VwGH 87/09/0256

VwGH87/09/025624.3.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kirchner, über die Beschwerde des AP in L, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, Spittelwiese 15, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Oberösterreich vom 2. September 1987, Ob 410-095065-002/Sch, betreffend Aussetzung eines Verfahrens über einen Antrag auf Anerkennung von Dienstbeschädigungen nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 gemäß § 38 AVG 1950, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38
KOVG 1957 §86 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987090256.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Oberösterreich vom 18. Dezember 1986 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landesinvalidenamtes für Oberösterreich vom 30. September 1985 nicht Folge gegeben und die mit diesem Bescheid gemäß §§ 7, 8 und 51 KOVG 1957 ausgesprochene Abweisung seines Antrages auf Gewährung einer Beschädigtenrente bestätigt. Gleichzeitig wurden gemäß §§ 1 und 4 KOVG 1957 folgende Gesundheitsschäden als Dienstbeschädigung anerkannt:

  1. 1. Narbe nach Oberarmschußbruch re.
  2. 2. Teilweise Ulnarisparese re.

    Soweit die Berufung den Antrag auf Anerkennung eines "Leberleidens" zum Inhalt hatte, wurde sie gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unzulässig zurückgewiesen.

    Die belangte Behörde begründete diesen Bescheid im wesentlichen damit, daß die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die unter 1. anerkannte Dienstbeschädigung auf Grund der Richtsatzposition 702 mit 0 v.H., für die unter 2. anerkannte Dienstbeschädigung auf Grund der Richtsatzposition 471 10 v.H. betrage. Die belangte Behörde ging ferner davon aus, daß ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Beschädigtenrente deshalb nicht bestehe, weil ein solcher gemäß § 7 Abs. 1 erster Satz KOVG 1957 eine MdE des Beschädigten um mindestens 25 v.H. voraussetze. Der Antrag auf Anerkennung der Gesundheitsschädigung "Leberleiden" als Dienstbeschädigung sei deshalb zurückzuweisen gewesen, weil hierüber kein berufungsfähiger Bescheid der Behörde erster Instanz vorgelegen sei.

    Dieser Bescheid ist Gegenstand der vom Beschwerdeführer erhobenen, unter Zl. 87/09/0030 protokollierten Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde. Darin bekämpfte der Beschwerdeführer im wesentlichen zum einen die Abweisung seines Antrages auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente wegen zu geringer Einschätzung der MdE, zum anderen die Zurückweisung seines Antrages auf Anerkennung seines Leberleidens als Dienstbeschädigung. Diese Beschwerde wurde mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tag als unbegründet abgewiesen.

    Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist der von der belangten Behörde im Instanzenzug erlassene Bescheid vom 2. September 1987, mit dem der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landesinvalidenamtes für Oberösterreich vom 1. April 1987 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Folge gegeben wurde und dieser Bescheid der Behörde erster Instanz bestätigt wurde. Das Landesinvalidenamt hatte in seinem Bescheid vom 1. April 1987 (das über Antrag des Beschwerdeführers vom 19. August 1986 eingeleitete) Verfahren betreffend Anerkennung bestimmter Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigung (Narben nach Splitterverletzung linke Hand und Bein; Narbe nach Splitterverletzung linker Unterschenkel und dyseptische Beschwerden mit Leberzellschädigung nach Gelbsucht) gemäß § 38 AVG 1950 in Verbindung mit § 86 KOVG 1957 bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den oben dargestellten Versorgungsanspruch (hg. Zl. 87/09/0030) ausgesetzt.

    Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im wesentlichen unter Hinweis auf § 7 KOVG 1957 damit, daß eine einheitliche Rente festzusetzen sei, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere Gesundheitsschädigungen beeinträchtigt werde, für deren Höhe die Gesamtwirkung der kausalen Gesundheitsschädigungen auf die Erwerbsfähigkeit maßgebend sei. Sowohl über die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit als auch über die Frage, welche Behörde hinsichtlich des "Leberzellschadens" zu entscheiden habe (Zuständigkeitsstreit), werde der Verwaltungsgerichtshof in dem bei ihm anhängigen Verfahren (Zl. 87/09/0030) eine Entscheidung treffen. Die Verwaltungsgerichtshofentscheidung (über den ersten Versorgungsantrag des Beschwerdeführers vom 23. Juli 1984) bilde somit eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung über den nunmehr geltend gemachten Anspruch vom 19. August 1986. Von der vom Beschwerdeführer in seiner Berufung verlangten Gewährung des Parteiengehörs habe die belangte Behörde absehen können, weil von ihr kein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei.

    Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

    Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem ihm gemäß § 4 KOVG 1957 zustehenden Recht auf Anerkennung einer Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 KOVG 1957, in seinem Recht auf Sachentscheidung und in seinem Recht auf Parteiengehör (§§ 37 ff AVG 1950) als verletzt.

In Ausführung dieser Beschwerdepunkte bringt der Beschwerdeführer unter anderem vor, daß entgegen der Auffassung der belangten Behörde keine Vorfrage vorliege. Gegenstand des beim Verwaltungsgerichtshofes unter Zl. 87/09/0030 anhängigen Verfahrens sei ein Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der Beschädigtenrente nach § 1 KOVG 1957 unter Zugrundelegung von Dienstbeschädigungen, welche eine zumindest 25 %ige MdE bewirkten. Im vorliegenden Verfahren habe jedoch der Beschwerdeführer den Antrag gestellt, bestimmte Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigung neu anzuerkennen. Während der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Leberzellschaden im ersten Verfahren von der belangten Behörde überhaupt nicht berücksichtigt worden sei, sei hinsichtlich der Splitterverletzungen die MdE nach Ansicht des Beschwerdeführers zu gering bewertet worden. Schon aus dieser Ungleichartigkeit der beiden Anträge des Beschwerdeführers ergebe sich, daß es sich um keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 handeln könne.

Dieses Vorbringen ist berechtigt.

Gemäß § 86 Abs. 1 KOVG finden auf das Verfahren, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 Anwendung.

§ 38 AVG 1950 lautet:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Mangels einer abweichenden Bestimmung im KOVG 1957 findet § 38 AVG 1950 auch in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung voll Anwendung.

Im Beschwerdefall kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung der belangten Behörde, die sie auch in ihrer Gegenschrift vertritt, zutrifft, es liege zwischen der Entscheidung der belangten Behörde vom 18. Dezember 1986 über den ersten Versorgungsantrag des Beschwerdeführers vom 23. Juli 1984 und seinem zweiten Antrag vom 19. August 1986 das Verhältnis von Vorfrage und Hauptfrage vor. Selbst wenn dies zutreffen sollte, ist im Beschwerdefall unbestritten, daß die belangte Behörde über den ersten Versorgungsantrag des Beschwerdeführers mit ihrem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 18. Dezember 1986 entschieden hat. Durch die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene (unter Zl. 87/09/0030 protokollierte) Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde wurde dieser Bescheid seiner Rechtskraftwirkung nicht entkleidet. Liegt aber eine bereits rechtskräftige Entscheidung der Verwaltungsbehörde vor, so mangelt es jedenfalls ab diesem Zeitpunkt an einer Voraussetzung für die Anwendung des § 38 AVG 1950. Dies gilt im Beschwerdefall sowohl für den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides des Landesinvalidenamtes für Oberösterreich vom 1. April 1987 als auch des angefochtenen (Berufungs)bescheides der belangten Behörde. Die möglichen Auswirkungen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über eine bei ihm anhängige Bescheidbeschwerde, in der die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zu prüfen ist, auf den Ausgang eines anderen anhängigen Verwaltungsverfahrens, berechtigt die Verwaltungsbehörde nicht, in diesem Verfahren § 38 AVG 1950 anzuwenden.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat und dessen ungeachtet einen Aussetzungsbescheid gemäß § 38 AVG 1950 erlassen hat, obwohl sie hiezu nach dieser Vorschrift nicht berechtigt war, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich damit.

Ungeachtet des Antrages des Beschwerdeführers hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, weil durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 24. März 1988

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