VwGH 2010/21/0047

VwGH2010/21/004725.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8. Februar 2008, Zl. UVS- 02/12/7032/2007-19, betreffend §§ 87 und 88 SPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1 impl;
FrPolG 2005 §39 Abs3;
FrPolG 2005 §82;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2012:2010210047.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und hatte in Österreich einen Asylantrag gestellt.

Am 23. Juni 2007, knapp vor Mitternacht, wurde er im Gefolge einer Verkehrskontrolle von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien beamtshandelt. Eine Abfrage im Asylwerberinformationssystem ergab, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers rechtskräftig abgewiesen und dass er nach Nigeria ausgewiesen worden sei. Im Hinblick darauf sprach einer der beiden einschreitenden Beamten "gemäß § 39 Abs. 3" Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG seine Festnahme aus.

Der Beschwerdeführer entzog sich dieser Festnahme (zunächst) durch Flucht. Die Beamten verfolgten ihn, wobei es u.a. zur Abgabe eines Warnschusses, zum Einsatz von Pfefferspray und letztlich, nachdem der Beschwerdeführer gefasst werden konnte, zum Anlegen von Handschellen kam.

Der Beschwerdeführer erhob gegen das polizeiliche Einschreiten Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) und beantragte, die belangte Behörde möge erkennen, dass ihn der polizeiliche Einsatz in näher genannten Rechten verletzt habe und dass der Waffengebrauch und das Anlegen von Handfesseln rechtswidrig gewesen seien. Dabei brachte er u. a. vor, dass mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. Juli 2007 bereits die Rechtswidrigkeit seiner Festnahme und der daran anschließenden Anhaltung in Schubhaft ausgesprochen worden sei.

Mit dem nunmehr bekämpften, am 8. Februar 2008 mündlich verkündeten und im Dezember 2009 schriftlich ausgefertigten Bescheid wies die belangte Behörde die Administrativbeschwerde "in allen Punkten" als unbegründet ab und verpflichtete den Beschwerdeführer zu Aufwandersatz sowie zum Ersatz von Barauslagen. Das begründete die belangte Behörde nach wörtlicher Wiedergabe der Administrativbeschwerde, der dazu abgegebenen Stellungnahme der Bundespolizeidirektion Wien sowie der in der mündlichen Verhandlung erstatteten Angaben des Beschwerdeführers und der beiden am Einsatz beteiligten Polizeibeamten wie folgt:

"Auf Grund der Aktenlage, des Beschwerdeschriftsatzes, der Gegenschrift und insbesondere der Aussagen der einvernommenen Zeugen in der mündlichen Verhandlung, konnten die einschreitenden SWB ohne weiteres in vertretbarer Weise vom Vorliegen eines Festnahmegrundes ausgehen und damit verbunden die zwangsweise Durchsetzung der Festnahme vornehmen.

Die Angaben der Zeugen waren klar, nachvollziehbar und bedenkenlos. Daher war diesen Angaben vorbehaltlos zu folgen.

Ein Schusswaffengebrauch ist nach dem Waffengebrauchgesetz 1969 dann anzudrohen, wenn er lebensgefährlich eingesetzt wird. Ein bloßes in die Luftschießen als psychisches Druckmittel ist kein lebensgefährlicher Schusswaffengebrauch, sondern lediglich ein gelinderes Mittel. Die Anwendung des Pfeffersprays war ohne Weiteres zu Selbstschutzzwecken vertretbar. Hier muss auch festgehalten werden, dass Exekutivorgane in Erfüllung ihrer Dienstpflicht auch ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen und zu verteidigen haben, also dieselben Rechte haben, wie jede andere Person. Aus dem Verhalten des Beschwerdeführers war die Verletzung der Rechte der Exekutivbeamten jedenfalls zu befürchten. Die offensichtliche Panik des Beschwerdeführers rechtfertigte keinesfalls sein aggressives Verhalten.

Auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers konnten die SWB in vertretbarer Weise davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer sich der zwangsweisen Ausweisung und der sonstigen Strafverfolgung zu entziehen versuchen werde.

Die Kostenentscheidung (Kostenzuspruch der belangten Behörde) stützt sich auf § 79a AVG iVm der UVS Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 334/2003.

Der Ersatz der Dolmetschkosten als Barauslage findet seine Deckung in § 76 AVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

 

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde führte aus, dass die einschreitenden Beamten vom Vorliegen eines Festnahmegrundes ausgehen und damit verbunden die zwangsweise Durchsetzung der - zuvor nach "§ 39 Abs. 3" FPG ausgesprochenen - Festnahme des Beschwerdeführers vornehmen hätten dürfen.

Dabei blieb allerdings unbeachtet, dass schon in der Administrativbeschwerde vorgebracht worden war, die Festnahme des Beschwerdeführers sei über seine Beschwerde nach § 82 FPG für rechtswidrig erklärt worden. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt. Träfe es allerdings - wie auch noch in der gegenständlichen Beschwerde behauptet wird - zu, dass die Festnahme des Beschwerdeführers bescheidmäßig als rechtswidrig festgestellt wurde, so erwiese sich die dargestellte behördliche Beurteilung als verfehlt. Sie liefe dann nämlich im Ergebnis auf eine unzulässige Neubewertung der dem Beschwerdeführer gegenüber ausgesprochenen Festnahme hinaus.

Gegebenenfalls hätte die belangte Behörde daher ihren Überlegungen zugrunde legen müssen, dass die ausgesprochene Festnahme rechtswidrig war. Weil die zur Umsetzung einer ausgesprochenen Verhaftung gesetzten Maßnahmen mit der Verhaftung eine Einheit bilden, hätte das allerdings zur Folge, dass auch alle der Festnahme nachfolgenden Akte zur Durchsetzung derselben rechtswidrig gewesen wären (vgl. in diesem Sinn zuletzt das hg. Erkenntnis vom 19. September 2012, Zl. 2012/01/0017). Schon deshalb erweist sich die vorliegende Beschwerde als berechtigt.

Ob einzelne Phasen des vor der belangten Behörde in Beschwerde gezogenen behördlichen Einsatzes nicht auf die Durchsetzung der ausgesprochenen Festnahme gerichtet waren, sondern andere Ziele verfolgt hatten, lässt sich den nur durch Verweis auf die Aussagen der einschreitenden Beamten getroffenen "Feststellungen" der belangten Behörde nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen. Der bekämpfte Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 25. Oktober 2012

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