European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2004:2001200286.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 28. März 2001 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines seinen Angaben zufolge am 3. Jänner 2000 nach Österreich eingereisten Staatsangehörigen von Ghana, gemäß § 7 AsylG abgewiesen und in Anwendung des § 8 AsylG festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Ghana zulässig sei.
Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde - anders als das Bundesasylamt, das die vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe für unglaubwürdig erachtet hatte - das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers, das sich wie folgt zusammenfassen lässt, zugrunde:
Der Beschwerdeführer sei bis 1997 (in der Berufung: 1996) Mitglied der in Ghana regierenden Partei NDC (National Democratic Congress) gewesen. Damals sei es in seinem Heimatort ("Dormaa Ahenkro") zu massivem Wahlbetrug gekommen, weshalb er sich entschlossen habe, der in Opposition befindlichen NPP (New Patriotic Party) beizutreten. In dieser Partei sei er Führer der Jugendorganisation (in der Berufungsverhandlung: "Oberorganisator in meinem Distrikt") gewesen. Der Parteiwechsel sei "als Verrat" gewertet worden. Der Beschwerdeführer sei am 2. Dezember 1999 - auf der Fahrt nach Accra per Autostopp - als Mitfahrer mit ihm unbekannten Personen bei einer Straßensperre verhaftet worden, nachdem bei der Durchsuchung des Fahrzeuges Waffen gefunden worden seien. Von dem Waffentransport habe der Beschwerdeführer keine Ahnung gehabt, man habe ihm aber nicht geglaubt. Die beiden Fahrzeuginsassen hätten nämlich behauptet, die Waffen gehörten dem Beschwerdeführer. Er sei in einer näher genannten Polizeistation unter dem Vorwurf des illegalen Waffenschmuggels für die Putschisten inhaftiert gewesen. Es sei ihm mitgeteilt worden, dass er nach Accra zum "berüchtigten" Bureau of National Investigation (BNI) gebracht werde. Aus Angst davor sei er am 20. Dezember 1999 auf näher beschriebene Weise in den Busch und in weiterer Folge ins Ausland geflüchtet. Für den Fall der Rückkehr befürchte er, zum BNI gebracht zu werden. Er habe gehört, "dass dort Leute verschwinden." Er nehme an, dass auch er getötet werden könnte. Sein durch die Machenschaften der NDC motivierter Wechsel zur Oppositionspartei NPP in Verbindung mit dem Vorwurf des Waffentransportes und Putschversuches stellten ihn "in die Reihe der Menschen, die in Ghana um ihr Leben bangen müssen."
Die belangte Behörde traf auf Grund von im Einzelnen genannten, den Zeitraum bis Ende 1999/Anfang 2000 betreffenden Berichten, Feststellungen zur mit 1992 beginnenden Entwicklung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen und zu den politischen Verhältnissen in Ghana, und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt einer (generellen) Verfolgungsgefahr aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen. Eine solche Gefahr wurde nach dem wiedergegebenen Inhalt dieser Lagebeurteilungen verneint. Abschließend stellte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang fest:
"Der langjährige Oppositionsführer der NPP, John Kufuor, gewann mit 56,73 Prozent die am 7.12.2000 in Ghana durchgeführten Parlamentswahlen. Am 7.1.2001 übergab Präsident Rawlings das höchste Staatsamt an Kufuor."
Die belangte Behörde führte daran anknüpfend Folgendes aus:
"Der Asylwerber konnte als Mitglied der NPP eine aktuelle, konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung nicht glaubhaft machen. Dies deshalb, weil nunmehr der langjährige Oppositionspolitiker der NPP, John Kufuor, Präsident auf Grund der am 7.12.2000 stattgefundenen Parlamentswahlen in Ghana ist. Der vom Asylwerber vorgebrachte Fluchtgrund, nämlich seitens der damaligen Regierung als Mitglied der NPP verdächtigt worden zu sein, in einen möglichen Putsch involviert worden zu sein, ist nunmehr auf Grund der derzeitigen politischen Situation nicht haltbar. Auch wurde der Asylwerber über die politische aktuelle Situation über Ghana informiert und gab dieser auch zu Protokoll, keine Verfolgung von Seiten des Staates befürchten zu müssen, jedoch seien die demokratischen Verhältnisse nicht so weit fortgeschritten, dass von sicheren Lebensumständen ausgegangen werden kann."
Daraus folgerte die belangte Behörde nach allgemeinen Rechtsausführungen:
"Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Unabhängigen Bundesasylsenates die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben. Dies im Hinblick darauf, dass wie in der dargestellten Lagebeurteilung Ghanas dargelegt, der Präsident aus jener Partei kommt, welcher der Asylwerber vorgibt, Mitglied zu sein. Außerdem wird betont, dass in übereinstimmender Ansicht der obzitierten Stellen im wesentlichen asylrelevante Verfolgungen auszuschließen sind. Insbesondere wurden keine politisch motivierten Verfolgungshandlungen bekannt."
Mit ähnlichen Überlegungen begründet die belangte Behörde auch die Verweigerung von Abschiebungsschutz.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat davon Abstand genommen, zu den vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründen Feststellungen zu treffen. Ungeachtet insoweit missverständlicher Formulierungen hat sie somit ihrer rechtlichen Beurteilung das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde gelegt. Zur Abweisung des Asylantrages gelangte sie lediglich deshalb, weil sie das (weitere) Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft - im Hinblick auf die durch den Wahlausgang Anfang Dezember 2000 und die Übergabe des Präsidentenamtes an den ehemaligen Oppositionspolitiker der NPP John Kufuor Anfang Jänner 2001 bewirkte Veränderung der politischen Verhältnisse in Ghana - für den Zeitpunkt der Berufungsentscheidung jedenfalls verneint hat. Damit hat die belangte Behörde ihre Entscheidung der Sache nach auf Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) gestützt. Nach diesem Beendigungstatbestand der FlKonv wird sie auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnitt A fällt, nicht mehr angewendet, "wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen." (Vgl. allgemein zur Bedeutung des Flüchtlingsbegriffs der FlKonv und der Beendigungstatbestände des Art. 1 Abschnitt C FlKonv für die Entscheidung über die Asylgewährung das Erkenntnis vom 15. Mai 2003, Zl. 2001/01/0499.)
Der belangten Behörde ist somit darin beizupflichten, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet ist, die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0171, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
In diesem Sinne kritisiert die Beschwerde zu Recht, die belangte Behörde habe Ermittlungen dahin gehend unterlassen, ob die angenommene Lageveränderung in Ghana nachhaltig war. Die belangte Behörde beschränkte sich lediglich darauf, das Ergebnis der Parlamentswahlen und die daraufhin Anfang Jänner 2001 eingetretene Nachfolge im Präsidentenamt festzustellen. Eine weitere Auseinandersetzung mit der Frage, ob dies zu für die Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers bereits relevant gewordenen Veränderungen der Verhältnisse geführt hat, ist im angefochtenen Bescheid unterblieben. Anhand der getroffenen Feststellungen zur Änderung der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse und zum Machtwechsel an der Staatsspitze lässt sich aber noch nicht schlüssig folgern, der gegen den Beschwerdeführer von den Polizeibehörden im Zusammenhang mit seiner NPP-Mitgliedschaft erhobene Vorwurf des Waffenschmuggels und der Involvierung in einen möglichen Putsch werde von den staatlichen Behörden nicht mehr weiter verfolgt und dem Beschwerdeführer wäre - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - relativ kurz nach den erwähnten Parlamentswahlen trotz des genannten, gegen ihn (zu Unrecht) angenommenen Tatverdachtes in Richtung Hochverrat eine Rückkehr nach Ghana zuzumuten gewesen. Insoweit hätte es daher weiterer Ermittlungen und entsprechender Feststellungen bedurft (zum Umfang der Ermittlungspflicht bei Anwendung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 2000/20/0318; zum Erfordernis eines angemessenen Beobachtungszeitraumes siehe die Nachweise in dem bereits zitierten Erkenntnis Zl. 99/20/0171).
Die Unterlassung derartiger Ermittlungen lässt sich aber auch nicht mit der - im Bescheid verkürzt wiedergegebenen - Erklärung des Beschwerdeführers, im Hinblick auf die aktuelle politische Situation befürchte er keine Verfolgung von Seiten des Staates, rechtfertigen. Der Beschwerdeführer hat nämlich auf entsprechenden Vorhalt in der mündlichen Berufungsverhandlung am 25. Jänner 2001 auch eingewendet, bei einer Rückkehr nach Ghana fürchte er eine Verfolgung durch das BNI, das ihn dem damaligen Haftbefehl entsprechend inhaftieren würde. Nur wenn er den genauen Verlauf der damaligen Ereignisse einer "zuständigen staatlichen Stelle" vortragen könnte, sei damit zu rechnen, dass ihm Schutz gewährt werde. Da der Machtwechsel in Ghana aber erst vor kurzem stattgefunden habe, sehe er die Umstände als noch nicht ausreichend "beruhigt". Unter Bedachtnahme auf diese Äußerung lässt sich aber - entgegen der Meinung der belangten Behörde - nicht mehr unterstellen, auch der Beschwerdeführer sei damals vom bereits eingetretenen Wegfall seiner Verfolgungsgefahr ausgegangen. Vielmehr hätte diese Aussage - zumindest im Ansatz - im Sinne des Beschwerdevorbringens dahin verstanden werden müssen, dass die Polizei und das Bureau of National Investigation nach wie vor gegen politische Gegner vorgehen würden. Bis zur effektiven Umgestaltung der Behördenstruktur, insbesondere der Polizeiorganisation und des Geheimdienstes, sei eine aktuelle Bedrohungssituation des Beschwerdeführers gegeben und ihm eine Rückkehr zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zumutbar gewesen. Die erwähnten Einwände des Beschwerdeführers am Ende der Berufungsverhandlung hätten daher Anlass für weitere Erhebungen sein müssen, jedenfalls waren sie aber nicht geeignet, diesbezügliche Unterlassungen der belangten Behörde zu rechtfertigen.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 1. April 2004
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