VwGH 85/18/0112

VwGH85/18/011210.11.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde des Dr. JS in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. April 1983, Zl. MA 70‑X/Sch 14/83/Str, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Normen

KDV 1967 §4 Abs4
KFG 1967 §1 Abs1
KFG 1967 §103 Abs1
KFG 1967 §7 Abs1
VStG §44a lita
VStG §44a Z1 implizit
VStG §5 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1985180112.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.435,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bundespolizeidirektion Wien erkannte den Beschwerdeführer - nachdem die Strafverfügung dieser Behörde vom 25. Oktober 1982 zufolge rechtzeitig erhobenen Einspruches des Beschwerdeführers außer Kraft getreten war - mit Straferkenntnis vom 4. Jänner 1983 schuldig, er habe am 22. Oktober 1982 um 11.20 Uhr in Wien X, Zwölfpfenniggasse nächst Ada Christen Gasse als Zulassungsbesitzer einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf einer Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet, obwohl ein Reifen nicht die vorgeschriebene Mindestprofiltiefe auf der ganzen Lauffläche aufgewiesen habe. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 4 KFG (gemeint wohl: KDV 1967) begangen. Gemäß § 134 KFG 1967 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 700,--, im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzarreststrafe von 28 Stunden verhängt.

Über die dagegen rechtzeitig erhobene Berufung des Beschwerdeführers entschied der Landeshauptmann von Wien mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid dahin, daß das erstinstanzliche Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in der Schuldfrage mit der Abänderung bestätigt werde, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:

„Der Beschuldigte ... hat als Zulassungsbesitzer des Pkws mit dem Kennzeichen ... nicht für den vorschriftsmäßigen Zustand des Pkws Sorge getragen und es daher zu verantworten, daß der Pkw ... am 22.10.1982, um 11.20 Uhr in Wien 10, Zwölfpfenniggasse nächst Ada Christen Gasse abgestellt war, sohin auf einer Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet worden war, obwohl ein Reifen nicht auf der ganzen Lauffläche die vorgeschriebene Mindestprofiltiefe aufgewiesen hat.“

Als Übertretungsnorm sei § 103 Abs. 1 KFG 1967 in Verbindung mit § 4 Abs. 4 KDV 1967 anzuführen. Die Geldstrafe von S 700,-- wurde auf S 400,-- herabgesetzt; die Ersatzarreststrafe von 28 Stunden blieb aufrecht.

Dagegen richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 103 Abs. 1 erster Satz KFG 1967 (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Stammfassung BGBl. Nr. 267) hat der Zulassungsbesitzer eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug und seine Beladung den Vorschriften dieses Bundesgesetzes und der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen entspricht. Zufolge § 1 Abs. 1 leg. cit. sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, sofern im Abs. 2 nichts anderes festgesetzt ist, auf Kraftfahrzeuge und Anhänger, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr (§ 1 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, BGBl. Nr. 159) verwendet werden, und auf den Verkehr mit diesen Fahrzeugen auf solchen Straßen anzuwenden. Entsprechend § 7 Abs. 1 leg. cit. müssen Kraftfahrzeuge und die mit ihnen gezogenen Anhänger außer Anhängeschlitten mit Reifen oder Gleisketten versehen sein, die nach ihrer Bauart, ihren Abmessungen und ihrem Zustand auch bei den höchstens für das Fahrzeug zulässigen Achslasten und bei der Bauartgeschwindigkeit des Fahrzeuges verkehrs- und betriebssicher sind und durch die die Fahrbahn bei üblicher Benützung nicht in einem unzulässigen Ausmaß abgenützt werden kann. Hinsichtlich der Beschaffenheit der Reifen von Pkws ordnet § 4 Abs. 4 der Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung 1967 u.a. an, daß die Tiefe der für die Ableitung des Wassers von der Lauffläche des Reifens erforderlichen Vertiefungen des Laufstreifens (Profiltiefe) auf der ganzen Lauffläche bei Kraftfahrzeugen mit einer Bauartgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h mindestens 1,6 mm betragen muß.

Dem umfangreichen Vorbringen des Beschwerdeführers, ein Kraftfahrzeug müsse den in Betracht kommenden Vorschriften - also im Beschwerdefall den Vorschriften über die Mindestprofiltiefe von Pkw-Reifen - nur dann entsprechen, wenn mit dem Fahrzeug gefahren werde, ist entgegenzuhalten, daß nach dem zitierten § 1 Abs. 1 KFG 1967 jedes „Verwenden“ von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr vom KFG 1967 erfaßt ist. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden daher auch auf haltende und parkende Kraftfahrzeuge Anwendung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 9. November 1984, Slg. N.F. Nr. 11579/A). Daraus folgt, daß der Zulassungsbesitzer eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers auch dann für den gesetzmäßigen Zustand dieser Fahrzeuge zu sorgen hat, wenn sie auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr geparkt werden. Ein auf einer öffentlichen Straße geparktes Kraftfahrzeug hat daher ordnungsgemäß bereift zu sein (siehe dazu auch das hg. Erkenntnis vom 5. Juli 1977, Slg. N.F. Nr. 8443/A). Allerdings darf ‑ wie der Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. April 1967, Zl. 1589/66, zu der vergleichbaren Vorschrift des § 86 Abs. 1 des Kraftfahrgesetzes 1955, BGBl. Nr. 223, ausgesprochen hat -, die Verpflichtung des Zulassungsbesitzers, für den ordnungsgemäßen Zustand eines auf einer öffentlichen Straße geparkten Kraftfahrzeuges zu sorgen, nicht so ausgelegt werden, daß diese Verpflichtung auch etwa dann gilt, wenn das Abstellen des Fahrzeuges nur den Zweck verfolgt, durch die Vornahme einer Reparatur den vorschriftsmäßigen Zustand wiederherzustellen. In einem solchen Fall wird es Tatfrage sein, ob der nicht vorschriftsmäßige Zustand nur für die Zeit der Reparatur bzw. der angemessenen Zeit, in der für eine Reparatur zu sorgen wäre, gedauert hat. In diesem Sinne verstößt ein Zulassungsbesitzer, dem bewußt ist, daß Teile seines Kraftfahrzeuges (z.B. durch einen Defekt, einen Verkehrsunfall oder eine boshafte Sachbeschädigung) nicht mehr den in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen, während des zur Behebung des Mangels angemessenen Zeitraumes nicht gegen die Sorgepflicht nach § 103 Abs. 1 KFG 1967. Dies gilt auch für einen Zulassungsbesitzer, dem - wie im Beschwerdefall die belangte Behörde angenommen hat - erst nach Beendigung einer Fahrt bewußt geworden ist, daß durch die während einer Fahrt erforderlich gewordenen Notbremsungen ein Reifen so abgenützt worden ist, daß dieser nicht mehr die erforderliche Mindestprofiltiefe aufgewiesen hat. (Soweit der Beschwerdeführer nunmehr erstmals in der Beschwerde vorbringt, er habe vom vorschriftswidrigen Zustand des in Rede stehenden Reifens erst nach Abnahme der Kennzeichentafeln durch Sicherheitswacheorgane erfahren, handelt es sich um eine gemäß § 41 VwGG unzulässige Neuerung, zumal er im Verwaltungsstrafverfahren der Annahme der Erstbehörde, er habe vom Zustand der Reifen nach Beendigung der Fahrt Kenntnis gehabt, nicht entgegengetreten ist.) Da die belangte Behörde vom Wissen des Beschwerdeführers um den vorschriftswidrigen Zustand des Reifens ausging, hätte sie sich auch mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren, er habe die Absicht gehabt, vor Antritt der nächsten Fahrt den durch mehrere Notbremsungen vorschriftswidrig gewordenen Reifen durch den den Vorschriften entsprechenden Reservereifen auszuwechseln, auseinandersetzen müssen, weil im Sinne der zitierten Rechtsprechung eine angemessene Zeit zur Behebung des vorschriftswidrigen Zustandes einzuräumen wäre. (In diesem Zusammenhang irrt der Beschwerdeführer, wenn er meint, er hätte bereits durch das Bereithalten des Reservereifens seiner Sorgepflicht nach § 103 Abs. 1 KFG 1967 entsprochen.)

Bei Vermeidung des aufgezeigten Begründungsmangels hätte die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid kommen können. Diese fehlende Begründung konnte die belangte Behörde auch nicht (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Seite 607, wiedergegebene Judikatur) durch ihre Ausführungen in der Gegenschrift ersetzen, es sei dem Beschwerdeführer durchaus zuzumuten gewesen, den Reservereifen unmittelbar nach der letzten Fahrt zu montieren (bzw. montieren zu lassen). Im übrigen fehlt auch bei dieser in der Gegenschrift nachgeholten Begründung eine Auseinandersetzung mit den im Beschwerdefall gegebenen Umständen (z.B. Nachtzeit zum Zeitpunkt des Parkens des Pkws).

Hingegen hält der Verwaltungsgerichtshof die vom Beschwerdeführer behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aus folgenden Gründen für nicht gegeben:

Die Wendung in der oben zitierten Gesetzesbestimmung des § 103 Abs. 1 erster Satz KFG „hat der Zulassungsbesitzer eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers dafür zu sorgen, daß ...“ bedeutet nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, daß im Verhalten des Zulassungsbesitzers ein Verschulden im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG 1950 gelegen sein muß, damit ihm der vorschriftswidrige Zustand des Fahrzeuges oder seiner Beladung zum Vorwurf gemacht werden kann. Weitere Bedingung ist, wie bereits oben ausgeführt, daß das Fahrzeug auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet wurde.

Da der bei jeder Verwaltungsübertretung vorausgesetzte Umstand, daß die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde, nicht in dem dem § 44a lit. a VStG 1950 entsprechenden Spruchteil angeführt werden muß, ist es auch nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit dieses Spruchteils, daß die Wendung „hat ... nicht dafür gesorgt, daß ...“ in den Spruch aufgenommen wird. Daraus ergibt sich, daß der vom Beschwerdeführer behauptete wesentliche Unterschied zwischen dem jeweiligen Spruch der Bescheide erster und zweiter Instanz nicht vorliegt, weil es sich eben bei der von der belangten Behörde gebrauchten Wendung „hat ... nicht für den vorschriftsmäßigen Zustand Sorge getragen“ um keinen notwendigen Spruchbestandteil handelt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf die weiteren Beschwerdeausführungen einzugehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/198). Das den Betrag von S 225,-- übersteigende Begehren auf Ersatz der Stempelgebühren war abzuweisen, weil nur der Ersatz der Stempelgebühren für drei Ausfertigungen der Beschwerde (je S 100,--) und für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides (S 25,--) zuzusprechen war.

Wien, am 10. November 1989

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