Normen
AVG §56;
NAG 2005 §2 Abs7;
NAG 2005 §43 Abs1 Z1;
NAG 2005 §43 Abs1 Z2;
NAG 2005 §43 Abs4 Z1;
NAG 2005 §43 Abs4 Z2;
NAG 2005 §43 Abs4;
NAG 2005 §43 Abs5;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5 idF 2009/I/122;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Landeshauptmann von Wien (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) den nach § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38, eingebrachten und nunmehr als auf § 43 Abs. 4 NAG gerichtet gewerteten Antrag des Beschwerdeführers, eines pakistanischen Staatsangehörigen, vom 8. Februar 2011 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ab.
Zur Begründung verwies die Behörde lediglich darauf, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beschwerdeführer am 21. März 2011 von Italien kommend in das Bundesgebiet eingereist und am selben Tag aus dem Bundesgebiet abgeschoben worden sei. Somit sei kein durchgängiger Aufenthalt seit dem 1. Mai 2004 gegeben. In einer Stellungnahme habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass er nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben, sondern nach einem kurzen Aufenthalt in Italien wieder nach Österreich zurückgebracht worden wäre. Dem sei entgegenzuhalten, dass laut Auskunft der Bundespolizeidirektion L vom 9. Juli 2013 der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 21. März 2011 nach Italien rücküberstellt worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die Behörde erwogen:
Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Juli 2013 sind die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 68/2013 anzuwenden.
§ 43 NAG lautet in seinen Absätzen 4 und 5:
"(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 oder 5 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine "Niederlassungsbewilligung" erteilt werden, wenn
1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und
2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.
Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein, einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
(5) Anträge gemäß Abs. 4 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde über einen solchen Antrag hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1. ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß Abs. 4 eingeleitet wurde und
2. die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" gemäß Abs. 4 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Abs. 4 Z 1 und 2 jedenfalls vorzuliegen haben.
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Z 2 hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde vor Durchführung der Abschiebung eine begründete Stellungnahme der Behörde einzuholen."
Der Beschwerdeführer hat den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels am 8. Februar 2011 gestellt und dabei behauptet, dass er sich seit dem 4. März 2004 im Bundesgebiet aufhalte. Dieser behauptete Inlandsaufenthalt vom 4. März 2004 bis zur Antragstellung wird von der Behörde nicht in Abrede gestellt. Mit der dennoch vorgenommenen Abweisung des Antrags verkannte sie aus folgenden Gründen die Rechtslage.
Vorauszuschicken ist, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28. Februar 2011, G 201/10, den letzten Satz des § 44 Abs. 5 NAG idF BGBl. I Nr. 122/2009 ("Verfahren gemäß Abs. 4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.") wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip als verfassungswidrig aufgehoben hat. Es sei unzulässig, dass - ohne nach den Gründen, die zum Verlassen des Bundesgebietes geführt haben, zu unterscheiden - dem Fremden das Recht auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels und der Anspruch auf Erledigung dieses Verfahrens in einer der Überprüfung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegenden Entscheidung genommen wird. Der Verwaltungsgerichtshof hielt wiederum im Erkenntnis vom 17. November 2011, 2010/21/0494, fest, dass der Inlandsaufenthalt "jedenfalls" in einer Phase des Verfahrens erforderlich ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist weiters im Erkenntnis vom 3. Oktober 2013, 2012/22/0023, im Ergebnis davon ausgegangen, dass eine Beendigung des inländischen Aufenthaltes nach erfolgter Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Rahmen der sogenannten Altfallregelung nicht dazu führt, dass die Voraussetzung für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht mehr gegeben ist.
Damit wurde in der Judikatur die Voraussetzung des "durchgängigen Aufenthalts" zur Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 43 Abs. 4 NAG an "im Bundesgebiet aufhältige Drittstaatsangehörige" relativiert.
Für eine solche Auslegung des Kriteriums des durchgängigen Aufenthaltes spricht auch eine systematische Interpretation des § 43 Abs. 4 NAG mit § 43 Abs. 5 leg. cit. Da nämlich ein derartiger Antrag gemäß § 43 Abs. 5 NAG kein Bleiberecht verschafft und nur unter bestimmten Umständen mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten ist, hätte, wenn der durchgängige Aufenthalt bis zur Erlassung des das Aufenthaltstitelverfahren beendenden Bescheides gefordert wird, eine (allenfalls auch rechtswidrige) Außerlandesschaffung zur Folge, dass der Antragsteller nunmehr nach Aufhebung der oben zitierten Anordnung zwar einen Anspruch auf eine entsprechend überprüfbare Entscheidung über seinen Antrag hätte, diese aber in jedem Fall nur antragsabweisend lauten könnte.
Zu diesem Ergebnis führt auch die Überlegung, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 43 Abs. 4 Z 1 und Z 2 NAG auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt werden muss. Bei Annahme eines späteren Betrachtungszeitpunktes würde sich nämlich der Zeitraum des rechtmäßigen Aufenthaltes gegenüber dem Zeitraum des - jedenfalls bei Antragstellung bestehenden - unrechtmäßigen Aufenthaltes in Richtung des letztgenannten verschieben, ohne dass der Antragsteller darauf einen Einfluss hätte. Im Gegenteil läge es im Belieben der Behörde, mit der Erledigung des Antrages zuzuwarten, bis die Dauer des unrechtmäßigen Aufenthaltes jene des rechtmäßigen Aufenthaltes überwiegt und somit eine Erteilungsvoraussetzung wegfällt. Dazu kommt, dass gemäß § 43 Abs. 5 letzter Satz NAG die Fremdenpolizeibehörde (vor Durchführung einer Abschiebung) eine Stellungnahme zum Vorliegen der Voraussetzungen auch des § 43 Abs. 1 Z 1 und 2 leg. cit. einzuholen hat und eine solche Stellungnahme jedenfalls nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag bezogen sein kann.
Im vorliegenden Fall hätte somit die Behörde den Antrag nicht allein mit der Begründung abweisen dürfen, dass sich der Beschwerdeführer (nach Antragstellung) nicht mehr durchgängig im Inland aufgehalten habe.
Zur Klarstellung ist letztlich anzumerken, dass zum einen die Anordnung des § 2 Abs. 7 NAG, wonach kurzfristige Auslandsaufenthalte unter Umständen nicht die Dauer eines anspruchsbegründenden Aufenthaltes unterbrechen, bei Prüfung des durchgängigen Aufenthaltes iSd § 43 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG bis zur Antragstellung zum Tragen kommen kann. Zum anderen bleibt - gesondert von den Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Z 1 und 2 leg. cit. - in jedem Fall der Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen, wobei in diese Prüfung auch Zeiten und Umstände eines Auslandsaufenthaltes - wann auch immer - einfließen können.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Wien, am 7. Mai 2014
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