VwGH 2008/15/0010

VwGH2008/15/00107.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der P GmbH in V, vertreten durch die Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 76, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 28. November 2007, Zl. RV/0178-G/07, betreffend Nachsicht von Umsatzsteuer, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §183;
BAO §198;
BAO §236 Abs1;
BAO §236;
UStG 1994 §27 Abs4;
VwRallg;
BAO §183;
BAO §198;
BAO §236 Abs1;
BAO §236;
UStG 1994 §27 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Frau DS hat mit Einbringungs- und Sacheinlagevertrag vom 17. September 2001 ein als Einzelunternehmen geführtes Seniorenheim zum 31. Dezember 2000 nach Art III UmgrStG in die beschwerdeführende GmbH eingebracht.

Im Jänner 2002 erteilte die Beschwerdeführerin der deutschen F-GmbH den Bauauftrag zur Errichtung eines Zu- und Umbaues zum Seniorenheim. Im November 2003 wurde über das Vermögen der F-GmbH in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet.

Mit Haftungsbescheid vom 11. September 2006 nahm das Finanzamt die Beschwerdeführerin gemäß § 27 Abs. 4 UStG 1994 als Haftungspflichtige für die aushaftende Umsatzsteuer der F-GmbH (aus den Bauarbeiten am Seniorenheim) im Ausmaß von 315.669 EUR in Anspruch. Zur Begründung führte es aus, die F-GmbH habe im Inland weder Sitz noch Betriebsstätte. Die Beschwerdeführerin habe die Nettosumme von 1.578.345 EUR zuzüglich Umsatzsteuer an die F-GmbH nach Deutschland überwiesen. Sie habe jedoch die Umsatzsteuer nicht einbehalten und auch nicht an das Finanzamt abgeführt. Der Haftungsbescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit Eingabe vom 21. September 2006 stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Nachsicht der gesamten Abgabenschuld von 315.669 EUR. Zur Begründung führte sie aus, sie habe im Jahr 2002 mehrere Teilrechnungen der F-GmbH erhalten. Auf den Teilrechnungen habe der Hinweis gefehlt, dass die ausgewiesene Umsatzsteuer im Namen der F-GmbH an das Finanzamt Graz-Stadt zu zahlen gewesen wäre. Daher habe die Beschwerdeführerin den Bruttobetrag an die F-GmbH nach Deutschland bezahlt. Die Tatsache, dass sie die Rechnungen brutto bezahlt habe und nunmehr die Umsatzsteuer doppelt bezahlen müsse, übersteige ihre finanziellen Möglichkeiten. Durch die unglückliche Geschäftsbeziehung zur F-GmbH sei sie in große finanzielle Schwierigkeiten geraten. Etliche Leistungen hätten nochmals vergeben und bezahlt werden müssen. Baumängel hätten durch andere Unternehmer behoben werden müssen. Zudem seien im Pflegebereich die Personalkosten gestiegen, sodass der Betrieb des Seniorenheimes derzeit nicht kostendeckend geführt werden könne. In den Jahren 2002 bis 2005 habe sich ein Bilanzverlust von 777.000 EUR angesammelt. Für 2006 sei mit einem Jahresverlust von 200.000 EUR zu rechnen. Das Eigenkapital sei per 31. Dezember 2005 mit 595.000 EUR negativ. Eigenmittel seien nicht vorhanden. Sicherheiten für eine weitere Kreditfinanzierung könnten nicht erbracht werden. Die Haftungsinanspruchnahme würde alle Sanierungsbemühungen zunichtemachen.

Nach Ergehen des Abweisungsbescheides, in welchem das Finanzamt darauf verwies, dass der Betrieb bereits ohne Einrechnung der Haftungsschuld insolvenzgefährdet bzw. zahlungsunfähig sei, brachte die Beschwerdeführerin Berufung ein. Sie wendete ergänzend ein, die Nachsicht brächte einen wichtigen Sanierungseffekt und sei Grundvoraussetzung für die Existenzsicherung der Beschwerdeführerin.

Mit Eingaben vom 6. März und 18. September 2007 brachte die Beschwerdeführerin vor, die Sanierungsverhandlungen seien erfolgreich abgeschlossen worden, die Hausbank habe einen erheblichen Schuldnachlass und die Finanzierung notwendiger Umbauten zugesagt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Im gegenständlichen Fall sei die Einhebung der Abgabe weder sachliche noch persönliche unbillig.

Die Beschwerdeführerin habe die F-GmbH mit Sitz in S, Deutschland, eingeladen, ein Anbot zur Errichtung eines Zu- und Umbaues zu legen. Die in der Folge (nach Vertragsabschluss) von der F-GmbH gelegten Rechnungen wiesen nur eine deutsche Adresse auf. Über den Sitz der F-GmbH könne daher kein Zweifel bestanden haben. Die Beschwerdeführerin habe auch die Zahlungen an eine Bankverbindung in Deutschland geleistet. Sie habe aber die in § 27 Abs. 4 UStG 1994 geregelte Verpflichtung nicht erfüllt. Die Erlassung des Haftungsbescheides sei die für den Fall der Nichtabfuhr der Umsatzsteuer in Österreich vorgesehene Rechtsfolge, was eine sachliche Unbilligkeit ausschließe.

Eine persönliche Unbilligkeit liege nicht vor, wenn die finanzielle Situation des Nachsichtswerbers so schlecht sei, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht keinen Sanierungseffekt erbrächte und an der Existenzgefährdung nichts änderte.

Aufgrund der gegebenen Einkommens- und Vermögenslage (laut

Sanierungsvereinbarung vom September 2007: Verbindlichkeiten gegenüber Banken von 4,3 Mio EUR, Jahresverlust 2005: 249.318,64

EUR, Jahresverlust 2006: 508.245,31 EUR) stehe fest, dass die Beschwerdeführerin "überschuldet bzw. zahlungsunfähig" sei. Die Verbindlichkeiten der Beschwerdeführerin hätten sich vom 31. Dezember 2000 bis zum 31. Dezember 2006 (ca. 4,5 Mio EUR) mehr als verdoppelt. Die Nachsicht von 315.669 EUR hätte im Hinblick auf die Höhe der Verbindlichkeiten keinen Sanierungseffekt.

Die Beschwerdeführerin verweise allerdings auf die Sanierungsvereinbarung mit der Hausbank vom September 2007. Aus dieser Vereinbarung ergebe sich, dass die Hausbank einen weiteren Kredit von 450.000 EUR gewähre, der ebenso wie ein Teilbetrag des aushaftenden Darlehens von 2,5 Mio EUR ratenweise innerhalb von 20 Jahren zu tilgen sei. Gehe man von einer gleichmäßigen Tilgung aus, so müsste die Beschwerdeführerin (ohne Berücksichtigung von Zinsen und Spesen) jährlich 147.500 EUR an Rückzahlung leisten. Dabei bestehe sowohl bei den Einnahmen (durch Sozialhilfe anerkannte Sätze) als auch bei den Ausgaben (behördlich vorgegebene Personalpläne) nur ein geringer Spielraum. Im Nachsichtsansuchen habe die Beschwerdeführerin dargetan, dass der Betrieb derzeit nicht kostendeckend geführt werden könne.

Da die Beschwerdeführerin nicht darlege, mit welchen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen sie trotz der nicht kostendeckenden Betriebsführung die finanziellen Mittel von zumindest 3 Mio EUR in einem Zeitraum von 20 Jahren erwirtschaften wolle, könne nicht vom Wegfall der Existenzgefährdung durch die Sanierungsvereinbarung vom September 2007 gesprochen werden. Die in Rede stehende Umsatzsteuer betrage gerade 7% der übrigen Schulden der Beschwerdeführerin.

Aber selbst wenn man vom Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit ausginge, weil mit der Nachsichtsgewährung die Sanierungsvereinbarung mit der Hausbank wirksam würde und der Fortbestand des Unternehmens vorübergehend gesichert wäre, wäre für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen.

Der Sanierungsvereinbarung zwischen der Beschwerdeführerin und der Hausbank sei zu entnehmen, dass die Vereinbarung unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen sei, dass die Nachsicht der Umsatzsteuer gewährt werde. Nur im Falle der gänzlichen Nachsicht der Umsatzsteuer träte die Sanierungsvereinbarung sohin in Geltung.

Die Beschwerdeführerin habe sohin die Verbindlichkeiten gegenüber der Abgabenbehörde von vornherein in ihre Überlegungen hinsichtlich der Sanierungsvereinbarung nicht einbezogen. Die zumindest teilweise Entrichtung der Umsatzsteuer sei von der Beschwerdeführerin nie in Erwägung gezogen worden. Eine Kontaktaufnahme mit der Abgabenbehörde sei im Zuge der Verhandlungen über die Sanierung nicht erfolgt. Die Sanierungsvereinbarung sei von vornherein an die gänzliche Nachsicht geknüpft worden. Eine derartige Vorgangsweise sei nicht geeignet, die Ausübung des Ermessens zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu bewirken.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei der Ermessensübung auch zu berücksichtigen, ob sich eine Nachsicht und ein damit verbundener Verzicht durch die Abgabenbehörde ausschließlich zu Lasten des Abgabengläubigers auswirken würde.

Aus der Sanierungsvereinbarung gehe hervor, dass die Hausbank nicht unwiderruflich auf einen Teil ihrer Forderungen verzichte. Es werde eine Besserungsvereinbarung in Form eines vom cash flow abhängigen Systems festgelegt. Erst nach 20 Jahren solle der noch offene Forderungsbetrag erlöschen. Auch im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens würde die Forderung der Hausbank wieder zur Gänze aufleben. Ein Gläubigerverzicht sei sohin mit der Sanierungsvereinbarung nicht verbunden. Der Verzicht der Abgabenbehörde käme damit ausschließlich der Hausbank zugute, die zumindest mit der Abdeckung eines Teiles ihrer Verbindlichkeiten rechnen könne.

Die Beschwerdeführerin habe keine Bereitschaft zur teilweisen Entrichtung der Umsatzsteuer gezeigt. Dem öffentlichen Interesse an der Hereinbringung der Abgaben sei daher der Vorzug gegenüber den Interessen der Beschwerdeführerin zu geben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Fällige Abgabenschuldigkeiten können gemäß § 236 Abs. 1 BAO auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.

Gemäß § 2 der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 liegt eine persönliche Unbilligkeit insbesondere vor, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährdete oder mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind für die Entscheidung über Nachsichtsansuchen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen maßgebend (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. November 2010, 2007/13/0135, und vom 24. Juni 2010, 2008/15/0221).

Persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung ist nach der ständigen Rechtsprechung (jedenfalls) dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht keinen Sanierungseffekt hätte (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2006, 2003/13/0058).

In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde die Sachverhaltsfeststellung getroffen, dass die Verbindlichkeiten der beschwerdeführenden GmbH gegenüber Banken ca. 4,3 Mio EUR, der Jahresverlust 2005 ca. 250.000 EUR und der Jahresverlust 2006 ca. 510.000 EUR erreicht hätten und die beschwerdeführende GmbH "überschuldet bzw. zahlungsunfähig" sei. Die vom Nachsichtsansuchen betroffene Umsatzsteuer betrage nur ca. 7% der Verbindlichkeiten der Beschwerdeführerin. Von der Einbringung des Betriebes in die beschwerdeführende GmbH bis zum 31. Dezember 2006 habe sich der Schuldenstand mehr als verdoppelt und den Betrag von ca. 4,5 Mio EUR erreicht.

Diesen Sachverhaltsfeststellungen tritt die Beschwerde nicht konkret entgegen. Sie rügt allerdings als Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin und einen Vertreter der Wirtschaftsprüfungskanzlei zu den Details der Sanierungsgespräche zu vernehmen. Außerdem habe sich die belangte Behörde nicht objektiv damit auseinander gesetzt, dass die Beschwerdeführerin über ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept verfüge, bei dem die Hausbank auf die Hälfte der Forderungen verzichte, wobei die Wirksamkeit der Sanierungsvereinbarung bloß von der Bedingung der Nachsichtsgewährung abhänge.

Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass die Beschwerdeführerin weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde ein fundiertes Sanierungskonzept vorgelegt hat. Die Vereinbarung mit der Hausbank, dass diese einen Teil ihrer Forderungen in Besserungskapital umwandelt, stellt kein Sanierungskonzept dar, das den in Aussicht genommenen Weg der Gesundung des Unternehmens darstellt. Zudem lässt sich aus dieser Unterlage nicht schlüssig ableiten, dass die Nachsicht von ca. 300.000 EUR an Umsatzsteuer einen Sanierungseffekt zur Folge hätte.

Wird das Beweisthema, welche konkreten Tatsachenbehauptungen im Einzelnen durch die angebotene Zeugeneinvernahme erwiesen werden sollen, nicht genannt, so ist die Abgabenbehörde zu einer solcherart als Erkundungsbeweis anzusehenden Einvernahme nicht verpflichtet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. August 2008, 2008/15/0044). Mangels eines konkreten Tatsachenvorbringens hat die belangte Behörde daher durch das Unterlassen der Vernehmung der genannten Personen als Zeugen keine Verfahrensvorschriften verletzt.

Im Nachsichtsverfahren hat der Antragsteller das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann. Das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt beim Antragsteller (vgl. Ritz, BAO3, § 236 Tz 4). Daher zeigt das Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde hätte von Amts wegen weitere Ermittlungen durchführen müssen, keine Rechtswidrigkeit auf.

Wenn die belangte Behörde auf der Basis ihrer oben angeführten Sachverhaltsfeststellung zur Ansicht gelangte, dass der Wegfall der vom Nachsichtsansuchen umfassten Abgabenschuld als solcher keinen Sanierungseffekt hätte, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden, zumal - wie bereits ausgeführt - die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Nachsichtsverfahren keinen konkreten Sanierungsplan vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang hat das einzige konkrete Vorbringen in der Beibringung der Sanierungsvereinbarung mit einem Gläubiger (nämlich der Hausbank) vom September 2007 bestanden, in welcher einleitend angeführt wird, der Beschwerdeführerin sei die Rückführung der gesamten Kreditsumme nicht möglich, und sodann festgelegt wird, dass von den bestehenden Bankschulden von 4,3 Mio EUR ein Teil von 2,25 Mio EUR in Besserungskapital umgewandelt wird. Damit hat die Beschwerdeführerin im bisherigen Nachsichtsverfahren aber in keiner Weise ein nachvollziehbares Sanierungskonzept mit einer Darstellung der zu erwartenden Entwicklung der Einnahmen, der Ausgaben und der Schulden vorgelegt, aus dem die belangte Behörde hätte ableiten können, dass die Gewährung der begehrten Nachsicht eine Sanierung bewirken würde.

In der Beschwerde wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, die Sanierungsvereinbarung mit der Hausbank sei unter der "ausdrücklichen aufschiebenden Bedingung" geschlossen worden, dass die in Rede stehende Nachsicht (im Wege der Berufungsentscheidung) gewährt werde. Aus dieser Vereinbarung ergebe sich somit, dass erst die Nachsichtsgewährung zum Wegfall eines bedeutenden Teiles der Bankschulden (bzw. Umwandlung in Besserungskapital) führen würde.

Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass die persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht herbeigeführt werden kann, indem in einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Abgabenschuldner und einem Dritten als aufschiebende Bedingung auf die Gewährung einer angestrebten Abgabennachsicht angeknüpft wird.

Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der genannten Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 beispielsweise aufgezählten und hier nicht in Betracht kommenden Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 2010, 2006/15/0337, mwN) anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnis muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat.

Die Beschwerdeführerin wendet ein, sie habe die Umsatzsteuer mit dem Werklohn an die F-GmbH bezahlt. Da sie zur Haftung für Umsatzsteuer herangezogen werde, müsse sie diese Umsatzsteuer quasi doppelt entrichten.

Hiezu ist darauf hinzuweisen, dass der dargestellte Umstand die Folge der Nichtbeachtung der Anordnung des § 27 Abs. 4 UStG 1994 ist. Nach dieser Bestimmung hätte die Beschwerdeführerin die Umsatzsteuer (vom Werklohn) einbehalten und im Namen und auf Rechnung der F-GmbH an das Finanzamt abführen müssen.

Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, sie habe im Vertrauen darauf gehandelt, dass die in Deutschland gegründete F-GmbH eine Niederlassung oder Betriebsstätte in Österreich habe. Auf den Rechnungen der F-GmbH fehle der Hinweis, "dass ihre Leistungen von ihr in Österreich nicht versteuert werden".

Diesem Vorbringen ist zunächst entgegen zu halten, dass ein solcher Hinweis auf den Rechnungen im Gesetz nicht vorgesehen ist. Im angefochtenen Bescheid weist die belangte Behörde darauf hin, dass die Beschwerdeführerin mit einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft einen Werkvertrag geschlossen habe, die Rechnungen dieser Gesellschaft ausschließlich eine deutsche Anschrift aufwiesen und die Zahlungen nach Deutschland geleistet worden seien, weshalb die Beschwerdeführerin nicht von einer in Österreich gelegenen (weiteren) Betriebsstätte hätten ausgehen dürfen.

Für den Beschwerdefall ist aber entscheidend: Die Geltendmachung der Haftung nach § 27 Abs. 4 UStG 1994 liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. Jänner 2005, 2002/15/0157, ausgesprochen hat, stellt zwar nicht der Haftungstatbestand des § 27 Abs. 4 UStG 1994 als solcher darauf ab, ob der potenziell Haftungspflichtige Kenntnis vom Eintritt der haftungsrelevanten Umstände gehabt hat oder hätte haben müssen. Es müssen diese Überlegungen aber im Rahmen der Ermessensübung bei Geltendmachung der Haftung nach § 27 Abs. 4 UStG 1994 Berücksichtigung finden. Auch im gegenständlichen Fall ist daher im Rahmen der Ermessensübung bei Geltendmachung der Haftung zu berücksichtigen gewesen, ob bzw. auf welche Weise sich die zur Haftung Herangezogene Kenntnis davon verschaffen konnte, dass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 27 Abs. 4 UStG 1994 gegeben sind. Damit sind aber die näheren Umstände hinsichtlich der Kenntnis der Haftungspflichtigen über die Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen im Verfahren betreffend Geltendmachung der Haftung nach § 27 Abs. 4 UStG 1994 vorzubringen und zu berücksichtigen gewesen. Gerade weil aber diese Umstände über den Kenntnisstand im Haftungsverfahren zu berücksichtigen sind, sind sie nicht solche, die zu einem - gegebenenfalls zur Nachsicht führenden - vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten Ergebnis, zu einer anormalen Belastungswirkung bzw. zu einem verglichen mit anderen Fällen atypischen Vermögenseingriff führen.

Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich, dass die Nachsicht nach § 236 BAO nicht dazu dient, im vorangegangenen Festsetzungsverfahren allenfalls unterlassene Einwendungen nachzuholen (vgl. die bei Ritz, BAO3, § 236 Tz 14 angeführte Rechtsprechung). Das gilt auch für ein vorangegangenes Haftungsverfahren (hier nach § 27 Abs. 4 UStG 1994).

Die Beschwerde vermag sohin nicht aufzuzeigen, dass die belangte Behörde im gegenständlichen Fall zu Unrecht vom Fehlen einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit ausgegangen ist.

Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 7. Juli 2011

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