VwGH 90/17/0439

VwGH90/17/043917.5.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Beschwerde 1) des A und 2) des B gegen die Bescheide der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 3. Oktober 1990, Zlen. 1) MDR-B 27/90, und 2) MDR-H 16/90, betreffend Haftung für Getränkesteuer, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1444;
AusgleichsO §53 Abs1;
BAO §224 Abs1;
BAO §7 Abs1;
LAO Wr 1962 §171;
LAO Wr 1962 §5 Abs1;
ABGB §1444;
AusgleichsO §53 Abs1;
BAO §224 Abs1;
BAO §7 Abs1;
LAO Wr 1962 §171;
LAO Wr 1962 §5 Abs1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden wurden die Beschwerdeführer "auf Grund der §§ 7 Abs. 1 und 54 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 2 und 5 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der derzeit geltenden Fassung" als Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der N-Handels GmbH & Co KG für die in der Zeit von Oktober bis 20. Dezember 1984 entstandene Getränkesteuerschuld im Betrag von S 8.455,45 jeweils gesondert zur Haftung herangezogen. Soweit für das Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung, heißt es in der Begründung dieser Bescheide sinngemäß, nach der Aktenlage stehe fest, daß die haftungsgegenständlichen Abgaben beim Hauptschuldner uneinbringlich seien. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0106, auch eingehend klargestellt, daß ein Ausgleich des Hauptschuldners die Haftungsinanspruchnahme nach § 7 Abs. 1 WAO nicht hindere.

Die vorliegende Beschwerde gegen diese Bescheide macht inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend. Die Beschwerdeführer erachten sich "in ihrem subjektiven Recht dahingehend verletzt, daß eine Heranziehung zur Haftung gemäß § 7 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 2 und 5 der Wiener Abgabenordnung nicht vorgenommen hätte werden dürfen".

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihren Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 WAO haften die in den §§ 54 ff WAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Nach § 54 Abs. 1 WAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen; sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Die Beschwerdeführer bringen in ihrer Beschwerde vor, sie würden "nicht für über die Quote im Ausgleichsverfahren hinausgehende Abgabenansprüche haften". Die belangte Behörde sei zu ihren Bescheiden "offenbar infolge unrichtiger Lösung von Rechtsfragen des Zivil- und insbesondere des Insolvenzrechtes" gelangt; sie habe nämlich übersehen, daß die nach § 7 Abs. 1 WAO haftenden Vertreter gemäß § 5 Abs. 1 WAO erst durch die Geltendmachung der Haftung nach § 171 leg. cit. zu Gesamtschuldnern würden. Anders als nach dem zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes - es betraf einen Fall, in welchem der Haftungsbescheid vor Annahme und Bestätigung des Zwangsausgleiches erlassen worden war - sei in den vorliegenden Fällen die abgabenrechtliche Haftung gegenüber den Beschwerdeführern erst nach Erfüllung der Quote durch den Ausgleichsschuldner geltend gemacht worden. Erst durch die Geltendmachung der Haftung (mittels Haftungsbescheides) werde die haftende Person zum Gesamtschuldner, dies jedoch nur im selben Umfang wie der Ausgleichsschuldner selbst, sodaß nach Erfüllung der Quote kein Raum für eine Haftung des Vertreters nach § 7 WAO bleibe. Nach rechtskräftiger Bestätigung des Ausgleiches könne derjenige, der ab diesem Zeitpunkt als Gesamtschuldner zur Haftung herangezogen werde, lediglich für die Quotenforderung bzw. deren Nichterfüllung oder im Falle des Wiederauflebens einer Forderung im Umfang der noch nicht entrichteten Quote für diesen Teil zur Haftung herangezogen werden, nicht jedoch für darüber hinausgehende Verbindlichkeiten des Ausgleichsschuldners, welche nach Annahme und rechtskräftiger Bestätigung des Ausgleiches bis zu einem allfälligen Wiederaufleben einer Forderung nicht mehr bestünden.

Mit dem Erkenntnis vom 25. Juni 1990 hat der Verwaltungsgerichtshof in einer Beschwerdesache entschieden, bei der der Haftungsbescheid gemäß §§ 7 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 54 ff WAO vor Annahme und Bestätigung des (Zwangs‑)Ausgleiches erlassen worden war. Die damalige Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, § 7 WAO komme in ihrem Fall nicht zum Tragen, weil diese Vorschriften eine Haftung der Vertreter nur neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben, soweit sie infolge schuldhafter Pflichtverletzung der Vertreter nicht eingebracht werden könnten, begründe. Nach einem Zwangsausgleich sei die Lohnsummensteuerschuld der Gesellschaft aber nicht uneinbringlich geworden (wie sonst in einem Konkurs), sondern gemäß § 156 KO mit der rechtzeitigen Zahlung der Quote kraft Gesetzes getilgt. Damit sei auch die Vertreterhaftung erloschen, da diese nur neben der Abgabenschuld des Abgabepflichtigen und nur, soweit sie diesen treffe, nicht aber darüber hinaus bestehe.

Damit - so führte der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis aus - verkenne die (damalige) Beschwerdeführerin die Rechtslage. Durch die Erlassung des Haftungsbescheides werde der Haftende zum Gesamtschuldner gemäß § 5 Abs. 1 WAO. Gemäß § 151 KO und § 48 AO könnten die Rechte der (Konkurs-)gläubiger gegen Bürgen oder Mitschuldner des (Gemein-)schuldners sowie gegen Rückgriffsverpflichtete ohne ausdrückliche Zustimmung des Berechtigten durch den Ausgleich nicht beschränkt werden. Die Haftung der Mitverpflichteten werde somit durch den Ausgleich nicht eingeschränkt (vgl. OGH SZ 40/121;

Petschek-Reimer-Schiemer, Insolvenzrecht 644; Wegan, Insolvenzrecht 272). Die im § 156 KO und § 53 AO angeordnete, in der Befreiung von der Verbindlichkeit, den Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen, bestehende Rechtswirkung des Ausgleiches trete daher, wie sich schon aus dem Wortlaut der zuletzt zitierten Vorschriften ergebe, nur in der Person des (Gemein-)schuldners ein. Die (damalige) Beschwerdeführerin könne daher die durch den Ausgleich bewirkte Befreiung des Primärschuldners von der Abgabenverbindlichkeit nicht für sich in Anspruch nehmen.

Anders als nach dem eben zitierten Erkenntnis wurden in den vorliegenden Fällen die erstinstanzlichen Haftungsbescheide nach der Aktenlage erst nach Erfüllung der Quote durch den Ausgleichsschuldner gegenüber den beiden Beschwerdeführern erlassen. Dieser Unterschied im Sachverhalt macht die Haftungsinanspruchnahme der Beschwerdeführer hinsichtlich des durch die Quotenzahlung des Ausgleichsschuldners nicht entrichteten Teiles der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten aus folgenden Gründen inhaltlich rechtswidrig:

Gemäß § 5 Abs. 1 WAO werden Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 171) zu Gesamtschuldnern.

Der Haftungsbescheid hat im Verhältnis zum Haftungspflichtigen konstitutive Wirkung. Erst durch die Erlassung des Haftungsbescheides wird der persönlich Haftungspflichtige zum abgabenrechtlichen Gesamtschuldner. Die Geltendmachung der Haftung ist keine Maßnahme der Abgabenfestsetzung, sondern eine Maßnahme zur Einhebung der Abgabenschuldigkeit des Hauptschuldners (vgl. hiezu Stoll, BAO-Handbuch, S 26, zur analogen Bestimmung des § 7 BAO und die dort zitierten hg. Erkenntnisse).

Einhebungsmaßnahmen der Abgabenbehörden setzen begrifflich voraus, daß die einzuhebende Abgabe aushaftet. DER

ABGABENANSPRUCH DARF IM ZEITPUNKT DER SETZUNG EINER

EINHEBUNGSMASZNAHME NICHT SCHON ERLOSCHEN SEIN ODER NUR MEHR

DEN CHARAKTER EINER NATURALOBLIGATION AUFWEISEN.

Die WIRKUNG DES AUSGLEICHES ist nun aber eine solche, daß nach einem Teil der Lehrmeinungen (vgl. z.B. Heil, Insolvenzrecht, S 128, und Wegan, Österreichisches Insolvenzrecht, S 275) die über die Quote hinausgehende Forderung nur mehr als Naturalobligation weiter besteht - ihre Klagbarkeit und erzwingbare Aufrechenbarkeit geht verloren - bzw. nach einem anderen Teil der Lehre (vgl. hiezu Holzhammer, Österreichisches Insolvenzrecht, S 167) sogar ein teilweiser Schulderlaß im Sinne des § 1444 ABGB eintritt.

Da die belangte Behörde die Haftungsinanspruchnahme der Beschwerdeführer in bezug auf den durch die Quotenzahlung des Ausgleichsschuldners nicht entrichteten Teil der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten dagegen

UNGEACHTET DER SCHON EINGETRETEN GEWESENEN WIRKUNGEN DES

AUSGLEICHES bestätigte, hat sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Diese Bescheide mußten daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte