VwGH 2010/16/0169

VwGH2010/16/016924.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des Finanzamtes Graz-Stadt, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 9. Juli 2010, GZ. RV/0390-G/10, betreffend Haftung nach § 11 BAO, (mitbeteiligte Partei: K in C, Deutschland, vertreten durch Wolf Grezesch, Rechtsanwalt in D - 28053 Bremen, Postfach 105343, Deutschland), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §11;
BAO §116;
BAO §289 Abs2;
FinStrG §21 Abs1;
FinStrG §33 Abs1;
StPO §260 Abs1 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 8. November 2007, X Hv Y, wurde der Mitbeteiligte der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG rechtskräftig schuldig erkannt. Er habe als faktischer Geschäftsführer der R-GmbH in G vorsätzlich unter Verletzung der abgabenrechtlichen Offenlegungs-, Anzeige- und Wahrheitspflicht eine Verkürzung von Umsatzsteuer, mithin eine Abgabenverkürzung bewirkt, und zwar für die Jahre 1999 bis 2001 von zumindest 350.000 EUR. In den Entscheidungsgründen dieses Urteiles wird ausgeführt, der Mitbeteiligte sei in den Jahren 1999 bis 2001 faktischer Geschäftsführer der R-GmbH gewesen und habe in diesen Jahren Verkaufsfahrten in Österreich veranstaltet. Die dabei verkauften Produkte seien "innerhalb des Unternehmens in Form einer innergemeinschaftlichen Lieferung verbracht" worden. Weiters habe eine M-GmbH Produkte steuerfrei innergemeinschaftlich an die R-GmbH geliefert. Die R-GmbH habe in Österreich mit ihren Produkten auch einen Versandhandel betrieben. Mit der Veranstaltung von Verkaufsfahrten und dem Versandhandel habe die R-GmbH in Österreich hohe Umsätze erzielt. Die R-GmbH habe in Österreich weder Sitz noch Betriebsstätte gehabt und sei unter einer näher angeführten Steuernummer beim zuständigen Finanzamt Graz-Stadt erfasst gewesen.

Auf der Grundlage von Feststellungen im Rahmen von Betriebsprüfungen durch Organe des Finanzamtes unter Beiziehung eines deutschen Finanzamtes sei mit Bescheid die Umsatzsteuer für den Zeitraum 1999 bis 2001 mit 618.569,73 EUR bestimmt worden. Der Mitbeteiligte habe weder Umsatzsteuererklärungen noch Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum 1999 bis 2001 eingebracht, obwohl ihm seine steuerliche Verpflichtung als steuerrechtlich verantwortlicher Geschäftsführer hiezu bekannt gewesen sei.

Der Mitbeteiligte habe in einer schriftlichen Stellungnahme an den Untersuchungsrichter angeführt, zu keinem Zeitpunkt Gesellschafter oder Treuhänder der R-GmbH und niemals ein im "Handelsregister" eingetragenes Organ dieser Gesellschaft gewesen zu sein. In den Jahren 1999, 2000 und 2001 habe er sich lediglich um das operative Geschäft der Gesellschaft gekümmert.

In der Hauptverhandlung habe der Mitbeteiligte ein Geständnis dahingehend abgelegt, eine Verkürzung an Umsatzsteuer im Betrag von 350.000 EUR begangen und zu verantworten zu haben. Der Mitbeteiligte verantworte daher in rechtlicher Hinsicht das Vergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG, weil er gegen die abgabenrechtliche Offenlegungs-, Anzeige- und Wahrheitspflicht verstoßen habe, indem er keine entsprechenden Steuererklärungen in Bezug auf seine betrieblichen Einnahmen abgegeben habe, wobei der strafbestimmende Wertbetrag 350.000 EUR betrage.

Mit Bescheid vom 28. November 2007 zog das Finanzamt Graz-Stadt den Mitbeteiligten gemäß § 11 BAO zur Haftung für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der R-GmbH im Ausmaß von 350.000 EUR heran. Die Haftung werde für Umsatzsteuer für 1999 bis 2001 in Betrag von 350.000 EUR geltend gemacht.

Dagegen berief der Mitbeteiligte und brachte im Schriftsatz vom 15. Mai 2009 u.a. vor, der pauschal angesetzte Betrag von 350.000 EUR lasse sich zwar aus dem Strafverfahren ableiten, im Haftungsverfahren sei die Besteuerungsgrundlage jedoch so detailliert darzustellen, dass eine Beziehung zwischen dem Haftungsbescheid und dem ursprünglichen Steuerbescheid vorgenommen werden könne. Dies sei allein deshalb notwendig, um nachvollziehen zu können, ob allfällige Tilgungen der Steuer auch zu einer Reduzierung der Haftungsschuld führten. Selbst wenn im Beschwerdefall möglichweise festzustellen sei, dass noch keinerlei Reduzierung der eigentlichen Steuerschuld eingetreten sei, entbinde dies die Behörde nicht von der Verpflichtung, eine detaillierte Darlegung über die Ermittlung der Haftungsschuld vorzunehmen.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 25. Februar 2010 setzte das Finanzamt den Haftungsbetrag mit 349.999,74 EUR fest und gliederte ihn auf die einzelnen Jahre auf, wobei es den urteilsmäßigen Gesamtverkürzungsbetrag von 350.000 EUR zum Gesamtbetrag an Umsatzsteuernachforderung für diese drei Jahre in Höhe von 618.569,73 EUR ins Verhältnis setzte, einen Prozentsatz von 56,5821 errechnete und von den Nachforderungsbeträgen der einzelnen Jahre unter Anwendung dieses Prozentsatzes auf einen Haftungsbetrag für die einzelnen Jahre gelangte, dessen Gesamtsumme den Betrag von 349.999,74 EUR ausmachte.

Im dagegen erhobenen Vorlageantrag brachte der Mitbeteiligte vor, das Finanzamt habe nicht berücksichtigt, dass gegen den Umsatzsteuerbescheid eine Berufung mit dem Ziel erhoben worden sei, die Umsatzsteuer mit näher angeführten, gegenüber den in der Berufungsvorentscheidung im Haftungsverfahren genannten geringeren Beträgen festzusetzen. Dementsprechend ergebe sich ein Gesamtbetrag von lediglich 288.738,54 EUR.

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde den vor ihr bekämpften Bescheid des Finanzamtes vom 28. November 2007 ersatzlos auf. Bei der Geltendmachung der Haftung seien die geltend gemachten Abgabenansprüche nach Abgabenarten und Zeiträumen aufgeschlüsselt auszuweisen, um sie dem Haftenden zur Kenntnis zu bringen. Gehe der Haftungsbetrag auf mehrere Abgabenbescheide oder auf mehrere Meldungen von Abgaben zurück, so sei eine entsprechende Aufgliederung vorzunehmen. Dieser Anforderung werde der vor der belangten Behörde bekämpfte Bescheid nicht gerecht, weil dort die Umsatzsteuern der Jahre 1999 bis 2001 in einer Summe ausgewiesen, jedoch nicht aufgegliedert würden. Die erforderliche Aufschlüsselung sei auch nicht aus der Begründung des bekämpften Bescheides oder einer Beilage dazu zu entnehmen. Eine Auslegung des Spruchs unter Heranziehung der Begründung sei also nicht möglich gewesen. Die Berufungsvorentscheidung habe allenfalls im Nachhinein Aufklärung bringen können, die Rechtswidrigkeit des vor der belangten Behörde bekämpften Bescheides habe sie jedoch nicht hintanhalten können.

Dagegen richtet sich die vom beschwerdeführenden Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Mitbeteiligte reichte ebenfalls eine Gegenschrift ein und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 11 BAO lautet:

"§ 11. Bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden haften rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden."

§ 116 BAO lautet:

"§ 116. (1) Sofern die Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmen, sind die Abgabenbehörden berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen (§§ 21 und 22) und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen.

(2) Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden wurden, sind von der Abgabenbehörde im Sinn des Abs. 1 zu beurteilen. Eine Bindung besteht nur insoweit, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen war."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2009, 2007/16/0161, mwN), entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Schuldspruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen.

Bei bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben (im Beschwerdefall: bei der Umsatzsteuer) werden - bezogen auf ein Steuersubjekt - mit nacheinander erfolgter Abgabe unrichtiger Jahreserklärungen mehrerer Veranlagungsjahre hindurch real konkurrierende Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG begangen. Solcherart bildet die Jahreserklärung zu einer Steuerart - allenfalls auch als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte - eine selbständige Tat im Sinn des § 21 Abs. 1 FinStrG. Ein Urteilstenor (§ 260 Abs. 1 Z 1 StPO), in dem mehrere gleichartige Finanzvergehen über mehrere Tatzeiträume bloß zusammengefasst werden, entspricht dem Wesen der vom Schuldspruch erfassten Tatbestände nicht und verfehlt solcherart den Zweck dieses Referats der entscheidenden Tatsachen, nämlich einer deklarativen und resümierenden Darstellung, auf welche Taten (im materiellen Sinn) sich der Schuldspruch bezieht (vgl. etwa Kirchbacher/Lässig, Zentrale Aspekte der Urteilsfindung und der Urteilsanfechtung in Finanzstrafsachen, in ÖJZ 2012, 904, sowie die dort unter Fn 12 angeführten Urteile des OGH vom 19. August 2010, 13 Os 154/09k, und vom 19. März 2009, 13 Os 105/08b).

Mag auch im Beschwerdefall das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz all diesen Anforderungen nicht gerecht werden, so entfaltet es dennoch eine Bindungswirkung, welche sich darauf erstreckt, dass der Gesamtbetrag an hinterzogenen Abgaben, für den gemäß § 11 BAO eine Haftung ausgesprochen werden kann, mit dem im Urteil genannten Betrag begrenzt ist und lediglich die Umsatzteuer für die drei dort genannten Jahre betreffen kann. Hinsichtlich einer Aufteilung dieses Gesamtbetrages auf die einzelnen Veranlagungsjahre entfaltet dieses Urteil keine Bindungswirkung. Solcherart ist es der Abgabenbehörde im Haftungsverfahren überlassen, den Haftungsbetrag im Rahmen des Gesamtbetrages auf die einzelnen Umsatzsteuerveranlagungsjahre aufzuteilen.

Es ist der belangten Behörde einzuräumen, dass der vor ihr bekämpfte Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt in dieser Hinsicht fehlerhaft ist, weil eine solche Aufteilung darin nicht vorgenommen wurde und auch aus der Begründung nicht entnehmbar ist. Doch berechtigt dies die belangte Behörde nicht zur ersatzlosen Aufhebung des Haftungsbescheides. Mit dem vor der belangten Behörde bekämpften Bescheid des Finanzamtes war die Sache des Berufungsverfahrens auf die Haftung der Abgabenschuldigkeiten für die R-GmbH, nämlich für Umsatzsteuer 1999, 2000 und 2001 und mit dem Gesamtbetrag von 350.000 EUR begrenzt. Die belangte Behörde hätte - gemäß § 289 Abs. 2 BAO dazu befugt, innerhalb der oben bezeichneten Sache den vor ihr bekämpften Bescheid nach jeder Richtung abzuändern - ihrem Bescheid zwar keine anderen Zeiträume und keinen höheren Gesamtbetrag zu Grunde legen dürfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2008, 2005/13/0099), eine genaue Festlegung des Haftungsbetrages und insbesondere eine Aufgliederung auf die einzelnen Veranlagungsjahre wäre der belangten Behörde jedoch zugekommen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die belangte Behörde nicht eine Aufteilung etwa im Sinne der Berufungsvorentscheidung hätte vornehmen können. Das erwähnte Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz mit der oben dargestellten Bindungswirkung wäre dem nicht entgegengestanden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 24. Jänner 2013

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