Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte erklärte in den beschwerdegegenständlichen Jahren 1998 bis 2002 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die seit 1989 bezogenen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Witwenpension) fanden in den Einkommensteuererklärungen und den Einkommensteuerbescheiden dieser Jahre keinen Eingang.
Eine im Jahr 2004 durchgeführte abgabenbehördliche Prüfung über den Zeitraum 2000 bis 2002 ergab keine Änderungen in den veranlagten Besteuerungsgrundlagen.
Mit Bescheiden vom 10. März 2005 nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend (u.a.) Einkommensteuer der Jahre 1998 bis 2002 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und begründete dies wie folgt:
"Die Wiederaufnahme des Verfahrens war von Amts wegen im Sinne einer geordneten und gesicherten Abgabenerhebung auszuüben, weil unter Bedachtnahme auf Ursache und Bedeutung des Wiederaufnahmegrundes dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben der Vorrang vor dem Interesse der Partei an der Rechtskraft des Bescheides zu gewähren war.
Sie haben bisher die Einkünfte aus der Pension von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft nicht erklärt."
In ihrer sowohl gegen die Wiederaufnahme der Verfahren als auch gegen die neuen Sachbescheide gerichteten Berufung brachte die Mitbeteiligte im Wesentlichen vor, dass die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft dem Finanzamt ordnungsgemäß den Bezug der Witwenpension bekannt gegeben habe. Die unrichtige Angabe sowohl der Sozialversicherungsnummer als auch des Geburtsdatums sei auf einen Irrtum zurückzuführen. Es seien daher keine neuen Tatsachen zum Vorschein gekommen, die eine Wiederaufnahme der Verfahren rechtfertigen würden.
In abweisenden Berufungsvorentscheidungen führte das Finanzamt aus, dass die Mitbeteiligte ihre Einkommensteuererklärungen in den Streitjahren insoweit mangelhaft ausgefüllt habe, als sie die Angabe der Anzahl sowie der Namen und Adressen der bezugs- oder pensionsauszahlenden Stellen unterlassen habe. In Verbindung mit der unrichtigen Sozialversicherungsnummer auf den betreffenden Lohnzetteln sei daher eine ordnungsgemäße Zuordnung der Pensionseinkünfte zur Mitbeteiligten und somit eine Zusammenführung der Daten zur gemeinsamen Veranlagung mit den restlichen Einkünften der Mitbeteiligten (aus Gewerbebetrieb) nicht möglich gewesen.
Die belangte Behörde gab der Berufung gegen die Wiederaufnahme der Verfahren der Jahre 1998 bis 2002 statt, hob die Wiederaufnahmebescheide auf und wies infolgedessen die Berufung gegen die Sachbescheide zurück.
Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass aus den angefochtenen Wiederaufnahmebescheiden nicht nachvollziehbar sei, auf welche neu hervorgekommene Tatsache sich das Finanzamt bei seiner Wiederaufnahme gestützt habe und dieser Begründungsmangel auch nicht durch die "dezidierte" Begründung der Berufungsvorentscheidung geheilt werden könne.
Dagegen wendet sich die vom Finanzamt gemäß § 292 BAO wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung von Gegenschriften der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei erwogen hat:
Eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist gemäß § 303 Abs. 4 BAO unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 Abs. 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die gemäß § 305 Abs. 1 leg. cit. zuständige Behörde.
Das beschwerdeführende Finanzamt bringt vor, in den erstinstanzlichen Bescheiden werde darauf hingewiesen, dass die Wiederaufnahme der Verfahren erfolgt sei, weil Pensionseinkünfte nicht erklärt worden seien. Das Hervorkommen bei der Veranlagung bisher nicht erfasster Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit stelle zweifellos eine Tatsache dar, welche geeignet sei, im Spruch anders lautende Einkommensteuerbescheide herbeizuführen. Nicht zuletzt aufgrund der inhaltlichen Ausführungen in der Berufung ergebe sich, dass die mitbeteiligte Partei den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrund erkannt habe. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde werde in den gegenständlich ergangenen Berufungsvorentscheidungen kein neuer Wiederaufnahmegrund eingeführt, sondern lediglich der bereits im erstinstanzlichen Bescheid geltend gemachte Grund näher ausgeführt, um dem Berufungsvorbringen zu entgegnen.
Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Bei einer Berufung gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die Sache, über welche die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß § 289 Abs. 2 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl. mit weiteren Hinweisen das hg. Erkenntnis vom 22. November 2006, 2003/15/0141).
Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss die Berufungsbehörde den vor ihr bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben.
Anders als die belangte Behörde meint, kann im Beschwerdefall keine Rede davon sein, dass den vom Finanzamt erlassenen Wiederaufnahmebescheiden jene Sachverhaltselemente, auf die das Finanzamt die Wiederaufnahme gestützt hat, nicht zu entnehmen gewesen wären. Das Vorliegen bisher nicht erklärter Einkünfte, wie gegenständlich einer Witwenpension, stellt zweifelsfrei eine Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO dar. In der Berufung gegen die Bescheide vom 10. März 2005 hat auch die mitbeteiligte Partei das Unterbleiben einer Veranlagung ihrer Pensionseinkünfte als vom Finanzamt angenommenen Wiederaufnahmegrund erkannt. Dass das Berufungsvorbringen, die Auszahlung einer Witwenpension sei dem Finanzamt bekannt gewesen, eine Auseinandersetzung mit der Frage der zeitlichen Abfolge des Bekanntwerdens dieser für die Wiederaufnahme maßgeblichen Tatsache erforderte, zeigt die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend auf. Feststellungen über den Wissenstand der abgabenfestsetzenden Stelle im Zeitpunkt der Erlassung der wiederaufzunehmenden Einkommensteuerbescheide zu treffen, war aber Aufgabe der belangten Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1984, 84/13/0054). Die Berufungsbehörde hat, sofern die Bescheidausführungen des wiederaufnehmenden Finanzamtes mangelhaft sind, ausgehend von dem genannten Wiederaufnahmegrund, diesen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1990, 90/16/0003).
Unberechtigt ist auch der im angefochtenen Bescheid erhobene Vorwurf, das Finanzamt habe die "neu hervorgekommenen Beweismittel" und "das sonstige Ergebnis des Verfahrens" nicht ausdrücklich benannt und näher ausgeführt, weil bereits der vom Finanzamt herangezogene Umstand des Vorliegens nicht erklärter Einkünfte für sich genommen einen tauglichen Wiederaufnahmegrund bildet. Ob den Abgabepflichtigen ein Verschulden am Unterbleiben entsprechender Angaben in den Abgabenerklärungen trifft, ist - anders als die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift zum Ausdruck bringt - für die Frage der Zulässigkeit der Wiederaufnahme von Amts wegen nicht entscheidend. Dass die Erfassung weiterer Einkünfte einen "im Ergebnis anders lautenden Spruch indiziert", liegt auf der Hand.
Da die belangte Behörde nach dem Gesagten zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass den Wiederaufnahmebescheiden des Finanzamtes kein Wiederaufnahmegrund zu entnehmen war, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 17. April 2008
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