VwGH 95/19/0392

VwGH95/19/039212.11.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Mai 1995, Zl. 300.052/6-III/11/95, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §17;
AVG §56;
AVG §71 Abs1 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1996:1995190392.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die belangte Behörde wies mit dem Bescheid vom 30. Mai 1995, zugestellt am 19. Juni 1995, den Antrag der Beschwerdeführerin vom 12. Jänner 1995 (Datum des Poststempels) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. September 1994, Zl. MA 62-9/0283296-02-V, zugestellt am 6. Oktober 1994, gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe am 16. August 1994 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt, welcher von der ersten Instanz mit Bescheid vom 26. September 1994, durch Hinterlegung zugestellt am 6. Oktober 1994, abgewiesen worden sei. Die Beschwerdeführerin habe mit Schreiben vom 27. Dezember 1994 bei der Erstbehörde angefragt, ob ihr Antrag vom 16. August 1994 bereits erledigt sei, weil sie diesbezüglich noch kein Schriftstück erhalten habe. Die Erstbehörde habe mit Schreiben vom 2. Jänner 1995 mitgeteilt, daß der Antrag bescheidmäßig erledigt worden und nach rechtmäßiger Zustellung am 21. Oktober 1994 in Rechtskraft erwachsen sei. Dieses Schreiben sei der Beschwerdeführerin am 5. Jänner 1995 zugestellt worden. Sie habe am 12. Jänner 1995 bei der belangten Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in bezug auf die versäumte Berufungsfrist gestellt und dies damit begründet, daß ihr weder das Schriftstück noch eine Hinterlegungsanzeige jemals zugestellt worden sei.

Diese Behauptung enthalte implizit die Bestreitung der Richtigkeit der Angabe im Rückschein, daß die Verständigung von der Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt worden sei. Beim Postrückschein im Sinne des § 22 Zustellgesetz handle es sich um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG iVm § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich habe. Diese Vermutung sei zwar widerlegbar, wobei aber die gegenteilige Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen seien, die die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen ließen. Die Aussage allein, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, sei nicht ausreichend, die Angabe des Postzustellers im Rückschein "Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt" zu entkräften. Die vorschriftsmäßige Zustellung sei auch am 12. Mai 1995 aufgrund einer Aufforderung zur Stellungnahme durch die Behörde durch den zuständigen Postzusteller bestätigt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt werden.

Die Beschwerdeführerin begründete ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "für den Fall, dass der tatsächliche Zustellmangel nicht anerkannt werden sollte", damit, daß ihr "weder das Schriftstück noch eine Hinterlegungsverständigung jemals zugestellt worden" sei.

In der Beschwerde bringt die Beschwerdeführerin zur Verdeutlichung vor, sie habe "niemals eine Zustellung erhalten bzw. auch keine Verständigung der Zustellung". Sie habe "erst im Zuge einer polizeilichen Vorladung zum Koat von der Entscheidung des Antrages erfahren". Sie habe in der Folge unverzüglich an die Erstbehörde geschrieben, um eine Ausfertigung des angeblich zugestellten Bescheides zu erlangen. Dieser Bescheid sei am 5. Jänner 1995 der Beschwerdeführerin zugestellt worden. Sie habe in weiterer Folge den Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 71 AVG gestellt und gleichzeitig das Rechtsmittel der Berufung gegen diesen Bescheid erhoben. Darin habe sie im wesentlichen vorgebracht, daß sie niemals eine Hinterlegungsanzeige erhalten habe, was durch eine Zeugin bestätigt werden könne. Die Beschwerdeführerin geht davon aus, daß durch den Umstand, daß sie niemals eine Hinterlegungsanzeige vorgefunden bzw. von dem erstinstanzlichen Bescheid bis zu dem Zeitpunkt nicht erfahren habe, als dieser Bescheid ihr tatsächlich am 5. Jänner 1995 zugegangen sei, ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis vorliege. Darauf bauen ihre Verfahrensrügen auf, daß die belangte Behörde die im Verfahren durchgeführte Befragung des Postbeamten nicht vorgehalten habe und das Beweisanbot auf Einvernahme der nominierten Zeugin nicht erledigt worden sei.

Dieses Vorbringen kann der Beschwerde aus folgenden Gründen nicht zum Erfolg verhelfen:

a) Sollte die Beschwerdeführerin meinen, daß beim Zustellvorgang des erstinstanzlichen Bescheides vom Zusteller keine Verständigung von der Hinterlegung an der Abgabestelle zurückgelassen worden wäre, so läge bei Zutreffen ihrer Behauptungen ein Zustellmangel vor. Denn eine Hinterlegung ohne schriftliche Verständigung oder eine fehlerhafte derartige Verständigung entfaltet keine Rechtswirkungen (vgl. zB. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 1251, in Anmerkung 3a zitierte hg. Rechtsprechung). Ein solcher Zustellmangel wäre erst durch das tatsächliche Zukommen des Schriftstückes am 5. Jänner 1995 saniert worden. Dann läge jedoch keine Fristversäumnis vor, weil die am 10. Jänner 1995 zur Post gegebene Berufung rechtzeitig erhoben worden wäre. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist begrifflich aber nur möglich, wenn tatsächlich eine Frist versäumt wurde (vgl. die in Hauer - Leukauf, a.a.O., 672, zitierte hg. Rechtsprechung).

b) Sollte die Beschwerdeführerin jedoch nicht die Ordnungsgemäßheit des Zustellvorganges bezweifeln, sondern nur meinen, daß sie von der Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt hat, so ist ihr zwar zunächst beizupflichten, daß für diesen Fall grundsätzlich das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Verfügung steht (vgl. die in Hauer - Leukauf, a.a.O., 1253, zitierte

hg. Rechtsprechung). Die Beschwerdeführerin irrt aber dahingehend, als ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis nicht darin liegt, daß eine Partei den INHALT DES BESCHEIDES bis zu dem Zeitpunkt, als der Bescheid tatsächlich zugegangen sei, nicht kennt, sondern ein solches Ereignis nur darin liegen kann, wenn die Partei vom ZUSTELLVORGANG selbst nicht Kenntnis erlangt hat. Denn ab Kenntnis des Zustellvorganges ist die Partei in die Lage versetzt, durch geeignete Handlungen (hier: Akteneinsicht bei der Behörde) die Unkenntnis vom Inhalt des Bescheides zu beenden.

Es ist daher im gegenständlichen Fall zu prüfen, ob bzw. wann die Beschwerdeführerin vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt hat bzw. bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erlangen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. September 1996, Zl. 96/03/0140). Die Beschwerdeführerin führt selbst an, im Zuge einer polizeilichen Vorladung von der Entscheidung über ihren Antrag auf Aufenthaltsbewilligung erfahren zu haben. Diesbezüglich brachte die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 27. Dezember 1994 vor, eine Erledigung ihres Antrages auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung sei nie bei ihr "angekommen". Sie sei "nun von dem für meinen Bezirk zuständigen Polizeikommissariat vorgeladen" worden. Dort sei ihr mitgeteilt worden, daß ihr Ansuchen abgelehnt worden sei. Sie bitte "dringend um Zustellung der Erledigung meines Ansuchens und die Möglichkeit rechtzeitig dagegen zu berufen".

Aus dem Umstand, daß eine andere Behörde als die Erstbehörde der Beschwerdeführerin mitteilen konnte, daß ihr "Ansuchen abgelehnt worden sei", hätte die Beschwerdeführerin schließen müssen, daß ein zur rechtsgültigen Erlassung eines Bescheides notwendiger Zustellvorgang stattgefunden hat. Ab dem Zeitpunkt der ladungsgemäßen Vorsprache beim zuständigen Polizeikommissariat fiel daher das Hindernis von der Unkenntnis vom Zustellvorgang weg. Daran ändert nichts, daß die Beschwerdeführerin das genaue Datum der Zustellung nicht nennt, denn es wäre an ihr gelegen, nach Kenntnis von der Ablehnung ihres Antrages auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung unverzüglich die näheren Umstände (hier: etwa sogleich bei der Vorsprache am zuständigen Polizeikommissariat) nachzufragen. Die Beschwerdeführerin nennt zwar den Tag der Vorsprache nicht, doch ist dies für die Entscheidung im konkreten Fall belanglos, weil spätestens mit Verfassung des Schreibens vom 27. Dezember 1994 der Wegfall des Hindernisses anzunehmen ist. Ab diesem Tag lief daher die Frist des § 71 Abs. 2 AVG. Sie endete mit Ablauf des 10. Jänner 1995, weshalb der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 12. Jänner 1995 verspätet eingebracht wurde. Da gemäß § 71 Abs. 5 AVG gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfindet, sind etwaige Gründe, welche zur Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist führen, unbeachtlich.

Auf die Frage des gerügten mangelnden Parteiengehörs und der Unterlassung der Einvernahme der angebotenen Zeugin braucht bei obigem Ergebnis nicht eingegangen zu werden, da selbst bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensverletzungen die belangte Behörde zu keinem anderen Bescheid hätte kommen können.

Durch den Umstand, daß die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen statt zurückgewiesen hat, wurde die Beschwerdeführerin in einem subjektiv-öffentlichen Recht nicht verletzt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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