VwGH 86/03/0157

VwGH86/03/01577.12.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Baumgartner, Dr. Weiss, Dr. Leukauf, Dr. Knell, Dr. Dorner, Dr. Puck, Dr. Bernard und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde des MW in O, vertreten durch Dr. Wolfgang Hochsteger, Rechtsanwalt in Hallein, Bayrhamerplatz 4, gegen die Bezirkshauptmannschaft Hallein, wegen Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art131a;
B-VG Art133 Z1;
B-VG Art144 Abs1;
MRK Art5;
PersFrSchG 1862 §4;
StGG Art12;
StGG Art5;
StGG Art8;
VStG §53 Abs1;
VStG §53;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwGG §28 Abs1 Z2;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1986030157.X00

 

Spruch:

Die durch Organe des Gendarmeriepostenkommandos Hallein am 23. Juli 1986 erfolgte Vorführung des Beschwerdeführers zum Strafantritt und der Vollzug der Primärarreststrafe ohne vorangegangene Aufforderung zum Strafantritt werden für rechtswidrig erklärt.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 27. Juni 1986 wurde über den Beschwerdeführer wegen der von ihm begangenen Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 eine Primärarreststrafe in der Dauer von 240 Stunden verhängt. Nach Zustellung dieses Bescheides wurde der Beschwerdeführer über Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Hallein durch Organe des Gendarmeriepostenkommandos am 23. Juli 1986 in das Polizeigefangenenhaus Salzburg zum Strafantritt vorgeführt, in dem der Beschwerdeführer die über ihn verhängte Primärarreststrafe zur Gänze verbüßte.

Gegen die Vorführung des Beschwerdeführers zum Strafantritt und den Vollzug der Primärarreststrafe richtet sich die vorliegende, auf Art. 131a B-VG gestützte Beschwerde "wegen Verletzung des gewährleisteten Rechtes auf vorherige Aufforderung zum Antritt einer Primärarreststrafe und nicht sofortigen Vollzug derselben". Der Beschwerdeführer sei weder bei Zustellung der Berufungsentscheidung noch vor dem durchgeführten Vollzug der Freiheitsstrafe zum Antritt der Freiheitsstrafe aufgefordert worden, wodurch er in dem ihm gewährleisteten Recht auf vorherige Aufforderung zum Strafantritt gemäß § 53 Abs. 1 VStG 1950 (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der VStG-Novelle 1987, BGBl. Nr. 516) verletzt worden sei. Der Beschwerdeführer beantragt daher, der Verwaltungsgerichtshof möge feststellen, daß er durch den Vollzug der über ihn verhängten Primärarreststrafe ohne vorangegangene Aufforderung zum Strafantritt in seinem gewährleisteten Recht auf Nichtvornahme eines Strafvollzuges ohne vorausgehende Aufforderung zum Strafantritt verletzt worden sei.

In der von der Bezirkshauptmannschaft Hallein als belangten Behörde erstatteten Gegenschrift wird das Vorbringen in der Beschwerde über die Vorführung des Beschwerdeführers zum Strafantritt und den Vollzug der Freiheitsstrafe nicht bestritten. Da sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des Berufungserkenntnisses der Salzburger Landesregierung vom 27. Juni 1986 erst seit kurzem in einem Arbeitsverhältnis befunden habe, sollte die Freiheitsstrafe entsprechend einer mit dem Bewährungshelfer des Beschwerdeführers getroffenen Vereinbarung nicht sofort vollzogen, sondern dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben werden, die Strafe während eines Urlaubes zu verbüßen, weshalb beabsichtigt gewesen sei, die Strafe erst im November oder Dezember 1986 zu vollziehen. Nach der Zustellung des Berufungserkenntnisses am 7. Juli 1986 sei der Beschwerdeführer zweimal mit seiner Mutter vor der belangten Behörde erschienen. Bei der zweiten Vorsprache habe die Mutter des Beschwerdeführers mitgeteilt, daß ihr Sohn seinen Arbeitsplatz deshalb verloren hätte, weil er ohne Benachrichtigung seines Arbeitgebers drei Tage am Arbeitsplatz nicht erschienen sei. Der Mutter sei anläßlich dieser Vorsprache mitgeteilt worden, daß die Behörde nunmehr keinen Grund sehe, den Vollzug der Primärarreststrafe länger aufzuschieben. Ihr Sohn müsse die verhängte Primärarreststrafe sofort verbüßen. Richtig sei, daß neben der mündlichen Mitteilung anläßlich der zweiten Vorsprache eine schriftliche Aufforderung zum Antritt der Primärarreststrafe dem Beschwerdeführer nicht zugestellt worden sei. Die Zustellung sei deshalb unterblieben, weil die belangte Behörde der Auffassung gewesen sei, daß durch die mündliche Mitteilung, die Primärarreststrafe sofort zu vollziehen, der im § 53 Abs. 1 VStG 1950 enthaltenen Verpflichtung entsprochen worden sei.

In der Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die in einem unmittelbar gegen die Person gerichteten Zwang besteht (wie Verhaftung, Festnahme, Vorführung und Vollzug einer Arreststrafe), zuständig ist, liegt widersprechende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. In den Erkenntnissen vom 3. Mai 1979, Zl. 1935/78, und vom 26. September 1985, Zlen. 85/02/0004, 0238, 0239, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, daß Maßnahmenbeschwerden wegen unmittelbar gegen die Person gerichteten - physischen - Zwangs (Verhaftung, Vorführung) soweit zulässig sind, als die Verletzung nicht verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet wird. Demgegenüber brachte der Verwaltungsgerichtshof im Beschluß vom 20. Mai 1981, Zlen. 81/03/0106, 0107, und im Erkenntnis vom 25. Oktober 1982, Slg. Nr. 10.870/A, zum Ausdruck, daß mit Maßnahmenbeschwerden wegen unmittelbar gegen die Person gerichteten Zwangs ausschließlich die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht wird. Er wies in den beiden letztgenannten Fällen die diesbezüglichen Beschwerden wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zurück.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die vom Beschwerdeführer bekämpfte Einlieferung in das Polizeigefangenenhaus Salzburg und der Vollzug der Freiheitsstrafe stellen Akte der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, die im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Hallein durchgeführt wurden und dieser Behörde zuzurechnen sind. Das durch diese Maßnahmen verletzte Recht erblickt der Beschwerdeführer nach dem Beschwerdevorbringen ausschließlich darin, daß er vor dem Vollzug der Freiheitsstrafe entgegen der zwingenden Anordnung des § 53 Abs. 1 VStG 1950, wonach die Behörde den zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten nach Ablauf der Berufungs- oder Einspruchsfrist oder bei Zustellung der endgültigen Berufungsentscheidung aufzufordern hat, die Freiheitsstrafe sofort anzutreten, nicht zum Strafantritt aufgefordert worden sei.

In Hinsicht auf die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über die Beschwerde ergeben sich folgende Überlegungen:

Gemäß Art. 129 B-VG ist zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung der Verwaltungsgerichtshof berufen. Gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. b B-VG erkennt der Verwaltungsgerichtshof über Beschwerden, womit Rechtswidrigkeit der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person behauptet wird. Gemäß Art. 131a B-VG kann gegen die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person diese Person Beschwerde erheben, wenn sie durch die betreffende Maßnahme in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet. Gemäß Art. 133 Z. 1 B-VG sind von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes die Angelegenheiten ausgeschlossen, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören. Gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden, soweit der Beschwerdeführer durch den Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Unter den gleichen Voraussetzungen erkennt der Verfassungsgerichtshof auch über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person.

Aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmungen ergibt sich, daß dem Verwaltungsgerichtshof ungeachtet der ihm nach Art. 129 B-VG obliegenden Aufgabe der Kontrolle der gesamten öffentlichen Verwaltung auf ihre Gesetzmäßigkeit eine Zuständigkeit zu einer solchen Kontrolle in den Angelegenheiten mangelt, in denen gemäß Art. 133 Z. 1 B-VG ausschließlich dem Verfassungsgerichtshof (als Sonderverwaltungsgerichtshof) die nachprüfende Kontrolle obliegt.

Im vorliegenden Fall erhebt sich die Frage, ob die Behandlung der Beschwerde, in der vom Beschwerdeführer - wie dem oben angeführten Beschwerdepunkt zu entnehmen ist - die Verletzung des ihm gewährleisteten Rechtes "auf vorherige Aufforderung zum Strafantritt gemäß § 53 Abs. 1 VStG 1950", also die Verletzung eines einfachgesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet wird, nach Art. 133 Z. 1 B-VG unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Schutz der persönlichen Freiheit von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist.

Die Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zu den Grundrechten nach dem Staatsgrundgesetz 1867 ist in dieser Frage unterschiedlich. Bei den Grundrechten des Art. 12 StGG nehmen beide Gerichtshöfe in ständiger Rechtsprechung übereinstimmend an, daß Verstöße gegen die in Ausführung dieses Grundrechtsartikels ergangenen einfachen Gesetze (Vereinsgesetz und Versammlungsgesetz) im Kernbereich, wenn es etwa um die Bildung, Untersagung oder Auflösung eines Vereines geht, eine Verletzung des Grundrechtes selbst bedeuten und sich somit als eine Verfasssungswidrigkeit darstellen, über die zu befinden allein der Verfassungsgerichtshof berufen ist, und zwar auch dann, wenn bei Handhabung dieser beiden Gesetze (bloß) Verfahrensvorschriften des AVG nicht beachtet werden (vgl. dazu unter anderem das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 4816 sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 7096/A, sowie die in diesen Erkenntnissen angeführte weitere Rechtsprechung). Im Erkenntnis vom 16. Juni 1977, Slg. Nr. 8076, sprach der Verfassungsgerichtshof - in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa die Erkenntnisse Slg. Nr. 7679, 7921 und 8359) - aus, daß (auch) mit der Behauptung, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein, ausschließlich die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht werde, woraus sich die alleinige Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über solche Beschwerden ergebe und für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich eingeräumter - Rechte kein Raum bleibe. Er begründete seine nunmehrige Ansicht damit, daß § 4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit Schutz vor jeder rechtswidrigen Verhaftung ohne richterlichen Befehl gewähre und er daher die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung schlechthin zu prüfen habe. Er hielt an dieser Rechtsprechung in der Folge fest (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis vom 11. Juni 1982, Slg. Nr. 9384) und auch der Verwaltungsgerichtshof vertrat in dem Beschluß vom 20. Mai 1981, Zlen. 81/03/0106, 0107, diese Rechtsansicht. Dem gegenüber geht die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei anderen Grundrechten sowie bei bescheidmäßigen Eingriffen in die Grundrechte auf Schutz der persönlichen Freiheit und des Hausrechtes dahin, daß der Verwaltungsgerichtshof berufen ist, über die richtige Anwendung des das Grundrecht ausführenden einfachen Gesetzes durch die Verwaltungsbehörden zu erkennen. In diesen Fällen werde das Grundrecht nur dann verletzt, wenn sich der Eingriff in das Grundrecht durch den Verwaltungsakt auf eine verfassungswidrige Rechtsgrundlage stützt oder ohne gesetzliche Grundlage oder in denkunmöglicher Rechtsanwendung ergangen ist (vgl. dazu u.a. das zu Art. 5 StGG ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 8046 sowie das zu Art. 8 StGG ergangene Erkenntnis Slg. Nr. 10.363).

Die unterschiedliche, insoweit nicht näher begründete Judikatur zu den Grundrechten findet in der Literatur vielfach ihre Rechtfertigung in der verschiedenen Struktur der Gesetzesvorbehalte, unter denen diese stehen, sei es zwecks näherer Ausgestaltung (Ausübungsvorbehalte, auch Ausführungsvorbehalte oder Ausgestaltungsvorbehalte genannt) - als ein solches Grundrecht wird vor allem das Recht auf Vereinsfreiheit (Art. 12 StGG) angesehen -, sei es zwecks Ermöglichung von Einschränkungen des Grundrechtes (Eingriffsvorbehalte, auch Entziehungsvorbehalte oder Begrenzungsvorbehalte genannt) durch den einfachen Gesetzgeber. Als Grundrechte mit Eingriffsvorbehalt werden insbesondere das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art. 5 StGG), die Freiheit der Erwerbsbetätigung (Art. 6 Abs. 1 StGG) und die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 13 StGG) angesehen (vgl. Koja,

Zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in Vereins- und Versammlungssachen, JBl 1961, S. 396 ff; Korinek, Gedanken zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt bei Grundrechten, FS Merkl, 1970, S. 171 ff; Groiss/Schantl/ Welan, Betrachtungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit (Slg. 1973) ÖJZ 1976, S. 287; Azizi, Probleme der geteilten Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich, ÖJZ 1979, S. 595 ff; Bernard, Verfassungsgerichtshof- oder Verwaltungsgerichtshofbeschwerde ? ZfV 1981, S. 8; Laurer, Bemerkungen zu Problemen der Parallelbeschwerde gegen Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, ÖJZ 1982, S. 206; Ringhofer, Über verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte und die Kompetenzgrenze zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof, FS Melichar, 1983, S. 173 ff).

Art. 8 des gemäß Art. 149 Abs. 1 B-VG als Verfassungsgesetz geltenden Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, (StGG) bestimmt, daß die Freiheit der Person gewährleistet ist, und erklärt das gemäß Art. 149 Abs. 1 B-VG ebenfalls in den Verfassungsrang erhobene Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl. Nr. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit zum Bestandteil des StGG. Gemäß § 4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetze bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Unter Bedachtnahme auf das historische, dieser Regelung zugrundeliegende liberale Grundrechtsverständnis ist davon auszugehen, daß der Verfassungsgesetzgeber das Recht auf Freiheit der Person als vorgegeben betrachtet, das ohne (weitere) gesetzliche Regelung gewährleistet ist, also nicht erst der Ausformung durch den Gesetzgeber bedarf, sondern unabhängig davon besteht, ob das Gesetz eine Ausführungsregelung trifft. In diesem Sinn bestimmt auch Art. 5 Abs. 1 MRK, daß jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit hat, wobei die Freiheit einem Menschen nur in den dort angeführten Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf.

Das Grundrecht des Art. 8 StGG auf Freiheit der Person unterscheidet sich sohin hinsichtlich des Gesetzesvorbehaltes wesentlich etwa von dem Grundrecht des Art. 12 StGG, Vereine zu bilden, welches Recht in seiner Ausübung erst durch besondere Gesetze geregelt wird. Bei dem Gesetzesvorbehalt des Art. 8 StGG, durch den der einfache Gesetzgeber zum Eingriff in die grundsätzlich gewährleistete (als vorgegeben zu verstehende) individuelle Freiheitssphäre ermächtigt wird, handelt es sich hingegen um einen typischen Eingriffsvorbehalt gleich dem Vorbehalt des Art. 5 StGG. Gründe dafür, daß der Gesetzesvorbehalt des Grundrechtes auf Freiheit der Person als Ausführungsvorbehalt zu qualifizieren wäre, sind nicht zu erkennen. Auch vom Verfassungsgerichtshof wurden im Erkenntnis Slg. Nr. 8076 solche Gründe nicht genannt. Der Verwaltungsgerichtshof teilt daher nicht die Ansicht des Verfassungsgerichtshofes, er allein sei zur Entscheidung über Beschwerden zuständig, in denen behauptet werde, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein, und es bleibe für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich eingeräumter - Rechte kein Raum, und geht im Hinblick auf den Beschwerdepunkt, demzufolge vom Beschwerdeführer die Verletzung einer einfachgesetzlichen Norm behauptet wird (vgl. zur Bedeutung der Beschwerdebehauptung für die Zuständigkeit des jeweiligen Gerichtshofes auch Ringhofer, a.a.O., S. 178) von der Zulässigkeit der Beschwerde aus, wobei er die im Beschluß vom 20. Mai 1981, Zlen. 81/03/0106, 0107, und im Erkenntnis vom 25. Oktober 1982, Slg. Nr. 10.870/A, vertretene gegenteilige Ansicht nicht mehr aufrecht erhält.

Einen im Gesetz geregelten Fall des Eingriffes in das Recht auf persönliche Freiheit stellt § 53 VStG 1950 (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung) betreffend den Vollzug einer Freiheitsstrafe dar, nach dessen Abs. 1 die Strafe erst nach Aufforderung zum Strafantritt in Vollzug gesetzt werden darf.

Die belangte Behörde meint, der Verpflichtung des § 53 Abs. 1 VStG 1950 durch die der Mutter des Beschwerdeführers gegenüber in seiner Anwesenheit gemachte Mitteilung, die Primärarreststrafe sofort zu vollziehen, entsprochen zu haben. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Aufforderung zum Strafantritt gemäß § 53 Abs. 1 VStG 1950 hat in einer Weise zu ergehen, die keinen Zweifel über den Inhalt dieser behördlichen Verfügung auch beim Verurteilten aufkommen läßt. Dies verlangt entsprechend dem Wesen einer solchen Aufforderung eine Konkretisierung dahin, wann und wo der Aufgeforderte die Strafe anzutreten hat (vgl. dazu auch die Formulare 33.1. und 33.2. zu § 53 VStG 1950 in der Verwaltungsformularverordnung 1985, BGBl. Nr. 300). Die Aufforderung, die Strafe sofort anzutreten, ohne den Ort des Strafantrittes zu nennen, trägt diesem Erfordernis nicht Rechnung. Dazu kommt, daß es im Beschwerdefall bloß bei der Ankündigung, die Strafe sofort zu vollziehen, verblieb, die behördliche Verfügung also bloß verkündet, tatsächlich aber nicht sofort in Vollzug gesetzt wurde. Solcherart ist die, wenn auch in Anwesenheit des Beschwerdeführers gemachte Mitteilung der Behörde, die Primärarreststrafe sofort zu vollziehen, ihrem Inhalte nach bloß als die Absichtserklärung der Behörde zu verstehen, mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht mehr weiter zuwarten zu wollen. Darin kann jedoch nicht eine förmliche, vom Beschwerdeführer auch als solche verstandene Aufforderung im Sinne des § 53 Abs. 1 VStG 1950 erblickt werden. Daß sich die belangte Behörde selbst über den Zeitpunkt der Aufforderung nicht im klaren war, ergibt sich im übrigen auch aus den Verwaltungsstrafakten, denen das Formular 34.3 angeschlossen ist, mit dem die belangte Behörde am 21. Juli 1986 die zwangsweise Vorführung zum Strafantritt veranlaßte, weil der Beschwerdeführer der "mit Schreiben vom 27. Juni 1986, Zl. 9/01-25712-1986" (das sind die Daten des Berufungsbescheides, mit dem über den Beschwerdeführer die Primärarreststrafe verhängt wurde) an ihn ergangenen Aufforderung zum sofortigen Antritt der Freiheitsstrafe keine Folge leistete.

Die am 23. Juli 1986 durch Organe des Gendarmeriepostens erfolgte Vorführung des Beschwerdeführers zum Strafantritt sowie der Vollzug der Primärarreststrafe ohne vorangegangene Aufforderung zum Strafantritt waren daher gemäß § 42 Abs. 4 VwGG für rechtswidrig zu erklären.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Wien, am 7. Dezember 1988

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