VwGH 2011/06/0214

VwGH2011/06/021412.8.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, in der Beschwerdesache 1. der A-Privatstiftung und

2. der B Privatstiftung, beide in C, beide vertreten durch Dr. Lorenz E. Riegler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 124/15, gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 15. November 2011, Zl. 5-V-A8809/39-2011, betreffend Enteignung nach dem Burgenländischen Straßengesetz 2005 (mitbeteiligte Partei: Land Burgenland, Landesstraßenverwaltung, in Eisenstadt, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner, Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5), den Beschluss gefasst:

Normen

12010E267 AEUV Art267;
32011L0092 UVP-RL Art11;
AVG §38;
UVPG 2000 §3 Abs7;
VwGG §62 Abs1;
12010E267 AEUV Art267;
32011L0092 UVP-RL Art11;
AVG §38;
UVPG 2000 §3 Abs7;
VwGG §62 Abs1;

 

Spruch:

Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in jener Rechtssache, in der er mit hg. Beschluss vom 16. Oktober 2013, Zl. 2012/04/0040, angerufen wurde, ausgesetzt.

Begründung

Mit Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 15. Dezember 2010 wurde gemäß § 3 Abs. 7 des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000) festgestellt, dass die vom Land Burgenland, Landesstraßenverwaltung, geplante Errichtung der "Umfahrung Schützen am Gebirge" im Zuge der B 50 Burgenland Straße von km 38,996 bis km 44,133 nicht dem UVP-G 2000 und nicht der Verpflichtung zur Durchführung einer UVP unterliegt. Dieser Bescheid erging nicht an die Beschwerdeführer, die in jenem Verfahren auch keine Parteistellung hatten.

Mit Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 10. März 2011, LGBl. Nr. 25/2011, wurde der Straßenverlauf der B 50 Burgenland Straße (Umfahrung Schützen am Gebirge - im Wesentlichen umfassend den oben genannten Streckenabschnitt) bestimmt (Trassenverordnung).

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 15. November 2011 wurden näher genannte Grundstücke der Beschwerdeführer für den Neubau der B 50 Burgenland Straße, Baulos "Umfahrung Schützen am Gebirge", enteignet.

In der Bescheidbegründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Trassenverordnung bindend sei. Bindung bestehe auch an den Feststellungsbescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 15. Dezember 2010. Abgesehen von der Bindungswirkung sei die Planung einer niveaugleichen Kreuzung mit "Weg 4" nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt, nur um die für Schnellstraßen erforderliche UVP zu umgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschwerdeverfahren zur Zl. 2012/04/0040 mit Beschluss vom 16. Oktober 2013 dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Steht das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1-12 (Richtlinie 2011/92 ), insbesondere deren Art. 11 einer nationalen Rechtslage entgegen, nach der ein Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet, und diesen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren entgegengehalten werden kann, auch wenn diese die Möglichkeit haben ihre Einwendungen gegen das Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben (das heißt im Ausgangsverfahren dahingehend, dass durch die Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werden oder sie durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt werden)?

Bei Bejahung der Frage 1:

2. Verlangt es das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92 im Wege ihrer unmittelbaren Anwendung, die in der Frage 1 dargestellte Bindungswirkung zu verneinen?"

In diesem Beschluss setzte sich der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung der Frage, ob die Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden in nachfolgenden Materienverfahren mit dem Unionsrecht und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 85/337/EWG vereinbar sei, mit der aktuellen Judikatur des EuGH (insbesondere mit dem Urteil "Mellor") und der diesbezüglichen österreichischen Literatur auseinander und hielt im Anschluss fest, dass gerade die Frage, ob das im zugrunde liegenden Verfahren gegenständliche Vorhaben einer UVP zu unterziehen ist, auf Grund der Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden von der Materienbehörde nicht zu prüfen ist.

Daraus ergibt sich, dass die von der hg. Rechtsprechung bisher angenommene Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden in nachfolgenden Verfahren aus unionsrechtlicher Sicht im Hinblick auf die fehlende Parteistellung der Parteien der nachfolgenden Verfahren im UVP-Feststellungsverfahren nicht unbedenklich erscheint.

Die belangte Behörde ist hinsichtlich des Trassenverlaufes zutreffend davon ausgegangen, dass sie an die Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 10. März 2011, LGBl. Nr. 25/2011, gebunden ist. Diese Verordnung würde aber dem Unionsrecht widersprechen, wenn ihr eine Mitsprachemöglichkeit der Beschwerdeführer hätte vorangehen müssen bei der Frage, ob hinsichtlich der gegenständlichen Straße eine UVP-Pflicht besteht. Zwar hätten die Enteigneten nicht als Nachbarn die Möglichkeit, Einwendungen hinsichtlich der Umweltverträglichkeit in materienrechtlichen Sonderverfahren vorzubringen. Sie sind eben Enteignete und nicht (bloß) Nachbarn. Dies bedeutet im gegebenen Zusammenhang aber nur, dass dann, wenn ein Mitspracherecht der Parteien des Folgeverfahrens bezüglich der UVP-Pflicht unionsrechtlich gegeben sein sollte, ein solches auch nicht dann wegfallen kann, wenn es an sich genügen sollte, dass die Betroffenen im Folgeverfahren umweltrelevante Einwendungen erheben können.

Andererseits würde bei einer Verneinung der Bindungswirkung der Ausschluss des Mitspracherechtes der Beschwerdeführer durch § 3 Abs. 7 UVP-Gesetz 2000 auch unionsrechtlich als unbedenklich erscheinen (sofern die Unbedenklichkeit nicht daran gebunden ist, dass sie umweltrechtlich relevante Einwendungen im späteren Verfahren vorbringen können).

Es liegen daher die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 zweiter Satz AVG in Verbindung mit § 62 Abs. 1 VwGG vor (vgl. auch den hg. Beschluss vom 30. Jänner 2014, Zl. 2010/05/0173).

Bemerkt wird, dass die Beschwerdeführer die Aussetzung des Verfahrens angeregt haben. Die Burgenländische Landesregierung ist dem insofern entgegengetreten, als die Erstbeschwerdeführerin eine Stellungnahme im Trassenfestlegungsverfahren abgegeben habe. Sie habe darin eine strategische Umweltprüfung gefordert, die in der Folge auch durchgeführt worden sei. Weiters seien die Beschwerdeführer an den materienrechtlichen Genehmigungsverfahren beteiligt gewesen und hätten Parteistellung gehabt. Der wasserrechtliche und forstrechtliche Bewilligungsbescheid sowie die naturschutzbehördliche Bewilligung seien den Beschwerdeführern zugegangen. Sie seien rechtskräftig, und es seien dagegen keine Beschwerden erhoben worden. Das oben genannte Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes sei in einem nicht vergleichbaren Fall ergangen, weil die Beschwerdeführer betreffend die Umfahrung Schützen als Grundeigentümer in alle anderen Verfahren ohnehin eingebunden gewesen seien. Im Übrigen habe die Europäische Kommission ein Verfahren betreffend die Umfahrung Schützen am Gebirge eingestellt. Der Verfassungsgerichtshof habe in einem Beschluss vom 27. November 2013 die Behandlung einer Beschwerde des Umweltdachverbandes wegen Nichtdurchführung einer UVP abgelehnt, unter anderem deshalb, weil die Verletzung in einem verfassungsgesetzlich oder unionsrechtlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als unwahrscheinlich erachtet worden sei. Selbst wenn festgestellt werden sollte, dass das UVP-G 2000 den unionsrechtlichen Normen widerspricht (wovon nicht auszugehen sei, zumal im Unionsrecht ein Feststellungsverfahren für Umweltverträglichkeitsprüfungen überhaupt nicht geregelt sei), könnte daraus nicht resultieren, dass damit alle davor ergangenen UVP-Feststellungsbescheide nichtig seien. Die Behörden hätten im Jahr 2010 auf eine später vom EuGH für maßgeblich erachtete Rechtslage nicht eingehen können.

Diese Argumente vermögen an der Entscheidung für die Aussetzung des Verfahrens nichts zu ändern. Weder die Auffassung der Europäischen Kommission noch jene des Verfassungsgerichtshofes in einem Ablehnungsbeschluss können angesichts der alleinigen Maßgeblichkeit der Rechtsmeinung des Europäischen Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren im hier gegebenen Zusammenhang von Bedeutung sein. Eine - offenbar formlos und ohne Rechtsanspruch erfolgte - Einbindung einer Beschwerdeführerin in das Trassenfestlegungsverfahren bedeutet nicht, dass damit die Frage der Verpflichtung zu einer UVP von den Beschwerdeführern auf Grund eines eigenen Rechtsanspruches hätte aufgerollt werden können. Ebenso ist es nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob die Beschwerdeführer als nunmehr Enteignete in diverse materienrechtliche Verfahren eingebunden gewesen sind. Im Übrigen ist das hier gegenständliche Verfahren nach wie vor beim Verwaltungsgerichtshof anhängig, der Unionsrecht zu beachten hat. Dass auf Grund des Unionsrechtes eine andere Rechtsauffassung bestehen könnte, als jene, mit der die Behörden im Jahr 2010 hätten rechnen können, vermag nichts daran zu ändern, dass das Unionsrecht vom Verwaltungsgerichtshof jedenfalls zu beachten ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am 12. August 2014

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