VwGH 2000/16/0637

VwGH2000/16/063720.12.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über den Antrag der K GmbH in L, vertreten durch Dorda Brugger & Jordis, Rechtsanwälte GmbH in Wien I, Dr. Karl Lueger - Ring 12, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 10. August 2000, Zl. 7 - 483 - 127 / 00 - 1, betreffend Getränkeabgabe, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1 impl;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2001:2000160637.X00

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2000 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Vorstellungsbescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 10. August 2000, zugestellt am 23. September 2000, und erhob gegen den genannten Vorstellungsbescheid Bescheidbeschwerde.

Im Wiedereinsetzungsantrag brachte die Beschwerdeführerin vor, in der Kanzlei der Beschwerdevertreter würden sämtliche Gerichts- und Behördentermine in einem Termin-Vormerkkalender (Fristenbuch) vermerkt. Eine speziell dafür instruierte Kanzleikraft trage die Fristen nach Einlangen der jeweiligen Schriftstücke des Gerichts oder der Behörde in das Fristenbuch ein, mache auf dem Schriftstück einen entsprechenden Vermerk und lege das Schriftstück in der Folge dem zuständigen Rechtsanwalt vor. Dieser leite das Schriftstück nach Überprüfung des Fristeneintrages an den zuständigen Rechtsanwaltsanwärter weiter. Der Rechtsanwaltsanwärter kontrolliere den Fristeneintrag ebenfalls und treffe die weiteren Vorkehrungen.

Im Antragsfall sei der Bescheid gemeinsam mit dem Handakt der bisherigen Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin an die Kanzlei der Beschwerdevertreter zu Handen einer Rechtsanwaltsanwärterin übermittelt und in der Kanzlei an einem Freitag direkt an die Rechtsanwaltsanwärterin übergeben worden, die die Beschwerdefrist unverzüglich auf dem Handakt vermerkt habe. Der zuständige Rechtsanwalt habe sich zum Zeitpunkt des Einlangens des Poststückes nicht in der Kanzlei befunden. Die Rechtsanwaltsanwärterin habe daher den Handakt zunächst in ihrem Zimmer liegen lassen, um ihn dem Rechtsanwalt vorzulegen. Dabei habe sie übersehen, dass die Frist zwar auf dem Handakt, nicht aber im allgemeinen Kanzleifristenbuch eingetragen worden ist. In der folgenden Woche habe sich die Rechtsanwaltsanwärterin im Krankenstand befunden und anschließend nach Rückkehr schlussendlich darauf vergessen, den Handakt dem Rechtsanwalt unverzüglich vorzulegen. Sie bereitete die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde - in ihren Augen fristgerecht - vor und legte sie dem Rechtsanwalt am 5. Oktober 2000, nach der am 4. Oktober 2000 abgelaufenen Beschwerdefrist, vor. Der Rechtsanwalt habe erstmals am 5. Oktober 2000 den Handakt gesehen und die Versäumung der Frist angemerkt. Der Rechtsanwalt habe die Aufsichtspflicht nicht verletzt. Es würden die Eintragungen der Kanzleikräfte von den Rechtsanwälten kontrolliert und sie beauftragten darüber hinaus auch die Rechtsanwaltsanwärter mit der Kontrolle der Fristen. Im konkreten Fall sei der Handakt von der vorigen Beschwerdevertreterin direkt an die Rechtsanwaltsanwärterin gelangt. In derartigen Ausnahmefällen seien diese ausdrücklich angewiesen, die Frist auf dem Schriftstück zu vermerken, im Fristenbuch einzutragen und dann umgehend dem zuständigen Rechtsanwalt vorzulegen. Die Rechtsanwaltsanwärterin habe die Eintragung der Frist im Fristenbuch und die Vorlage des Aktes an den Rechtsanwalt verabsäumt.

Die seit mehr als zwei Jahren in der Kanzlei beschäftigte Rechtsanwaltsanwärterin habe sich in der Vergangenheit als im höchsten Maß verlässlich und zuverlässig gezeigt. Sie habe alle ihre Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit der Beschwerdevertreter erledigt. Die Beschwerdevertreter überzeugten sich regelmäßig von den Kenntnissen und der Verlässlichkeit bei der Erfüllung der übertragenen Aufgaben der Rechtsanwaltsanwärterin. Die Fristversäumung sei auf ein zwar einmaliges, aber dennoch ausgesprochen weisungswidriges Verhalten der Rechtsanwaltsanwärterin zurückzuführen. Es handle sich um ein einmaliges Versagen der bewährten Konzipientin. Dies stelle ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Die Beschwerdevertreter hätten alles nur Mögliche vorgekehrt und insbesondere das Kanzleipersonal unterwiesen und nur entsprechend qualifizierte Angestellte beschäftigt, um Fehlleistungen zu vermeiden. Im Übrigen liege lediglich, wenn überhaupt, nur ein minderer Grad des Versehens vor, also ein Fehler der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufe.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Verschuldens handelt.

"Unabwendbar" ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann; "unvorhergesehen" ist es hingegen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (vgl. Beschluss eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9024/A), wobei ein der Partei hiebei unterlaufenes Versehen minderen Grades nach dem zweiten Satz des § 46 Abs. 1 VwGG nicht schadet. Ein minderer Grad des Versehens liegt dann vor, wenn der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter nicht auffallend sorglos gehandelt, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihn nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat (vgl. hg. Beschluss vom 24. Oktober 1989, Zl. 89/08/0235).

Das Verschulden eines Kanzleibediensteten stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder ein unabwendbares Ereignis im Sinne der obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber den Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Der Rechtsanwalt muss gegenüber seiner Kanzlei als Hilfsapparat, dessen er sich bei Wahrnehmung der ihm durch Bevollmächtigungsvertrag übertragenen Aufgaben bedient, alle Vorsorgen treffen, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumnis in Betracht. Insbesondere muss der betroffene Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Dies gilt grundsätzlich auch hinsichtlich der Tätigkeit des bei einem Rechtsanwalt tätigen Rechtsanwaltsanwärters, dessen Verwendung unter der Verantwortung des Rechtsanwalts erfolgt (vgl. hg. Beschluss vom 22. März 1991, Zl. 91/10/0018). Ein Rechtsanwalt verstößt demnach auch dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen wirksame Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet sind (vgl. hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 1987, Zl. 86/16/0194). Eine Überwachung auf Schritt und Tritt ist nicht erforderlich (vgl. hg. Erkenntnis vom 16. Mai 1984, Zl. 83/11/0143, Slg. Nr. 11.439/A).

In einer Rechtsanwaltskanzlei ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt und nicht etwa ein Kanzleiangestellter allein verantwortlich, der den Termin weisungsgemäß in den Kalender einträgt. Der Anwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen, sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm dabei ein Versehen, ohne dass er dartun kann, dass die Fristversäumnis auf einen ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden, welches sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirkt (vgl. hg. Erkenntnis vom 16. September 1983, Zl. 81/02/0341, Slg. Nr. 11.140/A).

Nach dem glaubhaften Antragsvorbringen hat die Rechtsanwaltsanwärterin einen für die Rechtanwaltskanzlei bestimmten Handakt direkt zu ihren Handen erhalten und auf diesem ihre Fristeintragung vermerkt, aber eine solche weder im Fristenbuch veranlasst noch dem Rechtsanwalt die Angelegenheit weitergeleitet, wie es für solche Fälle angeordnet war. Nach der im Wiedereinsetzungsantrag erfolgten Darstellung des Ablaufes des Vorfalls liegt ein ausschließliches Fehlverhalten der Rechtsanwaltsanwärterin und nicht des Rechtsanwaltes selbst vor.

Die dargelegte Organisation des Kanzleibetriebes lässt erkennen, dass die richtige Vormerkung von Terminen durch die mehrfache Überprüfung sichergestellt war. Auch im Fall einer direkten Zustellung eines fristgebundenen Schriftstückes an einen Konzipienten der Rechtsanwaltskanzlei ist die weitere Vorgangsweise in einer Art organisatorisch festgelegt, dass im Antragsfall von Organisationsmängeln nicht ausgegangen werden kann.

Hinsichtlich der Überwachung werden sowohl die Kontrollen gegenüber den Kanzleibediensteten - auf die es im Antragsfall jedoch nicht ankommt - als auch die regelmäßige Überprüfung der Verlässlichkeit der Rechtsanwaltsanwärterin vorgebracht. Diese habe die ihr übertragenen Aufgaben bisher in hohem Maß verlässlich und zuverlässig zur vollsten Zufriedenheit der Beschwerdevertreter erledigt. Auch bei regelmäßigen Kontrollen können Fehlverhalten weder mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen noch stets unverzüglich aufgedeckt werden, sodass bei der im Antragsfall gegebenen Sachlage nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Verletzung einer die Wiedereinsetzung ausschließenden anwaltlichen Sorgfaltspflicht deswegen vorliegt, weil Fehler aufgetreten sind und Fristversäumung tatsächlich auch eingetreten ist.

Die Organisation des Kanzleibetriebes ist nach der glaubhaften Darstellung im Wiedereinsetzungsantrag so eingerichtet, dass die ordnungsgemäße Vormerkung von Terminen auch in den Fällen sichergestellt ist, in denen Schriftstücke unmittelbar den Konzipienten zukommen. Ferner ist eine entsprechende Überwachung in den konkreten Fällen gegeben, die aber nicht verhindern kann, dass ein auf Grund eines Fehlverhaltens einer Konzipientin zunächst außerhalb des Kanzleisystems gebliebener Geschäftsfall der Überwachung entzogen war und dies erst bei der um einen Tag verspäteten Vorlage an den Rechtsanwalt bemerkt wurde.

Das Verschulden einer geeigneten und ordentlich überwachten Angestellten eines Rechtsanwaltes stellt aber regelmäßig einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar (vgl. hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 1993, Zl. 92/01/1108). Diese Voraussetzungen sind im Antragsfall gegeben.

Dem rechtzeitig gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von der Beschwerde anhaftenden Mängeln war daher stattzugeben.

Wien, am 20. Dezember 2001

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