VwGH 2011/06/0057

VwGH2011/06/005722.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz und die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, in der Beschwerdesache des GH in R, vertreten durch Dr. Günter Medweschek, Rechtsanwalts GesmbH in 9020 Klagenfurt, Lidmanskygasse 27/1, gegen den Gemeinderat der Marktgemeinde R, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Bausache, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art119a Abs5;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art119a Abs5;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach der Beschwerde und dem mit der Beschwerde vorgelegten Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 1. Februar 2011 ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Beschwerdeführer hat am 10. Oktober 2005 beim Bürgermeister der Marktgemeinde R um die Erteilung einer Baubewilligung zur Errichtung eines näher bezeichneten Holzzaunes angesucht. Nach mehreren Verfahrensschritten und formloser Aussetzung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben des Bürgermeisters vom 30. Juni 2009 gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgefordert, binnen vier Wochen näher genannte Unterlagen vorzulegen, widrigenfalls das Ansuchen als mangelhaft belegt zurückgewiesen werden müsse. Der Beschwerdeführer legte in weiterer Folge am 21. Juli 2009 einen Einreichplan samt Baubeschreibung vor.

Mit Schriftsatz vom 24. August 2009 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, den Gemeindevorstand der Marktgemeinde R, und sodann mit Schriftsatz vom 30. Juli 2010 einen Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, den Gemeinderat der Marktgemeinde R.

Der Gemeindevorstand der Marktgemeinde R wies mit Bescheid vom 4. August 2010 den Devolutionsantrag vom 24. August 2009 als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer erhob Vorstellung.

Die Kärntner Landesregierung hob mit Bescheid vom 1. Februar 2011 den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde R auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde R zurück. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hätte der Gemeindevorstand der Marktgemeinde R in dieser Sache zuständigerweise eine Entscheidung nur dann treffen können, wenn im Zeitpunkt seiner Bescheiderlassung ein rechtskräftiger Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde R über die Abweisung des Devolutionsbegehrens vorgelegen wäre. Die Rechtswirksamkeit des schriftlichen Verlangens auf Übergang der Entscheidungspflicht trete nämlich nach der Rechtsprechung unmittelbar mit dessen Einbringung bei der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde ein; ein nach diesem Zeitpunkt durch die Unterbehörde erlassener Bescheid sei infolge Unzuständigkeit dieser Behörde rechtswidrig. Sei die Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Antrag gemäß § 73 AVG an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde übergegangen, so sei ein dennoch von der Unterbehörde erlassener Bescheid im Falle seiner Anfechtung von (hier:) der Vorstellungsbehörde wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben. Der Beschwerdeführer sei daher durch den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde R in seinen subjektivöffentlichen Rechten verletzt worden.

In seiner am 7. April 2011 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Säumnisbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, er erachte sich dadurch, dass die belangte Behörde durch mehr als sechs Monate über seinen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines näher umschriebenen Holzzaunes nicht entschieden habe, in seinem Recht auf Sachentscheidung verletzt. Durch Vorlage des Vorstellungsbescheides der Kärntner Landesregierung vom 1. Februar 2011 mache er glaubhaft, dass seit Einlangen des Devolutionsantrages an den Gemeinderat der Marktgemeinde R die sechsmonatige Frist für die Entscheidung in der gegenständlichen Bausache seit langem verstrichen sei. Er stelle daher den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof wolle in Stattgebung der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkennen und ihm die beantragte Baubewilligung erteilen.

Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist, nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer zunächst einen Devolutionsantrag an den Gemeindevorstand der Marktgemeinde R und in der Folge, weil der Gemeindevorstand keine Entscheidung getroffen hatte, einen weiteren Devolutionsantrag an den Gemeinderat der Marktgemeinde R eingebracht.

Wenn die Voraussetzungen für einen Devolutionsantrag vorliegen, also der Bescheid nicht innerhalb der gesetzlichen Frist erlassen worden ist, geht mit Einlangen des Antrages bei der Oberbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag auf diese Behörde über; ein nach diesem Zeitpunkt durch die Unterbehörde erlassener Bescheid ist infolge Unzuständigkeit dieser Behörde - unabhängig davon, ob sie tatsächlich schuldhaft säumig im Sinne des § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG war  - rechtswidrig, es sei denn, der Devolutionsantrag wäre nach dieser Gesetzesstelle bereits vor der Bescheiderlassung rechtskräftig abgewiesen worden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 2011, Zl. 2011/01/0026, mwH). Hebt die Gemeindeaufsichtsbehörde einen mit Vorstellung bekämpften Bescheid auf, tritt auf Grund der Ex-tunc-Wirkung des Vorstellungsbescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des Bescheides der Gemeindebehörde befunden hat. Die Ex-tunc-Wirkung des aufsichtsbehördlichen Aufhebungsbescheides hat regelmäßig zur Folge, dass die mit dem angefochtenen Bescheid erledigten Anträge, insbesondere auch Berufungsanträge, wieder offen und von der Gemeindebehörde zu erledigen sind. Die Entscheidungsfrist beginnt gegenüber der am aufsichtsbehördlichen Verfahren beteiligten Gemeinde mit Rechtskraft des Vorstellungsbescheides neu zu laufen, die, bei Fehlen eines administrativen Rechtsmittels, im Zeitpunkt der Zustellung des Vorstellungsbescheides an die Gemeinde eintritt.

Allerdings ist der aufhebende Vorstellungsbescheid auf diese Wirkung beschränkt und hat keine Auswirkung auf die Überprüfung eines durch die belangte Behörde (in der Berufungsinstanz) zurückgewiesenen Devolutionsantrages oder auf die Überprüfung der durch sie bestätigten Abweisung eines solchen Antrags. Hat beispielsweise der Gemeindevorstand eine Berufungsentscheidung getroffen, obwohl er nicht mehr zuständig (und seine Entscheidungspflicht erloschen) war, weil bereits ein zulässiger Devolutionsantrag an den Gemeinderat eingebracht worden ist, wurde durch die Entscheidung des Gemeindevorstandes die mit dem Devolutionsantrag begründete Zuständigkeit (Entscheidungspflicht) des Gemeinderates wieder beseitigt. Diese Entscheidungspflicht des Gemeinderates lebt nicht wieder auf, wenn die Aufsichtsbehörde den Bescheid des Gemeindevorstandes wegen dessen Unzuständigkeit aufhebt. Durch die Ex-tunc-Wirkung des aufhebenden Vorstellungsbescheides beginnt die Entscheidungspflicht bezüglich der wieder offenen Berufung oder des wieder offenen Devolutionsantrages für den Gemeindevorstand neu zu laufen (vgl. zum Ganzen Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 Rz 58 und die dort zitierte hg. Rechtsprechung).

Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet das, dass die Entscheidungspflicht des Gemeinderates der Marktgemeinde R erst mit der Erledigung der Vorstellung durch den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 1. Februar 2011 wieder gegeben war. Damit begann die Entscheidungsfrist für den Gemeinderat wieder zu laufen. Im Zeitpunkt der Einbringung der vorliegenden Säumnisbeschwerde war die Sechsmonatsfrist noch nicht abgelaufen, sodass die vorliegende Säumnisbeschwerde gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen war.

Wien, am 22. Februar 2012

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