VwGH 2011/07/0160

VwGH2011/07/016024.10.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. N. Bachler und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der H M & Co in K, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH, 1010 Wien, Schottenring 12, gegen den Bescheid des Umweltsenates vom 4. Mai 2011, Zl. US 7A/2011/2-9, betreffend Feststellung der Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (weitere Partei: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), zu Recht erkannt:

Normen

UVPG 1993 Anh1 Z18;
UVPG 2000 §2 idF 2009/I/087;
UVPG 2000 §3 idF 2009/I/087;
UVPG 2000 Anh1 Z30 idF 2009/I/087;
UVPG 2000 Anh1 Z30 idF 2012/I/077;
UVPG 2000 Anh1 Z30;
UVPG 2000 idF 2009/I/087;
VwRallg;
UVPG 1993 Anh1 Z18;
UVPG 2000 §2 idF 2009/I/087;
UVPG 2000 §3 idF 2009/I/087;
UVPG 2000 Anh1 Z30 idF 2009/I/087;
UVPG 2000 Anh1 Z30 idF 2012/I/077;
UVPG 2000 Anh1 Z30;
UVPG 2000 idF 2009/I/087;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Die beschwerdeführende Partei beabsichtigt die Errichtung und den Betrieb eines Ausleitungskraftwerkes an der G (KW A). Flussabwärts besteht das Kraftwerk (KW) R.

Mit Schreiben vom 21. April 2010 stellte die Umweltanwältin des Landes Steiermark gemäß § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 - UVP-G 2000 den Antrag, festzustellen, dass für das Vorhaben der beschwerdeführenden Partei, ein Ausleitungskraftwerk mit einer Engpassleistung von ca. 4 MW zu errichten, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei, weil die freie Fließstrecke zum Unterliegerkraftwerk R lediglich 1.857 m betrage und daher eine Kraftwerkskette im Sinn der Z 30 des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 vorliege. Zur Erzielung der geplanten Engpassleistung sei die Vornahme einer Unterwassereintiefung im Ausmaß von 2,15 m Tiefe über eine Länge von 176 m vorgesehen. Diese Unterwassereintiefung sei technischer Bestandteil des Ausleitungskraftwerks. Die Herstellung der zusätzlichen Unterwassereintiefung bewirke in diesem Bereich eine Veränderung der natürlichen Fließstrecke und habe ökologische Auswirkungen auf das Gewässer. Für die zur Ermittlung der freien Fließstrecke maßgebliche Lage des geplanten Projektes KW M zum Unterliegerkraftwerk R bedeute dies, dass das Ende der Unterwassereintiefung der maßgebliche Punkt für die Messung des Abstandes zur Stauwurzel des Unterliegers sei. Es liege eine Kraftwerkskette vor, weil der Abstand zwischen dem Ende der Kraftwerksanlage der beschwerdeführenden Partei (maßgeblicher Messpunkt sei das Ende der Unterwassereintiefung) und der Stauwurzel des bestehenden Unterliegerkraftwerkes R weniger als 2 km betrage.

Die beschwerdeführende Partei sprach sich mit Schreiben vom 25. August 2010 gegen diesen Feststellungsantrag aus und brachte vor, dass die geplante Wasserkraftanlage eine Engpassleistung von

4.173 kW aufweise und diese Leistung allein keine UVP-Pflicht begründe. Die Unterwassereintiefungsstrecke stelle einen nicht gestauten Abschnitt der G mit voller natürlicher Wasserführung dar, weshalb diese Strecke bei der Bestimmung des Abstandes zur nächstgelegenen Stauhaltung des Kraftwerkes R als freie Fließstrecke zu berücksichtigen sei. Die freie Fließstrecke vom Ausleitungsbauwerk zum Unterliegerkraftwerk R weise eine Gesamtlänge von 2.018 m (1857 m plus 161 m) auf und übersteige daher den (in Fußnote 7 zum UVP-G 2000 bezüglich einer Kraftwerkskette genannten) Abschnitt (einer freien Fließstrecke) von zumindest 2 km Länge.

Die Steiermärkische Landesregierung holte die Stellungnahmen des Amtssachverständigen für Gewässerökologie Dr. H. vom 10. September 2010 und 24. September 2010 ein, worin dieser ausführte, dass die freie Fließstrecke (zwischen dem geplanten Kraftwerk und dem genannten Unterliegerkraftwerk) ohne Unterwassereintiefung 1.897 m und mit Unterwassereintiefung 2.073 m betrage. Die Unterwassereintiefung zähle nicht zur freien Fließstrecke, und demnach wäre das Projekt UVP-pflichtig. Die genannten Zahlen, die er aus den Projektsunterlagen abgeleitet habe, wiesen eine Unsicherheit von +/- 50 m auf, was bedeute, dass noch genauer nachgemessen werden müsste. Zur Ermittlung, ob das KW A UVP-pflichtig sei, sei es notwendig, die exakte Länge der freien Fließstrecke zwischen Stauwurzel des Unterliegerkraftwerkes und Ende der Unterwassereintiefung des KW A zu kennen. Als stauhaltungsbeeinflusster Bereich sei jener Bereich zu verstehen, in welchem die Fließ- und Strömungseigenschaften eines bestehenden Flusssystems verändert würden. Dies bedeute, dass zumindest der gesamte Bereich der Stauhaltung (von der Wehranlage bis zur Stauwurzel) und der Bereich der gesamten Unterwassereintiefung einzubeziehen seien, letzterer deshalb, weil auch hier andere Gefällsverhältnisse und daher andere Strömungsverhältnisse als in unbeeinflussten Abschnitten vorherrschten.

Mit Bescheid vom 23. November 2010 traf die Landesregierung gemäß § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1 und 7 UVP-G 2000 idF BGBl. I Nr. 87/2009 iVm Anhang I Z 30 Spalte 1 dieses Gesetzes die Feststellung, dass für das Vorhaben "Errichtung und Betrieb eines Ausleitungskraftwerkes an der G - Projekt KW A der (beschwerdeführenden Partei) - mit einer Ausbauleistung von 4,173 MW" eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei. Dies begründete die Landesregierung im Wesentlichen damit, dass die Engpassleistung des KW A von 4,173 MW nicht den Schwellenwert von 15 MW im Sinn des Anhanges I Z 30 des UVP-G 2000 erreiche, sodass zu prüfen sei, ob es sich dabei um ein Kraftwerk in einer Kraftwerkskette im Sinn der Fußnote 7 zu diesem Gesetzesanhang handle. Der Begriff "Stauhaltung" - primär ein Charakteristikum von Lauf- und Speicherkraftwerken - sei hier im Sinne einer ökologisch sinnvollen Interpretation auszulegen, nämlich als jener Bereich, in welchem die Fließ- und Strömungseigenschaften eines bestehenden Flusssystems verändert würden. Durch die Z 30 (des genannten Anhanges zum UVP-G 2000) seien daher nicht nur klassische Stauhaltungen, sondern auch Ausleitungen in einer Kraftwerkskette, die im Übrigen oft vergleichbare ökologische Auswirkungen aufwiesen, erfasst. Als freie Fließstrecke sei jener Abschnitt eines Fließgewässers zu verstehen, der sich von einer Stauhaltung (Wehranlage) stromabwärts bis zur Stauwurzel eines Unterliegerkraftwerkes erstrecke. Dem Argument der beschwerdeführenden Partei, die freie Fließstrecke sei nach technischen Kriterien unter Berücksichtigung der Definition der Stauhaltung nach DIN 4048 zu ermitteln und diesbezüglich sei der Sachverhalt mangelhaft ermittelt worden, könne nicht gefolgt werden. Denn der Begriff "Stauhaltung" sei nicht technisch, sondern, wie ausgeführt, im Sinne einer ökologisch sinnvollen Interpretation auszulegen. Ferner habe die beschwerdeführende Partei in ihrer Stellungnahme vom 25. August 2010 selbst dargelegt, dass die (freie) Fließstrecke vom Ausleitungsbauwerk (KW A) zum Unterliegerkraftwerk R eine Gesamtlänge von 2.018 m (1.857 m plus 161 m Unterwassereintiefungsstrecke) aufweise, was sich mit den gutachterlichen Ausführungen des Amtssachverständigen für Gewässerökologie decke. Die Landesregierung könne daher im Rahmen der Plausibilitätsprüfung von diesen Streckenlängen ausgehen.

Was die Frage anlange, ob eine Unterwassereintiefung einen Teil einer freien Fließstrecke darstelle, so habe der Amtssachverständige für Gewässerökologie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. September 2010 ausgeführt, dass der Bereich der gesamten Unterwassereintiefung ein Bereich sei, in welchem die Fließ- und Strömungseigenschaften eines bestehenden Flusssystems verändert würden, weil im Bereich dieser Eintiefung andere Gefällsverhältnisse und daher auch andere Strömungsverhältnisse vorherrschten als in unbeeinflussten Abschnitten. Dem habe die beschwerdeführende Partei in ihrer Stellungnahme vom 28. Oktober 2010 entgegnet, dass die von ihr geplante Unterwassereintiefung gleichartige Gefällsverhältnisse aufweise, wie diese im betrachteten Abschnitt der G von Natur aus vorkämen. Diese Argumentation sei jedoch - so die Landesregierung - nicht stichhaltig, weil in die natürlichen Verhältnisse eingegriffen würde. Erst die konkrete Planung bewirke und stelle sicher, dass gleichartige Abflussverhältnisse wie in natürlichen Bachabschnitten gegeben sein würden, und die Herstellung gleichartiger (oder auch gleichwertiger) Abflussverhältnisse setze zwangsläufig einen Eingriff in das natürlich bestehende Flusssystem voraus. Ein solcher Eingriff könne daher nicht als freie Fließstrecke behandelt werden. Demzufolge sei die geplante Unterwassereintiefungsstrecke des KW A von 161 m von der Gesamtlänge der Fließstrecke von 2.018 m zwischen dem Ausleitungsbauwerk KW Aigen und dem Unterliegerkraftwerk R in Abzug zu bringen. Es liege daher eine Kraftwerkskette im Sinne der Definition in der Fußnote 7 zum Anhang 1 Z 30 Spalte 1 des UVP-G 2000 vor.

Die beschwerdeführende Partei erhob dagegen Berufung.

Die belangte Behörde führte am 4. Mai 2011 eine Verhandlung durch.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. Mai 2011 wurde die Berufung der beschwerdeführenden Partei gemäß § 66 Abs. 4 AVG sowie § 2 Abs. 2 und 5, § 3 Abs. 1 und 7 und § 40 UVP-G 2000 iVm Anhang 1 Z 30 Spalte 1 dieses Gesetzes als unbegründet abgewiesen.

Dazu führte die belangte Behörde aus, dass die Entfernung zwischen dem Ende der 161 m langen Unterwassereintiefung des Kraftwerkes A und der Stauwurzel des Kraftwerkes R 1.857 m betrage und sie auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides verweise sowie dem Berufungsvorbringen Folgendes entgegne:

Mit der Definition der "Stauhaltung" nach DIN 4048, die darunter den Abschnitt in einem Fließgewässer hinter einem Absperrbauwerk, in dem das Wasser aufgestaut werde, bis zur Stauwurzel (= der staubeeinflusste Bereich einer Staustufe) verstehe, sei nichts gewonnen. Diese Definition schließe nicht aus, dass eine Unterwassereintiefung nicht der freien Fließstrecke zuzurechnen sei. Der Begriff "Absperrbauwerk" sei ein von Menschen geschaffenes Bauwerk als Teil einer Stauanlage, das zumeist im Lauf von Fließgewässern errichtet werde. Da auch die Unterwassereintiefung von Menschen geschaffen werde und sowohl eine Zu- als auch eine Ableitung als Bauwerk, so als Kanalbauwerk, zu bezeichnen seien, sei die Unterwassereintiefung von der technischen Definition der Stauhaltung nicht ausgeschlossen. Ob nun nur eine Restwassermenge oder die von Natur aus vorhandene Wassermenge in dem von der Unterwassereintiefung erfassten Gewässerabschnitt fließe, sei nicht maßgeblich, weil die Definition als Bauwerk nicht einzig auf den Zweck abstelle, sondern vielmehr auf das Vorliegen einer von Menschen errichteten Konstruktion. Dass die beschwerdeführende Partei einen Eingriff in der 161 m langen Strecke der Unterwassereintiefung vornehme, gebe sie selbst bekannt. Auch nach technischen Kriterien lasse sich daher diese Strecke nicht der freien Fließstrecke zurechnen.

Der Argumentation der beschwerdeführenden Partei, auf Basis der anzuwendenden Gesetzesmaterie ließen sich die mit einer Stauhaltung vergleichbaren ökologischen Auswirkungen nicht ableiten, könne nicht gefolgt werden. Aus den Ausführungen der beschwerdeführenden Partei ergebe sich nicht, dass die Strecke der Unterwassereintiefung überhaupt keine Änderung erfahre. Vielmehr sei es bereits auf Grund der Errichtung der Unterwassereintiefung zwingend erforderlich, dass diese Strecke sowohl bei der Errichtung als auch beim Betrieb des Vorhabens in ihrem Zustand verändert werde. Im Bereich der Unterwassereintiefung stelle sich der Zustand nach Verwirklichung des Kraftwerkes A nicht so dar, als würde man sich das Vorhaben wegdenken. Damit änderten sich jedoch die Abflussverhältnisse und scheide eine Zurechnung zur freien Fließstrecke aus. In welchem Umfang die Abflussverhältnisse geändert würden und ob durch das Vorhaben einschlägige Richtlinien eingehalten würden, könne somit dahingestellt bleiben.

Dem Vorbringen, es ergebe sich bereits aus dem Gutachten des Amtssachverständigen für Gewässerökologie und dem erstinstanzlichen Bescheid, dass auch die Unterwassereintiefung als freie Fließstrecke bezeichnet werde, sei nicht zu folgen, weil die Beurteilung, ob eine freie Fließstrecke vorliege, eine Rechtsfrage darstelle und sich in diesem Sinne aus dem erstinstanzlichen Bescheid gerade nicht ergebe, dass die freie Fließstrecke die Unterwassereintiefung umfasse. Die Landesregierung habe daher zutreffend die Unterwassereintiefung von 161 m nicht der freien Fließstrecke zugerechnet, und es sei davon auszugehen, dass auch Ausleitungen in einer Kraftwerkskette als Stauhaltung erfasst seien. Nur jene Bereiche, in denen die Fließ- und Strömungseigenschaften eines bestehenden Flusssystems keiner Veränderung unterlägen, seien der freien Fließstrecke zuzurechnen. Demzufolge sei für das Vorhaben "Kraftwerk A" mit einer Engpassleistung von mehr als 2 MW der Tatbestand der Z 30 Spalte 1 des Anhanges 1 des UVP-G 2000 verwirklicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die §§ 2 und 3 UVP-G 2000, BGBl. Nr. 697/1993, idF BGBl. I Nr. 87/2009 und Z 30 Spalte 1 des Anhanges 1 einschließlich der Fußnote 7 zu diesem Gesetz lauten auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (…)

(2) Vorhaben ist die Errichtung einer Anlage oder ein sonstiger Eingriff in Natur und Landschaft unter Einschluss sämtlicher damit in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehender Maßnahmen. Ein Vorhaben kann eine oder mehrere Anlagen oder Eingriffe umfassen, wenn diese in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehen.

(…)

(5) Kapazität ist die genehmigte oder beantragte Größe oder Leistung eines Vorhabens, die bei Angabe eines Schwellenwertes im Anhang 1 in der dort angegebenen Einheit gemessen wird. Anlage ist in diesem Zusammenhang eine örtlich gebundene Einrichtung oder eine in engem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehende Gesamtheit solcher Einrichtungen, die einem im Anhang 1 angeführten Zweck dient."

"Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung § 3. (1) Vorhaben, die in Anhang 1 angeführt

sind, sowie Änderungen dieser Vorhaben sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Für Vorhaben, die in Spalte 2 und 3 des Anhanges 1 angeführt sind, ist das vereinfachte Verfahren durchzuführen. Im vereinfachten Verfahren sind § 3a Abs. 2, § 6 Abs. 1 Z 1 lit. d und f, § 7 Abs. 2, § 12, § 13 Abs. 2, § 16 Abs. 2, § 20 Abs. 5 und § 22 nicht anzuwenden, stattdessen sind die Bestimmungen des § 3a Abs. 3, § 7 Abs. 3, § 12a und § 19 Abs. 2 anzuwenden.

(…)

(7) Die Behörde hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde oder des Umweltanwaltes festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhanges 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. Der Projektwerber/die Projektwerberin hat der Behörde Unterlagen vorzulegen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Umweltauswirkungen ausreichen. Die Entscheidung ist in erster und zweiter Instanz jeweils innerhalb von sechs Wochen mit Bescheid zu treffen. Parteistellung haben der Projektwerber/die Projektwerberin, die mitwirkenden Behörden, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde. Vor der Entscheidung ist das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zu hören. Der wesentliche Inhalt der Entscheidungen einschließlich der wesentlichen Entscheidungsgründe sind von der Behörde in geeigneter Form kundzumachen oder zur öffentlichen Einsichtnahme aufzulegen. Die Standortgemeinde kann gegen die Entscheidung Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Der Umweltanwalt und die mitwirkenden Behörden sind von der Verpflichtung zum Ersatz von Barauslagen befreit.

(…)"

"Anhang 1

Der Anhang enthält die gemäß § 3 UVP-pflichtigen Vorhaben.

In Spalte 1 und 2 finden sich jene Vorhaben, die jedenfalls UVP-pflichtig sind und einem UVP-Verfahren (Spalte 1) oder einem vereinfachten Verfahren (Spalte 2) zu unterziehen sind. Bei in Anhang 1 angeführten Änderungstatbeständen ist ab dem angeführten Schwellenwert eine Einzelfallprüfung durchzuführen; sonst gilt § 3a Abs. 2 und 3, außer es wird ausdrücklich nur die "Neuerrichtung", der "Neubau" oder die "Neuerschließung" erfasst.

(…)

 

UVP

UVP

im vereinfachten Verfahren

 

Spalte 1

Spalte 2

Spalte 3

 

Wasserwirtschaft

  

ZZ 30

Wasserkraftanlagen (Talsperren, Flussstaue, Ausleitungen) mit einer Engpassleistung von mindestens 15 MW sowie Kraftwerke in Kraftwerksketten *7) ab 2 MW.

Ausgenommen sind technische Maßnahmen zur Erhöhung der Engpassleistung oder zur sonstigen Effizienzsteigerung an bestehenden Anlagen, die keine Auswirkungen auf die Restwasserstrecke, die Unterliegerstrecke oder das Stauziel haben, sowie alle Maßnahmen, die zur Herstellung der Durchgängigkeit vorgenommen werden.

  

(…)

*7) Unter einer Kraftwerkskette ist eine Aneinanderreihung von zwei oder mehreren Stauhaltungen zur Nutzung der Wasserkraft ohne dazwischenliegende freie Fließstrecke, berechnet auf Basis der Ausbauwassermenge, von zumindest 2 km Länge zu verstehen.

(…)"

Die Beschwerde bringt vor, es sei unklar, ob bei den Abstandsangaben betreffend die Stauwurzel auf das Unterliegerkraftwerk oder auf das Oberliegerkraftwerk abgestellt worden sei, weshalb der festgestellte Sacherhalt ergänzungsbedürftig sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Abgesehen davon, dass die Beschwerde an anderer Stelle selbst davon ausgeht, dass sich die Entfernungsangabe von 1.857 m auf die Strecke bis zur Stauwurzel des KW R bezieht, ist schon auf Grund des argumentativen Zusammenhanges der im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen mit dem Regelungsinhalt der Z 30 des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 ("Kraftwerkskette" und "dazwischenliegende freie Flussstrecke") nicht zweifelhaft, dass sich die genannte Entfernungsangabe auf die Stauwurzel des Unterliegerkraftwerks bezieht, zumal in der Begründung des angefochtenen Bescheides eingangs bereits die Stauwurzel des Kraftwerkes R angeführt ist. Das genannte Beschwerdevorbringen ist daher nicht zielführend.

Die Beschwerde bringt weiters vor, dass, wenn man für die Abgrenzung zur freien Fließstrecke die Stauhaltung im Sinn der DIN 4048 heranziehe, die Unterwassereintiefung von 161 m nicht Teil des konkreten Absperrbauwerkes und daher Teil der freien Fließstrecke sei. Zu demselben Ergebnis komme man bei einer ökologischen Betrachtung, weil die Veränderung der Abflussverhältnisse durch die Unterwassereintiefung mit den natürlichen Schwankungsbreiten vergleichbar sei. Folgte man der Rechtsansicht der belangten Behörde, so komme man im Fall eines Ausleitungskraftwerkes, bei welchem das entnommene Wasser in einen anderen als den ursprünglichen Fluss eingeleitet werde, zu dem Ergebnis, dass der gesamte Flussbereich unterhalb der Wasserentnahme - somit ab der Wehranlage und letztlich bis zur Einmündung in das Meer - als nicht freie Fließstrecke im Sinne der Z 30 des angeführten Gesetzesanhanges zu werten sei sowie jegliches Unterliegerkraftwerk mit über 2 MW daher ein Kraftwerk in einer Kraftwerkskette darstellte und zwingend UVP-pflichtig wäre. Diese Ansicht könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Demzufolge sei nicht nur die Unterwassereintiefung, sondern die gesamte Strecke ab der Wehranlage der freien Fließstrecke zuzurechnen. Darüber hinaus sei das herangezogene Gutachten des Amtssachverständigen für Gewässerökologie unschlüssig, weil darin einerseits davon die Rede sei, dass die freie Fließstrecke ohne Unterwassereintiefung 1.897 m und mit der Unterwassereintiefung 2.073 m betrage, und andererseits darin ausgeführt werde, dass die Unterwassereintiefung nicht zur freien Fließstrecke zähle und dass zumindest der gesamte Bereich der Stauhaltung (von der Wehranlage bis zur Stauwurzel) sowie der Bereich der gesamten Unterwassereintiefung einzubeziehen seien, weil die Fließ- und Strömungseigenschaften eines bestehenden Flusssystems verändert würden. Aus der Formulierung, dass die freie Fließstrecke ohne Unterwassereintiefung 1.897 m betrage, gehe hervor, dass der Amtssachverständige auch der Ansicht sei, dass die Unterwassereintiefung der freien Fließstrecke zuzurechnen sei. Selbst wenn die belangte Behörde diese Frage als reine Rechtsfrage beurteilt habe, so habe sie für die Lösung dieser Rechtsfrage ein unschlüssiges Amtssachverständigengutachten herangezogen.

Auch mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Strittig ist die Auslegung des Begriffes "freie Fließstrecke" und die Frage, ob die projektierte Unterwassereintiefung in die Bemessung der freien Fließstrecke zwischen dem geplanten KW A und dem Unterliegerkraftwerk R einzubeziehen ist. Dazu ist Folgendes auszuführen:

In der Stammfassung des am 1. Juli 1994 in Kraft getretenen UVP-G wurde in Z 18 des Anhanges 1 zu diesem Gesetz der Begriff "Kraftwerkskette" als "Aneinanderreihung von zwei oder mehreren Stauräumen zur Nutzung der Wasserkraft ohne dazwischenliegende freie Fließstrecke von zumindest 1 km Länge" normiert.

Mit Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 89/2000 wurden die Tatbestände des Anhanges 1 zu diesem Gesetz geändert bzw. erweitert und in Z 30 des Anhanges die insoweit auch im Zeitpunkt der Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides geltende Regelung getroffen, wonach (u.a.) Kraftwerke in Kraftwerksketten UVP-pflichtig sind, wobei unter "Kraftwerkskette" die Aneinanderreihung von zwei oder mehreren Stauhaltungen zur Nutzung der Wasserkraft ohne dazwischenliegende freie Fließstrecke, berechnet auf Basis der Ausbauwassermenge, von zumindest 2 km Länge zu verstehen ist.

Mit der Novelle BGBl. I Nr. 87/2009 wurde der Tatbestand der Z 30 des genannten Anhanges 1 durch den zweiten Satz (Ausnahme der dort näher beschriebenen technischen Maßnahmen und aller Maßnahmen, die zur Herstellung der Durchgängigkeit vorgenommen werden) geändert, wobei jedoch die Definition des Begriffes "Kraftwerkskette" insoweit unverändert blieb.

Schließlich wurde - nach Erhebung der vorliegenden Beschwerde - mit dem BGBl. I Nr. 77/2012 die Z 30 des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 novelliert und in Z 30 lit. c zweiter Satz eine "Kraftwerkskette" als "Aneinanderreihung von zwei oder mehreren Wasserkraftanlagen mit einer Engpassleistung von je mindestens 2 MW ohne ausreichenden Mindestabstand zwischen den Wehranlagen im Fischlebensraum" definiert. In der Fußnote 7 dieses Anhanges wurde für den "ausreichenden Mindestabstand" auf näher umschriebene Gewässereinzugsgebiete und näher umschriebene Gewässerlängen abgestellt.

Was unter einer "Stauhaltung" bzw. der "dazwischenliegenden freien Fließstrecke" im vorgenannten Sinn zu verstehen ist, wird im UVP-G 2000 nicht definiert. Nach der (am 16. Februar 2012 außer Kraft getretenen) Richtlinie 85/337/EWG in der im Zeitpunkt der Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides geltenden Fassung blieb es den Mitgliedstaaten überlassen, zu bestimmen, ob "Anlagen zur hydroelektrischen Energieerzeugung" oder "Talsperren und sonstige Anlagen zum Aufstauen eines Gewässers oder zum dauernden Speichern von Wasser (nicht durch Anhang I erfasste Projekte)" einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden mussten (vgl. Art. 4 Abs. 2 iVm Anhang II.3.h und 10.g). Die Begriffe "Kraftwerkskette" oder "freie Fließstrecke" fanden in dieser Richtlinie keine Erwähnung.

Weder die Materialien zum UVP-G in der Stammfassung (vgl. insbesondere AB 1179 BlgNR. 18. GP, 3; Z 18 des Anhanges 1 zum UVP-G wurde erst auf Grund der diesbezüglichen Beratungen des Umweltausschusses ergänzt) noch die Materialien zur Novelle BGBl. I Nr. 89/2000, mit der u.a. der Anhang 1 zum UVP-G 2000 durch die Z 30 geändert wurde, oder die Materialien zur Novelle BGBl. I Nr. 87/2009 geben näheren Aufschluss darüber, von welchem Begriffsverständnis der Gesetzgeber in Bezug auf den Tatbestandsbegriff "freie Fließstrecke" ausgegangen ist. Im Ausschussbericht zur letztgenannten Gesetzesnovelle (AB 271 BlgNR 24. GP, 15) heißt es in Bezug auf "Anhang 1 Z 30 - Wasserkraftanlagen", dass das bei Ausleitungskraftwerken im Gewässerbett verbleibende Restwasser aus gewässerökologischen Gründen einen wesentlichen Bestandteil der hydromorphologischen Bedingungen darstelle und Veränderungen dieses Abflusses schwerwiegende ökologische Auswirkungen haben könnten. Bei Ausleitungskraftwerken ergäben sich Auswirkungen auf die Restwasserstrecke, wenn die in den Werkskanal ausgeleitete Wassermenge und auch die im Gerinne verbleibende Wassermenge verändert würden. Künstliche Unterwassereintiefungen könnten ökologisch relevante Auswirkungen auf die Unterwasserstrecke haben und fielen deshalb nicht unter die Ausnahmen.

Mit dem BGBl. I Nr. 77/2012 wurde schließlich - wie die diesbezüglichen Materialien (vgl. ErlRV 1809 BlgNR 24. GP, 9) ausführen - Z 30 des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 u.a. auch deshalb geändert, weil "durch die Begrifflichkeiten ein erheblicher Auslegungsspielraum bestand und der Tatbestand großes Diskussionspotential zur klaren Abgrenzung der Kraftwerkskette birgt". Die freie Fließstrecke - so die genannten Materialien - sollte Mindestbereiche zonieren, welche für einen Flusslebensraum notwendig seien, um trotz Reduzierung der Fließgeschwindigkeit ein ausreichendes und positives Gegenstück zu erhalten (Ausstrahlungsprinzip).

Insbesondere aus den Gesetzesmaterialien zu den Novellen BGBl. I Nr. 87/2009 und BGBl. I Nr. 77/2012 leuchtet die gesetzgeberische Absicht hervor, mit dem UVP-G 2000 projektsbedingte Eingriffe, die (u.a.) die Fließ- und Strömungseigenschaften eines Gewässersystems verändern können, zu erfassen und Beeinträchtigungen der Gewässerökologie ab bestimmten, näher definierten Schwellenwerten einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen zu wollen. Die von den Behörden übernommenen gutachterlichen Ausführungen des Amtssachverständigen für Gewässerökologie Dr. H., denen zufolge im Bereich einer Unterwassereintiefung andere Gefälls- und Strömungsverhältnisse vorherrschen als in unbeeinflussten Abschnitten, erscheint nachvollziehbar und plausibel, wird doch durch eine solche Eintiefung das Gewässerbett verändert. Ob eine solche Veränderung durch eine projektierte Unterwassereintiefung in ökologischer Hinsicht umweltverträglich ist, kann erst als Ergebnis einer darauf bezogenen Umweltverträglichkeitsprüfung beantwortet werden. Im Rahmen der für die Frage, ob ein Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren durchzuführen ist, erforderlichen ex ante-Beurteilung erscheint es daher sachgerecht, bei der Beurteilung, ob eine Kraftwerkskette bzw. eine freie Fließstrecke zwischen zwei oder mehreren Stauhaltungen von Kraftwerken von zumindest 2 km Länge im Sinn der Z 30 des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 (idF BGBl. I Nr. 87/2009) vorliegt, auch den Bereich der Strecke der mit dem Kraftwerk projektierten Unterwassereintiefung einzubeziehen, entspricht dies doch dem dargestellten Sinn und Zweck des Gesetzes.

Damit kann dahingestellt bleiben, ob im konkreten Beschwerdefall nach Verwirklichung des Projektes im Bereich der Strecke der Unterwassereintiefung messbare Veränderungen des Gewässers in ökologischer Hinsicht festzustellen sein werden.

Die Auffassung der belangten Behörde, dass die freie Fließstrecke auch die Strecke der 161 m langen Unterwassereintiefung umfasst, sodass die Länge der gesamten freien Fließstrecke zwischen dem projektierten Kraftwerk A und dem Kraftwerk R weniger als 2 km beträgt, findet somit im Gesetz Deckung und ist nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Oktober 2013

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