befund erstellenden Institutes für gerichtliche Medizin beantragt, ob das genannte Befundergebnis "schwach positiv" durch andere Ursachen als Cannabiskonsum, etwa durch den Verzehr hanfhältiger Speisen, verursacht sein könne. Obwohl die belangte Behörde selbst von einem möglicherweise falschen Befundergebnis ausgehe, habe sie diesen Beweisantrag zu Unrecht übergangen.

4. Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs. 4 FSG sind begründete Bedenken in der Richtung, dass der Inhaber einer Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Im Zusammenhang mit einem Suchtmittelkonsum des Inhabers einer Lenkberechtigung wäre ein Aufforderungsbescheid rechtens, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestünden, dem Betreffenden fehle infolge Suchtmittelabhängigkeit (oder wegen Fehlens der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung) die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (vgl. aus vielen das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2011, Zl. 2011/11/0026, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Wie sich aus § 14 FSG-GV ergibt, berührt ein geringfügiger Suchtmittelgenuss die gesundheitliche Eignung (noch) nicht. Erst dann, wenn der Konsum zu einer Abhängigkeit zu führen geeignet ist oder wenn die Gefahr besteht, dass die betreffende Person nicht in der Lage sein könnte, den Konsum so weit einzuschränken, dass ihre Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht (mehr) beeinträchtigt ist, liegt ein Grund vor, unter dem Aspekt eines festgestellten - wenn auch verbotenen - Suchtmittelkonsums die gesundheitliche Eignung begründeterweise in Zweifel zu ziehen (vgl. auch hiezu das erwähnte hg. Erkenntnis Zl. 2011/11/0026, mwN.). Ein Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs. 4 FSG ist nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Falle einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) von Seiten der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken bestehen (vgl. abermals das genannte Erkenntnis Zl. 2011/11/0026, und die dort zitierte Judikatur).

5. Wie dargestellt ging die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid von begründeten Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen aus, weil bei diesem der Verdacht einer Suchtmittelabhängigkeit bzw. eines gehäuften Missbrauchs von Suchtmitteln vorliege. Der belangten Behörde ist entsprechend den obigen Ausführungen (Pkt. 4.) zuzustimmen, dass im Falle des Vorliegens von Anhaltspunkten für den Verdacht einer Suchtmittelabhängigkeit bzw. eines gehäuften Missbrauchs von Suchtmitteln begründete Bedenken iSd § 24 Abs. 4 FSG gerechtfertigt sein können.

Im vorliegenden Fall gibt es allerdings keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte für einen solchen Verdacht:

Das von der belangten Behörde ins Treffen geführte "schwach positive" Ergebnis des Harntests vom 6. April 2012 ist (abgesehen von der ungeklärten Bedeutung der Beifügung "schwach" und der fraglichen Aktualität des Ergebnisses im Entscheidungszeitpunkt) schon deshalb nicht tragfähig, weil auch die belangte Behörde davon ausgeht, dass es sich dabei möglicherweise um ein falsches Ergebnis ("falsch schwach positiv") handeln könnte. Dass es sich bei diesem immunologischen Untersuchungsergebnis tatsächlich um ein "falsch-positives" Ergebnis handeln kann, wird sogar ausdrücklich im betreffenden aktenkundigen (Akt Blatt 25) Kurzbefund des Institutes für Gerichtliche Medizin bestätigt. Ohne weitere Erläuterungen seitens des Institutes für Gerichtliche Medizin war dieser Kurzbefund daher nicht verwertbar.

Ebenso wenig ist für die hier entscheidende Frage des Konsums von Cannabis durch den Beschwerdeführer und dessen Häufigkeit (Verdacht einer Abhängigkeit) aus den aktenkundigen Aussagen des S.M. zu gewinnen, weil diese den (angeblichen) Verkauf von Cannabis an den Beschwerdeführer, nicht aber den Konsum betreffen.

Schließlich sind dem Verwaltungsakt auch keine schlüssigen Aussagen von medizinischen Sachverständigen zu entnehmen, die den Verdacht einer Suchtmittelabhängigkeit des Beschwerdeführers begründen könnten, sodass lediglich die vom Beschwerdeführer vorgelegten (für ihn und nicht gegen ihn sprechenden) negativen Harntestergebnisse verbleiben.

Bei diesem Ergebnis durfte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dass es eines "Gegenbeweises" des Beschwerdeführers bedürfe, weil es, wie dargestellt, Aufgabe der Behörde ist, begründete Bedenken iSd § 24 Abs. 4 FSG nachvollziehbar darzulegen. Diese unzutreffende Rechtsansicht belastet den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

6. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 27. Jänner 2015

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