VwGH 86/18/0254

VwGH86/18/025413.2.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Kundegraber, über die Beschwerde des MO in W, vertreten durch Dr. Johann‑Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien I, Liliengasse 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Juli 1986, Zl. I/7‑St‑0‑861, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §45 Abs3
AVG §46
AVG §52
StVO 1960 §31 Abs1
StVO 1960 §4 Abs1 litc implizit
StVO 1960 §4 Abs2
StVO 1960 §4 Abs5
StVO 1960 §4 Abs5 implizit
StVO 1960 §99 Abs2 lite
StVO 1960 §99 Abs6 lita
VStG §22 Abs1
VStG §3 Abs1
VStG §3 Abs2
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1986180254.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, insoweit die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Übertretung nach § 4 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 bestätigt wurde, einschließlich der diesbezüglichen Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Bundesland Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 11. November 1985 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 27. Jänner 1984 um 2.00 Uhr in St. Pölten, Autobahnzubringer von der S 33 zur A 1, einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gelenkt und hiebei 1. Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs beschädigt sowie 2. einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht und die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle nicht ohne unnötigen Aufschub verständigt, obwohl es zu keinem „Identitätsaustausch“ mit dem Geschädigten gekommen sei. Er habe hiedurch zu 1. eine Verwaltungsübertretung nach § 31 Abs. 1 und zu 2. eine solche nach § 4 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; es wurden Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt. Nach der Begründung dieses Straferkenntnisses hatte der Beschwerdeführer am Tatort zur Tatzeit mit seinem Pkw durch Kollision die Leitschiene in einer Länge von ca. 16 m beschädigt, ferner drei Steher und zwei Tafeln der Leiteinrichtungen. Eine Meldung dieser Beschädigung bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sei nicht erfolgt. Der Zeuge HS habe angegeben, daß er mit Hilfe einiger anderer Personen den beschädigten Pkw des Beschwerdeführers aus dem Gefahrenbereich auf den Pannenstreifen geschleppt habe. Er, HS, habe als Laie nicht angeben können, ob der Beschwerdeführer damals einen Schock erlitten hatte. Er habe nur bemerkt, daß der Beschwerdeführer etwas aufgeregt, sonst aber ganz normal gewesen sei.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung behauptete der Beschwerdeführer, wie schon in erster Instanz, er sei mangels Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit (Unfallschock) nicht strafbar. Dieser Umstand sei von der ersten Instanz nicht geprüft worden.

Die Berufungsbehörde holte das Aktengutachten eines Amtssachverständigen, Dr. K, ein und ließ dieses Gutachten einmal ergänzen. Dem Beschwerdeführer wurde Parteiengehör gewährt, er beantragte die Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen.

Mit Bescheid vom 23. Juli 1986 gab die Niederösterreichische Landesregierung der Berufung keine Folge. In der Begründung wurde ausgeführt, der äußere Tatbestand beider Übertretungen sei nicht bestritten worden. Sodann wurden das amtsärztliche Sachverständigengutachten und seine Ergänzung wörtlich wiedergegeben. Die Zeugenaussage des HS wurde erwähnt und hinzugefügt, nach dieser Aussage habe der Beschwerdeführer S ersucht, ihn unverzüglich nach Wien zu bringen. Dieses zielorientierte Verhalten des Beschwerdeführers nach dem Verkehrsunfall schließe einen Schockzustand aus. Dem Gutachten des Amtssachverständigen sei zu folgen. Der Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen für Psychiatrie sei abzuweisen gewesen, weil auch der Amtssachverständige für diese medizinische Frage qualifiziert sei. Ein Zustand nach § 3 Abs. 1 VStG 1950 sei beim Beschwerdeführer nicht gegeben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Rechtsrüge der Beschwerde, die Tatbestände nach § 4 Abs. 5 und nach § 31 Abs. 1 StVO, letzterer Tatbestand in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. e leg. cit. betrachtet, stünden im Verhältnis der Spezialität, ist begründet.

Gemäß § 4 Abs. 5 StVO in der zur Tatzeit anzuwendenden Fassung der 10. Novelle haben die in Abs. 1 dieses Paragraphen genannten Personen - also alle jene, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht -, wenn bei dem Unfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Absatz 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben. Gemäß § 31 Abs. 1 StVO dürfen Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs nicht beschädigt werden. Zu diesen Einrichtungen gehören nach dieser Gesetzesstelle auch die Verkehrsleiteinrichtungen; zu letzteren gehören nach § 57 leg. cit. auch Sicherheitsleitschienen. Gemäß § 99 Abs. 2 lit. e StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in bestimmter Weise zu bestrafen, wer Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs beschädigt, es sei denn, die Beschädigung ist bei einem Verkehrsunfall entstanden und die nächste Polizei- oder Gendameriedienststelle oder der Straßenerhalter ist von der Beschädigung unter Bekanntgabe der Identität des Beschädigers ohne unnötigen Aufschub verständigt worden. Gemäß § 99 Abs. 6 lit. a. StVO in der oben genannten Fassung liegt eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist und die Bestimmungen über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden (§ 4 Abs. 5) eingehalten worden sind.

Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, daß der Straftatbestand nach § 4 Abs. 5 StVO in der Unterlassung der Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub, jener nach § 31 Abs. 1 leg. cit. aber in der Beschädigung unter anderem von Verkehrsleiteinrichtungen besteht. Die durch das Verkehrsrecht-Anpassungsgesetz 1971, BGBl. Nr. 274, novellierte Bestimmung des § 99 Abs. 2 lit. e StVO hatte nach dem Bericht des Handelsausschusses (479 B1gNR XII. GP, Seite 2) den Zweck, daß eine Beschädigung von Verkehrsleiteinrichtungen so rasch als möglich, und zwar von wem immer, den in dieser Bestimmung angeführten Stellen gemeldet werde. Eine rasche Verständigung der in Betracht kommenden Stellen sei wesentlich, damit diese in die Lage versetzt würden, unverzüglich zunächst verkehrssichernde Maßnahmen zu treffen, nicht aber das Strafbedürfnis. Die Bekanntgabe der Identität des Beschädigers diene der Regelung des Schadenersatzes. Sodann heißt es im Bericht des Handelsausschusses wörtlich:

„Ausdrücklich festzuhalten ist hier aber, daß eine Person, die zwar bei einem Verkehrsunfall eine Einrichtung zur Regelung und Sicherung des Verkehrs beschädigt hat, anschließend aber Fahrerflucht begeht, unter der Voraussetzung, daß die Beschädigung unter Bekanntgabe der Identität des Beschädigers von einer anderen Person gemeldet worden ist, im Hinblick auf die vorherigen Ausführungen (wesentlich ist zunächst die Verständigung, nicht die Bestrafung) zwar von der hier behandelten Strafdrohung (§ 99 Abs. 2 lit. e StVO) befreit ist, jedenfalls aber der Strafbestimmung nach § 99 Abs. 2 lit. a StVO unterliegt.“

Die letzterwähnte Strafdrohung erfaßt Lenker, deren Verhalten am Unfallsort zum Unfall kausal ist, sofern sie den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 StVO zuwiderhandeln. Nicht erfaßt diese Strafdrohung Lenker, die der Bestimmung des § 4 Abs. 5 StVO zuwiderhandeln; die diesbezügliche Strafdrohung findet sich im § 99 Abs. 3 lit. b.

Aus dieser Ausführung des Handelsausschusses kann geschlossen werden, daß ein fahrerflüchtiger Beschädiger von Verkehrsleiteinrichtungen auch dann straffrei sein soll, wenn irgendein Dritter ohne unnötigen Aufschub Meldung - unter Namhaftmachung des Beschädigers - an die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle oder an den Straßenerhalter - dies zum Unterschied zu § 4 Abs. 5 StVO - erstattet.

Ein Beschädiger einer Verkehrsleiteinrichtung, der rechtzeitig Meldung an den Straßenerhalter erstattet, wäre nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, was die Meldepflicht anlangt, nach der besonderen Bestimmung des § 99 Abs. 2 lit. e StVO straffrei, ohne daß darauf zurückgegriffen werden dürfte, daß im § 4 Abs. 5 leg. cit. der Straßenerhalter als zum Empfang einer Meldung zuständige Stelle nicht erwähnt ist. Liegt ein Delikt nach § 31 Abs. 1 StVO vor, so muß infolge der Spezialbestimmung des § 99 Abs. 2 lit. e leg. cit. gar nicht mehr auf § 99 Abs. 6 lit. a StVO zurückgegriffen werden.

Diese Erwägungen lassen den Verwaltungsgerichtshof zum Schluß kommen, daß die Bestimmung des § 4 Abs. 5 die allgemeine, die des § 31 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. e StVO aber die besondere Bestimmung darstellt. Liegt ein Sachverhalt nach der besonderen Bestimmung vor, so ist eine zusätzliche Bestrafung nach der allgemeinen Bestimmung aber unzulässig.

Dies ergibt, daß der Schuldspruch hinsichtlich der Übertretung nach § 4 Abs. 5 StVO mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet ist. Diesbezüglich war der Beschwerde nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG stattzugeben.

Die Verfahrensrüge hinsichtlich des von obiger Rechtswidrigkeit nicht berührten Schuldspruches nach § 31 Abs. 1 StVO ist allerdings nicht begründet:

Sowohl der Amtssachverständige in seinen Aktengutachten als auch die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung gingen zu Recht davon aus, daß nach der äußeren Wahrnehmung des unbeteiligten Zeugen HS der Beschwerdeführer nach dem Unfall zwar etwas aufgeregt war, aber sonst ganz normal wirkte. Da darüber hinaus keine objektiven Indizien auf eine Bewußtseinsstörung des Beschwerdeführers vorlagen, konnte die belangte Behörde ohne Rechtsirrtum die Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers bejahen. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 11. Dezember 1978, Slg. N.F. Nr. 9719/A, ausgeführt hat, ist ein sogenannter Schock nur in besonders gelagerten Fällen und bei gravierenden psychischen Ausnahmesituationen entschuldigend. Einem Dispositionsfähigen ist aber trotz eines sogenannten Unfallschrecks in Verbindung mit einer begreiflichen affektiven Erschütterung pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, weil von einem Kraftfahrer, der die Risken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß an Charakter- und Willensstärke zu verlangen ist, daß er den Schreck über den Unfall und die etwa drohenden Folgen zu überwinden vermag.

Lagen aber nach den objektiven Umständen keine Hinweise auf eine (krankhafte) Bewußtseinsstörung beim Beschwerdeführer vor, so erwies sich die Beiziehung eines Facharztes für Psychiatrie als Sachverständigen nicht als notwendig.

Da es somit der Beschwerde insoweit nicht gelungen ist, die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 13. Februar 1987

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