VwGH 2013/12/0059

VwGH2013/12/005927.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Thoma und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde des DD in F, vertreten durch Dr. Thomas König, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 15/9, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 15. März 2013, Zl. 124.012/9- I/1/e/13, betreffend Feststellung in Angelegenheit einer Vergütung für nicht konsumierten Urlaub, zu Recht erkannt:

Normen

32003L0088 Arbeitszeit-RL Art7;
62010CJ0337 Neidel VORAB;
62011CJ0078 ANGED VORAB;
62012CO0194 Maestre Garcia VORAB;
BDG 1979 §64;
BDG 1979 §65;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der genannte Bescheid wird im angefochtenen ersten Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund stehende Beschwerdeführer wurde auf einem Arbeitsplatz der Verwendungsgruppe E 2b im Bereich des Stadtpolizeikommandos S. verwendet. Er war krankheitsbedingt ab Dezember 2010 an der Dienstausübung verhindert und wurde mit Ablauf des 30. April 2012 in den Ruhestand versetzt. Daher war es ihm auch nicht möglich, seinen Urlaubsanspruch aus den Jahren 2010, 2011 und 2012 zu verbrauchen.

Am 27. Juni 2012 beantragte er mit Bezug darauf die "Zuerkennung und Bemessung (betragsmäßige Festlegung) einer finanziellen Abgeltung " für den wegen der Dienstunfähigkeit nicht angetretenen Resturlaub.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag "mangels gesetzlicher Bestimmungen" als unbegründet ab (erster Spruchpunkt). Die überdies erfolgte Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung des Urlaubsausmaßes (im zweiten Spruchpunkt) ist unbekämpft geblieben.

Begründend räumte die belangte Behörde - die genannte Antragsabweisung betreffend - ein, dass laut Feststellung der Dienstbehörde im Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand ein Resturlaub des Beschwerdeführers von 792 Stunden bestanden habe. Allerdings bestünden weder im BDG 1979 noch im GehG Regelungen, welche eine finanzielle Abgeltung von nicht konsumiertem Erholungsurlaub erlaubten. Der - einen entsprechenden Anspruch vorsehende - Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG , der durch das Urteil des EuGH vom 3. Mai 2012, C-337/10 , ausgelegt worden sei, bedürfte der - bislang nicht erfolgten - Umsetzung durch den österreichischen Gesetzgeber, um innerstaatlich Geltung zu erlangen. Darüber hinaus betreffe der genannte, vom EuGH entschiedene Fall "die deutsche Rechtslage", bei der das Dienstverhältnis mit der Pensionierung ende, während in Österreich das Dienstverhältnis auch nach der Versetzung in den Ruhestand weiter bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides mit dem Antrag geltend, ihn aus diesem Grund aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 7 der nach ihrem Art. 1 Abs. 3 auch auf öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse anzuwendenden Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (kurz: RL) lautet:

"Jahresurlaub

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden."

Nach Art. 17 der RL können die Mitgliedstaaten von bestimmten Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen. Im Hinblick auf ihren Art. 7 ist allerdings keine Abweichung erlaubt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit Urteil vom 3. Mai 2012, C-337/10 , in der Rechtssache Georg Neidel gegen Stadt Frankfurt am Main zu dieser Bestimmung (entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht also nicht zu nationalen bundesdeutschen Vorschriften) Folgendes ausgeführt:

"1. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er für einen Beamten gilt, der unter gewöhnlichen Umständen als Feuerwehrmann tätig ist.

2. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass ein Beamter bei Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub hat, den er nicht genommen hat, weil er aus Krankheitsgründen keinen Dienst geleistet hat.

3. Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er Bestimmungen des nationalen Rechts nicht entgegensteht, die dem Beamten zusätzlich zu dem Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren, ohne dass die Zahlung einer finanziellen Vergütung für den Fall vorgesehen wäre, dass dem in den Ruhestand tretenden Beamten diese zusätzlichen Ansprüche nicht haben zugutekommen können, weil er aus Krankheitsgründen keinen Dienst leisten konnte.

4. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegensteht, die durch einen Übertragungszeitraum von neun Monaten, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt, den Anspruch eines in den Ruhestand tretenden Beamten auf Ansammlung der finanziellen Vergütungen für wegen Dienstunfähigkeit nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub beschränkt."

Damit ist klargestellt, dass auch ein Beamter Anspruch auf finanzielle Vergütung für einen aus Krankheitsgründen nicht in Anspruch genommenen Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat (vgl. in diesem Sinn weiters das Urteil des EuGH vom 21. Juni 2012, C-78/11 (ANGED), sowie den Beschluss des EuGH vom 21. Februar 2013, C-194/12 (Concepcion Maestre Garcia)). Lediglich darüber hinausgehende Ansprüche (im Umfang eines mehr als vierwöchigen Urlaubes) unterliegen der (in Österreich im Sinn ihres Ausschlusses wahrgenommenen) Disposition des nationalen Gesetzgebers.

Anhaltspunkte für eine - von der belangten Behörde angestrebte - Differenzierung danach, ob das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis mit der Ruhestandsversetzung formell endet oder weiterbesteht, sind der nach ihrem Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 weit zu verstehenden Richtlinie 2003/88/EG (so der EuGH im zitierten Urteil vom 3. Mai 2012, Rn 20 und 21) nicht zu entnehmen. Im Übrigen sah auch der diesem Urteil zu Grunde liegende § 50 Abs. 1 des Hessischen Beamtengesetzes (jedenfalls grundsätzlich) den Typus eines "Beamten auf Lebenszeit" vor.

Aufgrund der zitierten Judikatur des EuGH erübrigt sich das vom Beschwerdeführer angeregte (weitere) Vorabentscheidungsersuchen.

Der Bundesgesetzgeber hat die Erfordernisse der RL unzulänglich umgesetzt. Insbesondere sehen die §§ 64 ff des BDG 1979 keinen einer Urlaubsentschädigung im Sinne privatrechtlicher Dienstverhältnisse vergleichbaren Anspruch von Beamten vor (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 28. Mai 1997, Zlen. 97/12/0106 und 0114, sowie vom 26. Februar 1990, Zl. 90/12/0103).

Der in Art. 7 der RL normierte Anspruch des Beamten auf einen Mindestjahresurlaub von vier Wochen ist - zumal nach der Klarstellung durch das Urteil des EuGH vom 3. Mai 2012, C-337/10 , -

inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt; er ist daher nach der Judikatur des EuGH unmittelbar wirksam. Belastendes nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Die Verdrängung erreicht dabei bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen. Die belangte Behörde, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit amtswegig die gesamte Rechtsordnung zu prüfen hat, was auch die Frage ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, im Besonderen mit Art. 7 der RL, umfasste, wäre gehalten gewesen, für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts Sorge zu tragen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 4. September 2012, Zl. 2012/12/0007, mwN).

Hieraus folgt, dass die Gebührlichkeit einer Vergütung für (in den Jahren 2010 bis 2012) krankheitsbedingt nicht konsumierten Urlaubes im Umfang des dargestellten Anspruchs auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen nicht schon dem Grunde nach verneint werden durfte.

Der diese Frage anders beurteilende Bescheid der belangten Behörde vom 15. März 2013 war deshalb im angefochtenen ersten Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 27. Juni 2013

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte