VwGH 2008/21/0349

VwGH2008/21/034927.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des D O, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1016 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 19. Mai 2008, Zl. UVS‑8/10149/2‑2008, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z14
FrPolG 2005 §1 Abs2
FrPolG 2005 §76 Abs1
FrPolG 2005 §76 Abs2
FrPolG 2005 §76 Abs6
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2010:2008210349.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, hatte am 17. September 2006 nach seiner Einreise einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz gestellt, der mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. September 2007 abgewiesen wurde; unter einem wurde der Beschwerdeführer nach Nigeria ausgewiesen. Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen und zur Zl. 2007/20/1352 protokollierten Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 19. Dezember 2007 ab.

Mit dem (am selben Tag ausgehändigten) Bescheid vom 30. April 2008 ordnete die Bundespolizeidirektion Salzburg gegen den ‑ damals in der Justizanstalt Salzburg in Strafhaft angehaltenen ‑ Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 ‑ FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an, wobei die Rechtsfolgen nach der Entlassung aus der Gerichtshaft eintreten sollten. Die Schubhaft wurde sodann ab 7. Mai 2008 vollzogen und dauerte bis zur Entlassung des Beschwerdeführers am 26. Mai 2008.

Der Beschwerdeführer sprach sich in einer Vernehmung am 8. Mai 2008 gegen die beabsichtigte Abschiebung mit dem Hinweis aus, er habe "am 02.05.2008" durch einen Sozialarbeiter in der Justizanstalt Salzburg einen neuerlichen Asylantrag gestellt. Hierauf hielt die Bundespolizeidirektion Salzburg in einem gemäß § 76 Abs. 6 FPG verfassten Aktenvermerk fest, dass im Hinblick auf ein gegen den Beschwerdeführer am 2. Juli 2007 erlassenes Rückkehrverbot in Verbindung mit der rechtskräftigen asylrechtlichen Ausweisung die Voraussetzungen nach § 76 Abs. 2 FPG vorlägen.

In der gegen die Festnahme, die Schubhaftverhängung und die Anhaltung ‑ am 14. Mai 2008 per Telefax ‑ erhobenen Schubhaftbeschwerde wurde vor allem geltend gemacht, der Beschwerdeführer habe bereits am 29. April 2008 um 14.23 Uhr neuerlich die Gewährung von Asyl beantragt. Gemäß § 1 Abs. 2 FPG hätte daher über den Beschwerdeführer als Asylwerber die Schubhaft nicht nach § 76 Abs. 1 FPG und im Hinblick auf die derzeitige Unzulässigkeit einer Abschiebung nicht "zur Sicherung der Abschiebung" verhängt werden dürfen.

Dem hielt die Bundespolizeidirektion Salzburg in ihrer Stellungnahme vom 14. Mai 2008 entgegen, dass ein neuerlicher Asylantrag (erst) am 2. Mai 2008 eingebracht und von der Erstaufnahmestelle West (mittlerweile) mitgeteilt worden sei, es sei beabsichtigt, diesen Antrag zurückzuweisen.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen (ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen) Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg (der belangten Behörde) vom 19. Mai 2008 wurde die Schubhaftbeschwerde als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vorlägen.

Die belangte Behörde ging in der Begründung davon aus, der Beschwerdeführer habe am 2. Mai 2008 einen neuerlichen Asylantrag gestellt, wobei der "Bundesasylsenat" (gemeint: das Bundesasylamt) mit Schreiben vom 13. Mai 2008 mitgeteilt habe, dass beabsichtigt sei, den Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Daraus folgerte die belangte Behörde rechtlich, zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Schubhaftbescheides (am 30. April 2008) sei zutreffend die Rechtsgrundlage des § 76 Abs. 1 FPG herangezogen worden, sodass sich der diesbezügliche Beschwerdeeinwand als unbegründet erweise. Ab erfolgter Einbringung des Asylantrages sei § 76 Abs. 6 FPG die Rechtsgrundlage für die Aufrechterhaltung der Schubhaft. Seit diesem Zeitpunkt gelte die Schubhaft als nach § 76 Abs. 2 FPG verhängt.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hielt die belangte Behörde gemäß § 83 Abs. 2 FPG für entbehrlich, weil sich der wesentliche Sachverhalt bereits aus dem vorgelegten Akt in Zusammenhalt mit den Beschwerdeausführungen ergebe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

In der Beschwerde wird ‑ wie schon in der Schubhaftbeschwerde ‑ gerügt, der die Schubhaft anordnende Bescheid vom 30. April 2008 hätte nicht auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt werden dürfen, weil der Beschwerdeführer bereits am 29. April 2008 neuerlich internationalen Schutz beantragt habe, dazu am 30. April 2008 durch eine bestimmte Polizeiinspektion "erstbefragt" und am 2. Mai 2005 der Erstaufnahmestelle West vorgeführt worden sei.

Der mit "Schubhaft" überschriebene § 76 FPG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) lautet ‑ soweit hier wesentlich ‑ auszugsweise wie folgt:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare ‑ wenn auch nicht rechtskräftige ‑ Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

...

(6) Stellt ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrecht erhalten werden. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 vor, gilt die Schubhaft als nach Abs. 2 verhängt. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft gemäß Abs. 2 ist mit Aktenvermerk festzuhalten."

 

Vorauszuschicken ist, dass ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 17 Abs. 1 AsylG 2005 "gestellt" ist, wenn ein Fremder in Österreich vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, einer Sicherheitsbehörde oder bei einer Erstaufnahmestelle um Schutz vor Verfolgung ersucht. Nach § 17 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz "eingebracht", wenn er vom Fremden persönlich ‑ auch im Rahmen einer Vorführung iSd § 43 AsylG 2005 ‑ bei einer Erstaufnahmestelle des Bundesasylamtes gestellt wird.

Nach dem Inhalt des die Schubhaft anordnenden Bescheides der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 30. April 2008 wurde die gegen den Beschwerdeführer ab 7. Mai 2008 zur Sicherung seiner Abschiebung vollzogene Schubhaft auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt.

Gemäß § 1 Abs. 2 erster Satz FPG ist § 76 Abs. 1 FPG auf Asylwerber nicht anzuwenden. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 ist "Asylwerber" ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zur Verfahrensbeendigung (rechtskräftiger Abschluss, Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens). Gegen Asylwerber und ‑ wie der Ausschussbericht (1055 BlgNR 22. GP  5) klarstellend bemerkt ‑ auch gegen Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz erst gestellt (also noch nicht eingebracht) haben, kommt Schubhaft nur unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 FPG in Betracht. Nach § 76 Abs. 1 FPG kann die Schubhaft ‑ abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen betreffend Asylverfahren, die nach dem AsylG 1997 in der Fassung vor der Novelle 2003 zu Ende zu führen sind ‑ somit nur gegen Fremde angeordnet werden, wenn sie (noch) keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben oder wenn deren Asylverfahren beendet ist (vgl. Punkt 2. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 18. Dezember 2008, Zl. 2008/21/0582; siehe dazu auch ausführlich Punkte 1.2. bis 1.5. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 17. März 2009, Zl. 2008/21/0668).

Für die Frage, ob gegen den Beschwerdeführer am 30. April 2008 die (nur der Sicherung der Abschiebung dienende) Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG angeordnet hätte werden dürfen, war daher als Vorfrage maßgeblich, ob der (zweite) Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von internationalem Schutz ‑ wie vom Beschwerdeführer behauptet ‑ bereits am 29. April 2004 gestellt wurde oder ‑ wie von der belangten Behörde angenommen ‑ erst am 2. Mai 2008.

Die belangte Behörde begründete ihre diesbezügliche Annahme im angefochtenen Bescheid nicht. Sie stützte sich dabei offenbar auf die Eintragungen im Asylwerberinformationssystem, wonach der Antrag am 2. Mai 2008 gestellt und am selben Tag auch eingebracht worden sei. Demgegenüber ergibt sich aus der mit der Beschwerde vorgelegten, vor dem Stadtpolizeikommando Salzburg, Polizeiinspektion Rathaus, am 30. April 2008 in der Zeit von 10.45 Uhr bis 12.00 Uhr mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift über die gemäß § 19 Abs. 1 iVm § 44 Abs. 1 AsylG 2005 erfolgte Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Antrag auf internationalen Schutz der (vor der Befragung ermittelte) Zeitpunkt der Antragstellung mit "29.04.2008, 14:23". Das steht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Schubhaftbeschwerde im Einklang und im Widerspruch zur Behauptung der Bundespolizeidirektion Salzburg in ihrer dazu erstatteten Stellungnahme vom 14. Mai 2008. Die divergierenden Angaben zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz hätte die belangten Behörde daher zum Anlass für ergänzende Ermittlungen nehmen müssen und sie hätte nicht von einem "aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheinenden Sachverhalt" iSd § 83 Abs. 2 Z 1 FPG ausgehen dürfen.

Diesem Ermittlungsmangel kommt aber nach der oben dargestellten Rechtslage Relevanz zu, weil die belangte Behörde den Schubhaftbescheid vom 30. April 2008 und die darauf gegründete Anhaltung ausgehend von einer Antragstellung am 29. April 2008 aber schon deshalb für rechtswidrig hätte erklären müssen, weil dann gegen den Beschwerdeführer Schubhaft nicht nach § 76 Abs. 1 FPG, sondern nur bei Vorliegen einer der besonderen Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG hätte verhängt werden dürfen (vgl. zum Ganzen auch zuletzt das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0046). Auch der Fortsetzungsausspruch der belangten Behörde nach § 83 Abs. 4 FPG wäre nur unter dem Gesichtspunkt des § 76 Abs. 2 FPG in Betracht gekommen.

Im Übrigen hat die belangte Behörde in Bezug auf die (Festnahme und die) Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung sowie in Bezug auf ihren Fortsetzungsausspruch aber auch insofern die Rechtslage verkannt, als sie dafür "ab erfolgter Einbringung des Asylantrages" am 2. Mai 2008 in § 76 Abs. 6 FPG eine tragfähige Grundlage gesehen hat. Auch das macht die Beschwerde zutreffend geltend.

Abgesehen davon, dass sich auch diese Bestimmung nicht auf den Zeitpunkt der "Einbringung" sondern der "Stellung" eines Antrages auf internationalen Schutz bezieht, kommt sie schon nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur dann zur Anwendung, wenn ein solcher Antrag "während der Anhaltung in Schubhaft" gestellt wird. Nur wenn sich der Fremde bereits in Schubhaft befindet, kommt die nach § 76 Abs. 6 FPG vorgesehene Möglichkeit, dass "diese aufrecht erhalten werden" kann, überhaupt in Betracht. Da der Vollzug der Schubhaft gegen den Beschwerdeführer erst am 7. Mai 2008 begonnen wurde, hätte diese somit jedenfalls nur auf einen gemäß § 76 Abs. 2 FPG erlassenen Bescheid gegründet werden können.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen der (prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. Jänner 2010

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