VwGH Ra 2014/02/0045

VwGHRa 2014/02/004530.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger, den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Farcas-Hutchinson, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, gegen den als Erkenntnis bezeichneten Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 17. April 2014, Zl. LVwG-MD-13-1078, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei:

P in W; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: BH Mödling), zu Recht erkannt:

Normen

ASchG 1994 §130 Abs1 Z16;
ASchG 1994 §35 Abs1 Z4;
VStG §45 Abs1 idF 2013/I/033;
VStG §5 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1 idF 2013/I/033;
VwGVG 2014 §50;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht auf Zuerkennung des Aufwandersatzes wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der BH Mödling vom 11. Februar 2013 wurde dem Mitbeteiligten als verantwortlichem Beauftragten der P GmbH zur Last gelegt, er habe als Arbeitgeber nicht dafür gesorgt, dass bei Benützung von Arbeitsmitteln die Schutz- und Sicherheitseinrichtungen bestimmungsgemäß verwendet worden seien; ein näher genannter Teleskopstapler sei durch den Arbeitnehmer J. zum Heben einer Anhängerbühne benutzt worden, wobei die auf dem Arbeitsmittel vorhandene Überlastsicherung durch Ausschalten mittels Schlüssels umgangen worden sei. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 35 Abs. 1 Z 4 ASchG verletzt, weshalb über ihn gemäß § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG eine Geldstrafe von EUR 350,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 35 Stunden) verhängt wurde.

In der Begründung führte die erstinstanzliche Behörde zur subjektiven Tatseite aus, es sei zwar im Betrieb ein Kontroll- und Maßnahmensystem installiert gewesen, dieses sei jedoch nicht ausreichend und somit nicht wirksam gewesen.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung brachte der Mitbeteiligte unter anderem zum Bestehen eines Kontrollsystems im Betrieb vor, er habe unter Beweis gestellt, dass die von seinem Unternehmen eingesetzten Arbeitnehmer umfassend geschult worden seien, dass ihnen alle Behelfe, die zur Vermeidung von gleichartigen Fällen geeignet seien, an die Hand gegeben und darüber hinaus, wie sich aus den Personallisten ergebe, nur vollständig ausgebildete und mit den Aufgaben und Arbeitsvorgängen vollständig unterwiesene und auch erfahrene und geprüfte Fachleute in diesem speziellen Bereich eingesetzt worden seien. Der dann verunfallte Arbeitnehmer sei zertifizierter Hubarbeitsbühnen-Bediener-Trainer. Für den Mitbeteiligten sei damit amtlich nachgewiesen, dass auf Grund dieser Schulung und der erworbenen Kenntnisse diesem Dienstnehmer Vertrauen entgegengebracht werden könne, dass er die Arbeitnehmerschutzvorschriften sowie die Vorgaben des Kontrollsystems beachten und einhalten werde. Im Betrieb sei ein Sicherheitsbeauftragter installiert, der Vollzeit arbeite und dessen Aufgabe darin bestehe, sich ausschließlich Sicherheitsfragen zu widmen und alles nur Erdenkliche zu veranlassen, um einschlägige Vorfälle hintanzuhalten bzw. zu verhindern.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht das Straferkenntnis vom 11. Februar 2013 gemäß § 45 Abs. 1 VStG aufgehoben, das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt und ausgesprochen, dass gegen "dieses Erkenntnis" gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

In der Begründung gab das Verwaltungsgericht den Gang des Verfahrens wieder und traf zum Kontrollsystem die Feststellung, dass der Mitbeteiligte die oberste Führungsebene im Unternehmen im Hinblick auf die Arbeitnehmersicherheit bilde. Er kontrolliere die von ihm an die innerbetrieblich freigestellte Sicherheitsfachkraft weitergegebenen Weisungen mehr als stichprobenweise. Die Sicherheitsfachkraft sei ausschließlich mit der Kontrolle der Einhaltung einschlägiger arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften im Unternehmen betraut und dahingehend seinem direkten Vorgesetzten, dem Mitbeteiligten, berichtspflichtig, jedoch nicht weisungsgebunden. Der beim gegenständlich dem Mitbeteiligten angelasteten Arbeitsunfall verunglückte Arbeitnehmer sei zu diesem Zeitpunkt ein langjähriger, qualifizierter Dienstnehmer gewesen, der disziplinarrechtlich oder hinsichtlich der Nichteinhaltung von arbeitnehmerschutzrechtlichen Weisungen bis dahin niemals negativ in Erscheinung getreten sei. Er sei auch zum jetzigen Zeitpunkt noch im aufrechten Dienstverhältnis. Der Verunfallte sei ausgebildeter Trainer für die Bedienung und den Betrieb des in Rede stehenden Hubstaplers. Er verfüge neben seiner beruflichen Qualifikation als Kranfahrer auch über die zusätzliche Befugnis als Hubarbeitsbühnen-Bediener-Trainer und somit über die Lehrbefähigung gegenüber anderen Dienstnehmern. Der vom Vorfall betroffene Arbeitnehmer habe auch regelmäßig - weisungskonform - an sämtlichen laufenden, firmeninternen Schulungen teilgenommen und die damit verbundenen Betriebsanweisungen zur Kenntnis genommen. Der Mitarbeiter habe im Bewusstsein, sich weisungswidrig zu verhalten, den Arbeitsunfall, bei dem er letztendlich selbst verletzt worden sei, verursacht.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, es habe sich vorliegend um einen nicht vorhersehbaren erst- und einmaligen Fall einer eigenmächtigen Handlung eines langjährigen, beruflich erfahrenen, bisher disziplinarrechtlich völlig unauffälligen Arbeitnehmers gehandelt. Dieser weise auch eine über seine berufliche Beschäftigung hinausgehende Qualifikation auf. Der Mitbeteiligte sei auch wegen der Unvorhersehbarkeit des Vorfalls entschuldigt. Im Übrigen habe er geeignete Maßnahmen - insbesondere über stichprobenartige Kontrollen hinausgehende Überprüfungen - durchgeführt und Weisungen an eine besonders geschulte Fachkraft erteilt, deren Einhaltung von ihm überprüft worden sei, und dies einen wesentlichen Faktor dafür darstelle, um die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu gewährleisten. Die Grenze der Verantwortlichkeit eines verantwortlichen Beauftragten sei dahin zu sehen, wenn - unvorhersehbar - bewusst weisungswidrig ein langjähriger qualifizierter Dienstnehmer, der disziplinarrechtlich bis zu diesem Zeitpunkt nie negativ in Erscheinung getreten sei, sich in vollem Bewusstsein des weisungswidrigen Verhaltens entgegen den ihm erteilten, überprüften Anordnungen verhalte. Der gegenständliche Verstoß hätte durch das angepasste, eingerichtete Kontrollsystem im Unternehmen zur Tatzeit nicht verhindert werden können. Es könne nicht zur Strafbarkeit des Mitbeteiligten führen, wenn ein an sich taugliches, ausreichendes Kontrollsystem im Einzelfall wegen eines unvorhersehbaren weisungswidrigen Verhaltens eines Arbeitnehmers versage. Der Umstand, dass der verunfallte Arbeitnehmer zeitnah nochmals belehrt und mündlich verwarnt worden sei, stelle ebenfalls ein Faktum dar, das den Schluss zulasse, dass von einem tauglichen Kontrollsystem im Unternehmen gesprochen werden könne.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision gemäß § 13a ArbIG mit dem Antrag, den Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat die Revision beantwortet und ebenfalls die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses unter Zuerkennung von Aufwandersatz beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 45 Abs. 1 VStG durch das Verwaltungsgericht in Beschlussform zu ergehen hat (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, K 3. zu § 50 VwGVG). Das Vergreifen in der Form steht vorliegend einer Erledigung nicht entgegen, zumal die für das Revisionsverfahren geltenden Vorschriften grundsätzlich auch auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Anwendung finden.

Ausschließlich strittig ist im Revisionsfall die Beantwortung der Frage, ob die P GmbH ein wirksames Kontrollsystem zur Einhaltung der einschlägigen arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen eingerichtet hatte.

Voranzustellen ist, dass es nicht Aufgabe der Behörde ist, dem Revisionswerber Anleitungen dahingehend zu geben, wie ein funktionierendes Kontrollsystem aussehen müsste, sondern die Behörde hat nur zu überprüfen, ob das behauptete Kontrollsystem ausreichend gestaltet ist, um mangelndes Verschulden darzutun (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. April 2004, Zl. 2003/02/0243, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. März 2012. Zl. 2010/02/0263, mwN).

Das entsprechende Kontrollsystem hat aber auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Es kann daher kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2013, Zl. 2012/02/0072, mwN).

Darüber hinaus reichen stichprobenartige Überprüfungen und die Erteilung von Weisungen für das geforderte Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems zur Hintanhaltung von Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht aus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2012, Zl. 2010/02/0242, mwN).

Auch eine Verwarnung für den ersten festgestellten Verstoß reicht für das geforderte Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems nicht aus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2001, Zl. 2000/02/0228).

Führt man sich den Sachverhalt im angefochtenen Beschluss vor Augen, findet sich dort keine einzige konkrete Feststellung, die den rechtlichen Schluss auf das Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an ein solches zuließe.

Das Verwaltungsgericht befand sich somit rechtlich zweifach in einem Irrtum, einerseits wenn es auf der Grundlage seiner unkonkreten rudimentären Feststellungen vom Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems ausging, andererseits weil es nach der Begründung des Ausspruches über die Unzulässigkeit der Revision einen Einklang ihrer Entscheidung mit der ständigen hg. Rechtsprechung gesehen hat. Eine solche Übereinstimmung liegt nach dem oben Ausgeführten und auch nach der vom Verwaltungsgericht selbst zum Ausdruck gebrachten Überzeugung, wonach die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des Kontrollsystems "äußerst rigide" und manchmal "sicher lebens- und praxisfremd" sei, nicht vor. Vielmehr weicht das Verwaltungsgericht ohne jegliche Begründung - die eben zitierten Äußerungen entziehen sich mangels juristischen Substrats einer rechtlichen Würdigung - und damit rechtswidrig von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

Da das Verwaltungsgericht das Verwaltungsstrafverfahren demnach zu Unrecht eingestellt hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Ein Anspruch auf Aufwandersatz für die Revisionsbeantwortung der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht besteht gemäß § 47 Abs. 4 VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 nicht.

Wien, am 30. September 2014

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