VwGH 2011/08/0314

VwGH2011/08/031419.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der MP in F, vertreten durch Dr. Thomas Schlosser, Rechtsanwalt in 8330 Feldbach, Bürgergasse 20, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservices Steiermark vom 31. Mai 2011, Zl. LGS600/SfA/0566/2011-Dr.Si/S, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2007/I/104;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2007/I/104;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegenüber der Beschwerdeführerin der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 14. Februar 2011 bis 27. März 2011 ausgesprochen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin seit 1. März 2008 arbeitslos sei und nicht nur vom Arbeitsmarktservice betreut werde, sondern auch regelmäßig Kontakt zu einem sogenannten "Jobworker" habe. Dieser habe dem Arbeitsmarktservice mitgeteilt, dass der Beschwerdeführerin am 8. Februar 2011 eine Beschäftigung als Angestellte bei einer näher genannten Firma mit Arbeitsbeginn am 14. Februar 2011 angeboten worden sei. Es habe sich um eine Vollzeitstelle (38,5 Stunden) als Sachbearbeiterin mit einer Entlohnung von EUR 1.650,-- brutto und einem näher bestimmten Dienstort in G gehandelt. Die Arbeitszeit wäre variabel ab sieben Uhr oder acht Uhr gewesen. Die Beschwerdeführerin habe laut einer mit ihr aufgenommenen Niederschrift die Arbeitsstelle nicht angenommen, weil die tägliche Wegzeit drei Stunden 50 Minuten betrage und ihr dies nicht zumutbar sei.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung habe die Beschwerdeführerin im Wesentlichen eingewendet, dass die angebotene Stelle vom Wohnort aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln in einer Zeit von nicht unter drei Stunden 50 Minuten zu erreichen wäre. Der Beschwerdeführerin stehe zwar ein Kraftfahrzeug zur Verfügung, finanziell sei es ihr aber nicht möglich, den täglichen Arbeitsweg von 126 km damit zu bestreiten, weil die Kosten unter Einrechnung der Kosten für Treibstoff, Öl, Service, Reifen, Wertverlust, Maut, Versicherung, Verschleiß und Reparaturen eine monatliche Belastung von zumindest EUR 750,-- bedeuten würden.

Nach wörtlicher Wiedergabe der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde weiter aus, dass im Rahmen der Erstellung einer Betreuungsvereinbarung festgehalten worden sei, dass es der Beschwerdeführerin möglich sei, ganztägige Arbeitsstellen anzunehmen und auch bis G zu pendeln. Die Beschwerdeführerin würde den Führerschein und ein Kraftfahrzeug besitzen.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen sei eine Wegzeit von zwei Stunden für Hin- und Rückweg bei einer Vollzeitbeschäftigung zumutbar. Da die Beschwerdeführerin ein eigenes Kraftfahrzeug habe und ihr dessen Benützung möglich sei, sei überprüft worden, welche Wegzeit sie täglich zurückzulegen habe. Die Wegzeit betrage (in eine Richtung) 52 Minuten, für Hin- und Rückweg also knapp zwei Stunden und sei daher innerhalb der Zumutbarkeitsgrenze. Der Fußweg sei vernachlässigbar, da beim Dienstort genügend Parkplätze vorhanden seien und keine zusätzliche Gebühr dafür anfalle. Der Bezirk F gelte als Pendlerregion, daher müssten auch andere Personen weite Strecken in Kauf nehmen, um den Arbeitsplatz zu erreichen.

Der Einwand, die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei innerhalb der zumutbaren Wegzeit nicht möglich, sei insofern nicht zutreffend, da der Beschwerdeführerin ein Auto zur Verfügung stehe. Dass die Beschwerdeführerin "nicht gerade wenig Kosten für die Erreichung eines Arbeitsplatzes" habe, sei klar und für diese nicht erfreulich; entsprechende Beihilfen und Förderungen sollten die Belastung abfedern. Zu bedenken sei jedoch, dass die Beschwerdeführerin durch Aufnahme der Beschäftigung ihr Arbeitsplatzproblem hätte lösen können und sie die Möglichkeit eines neuerlichen Einstiegs in das Berufsleben bekommen hätte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 9 AlVG Abs. 1 und 2 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lauten:

"§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar."

Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert die arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Die genannten Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. idS das Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0141, Slg. Nr. 13.286/A, und die dort angeführte Vorjudikatur).

2. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass ihr eine Vollzeitbeschäftigung als Angestellte mit Arbeitsbeginn am 14. Februar 2011 und einer Entlohnung von monatlich EUR 1.650,-- brutto angeboten wurde. Sie macht jedoch geltend, dass die belangte Behörde die Zumutbarkeit der Beschäftigung zu Unrecht angenommen habe, da ihr die Bewältigung der täglichen Wegstrecke vom Wohnsitz zur angebotenen Arbeitsstelle in G nicht zumutbar sei.

Dies begründet die Beschwerdeführerin zum einen mit dem Zeitaufwand im Falle der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, der für beide Wegstrecken zusammen drei Stunden und 50 Minuten (bei anderen Arbeitsbeginn- und Arbeitsschlusszeiten sogar noch darüber) liegen würde.

Zweitens macht die Beschwerdeführerin geltend, dass ihr die Benützung des eigenen Kraftfahrzeugs nicht zumutbar sei. Eine Fahrtstrecke vom Wohnsitz zum angebotenen Arbeitsplatz betrage 63 km, bei angenommenen 21 Arbeitstagen im Monat würde sie rund 2646 km zurücklegen müssen. Die Beschwerdeführerin besitze einen von ihr näher bezeichneten PKW und müsste für diesen hohe Kosten aufwenden. Unter Berufung auf eine mit der Beschwerde vorgelegte Statistik der Autokosten eines Kraftfahrerklubs führt die Beschwerdeführerin aus, dass sie bei ihrem Fahrzeugmodell Kosten von zumindest EUR 0,322 pro Kilometer habe, woraus sich monatliche Kosten von rund EUR 852,-- ergeben würden. Würde man das amtliche Kilometergeld von EUR 0,42 heranziehen, ergebe sich sogar eine monatliche Kostenbelastung von rund EUR 1.111,--.

Lege man das bei dem angebotenen Bruttoeinkommen von EUR 1.650,-- errechenbare Nettoeinkommen inklusive Pendlerpauschale von EUR 1.288,91 zugrunde und bringe davon die monatlichen Kosten für die Bewältigung der Wegstrecke von EUR 750,-

- in Abzug, würde der Beschwerdeführerin lediglich ein Betrag von EUR 538,91 verbleiben, der damit deutlich unterhalb des Ausgleichszulagenrichtsatzes, der Notstandshilfe, sowie des gesetzlichen Existenzminimums liege. An den von der belangten Behörde im bekämpften Bescheid erwähnten Beihilfen und Förderungen würde es - neben der bereits berücksichtigten Pendlerpauschale - nur die "Entfernungsbeihilfe" des Arbeitsmarktservices geben, die jedoch mit 26 Wochen zum einen zeitlich befristet und darüber hinaus auch mit monatlich maximal EUR 203,-- betraglich begrenzt sei. Der Beschwerdeführerin könne daher diese Förderungsmöglichkeit nicht entgegengehalten werden.

Schließlich könne der Beschwerdeführerin eine wesentlich über der nach § 9 Abs. 2 AlVG für eine Vollzeitbeschäftigung vorgesehenen zwei Stunden liegende Wegzeit nicht zugemutet werden, da ihre Wohnortgemeinde keine typische Pendlergemeinde sei. Nach einer mit der Beschwerde vorgelegten Aufstellung der Statistik Austria würden nicht einmal 10 % aller Erwerbstätigen ihres Wohnorts nach G auspendeln.

4. Zu diesem Vorbringen ist zunächst festzuhalten, dass die belangte Behörde die Beschäftigung als zumutbar beurteilt hat, weil die Arbeitsstelle von der Beschwerdeführerin bei Benützung ihres Kraftfahrzeugs in 52 Minuten zu erreichen gewesen wäre und die tägliche Wegzeit für die Hin- und Rückfahrt weniger als zwei Stunden betragen hätte; diese Wegzeiten wurden von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren (und auch in der Beschwerde) nicht bestritten.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, wie lange die Wegzeit unter Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gewesen wäre, da die arbeitssuchende Beschwerdeführerin nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2008, Zl. 2008/08/0062, mwH) grundsätzlich verpflichtet ist, das ihr zur Verfügung stehende Kraftfahrzeug falls erforderlich für das Erreichen eines Arbeitsplatzes einzusetzen. Auch auf die Frage, ob besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer eine längere Wegzeit als zwei Stunden ausnahmsweise zumutbar gewesen wäre (vgl. zu den dazu erforderlichen Feststellungen das hg. Erkenntnis vom 16. März 2011, Zl. 2007/08/0056), musste die belangte Behörde angesichts der - bei Benützung des Kraftfahrzeugs - unstrittig unter zwei Stunden liegenden Wegzeit nicht eingehen.

5. Entscheidend ist daher im Beschwerdefall ausschließlich, ob die der Beschwerdeführerin angebotene Beschäftigung deshalb als unzumutbar anzusehen ist, weil für das Erreichen der Arbeitsstelle hohe Kosten für die Verwendung des eigenen Kraftfahrzeugs anfallen würden.

Dazu ist jedoch festzuhalten, dass die in § 9 Abs. 2 AlVG - abschließend - geregelten Kriterien für die Zumutbarkeit einer angebotenen Beschäftigung nicht auf die für das Erreichen des Arbeitsplatzes entstehenden Kosten abstellen. Die Entfernung der Arbeitsstelle vom Wohnort findet im Gesetz nur insoweit Beachtung, als die für den Arbeitsweg aufzuwendende Zeit bestimmte - im Beschwerdefall eingehaltene - Grenzen nicht überschreiten darf. Das Gesetz geht damit in einer typisierenden Betrachtungsweise davon aus, dass die Aufwendungen für die Fahrt zu einem Arbeitsplatz, der innerhalb der zumutbaren Wegzeit, auch bei Benutzung des eigenen Kraftfahrzeugs, erreichbar ist, nicht so hoch sein werden, dass dies die Beschäftigung unzumutbar macht. Für eine individuelle Berücksichtigung der für den Arbeitsweg entstehenden Kfz-Kosten ist daher angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes, das ausschließlich auf die Wegzeit abstellt, kein Raum. Überdies übersieht die Beschwerdeführerin, dass ihr die Fixkosten des Kraftfahrzeugs unabhängig davon erwachsen, ob das Fahrzeug bewegt wird oder nicht, sodass bei Aufnahme einer Beschäftigung, für deren Erreichbarkeit in angemessener Zeit des Kfz verwendet werden muss, nur die variablen Kosten - insbesondere Treibstoffkosten - zusätzlich entstehen.

6. Die Beschwerde war daher, da schon ihr Inhalt erkennen ließ, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 19. Oktober 2011

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