VwGH 2007/08/0090

VwGH2007/08/00904.7.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des F in F, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz vom 15. März 2007, Zl. BMSG- 225865/0002-II/A/3/2007, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG in einer Angelegenheit der Pflichtversicherung nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei:

Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und dem ihr angeschlossenen angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer beantragte am 13. Februar 2004 bei der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 3. Dezember 2003 über die Pflichtversicherung des Beschwerdeführers nach dem GSVG (zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 28. Juli 2006, Zl. 2004/08/0045, verwiesen).

Der Beschwerdeführer brachte in seinem Antrag vor, er habe die Berufungsfrist versäumt, weil die Kanzleileiterin seines Vertreters die im Schreibdiktat genannte Behörde, bei der die Berufung einzubringen gewesen wäre, eigenmächtig abgeändert habe, weil sie der Ansicht gewesen sei, der Vertreter hätte beim Diktat die Behörde verwechselt. Da sie mit dem Einspruch nicht befasst gewesen sei, sei ihr nicht bekannt gewesen, dass es sich bereits um den "zweiten Verfahrensgang" gehandelt habe. Die Kanzleileiterin habe angenommen, dass Behörde erster Instanz der Landeshauptmann sei. Als die Kanzleileiterin die gesamte Tageskorrespondenz dem Vertreter des Beschwerdeführers zur Unterschrift vorgelegt habe, habe sie vergessen, die vorgenommene Änderung zu erwähnen. Dies stelle ein unvorhergesehenes Ereignis dar, das die fristgerechte Einbringung der Berufung verhindert habe. Es sei "von einem minderen Grad des Versehens der langjährig versierten Kanzleikraft auszugehen".

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 iVm § 63 Abs. 5 AVG abgewiesen. Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung sei dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Bediene sich ein Vertreter der Unterstützung von Hilfskräften, so müssten Mindesterfordernisse einer sorgfältigen Organisation erfüllt sein. Diese Organisation erfordere ein Kontrollsystem. Um ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Organisationsverschulden zu vermeiden, wäre im vorliegenden Fall ein Kontrollsystem dahingehend einzurichten gewesen, dass Abänderungen, welche die Kanzleikraft eigenmächtig etwa in der Meinung vornehme, der Vertreter des Beschwerdeführers hätte sich bei Abfassung des Diktates geirrt, von der Kanzleikraft intern deutlich und schon anlässlich der Abänderung gekennzeichnet werden müssen, damit sie bei der Kontrolle auch zuverlässig erkannt und überprüft werden könnten. Den Vertreter des Beschwerdeführers treffe ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden, das dem Beschwerdeführer zuzurechnen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn (Z. 1) die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder (Z. 2) die Partei die Berufungsfrist versäumt hat, weil der Bescheid fälschlich die Angabe enthält, dass keine Berufung zulässig sei.

Im Beschwerdefall wurde nach den in der Beschwerde nicht bestrittenen Feststellungen der belangten Behörde die Berufung bei der unzuständigen Behörde eingebracht, weil die Kanzleileiterin des Vertreters des Beschwerdeführers die vom Vertreter im Berufungsschriftsatz zutreffend diktierte Einbringungsstelle (die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft) eigenmächtig dahingehend abgeändert hat, dass als Einbringungsbehörde der Landeshauptmann von Vorarlberg aufgeschienen ist.

Im Beschluss eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Slg. Nr. 9226/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass das Versehen einer Kanzleibediensteten für den Rechtsanwalt (und damit für die von ihm vertretene Partei) nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellt, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seiner Angestellten hinreichend nachgekommen ist, sowie überhaupt die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, dass die Einhaltung von Fristen gesichert scheint.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Wiedereinsetzungsantrag, was die zur Erfüllung der nach der Sachlage gebotenen Sorgfalts- und Überwachungspflicht getroffenen Maßnahmen betrifft, zu substantiieren. Andernfalls ist eine Beurteilung dahin, dass dem Rechtsanwalt bloß ein Versehen minderen Grades zur Last liegt, nicht möglich (vgl. den hg. Beschluss vom 29. Juni 2005, Zl. 2005/08/0104, und das hg. Erkenntnis vom 3. April 2001, Zl. 2000/08/0214, sowie den hg. Beschluss vom 2. Mai 2005, Zl. 2005/10/0064, mwN).

Im letztgenannten Zusammenhang lässt das Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verwaltungsverfahren eine Erklärung dafür vermissen, dass dem Beschwerdevertreter die von der Kanzleikraft vorgenommene Änderung der Adressierung des Schriftsatzes nicht aufgefallen ist. Kontrolliert ein Rechtsanwalt einen fristgebundenen Schriftsatz vor der Unterfertigung nicht auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Rechtzeitigkeit, dann fällt ihm schon deshalb auffallende Sorglosigkeit zur Last. Sollte er aber seiner Kontrollpflicht nachgekommen sein, dann hätte er darzulegen gehabt, aus welchen besonderen Gründen ihm die eigenmächtig vorgenommene Änderung in der Adressierung des Schriftsatzes dennoch nicht aufgefallen ist. Das gänzliche Fehlen von Vorbringen zu dieser Frage führt dazu, dass die Behörde zurecht von grobem Verschulden des Beschwerdeführers ausgehen durfte.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 4. Juli 2007

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