Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 20. Oktober 2011 fand vor der belangten Behörde infolge eines vom Beschwerdeführer gemäß § 89 Abs. 4 SPG beantragten Verfahrens wegen behaupteter Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten eine mündliche Verhandlung statt. Gegenstand dieser Verhandlung war die Beweisaufnahme zum Vorbringen des Beschwerdeführers, ein Polizeibeamter der Bundespolizeidirektion Wien habe sich während der am 28. Jänner 2011 erfolgten Festnahme des Beschwerdeführers diesem gegenüber durch die Äußerung "Stell dich da dazu und halt die Fresse" diskriminierend verhalten und dadurch § 5 der Richtlinien-Verordnung (RLV) verletzt. Dem Verhandlungsprotokoll der belangten Behörde ist zu entnehmen, dass nach Aufruf der Sache um 9.45 Uhr zunächst der Beschwerdeführer als Partei einvernommen wurde, der den Hergang der Festnahme schilderte und dabei die dem Polizeibeamten vorgeworfene Äußerung wörtlich wiedergab. Zudem gab der Beschwerdeführer an, dass er die Vorgänge mit einer Digitalkamera gefilmt habe. Nach Einvernahme von vier Zeug(inn)en - darunter zwei Polizeibeamte - stellte der Beschwerdeführer nach Entlassung der letzten Zeugin um 12.20 Uhr einen neuen Beweisantrag: er habe drei CDs dabei, die die Amtshandlung sowie die inkriminierte Äußerung zeigten. Vom Verhandlungsleiter befragt, warum er dies nicht zu Beginn der Verhandlung mitgeteilt habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe sich zuerst die Aussagen der anderen "ansehen" wollen.
Nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung verkündete der Verhandlungsleiter - unter Beurkundung in der Verhandlungsschrift -
den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit dem über den Beschwerdeführer gemäß § 35 AVG eine Mutwillensstrafe in der Höhe von EUR 200,-- verhängt wurde. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe die Tätigkeit der Behörde insofern mutwillig in Anspruch genommen, als er dem Verhandlungsleiter ein mitgebrachtes Beweismittel bis zur Vernehmung des letzten Zeugen vorenthalten habe, welches - bei Zutreffen des Beweisantrages - die Vernehmung von drei der vier Zeugen entbehrlich gemacht und eine gezieltere und wesentlich kürzere Vernehmung des verbleibenden Zeugen ermöglicht hätte. Zudem habe er zwei der einvernommenen Zeugen, die er vorher nicht bekannt gegeben habe und die zur betreffenden Äußerung keine konkreten Angaben hätten machen können, einvernehmen lassen, ohne auf den Besitz einer Videoaufnahme mit der inkriminierten Äußerung hinzuweisen. Wie aus der Äußerung des Beschwerdeführers zu entnehmen sei, sei dies in erster Linie aus Freude an der Behelligung der Behörde geschehen. Gemäß § 43 Abs. 2 AVG habe der Verhandlungsleiter die Verhandlung zu strukturieren. Im Interesse der Sicherung einer befriedigenden und rationellen Durchführung der Verhandlung sei die Mutwillensstrafe zu verhängen gewesen. Die Strafhöhe sei angesichts der eingetretenen unnötigen Inanspruchnahme (der belangten Behörde) in der Dauer von mehr als zwei Stunden und des Ausmaßes des an den Tag gelegten Mutwillens erforderlich gewesen, um den Strafzweck zu erreichen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 35 AVG kann die Behörde gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung unrichtige Angaben machen, eine Mutwillensstrafe bis 726 Euro verhängen.
Bei der Mutwillensstrafe handelt es sich, wie bei der Ordnungsstrafe (§ 34 AVG), nicht um die Ahndung eines Verwaltungsdeliktes, sondern um ein Mittel zur Sicherung einer befriedigenden, würdigen und rationellen Handhabung des Verwaltungsverfahrens. Die Verhängung einer Mutwillensstrafe soll die Behörde vor Behelligung, die Partei aber vor Verschleppung der Sache schützen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. September 1973, Zl. 1665/72 = VwSlgNF 8448 A).
Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, dass die belangte Behörde die Verhängung der Mutwillensstrafe auf den ersten Tatbestand des § 35 AVG - die offenbar mutwillige Inanspruchnahme der Tätigkeit der Behörde - stützt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt mutwillig in diesem Sinn, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseres Wissen erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist. Mit der in § 35 AVG vorgesehenen Mutwillensstrafe kann geahndet werden, wer "in welcher Weise immer" die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 35, Rz. 2 f, zitierten Nachweise aus der hg. Rechtsprechung).
Diese Voraussetzungen liegen im Beschwerdefall nicht vor:
Gemäß der - auch für die mündliche Verhandlung vor dem UVS geltenden - Bestimmung des § 43 Abs. 4 AVG muss jeder Partei Gelegenheit geboten werden, alle zur Sache gehörenden Gesichtspunkte vorzubringen und unter Beweis zu stellen, Fragen an die anwesenden Zeugen und Sachverständigen zu stellen, sich über die von anderen Beteiligten, den Zeugen und Sachverständigen vorgebrachten oder die als offenkundig behandelten Tatsachen sowie über die von anderen gestellten Anträge und über das Ergebnis amtlicher Erhebungen zu äußern.
1. Vor dem Hintergrund dieser Regelung kann zunächst im Umstand, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung einen zulässigen Beweisantrag - durch Vorlage einer Filmaufnahme - gestellt hat, kein mutwilliges Verhalten erblickt werden. Im konkreten Fall sind Anhaltspunkte für eine "Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit" des Beweisantrages nicht zu erkennen, zumal die belangte Behörde bei Annahme des Vorliegens dieser Voraussetzungen den Beweisantrag gemäß § 43 Abs. 2 AVG als offenbar unerheblich zurückzuweisen gehabt hätte. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten mit weiterem Bescheid der belangten Behörde vom 20. Oktober 2011 der in Rede stehenden Richtlinienbeschwerde des Beschwerdeführers stattgegeben und eine Verletzung des § 5 Abs. 1 und 2 RLV festgestellt wurde, wobei sich die belangte Behörde beweiswürdigend insbesondere auf die vom Beschwerdeführer vorgelegte Videoaufnahme stützte.
2. Soweit die belangte Behörde die Mutwilligkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers durch den Zeitpunkt des Stellens des Beweisantrages (nämlich erst am Ende der sonstigen Beweisaufnahme) verwirklicht sieht, ist dem entgegen zu halten, dass der Zweck der Verhängung einer Mutwillensstrafe nicht darin liegt, auf prozesstaktische Erwägungen gegründete legitime Handlungsweisen einer Verfahrenspartei - mögen sie im Einzelfall auch eine längere Dauer eines Beweisverfahrens bzw. einer mündlichen Verhandlung bewirken - zu pönalisieren. Ist es aber einer Verfahrenspartei grundsätzlich anheim gestellt, den Zeitpunkt zulässiger Beweisanträge selbst zu bestimmen, kann fallbezogen der Vorgehensweise des Beschwerdeführers - nämlich den in Rede stehenden Beweisantrag von den Ergebnissen der sonstigen Beweisaufnahme abhängig gemacht und (anlassbezogen) erst am Ende des Beweisverfahrens gestellt zu haben - eine "Freude an der Behelligung der Behörde" nicht unterstellt werden.
3. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits im hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1998, Zl. 98/10/0183, zu § 35 AVG ausgesprochen hat, dass mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen mit äußerster Vorsicht umzugehen und ein derartiger Vorwurf nur dann am Platz ist, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt; die Verhängung einer Mutwillensstrafe komme demnach lediglich im "Ausnahmefall" in Betracht. Das damit zum Ausdruck gebrachte restriktive Verständnis des § 35 AVG ist auf die gegenständliche Fallkonstellation übertragbar. Ein die Verhängung einer Mutwillensstrafe rechtfertigender Ausnahmefall ist in concreto für den Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar.
4. Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde im Beschwerdefall die Mutwillensstrafe zu Unrecht verhängt, sodass der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 16. Februar 2012
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)