VwGH 87/15/0103

VwGH87/15/01033.10.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Großmann, Dr. Närr, Dr. Wetzel und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hinterwirth, über die Beschwerde des FD in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 24. Juni 1987, Zl. GA 7 - 1299/1/87, betreffend Nachsicht für Umsatzsteuer, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs4 impl;
BAO §20;
BAO §236 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 1986 stellte der Beschwerdeführer das Ansuchen um Nachsicht einer Umsatzsteuernachzahlung im Ausmaß von S 31.518,--. Diese Nachforderung betrifft die Jahre 1982 bis 1985 und beruht auf dem Ergebnis einer Betriebsprüfung. Die maßgeblichen Bescheide sind in Rechtskraft erwachsen. Sein Ansuchen begründete der Beschwerdeführer im wesentlichen damit, daß es zu der Nachforderung an Umsatzsteuer ohne sein Verschulden nur deshalb gekommen sei, weil das Finanzamt die durch 10 Jahre geübte Rechtsansicht, die Einkünfte des Beschwerdeführers seien nicht umsatzsteuerpflichtig, geändert habe. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der früheren vom Finanzamt erlassenen Bescheide habe der Beschwerdeführer seine Einkünfte verbraucht. Er verfüge über keinerlei Ersparnisse und könne den von ihm geforderten Betrag nicht aufbringen. Sein steuerpflichtiges Jahreseinkommen werde "heuer" auf Grund diverser Rückschläge und Restriktionen nicht mehr als rund S 100.000,-- betragen. Davon habe er S 40.000,-- als Einkommensteuervorauszahlung zu leisten. Selbst für den Fall, daß sich der Beschwerdeführer den geforderten Betrag irgendwo leihen könnte, würde dies bedeuten, daß sein verfügbares Jahreseinkommen 1986 nur etwa S 28.500,-- betrage, was seinen sofortigen persönlichen Konkurs nach sich ziehen würde.

Das Finanzamt wies das Nachsichtsansuchen im wesentlichen mit der Begründung ab, es könne aus den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründen nicht erkennen, daß die Einhebung der gegenständlichen Abgabenschuldigkeiten nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies zunächst das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung ab.

Nachdem der Beschwerdeführer die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragt hatte, wies auch die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung ab. Begründend führte sie sinngemäß aus, gemäß § 236 BAO sei der Unbilligkeitstatbestand auf die Einhebung der Abgaben abgestellt. Aus diesem Grunde kämen allen Umständen und Argumenten des Beschwerdeführers, soweit sie die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und die Vorschreibung der Abgaben zum Gegenstand hätten, im Nachsichtsverfahren keine Bedeutung zu. Überdies verlange das Gesetz die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Einzelfalles. Die nachsichtsbezogene Umsatzsteuernachforderung beruhe im gegenständlichen Fall auf dem Ergebnis einer Betriebsprüfung, die aber keine Besonderheit des Einzelfalles darstellen könne. Für die Beurteilung der Unbilligkeit verbleibe somit im wesentlichen die gegenwärtige wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers. "Das Argument, den genannten Betrag mangels Verfügbarkeit nicht entrichten zu können, muß nach der geltenden Rechtslage unberücksichtigt bleiben. Dies deshalb, da das Gesetz für Nachsichtsmaßnahmen ausdrücklich das Merkmal der Unbilligkeit, und nicht das einer Uneinbringlichkeit der Abgaben verlangt." Die Behauptung, dem Beschwerdeführer drohe der Konkurs für den Fall der Zahlung des nachgeforderten Betrages, betrachte die belangte Behörde nur als eine unbegründete Befürchtung, da der Gesetzgeber "durch" geeignete Bestimmungen wie z. B. Zahlungserleichterungen für den Fall vorgesorgt habe, daß erhebliche Härten durch die sofortige oder sofortige volle Entrichtung von Abgabenforderungen auftreten sollten. Alle vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände rechtfertigten daher nicht die Annahme, daß die Einhebung der gegenständlichen Abgabennachforderungen nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Nachsicht der vorgeschriebenen Umsatzsteuernachzahlung verletzt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist somit tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit (§ 20 BAO) zu entscheiden (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. März 1983, Zl. 82/14/0197).

Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde im gegenständlichen Fall bereits die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeit, deren Nachsicht der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren beantragt hatte, unbillig ist oder nicht, verneint.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder den Steuergegenstand ergeben, daß also ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen vorliegt (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 4. Oktober 1985, Zl. 82/17/0021, und die dort zitierten Vorentscheidungen). Somit liegt Unbilligkeit nur vor, wenn sie in den Besonderheiten des Einzelfalles begründet ist. Eine derartige Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nur wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, ist die Einziehung "nach der Lage des Falle unbillig" (vgl. Stoll, BAO-Handbuch, S. 586, sowie die dort angeführten hg. Erkenntnisse).

Im vorliegenden Fall ist nun zunächst der belangten Behörde darin beizupflichten, daß der vom Beschwerdeführer in den Vordergrund seiner Betrachtung gerückte "gute Glaube" an die Rechtmäßigkeit und Richtigkeit von erteilten Auskünften und Steuerbescheiden für sich allein eine Unbilligkeit der Einhebung allfälliger Steuernachforderungen nicht zu rechtfertigen vermag. Der Beschwerdeführer hat aber schon im Verwaltungsverfahren auf eine Reihe tatsächlicher Umstände hingewiesen, die - wenn sie zutreffen - insgesamt die Beurteilung rechtfertigen könnten, daß die in Rede stehende Einhebung nach der Lage des Falles unbillig ist. Wurde nämlich vom Finanzamt, wie der Beschwerdeführer behauptet, die vollständig offengelegten Einkünfte des Beschwerdeführers jahrelang als nicht umsatzsteuerpflichtig behandelt, und hat der Beschwerdeführer im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit und Richtigkeit dieser Beurteilung durch die Behörde für seine Leistungen den Abnehmern keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt, so könnte in diesem Falle eine Unbilligkeit der Einhebung der Umsatzsteuernachforderung vorliegen, wenn die wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers tatsächlich eine solche ist, daß die Zahlung der in Rede stehenden geschuldeten Abgaben selbst bei Einräumung von Zahlungserleichterungen eine besondere Härte für den Beschwerdeführer bedeutet.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet, weil sie in Verkennung der Rechtslage das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers zur Frage der Unbilligkeit der Einhebung der Umsatzsteuernachforderung ohne weitere Prüfung mit dem Bemerken abgetan hat, "das Argument, den genannten Betrag mangels Verfügbarkeit nicht entrichten zu können, muß nach der geltenden Rechtslage unberücksichtigt bleiben". Infolgedessen wurde von der belangten Behörde der vom Beschwerdeführer behauptete Sachverhalt nicht geprüft, weshalb im angefochtenen Bescheid Sachverhaltsfeststellungen fehlen, die eine Entscheidung über die Frage des Vorliegens der Unbilligkeit zulassen. In diesem Zusammenhang muß auch der Behauptung der belangten Behörde in der Gegenschrift entgegengetreten werden, der Beschwerdeführer habe zur Frage der behaupteten Existenzgefährdung keine konkreten und ausreichend detaillierten Angaben vorgebracht. Schon in seinem Ansuchen hat der Beschwerdeführer seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse detailliert dargelegt. An einer Überprüfung der vom Beschwerdeführer behaupteten mißlichen finanziellen Situation war die belangte Behörde daher nicht gehindert.

Aus den dargelegten Gründen mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 3. Oktober 1988

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