Normen
FSG 1997 §4 Abs1;
FSG 1997 §4 Abs3;
FSG 1997 §4 Abs6;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Aufwandersatz findet nicht statt.
Begründung
In den vorgelegten Verwaltungsakten erliegt die Kopie einer aufgrund einer "Radaranzeige" ergangenen Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg vom 4. November 2013, derzufolge der Mitbeteiligte schuldig sei, am 4. Oktober 2013 zu näher angegebener Uhrzeit im Ortsgebiet von S als Lenker eines näher bezeichneten Pkws die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 21 km/h überschritten zu haben (die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden). Der Mitbeteiligte habe dadurch § 20 Abs. 2 StVO 1960 verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe verhängt werde.
Unter Bezugnahme auf diese Strafverfügung verpflichtete die Revisionswerberin den Mitbeteiligten "als Besitzer eines Probeführerscheins der Klassen: AM, B" mit Bescheid gemäß § 4 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG) vom 17. Dezember 2013, sich innerhalb von vier Monaten einer Nachschulung zu unterziehen. Die Probezeit verlängere sich dadurch um ein Jahr. Begründend wurde ausgeführt, die erwähnte Strafverfügung sei mittlerweile rechtskräftig.
Der dagegen erhobenen Beschwerde, in der ausschließlich vorgebracht wurde, zur Tatzeit habe nicht der Mitbeteiligte, sondern ein Freund gelenkt, gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 17. April 2014 Folge und behob den angefochtenen Bescheid. Unter einem wurde gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig erklärt.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht gemeinsam mit den Akten des Verfahrens vorgelegte Revision.
Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er der Auffassung des Verwaltungsgerichtes beitrat und die Zurückweisung der Revision mangels Zulässigkeit beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
1.1. Die im Revisionsfall einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):
"Lenkberechtigung für Anfänger (Probeführerschein)
§ 4. (1) Lenkberechtigungen für alle Klassen mit Ausnahme der Klassen AM und F, die Personen erteilt werden, die vorher keine in- oder ausländische Lenkberechtigung für eine dieser Klassen besessen haben, unterliegen einer Probezeit von zwei Jahren. Diese Probezeit ist in den Führerschein nicht einzutragen.
...
(3) Begeht der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6) oder verstößt er gegen die Bestimmung des Abs. 7, so ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist. Berufungen gegen die Anordnung der Nachschulung haben keine aufschiebende Wirkung. Mit der Anordnung einer Nachschulung verlängert sich die Probezeit jeweils um ein weiteres Jahr oder es beginnt eine neuerliche Probezeit von einem Jahr, wenn die Probezeit in der Zeit zwischen der Deliktsetzung und der Anordnung der Nachschulung abgelaufen ist; die Verlängerung oder der Neubeginn der Probezeit ist von der Wohnsitzbehörde dem Führerscheinregister zu melden und in den Führerschein einzutragen. Der Besitzer des Probeführerscheines hat diesen bei der Behörde abzuliefern, die Behörde hat die Herstellung eines neuen Führerscheines gemäß § 13 Abs. 6 in die Wege zu leiten.
...
(6) Als schwerer Verstoß gemäß Abs. 3 gelten
1. Übertretungen folgender Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, BGBl. Nr. 159:
- a) § 4 Abs. 1 lit. a (Fahrerflucht),
- b) § 7 Abs. 5 (Fahren gegen die zulässige Fahrtrichtung),
- c) § 16 Abs. 1 (Überholen unter gefährlichen Umständen),
- d) § 16 Abs. 2 lit. a (Nichtbefolgen von gemäß § 52 lit. a Z 4a und Z 4c kundgemachten Überholverboten),
- e) § 19 Abs. 7 (Vorrangverletzung),
- f) §§ 37 Abs. 3, 38 Abs. 2a, 38 Abs. 5 (Überfahren von 'Halt'- Zeichen bei geregelten Kreuzungen),
g) § 46 Abs. 4 lit. a und b (Fahren auf der falschen Richtungsfahrbahn auf Autobahnen);
2. mit technischen Hilfsmitteln festgestellte Überschreitungen einer ziffernmäßig festgesetzten erlaubten Höchstgeschwindigkeit im Ausmaß von
- a) mehr als 20 km/h im Ortsgebiet oder
- b) mehr als 40 km/h auf Freilandstraßen;
3. ...
..."
1.2. Die einschlägigen Bestimmungen der StVO 1960 lauten (auszugsweise):
"§ 20. Fahrgeschwindigkeit.
...
(2) Sofern die Behörde nicht gemäß § 43 eine geringere Höchstgeschwindigkeit erläßt oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt, darf der Lenker eines Fahrzeuges im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h, auf Autobahnen nicht schneller als 130 km/h und auf den übrigen Freilandstraßen nicht schneller als 100 km/h fahren.
...
§ 99. Strafbestimmungen.
...
(2d) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 70 bis 2180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 24 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 30 km/h überschreitet.
(2e) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 150 bis 2180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.
(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,
a) wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,
..."
2. Die Revision ist zulässig.
2.1. Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 nicht gebunden.
2.2. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Mitbeteiligten ist die gemäß Art. 133 Abs. 6 Z. 2 B-VG erhobene Revision, wie von der Revisionswerberin zutreffend erkannt, zulässig, weil das Verwaltungsgericht, wie im Folgenden zu zeigen ist, die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Bindungswirkung rechtskräftiger Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen außer Acht gelassen hat.
3. Die Revision ist begründet.
3.1. Das Verwaltungsgericht legt seinem Erkenntnis einerseits die Annahme zugrunde, dass der Mitbeteiligte als Lenker eines Pkw wegen der Übertretung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet am 4. Oktober 2013 mit der oben erwähnten Strafverfügung vom 4. November 2013 rechtskräftig bestraft worden sei, stellt aber andererseits als maßgeblichen Sachverhalt fest, dass das Kraftfahrzeug zum Tatzeitpunkt nicht vom Mitbeteiligten, sondern von dessen Freund gelenkt worden sei, weshalb davon auszugehen sei, dass der Mitbeteiligte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen habe.
Schon dies zeigt, dass das Verwaltungsgericht die maßgebliche Rechtslage sowie die dazu ergangene ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes außer Acht gelassen hat.
3.2.1. Gemäß § 4 Abs. 3 FSG ist von der Behörde, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6) begeht oder gegen die Bestimmung des Abs. 7 verstößt, unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist. § 4 Abs. 6 FSG enthält einerseits eine Aufzählung mehrerer Bestimmungen der StVO 1960, deren Übertretung jedenfalls einen schweren Verstoß darstellt (Z. 1), umschreibt andererseits in Z. 2 eine weitere Gruppe von Übertretungen der StVO 1960, nämlich ihres § 20 Abs. 2, welche einen schweren Verstoß darstellen (qualifizierte und mit technischen Hilfsmitteln festgestellte Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (um mehr als 20 km/h im Ortsgebiet bzw. um mehr als 40 km/h auf Freilandstraßen)).
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Führerscheinbehörde, wenn eine rechtskräftige Bestrafung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegt, jedenfalls in Ansehung des Umstands, dass der Betreffende die im Strafbescheid genannte Tat begangen hat, gebunden (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 2005, Zl. 2003/11/0169, und vom 24. Februar 2009, Zl. 2007/11/0042, jeweils mwN.). Eine Bindung besteht hingegen nicht hinsichtlich des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung, falls dieses nicht bereits zum Tatbild der Verwaltungsübertretung zählt, wie dies z.B. gemäß § 99 Abs. 2d und 2e StVO 1960 der Fall ist.
Es sei an dieser Stelle - über den Revisionsfall hinaus - festgehalten, dass eine solche Bindungswirkung grundsätzlich auch hinsichtlich sonstiger rechtskräftiger Bestrafungen besteht (vgl. etwa zu Alkoholdelikten die hg. Erkenntnisse vom 17. März 2005, Zl. 2005/11/0057, und vom 26. April 2013, Zl. 2013/11/0015, mwN., sowie z.B. zu Übertretungen nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, Zl. 2007/11/0009).
3.2.2. Für den Revisionsfall folgt daraus, dass das Verwaltungsgericht, wie bereits die Revisionswerberin, in Bindung an die rechtskräftige Strafverfügung vom 4. November 2013 davon auszugehen hatte, dass die in Rede stehende Verwaltungsübertretung vom Mitbeteiligten und somit als Lenker eines Pkw - nach der Aktenlage: in der Probezeit - begangen wurde. Eigene Feststellungen zur Identität des Täters waren dem Verwaltungsgericht infolge dieser Bindungswirkung verwehrt.
3.2.3. Indem sich das Verwaltungsgericht über diese Bindungswirkung hinwegsetzte, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
3.3. Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
3.4. Im Hinblick auf den Spruch des Bescheides der Revisionswerberin, in dem davon die Rede ist, dass der Mitbeteiligte "Besitzer eines Probeführerscheins der Klassen: AM, B" sei, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof überdies zu dem Hinweis veranlasst, dass sich nach dem klaren Wortlaut des § 4 Abs. 1 FSG die Probezeit nicht auf die Klasse AM bezieht (vgl. so auch die RV zur 14. FSG-Novelle, 1203 Blg NR 24. GP, 6).
4. Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z. 2 B-VG der Revisionswerber keinen Anspruch auf Aufwandersatz.
Wien, am 21. August 2014
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