VwGH 2000/05/0197

VwGH2000/05/019712.11.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Kante, über die Beschwerde der Zesch Möbelhandels Gesellschaft mbH in Wien, vertreten durch Gruber & Partner, Rechtsanwalts KEG in Wien I, Wipplingerstraße 20, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wiener Neustadt vom 14. Juli 2000, Zl. 1RB/142-99, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei:

Rudolf Leiner Gesellschaft mbH in St. Pölten, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Haftner, Rechtsanwalt in St. Pölten, Wiener Straße 12), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §7 Abs1 Z5;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §49;
BauO NÖ 1996 §50;
BauO NÖ 1996 §51;
BauO NÖ 1996 §52 Abs1 Z9;
BauO NÖ 1996 §52 Abs1;
BauO NÖ 1996 §53 Abs7;
BauO NÖ 1996 §54;
BauO NÖ 1996 §55 Abs2;
BauO NÖ 1996 §55 Abs5;
BauO NÖ 1996 §55;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauO NÖ 1996 §70;
AVG §7 Abs1 Z5;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §49;
BauO NÖ 1996 §50;
BauO NÖ 1996 §51;
BauO NÖ 1996 §52 Abs1 Z9;
BauO NÖ 1996 §52 Abs1;
BauO NÖ 1996 §53 Abs7;
BauO NÖ 1996 §54;
BauO NÖ 1996 §55 Abs2;
BauO NÖ 1996 §55 Abs5;
BauO NÖ 1996 §55;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauO NÖ 1996 §70;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Stadt Wiener Neustadt hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren der Beschwerdeführerin wird abgewiesen.

Begründung

Gegenstand des Verfahrens ist ein Bauvorhaben im Bereich der Kreuzung der Lederergasse mit der Bräuhausgasse in Wiener Neustadt. Die Lederergasse verläuft in etwa in nordsüdlicher Richtung, die Bräuhausgasse in etwa ost-westlicher Richtung. Die mitbeteiligte Partei (in der Folge kurz: Bauwerberin) ist Eigentümerin des nordwestlichen Eckhauses an dieser Kreuzung (am Plan "links oben", bezeichnet als "Haus 1"), und kam mit dem Baugesuch vom 16. April 1999 (welches im April 1999 bei der Behörde einlangte), soweit hier erheblich, um baubehördliche Bewilligung für den Zubau eines Überganges diagonal über diese Kreuzung zu dem auf dem südöstlichen Eckgrundstück projektierten "Haus 4" ein (im Plan "rechts unten"). Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des nord-östlichen Eckgrundstückes (im Plan "rechts oben"), auf welchem sich ein mehrgeschossiges Haus befindet.

Der projektierte Übergang soll brückenartig jeweils die ersten Obergeschosse des Hauses 1 und des projektierten Hauses 4 verbinden und soll oben sowie seitlich verglast werden. Die lichte Höhe über der Fahrbahn ist mit mindestens 4,5 m vorgesehen, die Firsthöhe mit 9,11 m.

In der Baubeschreibung heißt es dazu, im Wesentlichen handle es sich um eine Stahl-, Alu-, und Glaskonstruktion mit einer Spannweite von 17,60 m. Der Fußboden werde mit einem PVC-Belag auf einer Stahlkonstruktion und einer darunter liegenden Alu-Paneeldecke mit Einbaustrahlern versehen. Um die Seitenteile und das Dach (Fachwerk) gefällig zu gestalten, würden diese in einer Alu-Träger-Konstruktion mit dazwischenliegenden Glasfeldern ausgeführt. Im freien Dachraum des Fachwerkes verlaufe die Be- und Entlüftung und an der Decke abgehängt würden Lichtröhren montiert. Die Entwässerung des leicht geneigten Glasdaches erfolge über Regenrinnen in die Abfallrohre und dann in den öffentlichen Mischwasserkanal.

Mit Erledigung vom 11. November 1999 beraumte die erstinstanzliche Behörde eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle an, zu welcher auch die Beschwerdeführerin geladen wurde.

Diese Erledigung enthält unter anderem folgenden Hinweis: "Sie können in diesem Verfahren nur dann Parteistellung erlangen, wenn sie spätestens in der Bauverhandlung Ihre Rechte geltend machen. Spätere Einwendungen finden keine Berücksichtigung".

In dieser mündlichen Verhandlung wendete die Beschwerdeführerin ein, die Belichtung der Hauptfenster unter 45 Grad (ihres Gebäudes) sei nicht gegeben "daher ein Einwand".

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 7. Dezember 1999 wurde der Bauwerberin die angestrebte Baubewilligung für die Errichtung dieses Überganges befristet auf fünf Jahre erteilt; die Einwendung der Beschwerdeführerin wurde abgewiesen. Begründend heißt es dazu, § 39 Abs. 3 der Niederösterreichischen Bautechnikverordnung, LGBl. 8200/7-0, normiere, dass bei Hauptfenstern der freie Lichteinfall unter 45 Grad gesichert sein müsse. Ziel dieser Bestimmung sei die ausreichende Belichtung von Aufenthaltsräumen. Dennoch begründe § 39 Abs. 3 leg. cit. nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine subjektiven Rechte. Der niederösterreichische Gesetzgeber habe mit der genannten Norm vielmehr ganz allgemein den Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass der Eigentümer eines Grundstückes durch Schaffung entsprechender Freiräume auf den eigenen Grundflächen für ausreichende Belichtungs- und Belüftungsverhältnisse zu sorgen habe (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 5. Feber 1991, Zl. 90/05/0156, und Vorjudikatur).

Im Rahmen der Prüfung der Einwendung der Beschwerdeführerin sei vom technischen Amtssachverständigen am 7. Dezember 1999 festgestellt worden, dass die Belichtung unter 45 Grad auf Hauptfenster im ersten Stock (gemeint offensichtlich: des Gebäudes der Beschwerdeführerin) durch die Errichtung des Überganges nicht beeinträchtigt werde und auch keine Beeinträchtigung der Belichtung unter 45 Grad auf Hauptfenster im Erdgeschoß gegeben sei, weil, entsprechend den Projektunterlagen, die Wände und das Dach des Überganges in Form einer Glaskonstruktion ausgebildet würden.

Demnach werde der Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt, somit werde eine ausreichende Belichtung der Hauptfenster des Nachbargebäudes im Sinne des § 6 "leg. cit."

(offenbar: der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 - kurz: BO) erzielt.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG "abgewiesen bzw. zurückgewiesen", aus diesem Anlass aber in den Spruch des bekämpften erstinstanzlichen Bescheid die weitere Auflage aufgenommen, dass die Verwendung des Überganges zur Lagerung von Gegenständen oder zur Präsentation von Waren bzw. sonstiger Verkaufsgegenstände nicht gestattet sei.

Begründend heißt es dazu insbesondere, die Stellungnahme des technischen Amtssachverständigen sei im bekämpften erstinstanzlichen Bescheid wörtlich zitiert worden, sodass die Beschwerdeführerin ausreichend Möglichkeit gehabt habe, hiezu Stellung zu nehmen, was auch in der Berufung ausreichend geschehen sei. Demnach sei keine Verletzung des Parteiengehörs gegeben. Auf Grund dieser Stellungnahme des Sachverständigen in Verbindung mit der von der Berufungsbehörde ergänzend vorgeschriebenen Auflage (die sicherstellen solle, dass eine widmungswidrige Verwendung dieses Überganges als Ausstellungs- oder Präsentationsfläche, womit die Belichtungsverhältnisse beeinträchtigt werde) sei eine Beeinträchtigung von Nachbarrechten der Beschwerdeführerin ausgeschlossen.

§ 20 Abs. 1 letzter Satz BO normiere, dass bei gewerblichen Betriebsanlagen, die, wie auch im gegenständlichen Fall, einer Genehmigung durch die Gewerbebehörde bedürften, die Prüfung durch die Baubehörde nach Z 6 dieses Absatzes auf jene Bestimmungen eingeschränkt sei, deren Regelungsinhalt durch diese Genehmigung nicht erfasst sei. Im Beschwerdefall bedürfe das Projekt einer Betriebsanlagengenehmigung gemäß den Bestimmungen der Gewerbeordnung, wobei im gewerbebehördlichen Verfahren insbesondere der Brandschutz zu berücksichtigen sei. Somit sei "dieser Berufungspunkt nicht Gegenstand des anhängigen Bauverfahrens", und sei daher zurückzuweisen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Bauwerberin, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf Grund der zeitlichen Lagerung des Bauverfahrens - es war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle LGBl. 8200-3 bereits anhängig - ist im Beschwerdefall die niederösterreichische Bauordnung 1996 (kurz: BO), LGBl. 8200, in der Fassung der Kundmachung LGBl. 8200-2 anzuwenden, soweit nicht Derogation durch § 82 Abs. 7 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 eintrat.

Unstrittig ist, dass ein Bebauungsplan nicht besteht; festzuhalten ist weiters, dass ein Fall wie der beschwerdegegenständliche in der BO nicht ausdrücklich geregelt ist, sodass die Frage, ob dem Nachbarn das behauptete Mitspracherecht zukommt, durch Auslegung der BO zu ermitteln ist.

§ 55 BO trifft nähere Bestimmungen zu Bauwerken im Grünland und auf Verkehrsflächen (wobei aus dieser Bestimmung für den Beschwerdefall nicht unmittelbar etwas zu gewinnen ist); nach Abs. 2 gilt für Vorbauten auf Straßengrund § 52 Abs. 1 BO sinngemäß (Abs. 5 trifft nähere Bestimmungen zur freien Durchfahrtshöhe bzw. zur freien Durchgangshöhe bei Überbauungen).

§ 52 Abs. 1 BO regelt die Zulässigkeit von Vorbauten über die Straßenfluchtlinie, wobei nach Z 9 dieses Absatzes Balkone, Erker, Sonnenblenden (Markisen) und Schutzdächer bis 1,50 m zulässig sind, wenn (unter anderem) ihr Abstand von Nachbargrundstücksgrenzen mindestens 3 m beträgt.

Der Begriff des "freien Lichteinfalles unter 45 Grad " kommt im § 49 BO betreffend die Anordnung von Gebäuden auf einem Grundstück vor, auch in den §§ 50 und 51 BO betreffend den seitlichen und hinteren Bauwich, weiters im § 53 BO betreffend die Höhe von Bauwerken, im § 54 BO betreffend Bauwerke im ungeregelten Baulandbereich, wie auch im § 70 BO betreffend die Regelung der Bebauung.

Nach dem Sinngehalt dieser Normen, soweit sie die Wahrung des zuvor umschriebenen Lichteinfalles unter 45 Grad auf Hauptfenster von Nachbargebäuden betreffen (siehe insbesondere § 53 Abs. 7 BO betreffend die Höhe von Bauwerken an oder gegen Straßenfluchtlinien hinsichtlich des Lichteinfalles in der gegenüberliegenden Häuserfront), wobei auch die Bestimmung des § 52 Abs. 1 Z 9 jedenfalls im Ergebnis auch dem Schutz der Belichtung des (allerdings seitlichen) Nachbargrundstückes dient, ist das von der Beschwerdeführerin behauptete Nachbarrecht auf Wahrung des freien Lichteinfalles unter 45 Grad auf die Hauptfenster ihres Gebäudes zu bejahen. Der in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides genannte Grundsatz (die Behörde zweiter Instanz hat die Frage eines solchen Nachbarrechtes nicht thematisiert, jedenfalls nicht verneint), wonach jedweder Grundeigentümer durch Schaffung entsprechender Freiräume auf der eigenen Liegenschaft für ausreichende Belichtungs- und Belüftungsverhältnisse zu sorgen hat, passt sachverhaltsmäßig im Beschwerdefall nicht, weil es um die Hauptfenster gegen die Straße geht und eine Straße bestimmungsgemäß grundsätzlich nicht zum Verbauen vorgesehen ist.

Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben die Auffassung vertreten, auf Grund des (im Übrigen nicht aktenkundigen und nur in der Begründung der Bescheide der Gemeindebehörden wiedergegebenen) Gutachtens eines Amtssachverständigen sei davon auszugehen, dass die Belichtung der Hauptfenster des Gebäudes der Beschwerdeführerin nicht beeinträchtigt werde, weil die Decken- und Wandkonstruktion dieses Überganges aus Glas bestehe.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin Gelegenheit hatte, zu diesem Gutachten in der Berufung Stellung zu nehmen, sodass im Beschwerdefall dadurch ihr rechtliches Gehör gewahrt blieb.

Allerdings wird in diesem Gutachten die Frage einer Beeinträchtigung des Lichteinfalles durch den Boden dieses Überganges überhaupt nicht behandelt (was schon in der Berufung zutreffend hervorgehoben wird), sodass dieses Gutachten schon deshalb mangelhaft ist. Daher wäre die belangte Behörde jedenfalls zu einer entsprechenden Gutachtensergänzung verhalten gewesen, was aber unterblieb. Auf das in der Gegenschrift vorgelegte (weitere) Gutachten vom 11. Oktober 2000 (das war während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) kann nicht eingegangen werden, weil im Zuge des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof (in welchem es um die nachprüfende Kontrolle der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides geht) solche Mängel des Verwaltungsverfahrens nicht saniert werden können.

Im Übrigen ist das Gutachten vom 7. Dezember 1999 (und damit auch die Begründung des angefochtenen Bescheides) aus einem weiteren Gesichtspunkt mangelhaft:

Nach dem zuvor Gesagten kommt es auf den freien Lichteinfall an. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben aber nicht dargetan, dass der Lichteinfall durch eine gläserne Konstruktion einem freien Lichteinfall gleichkommen sollte, wovon nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ausgegangen werden kann, ist doch nach allgemeiner Erfahrung vielmehr davon auszugehen, dass auch eine solche gläserne Konstruktion eine Minderung des Lichteinfalles bewirkt, zumal (ginge man auch, wie im Gutachten vom 11. Oktober 2000, davon aus, dass der Boden keine Beschattung bewirken sollte) die Wände und das Dach nicht ausschließlich aus Glas bestehen. Die bloße Behauptung, der Lichteinfall werde durch diese Bauteile aus Glas nicht beeinträchtigt, ist nicht ausreichend, vielmehr wäre eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Thematik (Abschwächung der Lichtintensität) erforderlich gewesen, was aber unterblieb.

Der Umstand hingegen, dass der Sachbearbeiter, der in erster Instanz tätig wurde, auch in zweiter Instanz eine vorbereitende Tätigkeit für die Entscheidung der Behörde zweiter Instanz entfaltet hat (welcher er nicht angehört), bedeutet noch keinen wesentlichen Verfahrensmangel (siehe dazu die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, in E 56 zu § 7 AVG wiedergegebene hg. Judikatur).

Da die belangte Behörde die Mangelhaftigkeit des Gutachtens verkannte, auf welches sie sich stützte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Kostenmehrbegehren der Beschwerdeführerin war abzuweisen, weil im pauschalierten Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist (siehe dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 697 wiedergegebene hg. Judikatur).

Wien, am 12. November 2002

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