VwGH 2013/22/0233

VwGH2013/22/02337.5.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der Landespolizeidirektion Tirol gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 1. August 2013, Zl. uvs- 2011/30/3546-7, betreffend Aufenthaltsverbot (mitbeteiligte Partei: Z, vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art118 Abs3 Z3;
B-VG Art118 Abs3 Z8;
B-VG Art118;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z5 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
GeschlKrG §12 Abs2;
LPolG Tir 1976 §14 lita;
LPolG Tir 1976 §14 litb;
LPolG Tir 1976 §14;
SPG 1991 §3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid gab der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (in der Folge als "Behörde" bezeichnet) der Berufung der Mitbeteiligten, einer ungarischen Staatsangehörigen, gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 13. Dezember 2011 Folge und behob den in Berufung gezogenen Bescheid.

Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, mit dem erstinstanzlichen Bescheid sei gegen die Mitbeteiligte ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen worden. Dieses sei darauf gestützt worden, dass sich die Mitbeteiligte seit Juni 2011 im Bundesgebiet aufhalte und in 30 Fällen wegen rechtswidriger Ausübung der Prostitution zur Anzeige gebracht worden sei. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Tirol sei sie wegen Übertretung nach dem Geschlechtskrankheitengesetz rechtskräftig bestraft worden. Trotzdem sei die Mitbeteiligte in mehreren Fällen wieder ohne gültigen Nachweis nach dem Geschlechtskrankheitengesetz ihrer rechtswidrigen Tätigkeit nachgegangen.

Die Behörde stellte fest, dass die Mitbeteiligte zwischen Sommer 2011 und Sommer 2012 im Raum I zumindest zeitweise aufhältig gewesen sei und siebenmal wegen Verwaltungsübertretungen nach § 14 lit. b TLPG (Anbahnung von Beziehungen zur Ausübung der Prostitution außerhalb behördlich bewilligter Bordelle) und einmal nach § 14 lit. a Tiroler Landespolizeigesetz - TLPG (Ausübung der Prostitution außerhalb behördlich bewilligter Bordelle) sowie dreimal nach § 12 Abs. 2 Geschlechtskrankheitengesetz wegen Nichteinhaltung der regelmäßigen, im Abstand von einer Woche zu erfolgenden Untersuchungen bestraft worden sei. Bei den drei Übertretungen nach dem Geschlechtskrankheitengesetz seien Geldstrafen in der Höhe von einmal EUR 50,-- und zweimal EUR 70,-- verhängt worden. Bei Kontrollen am 31. Dezember 2012, 2. März 2012 und 1. April 2012 seien zwar Anzeigen nach § 14 TLPG erfolgt, die Einhaltung der wöchentlichen amtsärztlichen Untersuchungen sei jedoch durch Vorlage des Gesundheitsausweises nachgewiesen worden.

Für die Prüfung der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - so die rechtliche Beurteilung der Behörde - seien die ersten vier Sätze des § 67 Abs. 1 FPG heranzuziehen. Durch das gezeigte und diesbezüglich zu erwartende persönliche Verhalten der Mitbeteiligten könne die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht gefährdet werden. Nach Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG falle nämlich die örtliche Sicherheitspolizei und gemäß Z 8 die Sittlichkeitspolizei in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden. Demnach lägen etwa die Erlassung eines Prostitutionsverbotes sowie die Handhabung der Sittlichkeitspolizei im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden. Gemäß § 3 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) bestehe die Sicherheitspolizei aus der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, ausgenommen die örtliche Sicherheitspolizei, und aus der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht. Da die Bestimmungen über die Ausübung und Anbahnung der Prostitution in den Kompetenzbereich der Sittlichkeitspolizei nach Art. 118 B-VG fielen, sei der Landesgesetzgeber zur Erlassung des TLPG gesetzlich zuständig gewesen. Die Nichteinhaltung von Bestimmungen nach § 14 TLPG falle aber daher nicht in den Zuständigkeitsbereich der Sicherheitspolizei und es könne demgemäß nicht eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 3 SPG bzw. § 67 Abs. 1 FPG abgeleitet werden.

Zu den fünf Übertretungen nach dem Geschlechtskrankheitengesetz sei auszuführen, dass wegen des vorgegebenen äußerst niedrigen Geldstrafenrahmens die Verwaltungsübertretungen nur mit äußerst niedrigen Geldstrafen hätten geahndet werden können. Dies drücke wohl auch die Bedeutung und Strafwürdigkeit solcher Verwaltungsübertretungen für den Bundesgesetzgeber aus. Die Mitbeteiligte habe sehr viele dokumentierte amtsärztliche Untersuchungen tatsächlich absolviert. Die Übertretungen seien auf einige wenige Kontrollen zurückzuführen, bei denen entweder der erforderliche Ausweis nach dem Geschlechtskrankheitengesetz nicht mitgeführt oder das Untersuchungsintervall von einer Woche nicht eingehalten bzw. überschritten worden sei. Von einer gänzlichen Negierung der Untersuchungspflicht könne nicht gesprochen werden. Weiters seien die in § 1 Z 1 bis 4 Geschlechtskrankheitengesetz angeführten übertragbaren Geschlechtskrankheiten "heutzutage in Österreich schulmedizinisch gut behandelbar und heilbar" und würden "im Normalfall in Österreich keinen tödlichen Krankheitsverlauf" nehmen. Untersuchungen nach dem Aidsgesetz seien gemacht worden und es lägen keine Anzeigen und Bestrafungen diesbezüglich vor.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG müsse das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen. § 64 Abs. 5 FPG sehe eine rechtskräftige Verurteilung durch ein inländisches Gericht für die Erfüllung der Gefährdungsprognose einer schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vor und § 67 Abs. 1 leg. cit. sei von der Gefährdungsprognose her nochmals gesteigert. Somit könne mit den vorliegenden rechtskräftigen Verwaltungsübertretungen ein Aufenthaltsverbot für einen EWR-Bürger nach § 67 Abs. 1 FPG nicht schlüssig begründet werden.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Amtsbeschwerde nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im August 2013 sind die Bestimmungen des FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013 maßgebend.

Unbestritten ist die Mitbeteiligte eine unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürgerin, gegen die ein Aufenthaltsverbot erlassen werden kann, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 67 Abs. 1 FPG).

Die erstinstanzliche Behörde stützte das Aufenthaltsverbot auf rechtskräftige Bestrafungen wegen Vergehen nach dem Tiroler Landespolizeigesetz und wegen Vergehen nach dem Geschlechtskrankheitengesetz.

Zur Wertung des erstgenannten Fehlverhaltens ist zu beachten, dass eine rechtskräftige Bestrafung wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, den Tatbestand nach § 53 Abs. 2 Z 5 FPG für die Erlassung eines Einreiseverbotes erfüllt. Allgemeine Voraussetzung eines solchen ist, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

§ 53 Abs. 3 FPG sieht Einreiseverbote für die Dauer von höchstens zehn Jahren bzw. unbefristet vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. In § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 leg. cit. sind bestimmte Tatsachen genannt, die insbesondere eine solche schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen können. Bei diesen Tatbeständen sind Verstöße gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, nicht genannt.

Nun enthält der im vorliegenden Fall anzuwendende § 67 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs. 3 leg. cit. ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; siehe zu einer vergleichbaren Abstufung das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, 2008/21/0603, in dem die "schwere Gefahr" iSd § 56 FPG idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38, der auch nach der damaligen Rechtslage in § 86 Abs. 1 leg. cit. so bezeichneten "tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt" gegenüber gestellt wurde). Stellen Verstöße der genannten Art gegen das TLPG nicht einmal einen Tatbestand für das Vorliegen der Gefährdung nach § 53 Abs. 3 FPG dar, so gilt dies nach dem dargelegten Stufenbau der Gefährdungsmaßstäbe umso mehr für die hier vorzunehmende Beurteilung nach § 67 Abs. 1 leg. cit. Demnach ist zumindest im Regelfall die Ansicht der Behörde nicht zu beanstanden, dass Verstöße gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, somit auch Verstöße gegen das TLPG, nicht eine Gefährdung nach § 67 Abs. 1 FPG begründen.

In diesem Zusammenhang sei jedoch bemerkt, dass sich der Gerichtshof der an den Kompetenztatbeständen des B-VG bzw. an der Umschreibung des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinden angelehnten Ansicht der Behörde über das eingeschränkte Verständnis der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht anschließen kann. Eine derartige Beschränkung ist den Tatbeständen des FPG, die aufenthaltsbeendende Maßnahmen regeln, nicht zu entnehmen. Im Gegenteil ist - wie schon dargelegt - ein Verstoß gegen die Vorschriften, die die Prostitution regeln, als möglicher Grund für die Erlassung eines Einreiseverbotes wegen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit normiert.

Maßgeblich ist im vorliegenden Fall jedoch, dass die Mitbeteiligte auch mehrfach gegen das Geschlechtskrankheitengesetz verstoßen hat. Auch wenn - wie dies die Behörde hervorhebt - die dadurch zu vermeidenden Krankheiten schulmedizinisch gut behandelbar und heilbar sind, sieht der Gerichtshof keine Veranlassung, von seiner Rechtsprechung (vgl. etwa das jüngst ergangene Erkenntnis vom 22. Jänner 2014, 2012/22/0246; siehe auch das Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/18/0632) abzugehen, wonach die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens erheblich gefährdet und ein Grundinteresse der Gesellschaft an der Bekämpfung ansteckender Krankheiten verletzt wird, wenn aus dem Verhalten der Fremden abzuleiten ist, dass sie weiterhin die Prostitution ausüben werde, ohne ihrer Verpflichtung zu regelmäßigen amtsärztlichen Untersuchungen fristgerecht nachzukommen. Diesbezüglich hat die Behörde fallbezogen lediglich ausgeführt, dass von einer gänzlichen Negierung der Untersuchungspflicht nach dem Geschlechtskrankheitengesetz nicht gesprochen werden könne. Dies reicht aber nicht, um die von der erstinstanzlichen Behörde herangezogene Gefährdungsprognose verneinen zu können. Daran vermag auch der Verweis der Behörde auf den "niedrigen Strafrahmen im Geschlechtskrankheitengesetz" nichts zu ändern, weil die Voraussetzungen für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen sind.

Demnach war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Wien, am 7. Mai 2014

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