VwGH 86/12/0115

VwGH86/12/011523.10.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zach und die Hofräte Dr. Herberth und Dr. Germ als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Janistyn, über die Beschwerde des A in B, vertreten durch C, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 3. März 1986, Zl. 44 268/III‑33/85, betreffend Begünstigung bei Erwerbsunfähigkeit nach dem Pensionsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §14 Abs3
PG 1965 §9
PG 1965 §9 Abs1 idF 1985/426
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1986120115.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahre 1942 geborene Beschwerdeführer steht seit 1. Juli 1979 als Beamter der Verwendungsgruppe C in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; er war zuletzt im Schalterdienst bei der Paketannahme beim Postamt X Wien eingesetzt.

Mit 30. November 1985 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 14 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 in den Ruhestand versetzt. Seine dauernde Dienstunfähigkeit war nach dem anstaltsärztlichen Gutachten vom 6. August 1985 wegen des Zustandes nach einem am 2. Oktober 1984 erlittenen Herzinfarkt und Stenokardien bei Belastung gegeben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde das Ansuchen um Zurechnung von Jahren zur ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit gemäß § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 abgewiesen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird nach kurzer Wiedergabe des Sachverhaltes und des § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 im wesentlichen ausgeführt: Nach der genannten Gesetzesbestimmung sei es erforderlich, daß ein Leidenszustand vorliege, der die Unfähigkeit des Beschwerdeführers, einem zumutbaren Erwerb nachzugehen, bewirke. Dabei sei es unerheblich, auf welche Ursachen eine allfällige Erwerbsunfähigkeit zurückzuführen sei. Zur Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer über seine Dienstunfähigkeit hinausgehend auch zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden sei, habe die Behörde das Ermittlungsverfahren fortgesetzt und ein Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin eingeholt.

In der weiteren Begründung des angefochtenen Bescheides wird der nachstehende Befund wiedergegeben:

„Zur Untersuchung kommt ein 43 Jahre alter, 173 cm großer, 80 kg schwerer Mann von gutem Allgemein- und sehr gutem Ernährungszustand.

Die sichtbaren Schleimhäute sind gut durchblutet, keine Dyspnoe. Das Sensorium frei, der Gedankenablauf flüssig und folgerichtig. Bei der physikalischen Untersuchung finden sich unauffällige Organbefunde, insbesondere kein Herzgeräusch oder ein überzähliger Herzton.

Blutdruck: 110/60

EKG: Sinusrhythmus, Linkstyp, 71/min., kein sicherer Hinweis für einen abgelaufenen Herzinfarkt, keine Innenschichthypoxiezeichen.“

Weiters habe der Gutachter - so die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - ausgeführt:

„1. Belastungsuntersuchung am Fahrradergometer: Bis 100 Watt fanden sich weder Rhytmusstörungen noch Herzmuskeldurchblutungsstörungen.

2. Thallium-Streß-Szintigraphie: Anteroseptaler irreversibler Speicherausfall, reversible Speicherausfälle anterior-distal und apical.

3. Aktuelles Ruhe-EKG: Unauffälliger Kurvenverlauf, kein sicherer Hinweis für einen abgelaufenen Herzinfarkt.

4. Aufgrund dieser Befunde wurde eine Herzkathederuntersuchung von der kardiologischen Universitätsklinik mangels Indikation abgelehnt.“

Die belangte Behörde führt in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiters aus, zusammenfassend habe der ärztliche Sachverständige festgestellt, daß beim Beschwerdeführer ein Zustand nach einem „kleinen Herzinfarkt“, der im Ruhe‑EKG nicht mehr nachweisbar sei, und eine stabile Angina pectoris bestehe. Die durch die Belastungsuntersuchungen bestimmte Leistungsbreite erlaube aus ärztlicher Sicht eine regelmäßige sitzende Beschäftigung unter allgemein üblichen Arbeitsbedingungen. Beschäftigungen, die mit Zeitdruck oder körperlicher Belastung verbunden seien, seien dem Beschwerdeführer jedoch nicht mehr zumutbar. Bei Einhaltung einer geregelten Lebensweise, Normalisation des Körpergewichtes, körperlicher Konditionierung und weiterer Nikotinabstinenz wären bei einer angemessenen Beschäftigung auch keine längeren Phasen von Arbeitsunfähigkeit zu erwarten. Nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren ergebe sich, daß in Anbetracht des erhobenen Arbeitsfähigkeitsrestes die Unfähigkeit zur Ausübung eines zumutbaren Erwerbes beim Beschwerdeführer nicht eingetreten sei.

Dieses Sachverständigengutachten sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden; von der Möglichkeit zur Stellungnahme habe er Gebrauch gemacht und eine ärztliche Bestätigung angeschlossen. In dieser sei nur angegeben, daß beim Beschwerdeführer ein Zustand nach Herzinfarkt bestehe, der eine Streßbelastung, schweres Heben und körperliche Anstrengung nicht mehr zulasse, weil dabei heftigste Stenokardien auftreten würden. Diese Aussagen würden mit den Feststellungen des von Amts wegen eingeholten Gutachtens übereinstimmen und seien daher nicht geeignet, die Schlußfolgerungen des von der Behörde herangezogenen Sachverständigen in Frage zu stellen. Da die Zurechnungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien, habe dem Ansuchen nicht entsprochen werden können.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach seinem gesamten Vorbringen sieht sich der Beschwerdeführer in seinem aus § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965, in der Fassung der 8. Pensionsgesetznovelle, BGBl. Nr. 426/1985, abgeleiteten Recht auf Zurechnung eines Zeitraumes von höchstens 10 Jahren zu seiner ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit wegen Unfähigkeit zu einem zumutbaren Erwerb, verletzt.

Die Beschwerde bemängelt im wesentlichen, daß sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf das amtlicherseits eingeholte medizinische Sachverständigengutachten zurückgezogen habe, ohne näher zu untersuchen, ob die Tätigkeiten, die der Beschwerdeführer vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben in der Lage sei, ihm auch im Sinne des § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 zumutbar seien. In diesem Zusammenhang müsse auch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß bei einer allgemeinen Umschreibung der vom medizinischen Standpunkt möglichen Tätigkeiten trotzdem eine einwandfreie Zuordnung zu bestimmten Berufen gegeben sein müsse. Auf Grund der allgemeinen Umschreibung im amtlicherseits eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten, die die belangte Behörde wortwörtlich in die Begründung des angefochtenen Bescheides aufgenommen habe, sei eine eindeutige Zuordnung von bestimmten beruflichen Tätigkeiten in einer nachvollziehbaren Weise nicht möglich. So sei nicht ersichtlich, in welchem Ausmaß dem Beschwerdeführer Zeitdruck oder körperliche Belastung aus Sicht des Mediziners zumutbar sei. Unter allgemein üblichen Arbeitsbedingungen komme es jedenfalls zwangsläufig zu Zeitdruck oder körperlichen Belastungen, wobei letztere nicht auf rein manuelle Tätigkeiten beschränkt seien. Die Feststellungen seien jedenfalls in keiner Weise in ausreichender Form getroffen worden, um sie der Prüfung des Gesetzesbegriffes „zumutbar“ zugrundelegen zu können. Die belangte Behörde hätte entweder eine nähere Konkretisierung durch den medizinischen Sachverständigen veranlassen oder einen berufskundlichen Sachverständigen beiziehen müssen. In diesem Umfang liege daher eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor. Anläßlich der Versetzung des Beschwerdeführers in den Ruhestand sei die Dienstbehörde der Ansicht gewesen, daß infolge des Gesundheitszustandes ein mindest gleichwertiger Arbeitsplatz im Wirkungsbereich der Dienstbehörde nicht zugewiesen hätte werden können. Aufgrund des festgestellten Leidenszustandes sei an sich klar gewesen, daß der Beschwerdeführer seine bisherige Tätigkeit, die überwiegend durch manuelle Tätigkeiten, insbesondere Heben von Lasten, bestimmt war, nicht mehr ausüben könne. Infolge seiner Ausbildung hätte es an sich möglich sein müssen, dem Beschwerdeführer im Wirkungsbereich seiner Dienstbehörde einen entsprechenden Arbeitsplatz zuzuweisen, an dem eine körperliche Beanspruchung nicht mehr gegeben gewesen wäre. Daß dies nicht der Fall gewesen sei, könne nur so gedeutet werden, daß dem Beschwerdeführer nicht einmal die körperliche Belastung einer vorwiegend sitzenden Tätigkeit zugemutet hätte werden können oder daß er auf Grund seiner bisherigen Verwendungstätigkeit bzw. Ausbildung nicht imstande wäre, einen solchen Arbeitsplatz entsprechend auszufüllen, bzw. ihm dies nicht zumutbar wäre. Auch wenn die Frage nach der Dienstunfähigkeit nicht gleich sei mit der Beurteilung der Frage nach der gänzlichen Berufsunfähigkeit, gehe es trotzdem nicht an, daß die in dem einen Fall erkennbar gezogene Schlußfolgerung im anderen Fall geradezu in das Gegenteil verkehrt werde.

Nach § 14 Abs. 3 des Beamtendienstrechtsgesetzes (BDG) 1979 ist der Beamte dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen kann und ihm im Wirkungsbereich seiner Dienstbehörde kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben er nach seiner körperlichen und geistigen Verfassung zu erfüllen imstande ist und der ihm mit Rücksicht auf seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann. Im § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 (in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 426/1985) ist festgelegt, daß dem Beamten, der ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden ist, aus Anlaß der Versetzung in den Ruhestand der Zeitraum zuzurechnen ist, der für Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenußbemessungsgrundlage, höchstens jedoch zehn Jahre, erforderlich ist.

Im Beschwerdefall ist strittig, inwieweit der Beschwerdeführer zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden ist.

Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung auf ein ärztliches Sachverständigengutachten, in dem aus ärztlicher Sicht eine regelmäßig sitzende Beschäftigung unter allgemein üblichen Arbeitsbedingungen als erlaubt, Beschäftigungen aber, die mit Zeitdruck oder körperlicher Belastung verbunden sind, als nicht zumutbar bezeichnet werden. Auf Grund dieser Ausführungen folgert die belangte Behörde, daß im Hinblick auf diesen „Arbeitsfähigkeitsrest“ die Unfähigkeit zur Ausübung eines zumutbaren Erwerbes beim Beschwerdeführer nicht eingetreten ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem verfahrensrechtlich vergleichbaren Fall mit Erkenntnis vom 21. November 1985, Zl. 84/09/0160 (Hinweis auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965) sinngemäß ausgesprochen, daß die Behörde auf Grund des Gutachtens des ärztlichen Sachverständigen festzustellen hat, welche Erwerbstätigkeiten Berufe) der Beamte auf Grund der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausüben kann. Dies setzt eine berufskundliche Beurteilung voraus und muß ausreichend, das ist in einer die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise, begründet werden. Zur Zumutbarkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. Erkenntnis vom 9. April 1970, Zl. 47/70, Slg. N.F. Nr. 7775/A, und die dort weiters genannte Rechtsprechung) erkannt, daß solche Tätigkeiten, die der Beamte vom medizinischen Standpunkt noch auszuüben vermag, dann zumutbar sind, wenn sie in ihrer sozialen Geltung nach der früheren Beschäftigung, der dienstlichen Stellung und der Fortbildung des Beamten annähernd gleichkommen und wenn die Aufnahme der Tätigkeit von Beamten auch nach seinen sonstigen persönlichen Lebensumständen billigerweise erwartet werden kann.

Entgegen diesen in den vorher angeführten Erkenntnissen dargelegten Anforderungen enthält der angefochtene Bescheid weder Angaben darüber, welche konkrete Tätigkeiten der Beschwerdeführer auf Grund der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausüben kann, noch Ausführungen über die in bezug auf die Zumutbarkeit maßgebende ehemalige dienstliche Stellung des Beschwerdeführers, seine Vorbildung und seine sonstigen Lebensumstände. Einen Teil dieser fehlenden Begründungen legt die belangte Behörde zwar in der Gegenschrift dar; damit kann aber - abgesehen von der auch gegebenen Unvollständigkeit - die dem Bescheid anhaftende Mangelhaftigkeit nicht behoben werden (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, vgl. beispielsweise Erkenntnis vom 27. Jänner 1960, Zl. 2099/59, Slg. N.F. Nr. 5186/A).

Aus den vorstehenden Erwägungen ist der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG in einem nach § 12 Abs. 1 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich im Rahmen des Beschwerdebegehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 23. Oktober 1987

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