VwGH 88/03/0188

VwGH88/03/018818.1.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde des MP in L, vertreten durch Dr. Siegfried Rack , Rechtsanwalt in Völkermarkt, Klagenfurter Straße 9, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 19. August 1988, Zl. 8V‑903/2/88, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52
AVG §69 Abs1 litb
AVG §69 Abs1 Z2
AVG §69 Abs1 Z2 implizit
StVO 1960 §5 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1988030188.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus dem Beschwerdevorbringen im Zusammenhalt mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:

Gegen den Beschwerdeführer wurden aus Anlaß eines Verkehrsunfalles (mit Personenschaden) vom 4. Juli 1987, an dem er als Lenker eines Kfz beteiligt war, Anzeigen wegen § 5 Abs. 1 StVO an die Verwaltungsbehörde und wegen fahrlässiger Körperverletzung (in einem die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand) an das Gericht erstattet. Nach dem Gutachten der bakteriologisch‑serologischen Untersuchungsanstalt in Klagenfurt wies der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Blutabnahme (rund 1 Stunde nach dem Unfall) einen Blutalkoholwert von 0,89 %o (nach Widmark) bzw. 0,8 %o (nach AHD) auf.

Nach Durchführung einer Verhandlung wurde der Beschwerdeführer, der ein Geständnis ablegte, mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom 28. August 1987 schuldig erkannt, er habe am 4. Juli 1987 gegen 16,55 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw am genannten Ort in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO begangen. Über ihn wurde gemäß § 99 Abs. 1 StVO eine Geldstrafe von S 8.000,-- verhängt. Dieses Straferkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer beantragte am 22. Jänner 1988 die Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Begründung, der im Gerichtsverfahren 16 EVr 2561/87 des Landesgerichtes Klagenfurt beigezogene ärztliche Sachverständige habe in der Hauptverhandlung vom 2. Dezember 1987 ausgeführt, unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer im gerichtlichen Verfahren angegebenen Alkoholkonsums kurz vor der Tat sei rückgerechnet von der im Zeitpunkt der Blutabnahme ermittelten Blutalkoholkonzentration ein Blutalkoholwert zur Tatzeit von 0,8 %o nicht erweisbar. Erst unmittelbar nach der weiteren gerichtlichen Hauptverhandlung vom 18. Jänner 1988 habe der anwaltliche Vertreter dem Beschwerdeführer den Sachverhalt klargelegt. Der Beschwerdeführer sei im Verwaltungsstrafverfahren unrichtig informiert worden, da ihm mitgeteilt worden sei, er habe das Fahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,89 bzw. 0,82 %o gelenkt, aber nicht, daß sich dieser Wert auf den Zeitpunkt der Blutabnahme, rund 1 Stunde später, bezogen habe. Der Umstand, daß zur Tatzeit die Blutalkoholkonzentration 0,8 %o nicht erreicht habe, stelle einen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG dar, den der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren ohne sein Verschulden nicht habe geltend machen können. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß ihn das Gericht dennoch auf Grund des sogenannten Anflutungsphänomens wegen Begehung der Tat in einem die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand verurteilt habe.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom 3. Februar 1988 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens mit der Begründung abgewiesen, daß das nach Abschluß des Verfahrens im gerichtlichen Verfahren erstattete Gutachten keine neu hervorgekommene Tatsache darstelle. Der Beschwerdeführer habe im Verwaltungsstrafverfahren die Tatsache der Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO nie bestritten und das Ergebnis der Blutuntersuchung nicht bekämpft. Er habe auch im Verwaltungsstrafverfahren den Umstand eines Alkoholgenusses kurz vor Fahrtantritt nicht behauptet, obwohl ihm dies ja bekannt gewesen sei. Den Beschwerdeführer treffe daher an der Nichtgeltendmachung ein Verschulden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. August 1988 wurde die Berufung des Beschwerdeführer mit einer für das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht bedeutsamen Modifizierung des erstinstanzlichen Abspruches gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde das Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag, insbesondere auch die Ausführungen des im Gerichtsverfahren beigezogenen Sachverständigen, wonach unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer (erst) im Gerichtsverfahren behaupteten Alkoholkonsums kurz vor der Tat, nämlich eines kleinen Biers um 16,30 Uhr und eines großen Stamperls Schnaps um 16,40 Uhr zur Unfallszeit (um 16,55 Uhr), eine Blutalkoholkonzentration von rund 0,7 %o vorgelegen sei, wiedergegeben. Nach Zitierung des § 69 Abs. 1 lit. b AVG wurde im wesentlichen ausgeführt, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 2. Juni 1982, Zl. 81/03/0151, ausführlich dargelegt, daß dann, wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die bereits früher bestanden hätten, erst später feststellen sollte, bzw. solche Tatsachen einem Sachverständigen erst später zur Kenntnis kämen, solche neue Befundergebnisse ‑ die sich auf seinerzeit bestandene Tatsachen beziehen müssen - einen Wiederaufnahmegrund bilden, wenn die weiteren Voraussetzungen nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG ‑ insbesondere der Mangel eines Verschuldens ‑ gegeben sind. Die Meinung der Erstbehörde, beim Gutachten des im Gerichtsverfahren beigezogenen Sachverständigen handle es sich nur um ein nach Abschluß des Verfahrens neu entstandenes Beweismittel, sei daher nicht richtig. Zutreffend sei aber die Ansicht der Erstbehörde, es liege die Voraussetzung, der Beschwerdeführer habe die Wiederaufnahmegründe im Verfahren ohne sein Verschulden nicht geltend machen können, nicht vor. Bei der mündlichen Verhandlung vom 28. August 1987 sei dem Beschwerdeführer der gesamte Akteninhalt zur Kenntnis gebracht worden, woraus sich auch für einen Laien ergebe, daß kein ärztliches Sachverständigengutachten vorgelegen sei und sich der festgestellte Blutalkoholwert nur auf den Zeitpunkt der Blutabnahme um 18 Uhr beziehen könne. Der Beschwerdeführer habe keine Beweisanträge in der Richtung gestellt, daß er auf Grund der Konsumation von alkoholischen Getränken unmittelbar vor Fahrtantritt zur Tatzeit nicht alkoholbeeinträchtigt im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO gewesen sei. Dies müsse ihm als Verschulden zugerechnet werden. Es sei weiters unerfindlich, wie der Beschwerdeführer zur Auffassung gelangen könne, daß auch ohne Berücksichtigung des sogenannten Sturztrunkes auf Grund des normalen Abbaues der Blutalkoholkonzentration von 0,1 bis 0,2 %o pro Stunde offenkundig sei, daß die um 18 Uhr (rund 1 Stunde nach der Tat) festgestellte Blutalkoholkonzentration von 0,82 bis 0,89 %o zur Tatzeit weniger als 0,8 %o betragen habe. Hiezu habe nämlich der Gerichtssachverständige in der Verhandlung vor dem Landesgericht Klagenfurt am 2. Dezember 1987 ausgeführt, es habe sich der Unfall um 16,55 Uhr ereignet. Die Blutabnahme sei um 18 Uhr erfolgt. Die Blutuntersuchung habe eine Blutalkoholkonzentration von 0,89 %o bzw. 0,82 %o ergeben. Dies bedeute unter Berücksichtigung des stündlichen Abbauwertes (0,1 bis 0,2 %o) eine Blutalkoholkonzentration für die Tatzeit von 0,92 bis 1,02 %o. Der Beschwerdeführer habe vor der Gendarmerie angegeben, um 10 Uhr ein Viertel Most getrunken zu haben, um 16 Uhr ein großes Bier. Der Alkohol des Mostes sei zum Zeitpunkt des Trinkbeginns des Biers bereits zur Gänze ausgeschieden gewesen, der Alkohol des Biers zum größten Teil bereits ins Blut übergegangen gewesen. Man könne daher für die Unfallszeit mit einem Blutalkoholgehalt von 0,9 bis 1,0 %o rechnen. Diese Ausführungen des Sachverständigen seien schlüssig. Auf Grund der Trinkverantwortung des Beschwerdeführers vor der erstinstanzlichen Verwaltungsbehörde habe daher eine Blutalkoholkonzentration im Tatzeitpunkt keinesfalls niedriger, sondern nur höher als zum Zeitpunkt der Blutabnahme sein können, da eben zum Zeitpunkt der Blutabnahme bereits wieder ein Teil abgebaut gewesen sei. Was den Vorwurf des Beschwerdeführers anlange, die Erstbehörde hätte ihn zu einem seine Verteidigung sichernden Vorbringen veranlassen müssen, sei darauf hinzuweisen, daß die Belehrungspfllicht der Behörde nach § 13 a AVG auf verfahrensrechtliche Angelegenheiten eingeschränkt und die Behörde nicht verpflichtet gewesen sei, der Partei Unterweisungen zu erteilen, wie sie ihr Vorbringen zu gestalten habe, damit ihrem Antrag allenfalls Folge gegeben werden könne (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Juni 1984, Zl. 84/10/0084, vom 30. Jänner 1985, Zlen. 84/03/0394, 0395, und vom 17. September 1986, Zl. 85/01/0150). Abschließend sei bemerkt, daß die erste Instanz ‑ ausgehend von dem Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Verwaltungsbehörde ‑ auch bei Beiziehung eines ärztlichen Amtssachverständigen zu keinem anderen Bescheid hätte kommen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnisse des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalte des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Wie schon die belangte Behörde zutreffend dargelegt hat, können, sollte ein Sachverständiger Tatsachen, die zwar bereits früher bestanden, erst später feststellen, oder sollten solche Tatsachen einem Sachverständigen erst später zur Kenntnis kommen, solche neue Befundergebnisse ‑ die sich auf seinerzeit bestandene Tatsachen beziehen müssen ‑ durchaus einen Wiederaufnahmegrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG ‑ insbesondere der Mangel eines Verschuldens ‑ gegeben sind (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 2. Juni 1982, Zl. 81/03/0151). Demgemäß ist die belangte Behörde folgerichtig zu der Ansicht gelangt, daß das im gerichtlichen Verfahren erstattete Gutachten grundsätzlich einen Wiederaufnahmegrund darstellen könnte. Sie hat aber in Übereinstimmung mit der Erstbehörde das Vorliegen der weiteren Voraussetzung des § 69 Abs. 1 lit. b AVG, nämlich den Mangel eines Verschuldens des Beschwerdeführers, verneint. Der Umstand, daß die neuen Tatsachen oder Beweismittel im früheren Verfahren nicht berücksichtigt werden konnten, darf nämlich bei der Wiederaufnahme auf Antrag nicht auf ein Verschulden der Partei zurückzuführen sein, wobei es nicht von Bedeutung ist, welchen Grad das Verschulden hat und ob die Partei das Alleinverschulden oder nur ein Mitverschulden trifft (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 24. April 1974, Slg. Nr. 8605/A). Die belangte Behörde hat schlüssig und zutreffend begründet, warum den Beschwerdeführer ein die Wiederaufnahme ausschließendes Verschulden trifft. Der Beschwerdeführer hat nämlich, wie er selbst angibt, im Verwaltungsstrafverfahren das Vorliegen einer Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO in keiner Weise bestritten, vielmehr ein Geständnis abgelegt. Er hat ‑ nach seinen eigenen Angaben in der Beschwerde ‑ mit keinem Wort die Tatsache des Vorliegens eines Alkoholkonsums im kurzen Abstand vor der Tat, also das Vorliegen eines sogenannten Sturztrunkes, welche Tatsache ihm ja von vornherein bekannt war, angegeben, sondern diese Behauptung erst im gerichtlichen Verfahren aufgestellt. Der Beschwerdeführer wäre aber verpflichtet und ihm dies auch zumutbar gewesen, schon im Verwaltungsstrafverfahren alles zu seiner Entlastung Dienliche vorzubringen. Wie die belangte Behörde richtig dargelegt hat, ist es nicht Aufgabe der Behörde, die Partei anzuleiten, wie sie sich verantworten müsse, damit sie allenfalls straffrei bleibe. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Erstbehörde tatsächlich, wie es der Beschwerdeführer behauptet, ihm eröffnet habe, daß er zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 0,89 bzw. jedenfalls 0,82 %o aufgewiesen habe, obwohl dieser Wert für den Zeitpunkt der Blutabnahme, also rund 1 Stunde nach der Tat, ermittelt wurde, da auf Grund der Verantwortung des Beschwerdeführers vor der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz ‑ also ohne Behauptung eines Alkoholkonsums unmittelbar vor der Tat ‑ von einer noch höheren Blutalkoholkonzentration, nämlich vermehrt um den stündlichen Abbauwert von 0,1 %o, auszugehen war. Es ist im übrigen nicht einsichtig, inwieweit der Beschwerdeführer, selbst wenn seine Behauptung zutreffen sollte, daß die Erstbehörde den Blutalkoholwert von 0,89 bzw. 0.82 %o auf die Tatzeit bezogen habe, gehindert gewesen wäre, sich wahrheitsgemäß zu verantworten und entsprechende Beweisanträge zu stellen. Nichts anderes hat aber die belangte Behörde ‑ entgegen dem Beschwerdevorbringen ‑ im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebracht, wenn sie auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Bezug nahm, der im Gerichtsverfahren eben unter der Annahme, daß kein sogenannter Sturztrunk erfolgt sei, also ausgehend von der Verantwortung des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren, zu dem Ergebnis gelangte, daß dann der Blutalkoholwert zum Tatzeitpunkt um mindestens 0,1 %o höher gewesen sein müsse als zum Zeitpunkt der Blutabnahme. Allen damit im Zusammenhang stehenden Ausführungen der Beschwerde kommt somit keine Berechtigung zu. Bei dieser Sach- und Rechtslage bedurfte es auch keiner Vernehmung der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen.

Der belangten Behörde unterlief daher keine Rechtswidrigkeit, wenn sie die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG nicht für gegeben erachtete.

Da schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 18. Jänner 1989

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