VwGH 2011/16/0260

VwGH2011/16/026026.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 7. November 2011, Zl. RV/1779- W/06, betreffend Differenzzahlung hinsichtlich Familienbeihilfe für Dezember 2004, (mitbeteiligte Partei: I in W), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §292;
VwGG §28 Abs1 Z4;
BAO §292;
VwGG §28 Abs1 Z4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerde und dem dieser in Ablichtung angeschlossenen angefochtenen Bescheid ist Folgendes zu entnehmen:

Der Mitbeteiligte, ein polnischer Staatsangehöriger, ist seit 7. Dezember 2004 in Wien gemeldet und meldete am selben Tag beim zuständigen magistratischen Bezirksamt das Gewerbe "Verschließen von Bauwerksfugen mittels plastischer und dauerelastischer Kunststoffmassen und Kunststoffprofile, Montage und Demontage von vorgefertigten Winkelprofilen und Fachböden durch einfache Schraubverbindungen" an. Seit ebenfalls 7. Dezember 2004 ist er bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) pflichtversichert. Er war im Jahr 2005 für ein bestimmtes Unternehmen auf verschiedenen Baustellen tätig, worüber er mit sechs Rechnungen über den Leistungszeitraum April bis September 2005 abgerechnet hat.

Am 1. September 2005 beantragte der Mitbeteiligte die Gewährung einer Differenzzahlung für seine minderjährigen Kinder für Dezember 2004.

Diesen Antrag wies das Finanzamt mit Bescheid vom 3. Mai 2006 ab, weil die auf Grundlage des Gewerbescheines ausgeübte Tätigkeit eine Umgehung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes darstelle, diese Tätigkeit als Dienstverhältnis zu beurteilen sei und der Beschwerdeführer im Streitzeitraum keinen freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt habe. Daher sei die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates im Beschwerdefall nicht anwendbar.

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde auf Grund einer vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung den vor ihr bekämpften Bescheid des Finanzamtes vom 3. Mai 2006 ersatzlos auf. Sie stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest, den sie aus vorgelegten Meldeauskünften, einer Ablichtung des Gewerbescheines, den Bestätigungen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) sowie vom Mitbeteiligten vorgelegten Rechnungen annehme, schilderte das Verwaltungsgeschehen und folgerte nach rechtlichen Ausführungen, dass der Mitbeteiligte mit einer nichtselbständigen Tätigkeit mangels Genehmigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gegen das Beschäftigungsverbot verstoßen hätte und aus den Bestimmungen des § 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes keinen Anspruch auf Gewährung von Familienbeihilfe ableiten könne.

Allerdings falle die Familienbeihilfe unter den Begriff der Familienleistung nach Art. 1 Buchstabe u und Art. 4 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates. Diese Verordnung gelte für jede Person, die u.a gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert sind.

Der Beschwerdeführer sei Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und deshalb nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung pflichtversichert. Daher sei die Verordnung Nr. 1408/71 auf ihn anzuwenden, falle er in deren Geltungsbereich und seien deshalb die Vorschriften des FLAG in der gleichen Weise wie für österreichische Staatsbürger maßgeblich.

Die belangte Behörde gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen im Jahr 2004 in das Inland verlegt habe und hier für sich und seine Familie die Existenzmittel verdienen wolle. Deshalb habe er wie ein österreichischer Staatsbürger Anspruch auf Familienbeihilfe oder Differenzzahlung betreffend Familienbeihilfe.

Dagegen richtet sich die vom Finanzamt auf § 292 BAO gestützte Beschwerde, in welcher das Finanzamt unter dem Punkt "Anfechtungserklärung" anführt:

"Der Bescheid der belangten Behörde wird hinsichtlich der Aufhebung des Bescheides, mit dem die Differenzzahlung für die beiden Kinder von (Mitbeteiligter) für den Zeitraum Dezember 2004 abgewiesen wurde, angefochten, da für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Differenzzahlung besteht und daher für den Zeitraum Dezember 2004 der Anspruch auf Zuerkennung einer Differenzzahlung abzuweisen ist.

Angefochten wird die Anerkennung einer nichtselbständigen Tätigkeit im Sinne des § 47 Abs. 2 EStG 1988 und des AuslBG, die nach den Bestimmungen des AuslBG bewilligungspflichtig gewesen wäre, aber tatsächlich nicht bewilligt war, und damit als illegale Tätigkeit im Sinne des AuslBG anzusehen war, als anspruchsbegründende Tätigkeit im Sinne des Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern in Verbindung mit der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Nach § 3 Abs. 1 FLAG in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 646/1977 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt sind und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet beziehen; kein Anspruch besteht jedoch, wenn die Beschäftigung nicht länger als drei Monate dauert. Kein Anspruch besteht außerdem, wenn die Beschäftigung gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstößt.

Nach § 3 Abs. 2 FLAG in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des Pensionsharmonisierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 142/2004, gilt § 3 Abs. 1 nicht für Personen, die sich seit mindestens 60 Kalendermonaten ständig im Bundesgebiet aufhalten, sowie für Staatenlose und Personen, denen Asyl nach dem Asylgesetz 1997 gewährt wurde.

Nach Art. 1 Buchstabe a) Ziffer i) der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABlEG Nr. L 149 vom 5. Juli 1971, (in der Folge: Verordnung Nr. 1408/71 ) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998, ABlEG Nr. L 209 vom 25. Juli 1998, gilt als Arbeitnehmer oder Selbständiger jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in Fassung der Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999, ABlEG Nr. L 38 vom 12. Februar 1999, gilt die Verordnung für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

Nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 in der konsolidierten Fassung ABlEG Nr. L 28 vom 30. Jänner 1997 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die u.a. Familienleistungen betreffen.

Nach Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, vorbehaltlich hier nicht interessierender Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach der Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht gemäß Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß u.a. Art. 73 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag.

Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Beschwerde u.a. die bestimmte Bezeichnung des Rechtes, in dem der Beschwerdeführer verletzt zu schein behauptet (Beschwerdepunkte), zu enthalten. Bei Beschwerden gegen Bescheide u.a. nach Art. 131 Abs. 2 B-VG, bei denen gemäß den in Betracht kommenden Bundes- oder Landesgesetzes die Behauptung der Verletzung eines Rechtes des Beschwerdeführers nicht in Betracht kommt, tritt gemäß § 28 Abs. 2 VwGG an die Stelle des Beschwerdepunktes die Erklärung über den Umfang der Anfechtung.

Die Anfechtungserklärung des beschwerdeführenden Finanzamtes steckt den Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ab (vgl. Steiner in Holoubek/Lang, Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, 66, und die dort unter FN 42 zitierte hg. Rechtsprechung).

Das beschwerdeführende Finanzamt übersieht mit seinen Ausführungen zu der vom Mitbeteiligten ausgeübten Tätigkeit zunächst, dass der Mitbeteiligte nach den insoweit nicht konkret bekämpften Feststellungen der belangten Behörde die vom beschwerdeführenden Finanzamt als nichtselbständig gesehene Tätigkeit erst nach dem Streitzeitraum, nämlich im Jahr 2005 ausgeübt hat.

Die belangte Behörde hat auf diese Tätigkeit des Mitbeteiligten überhaupt nicht abgestellt. Zur Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1408/71 hat die belangte Behörde zutreffend darauf abgestellt, ob der Mitbeteiligte im Streitzeitraum gegen eines der in Betracht kommenden Risiken pflichtversichert war (vgl. etwa das Urteil des EuGH vom 10. März 2011 in der Rs. C-516/09 (Tanja Borger), inb. Rn. 28). Die Annahme der belangten Behörde, er sei im Streitzeitraum Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und daher nach § 2 Abs. 1 GSVG pflichtversichert gewesen, bestreitet das beschwerdeführende Finanzamt nicht.

Auch die Annahme der sonst für das Bestehen eines Anspruches auf Familienbeihilfe oder Differenzzahlung erforderlichen Voraussetzungen, etwa des § 2 Abs. 8 FLAG, durch die belangte Behörde bekämpft das beschwerdeführende Finanzamt nicht.

Das beschwerdeführende Finanzamt hat mit der Anfechtungserklärung den Prozessgegenstand mit der Frage der Anerkennung einer nichtselbständigen Tätigkeit (des Mitbeteiligten) als anspruchsbegründende Tätigkeit im Sinn der Verordnung Nr. 1408/71 abgesteckt, eine solche Anerkennung wurde im angefochtenen Bescheid aber gar nicht vorgenommen.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die vom beschwerdeführenden Finanzamt behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 26. Jänner 2012

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