VwGH 86/03/0223

VwGH86/03/022317.6.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des HW in I, vertreten durch Dr. Robert Schuler, Rechtsanwalt in Innsbruck, Glasmalereistraße 2, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 25. September 1986, Zl. IIb2-V-5248/5-1986, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §52 Z10a;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1986030223.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck sprach, nachdem ihre gegen den Beschwerdeführer erlassene Strafverfügung vom 17. Jänner 1986 zufolge rechtzeitig erhobenen Einspruches außer Kraft getreten war, mit Straferkenntnis vom 28. Februar 1986 aus, der Beschwerdeführer habe am 30. August 1985 um 11.51 Uhr auf der S 16 in Pettneu-Malfonbachtunnel als Lenker des dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws in Richtung Landeck fahrend die dort erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 38 km/h überschritten und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 52 Z. 10a StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzarreststrafe 50 Stunden) verhängt. Zur Begründung führte die Behörde aus, die Übertretung sei auf Grund des im Akt befindlichen Radarfotos, aus dem die angeführte Übertretung klar und unzweifelhaft hervorgehe, als erwiesen anzunehmen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er unter anderem ausführte, daß der Tatort nicht hinreichend bzw. nicht richtig im Spruch des Straferkenntnisses angeführt sei.

Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 25. September 1986 wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen, der Spruch aber insofern geändert, als die Uhrzeit "ca. 11.50 Uhr" und die Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit "um ca. 38 km/h" zu lauten habe. Zur Begründung ihres Bescheides führte die Berufungsbehörde aus, auf Grund des sich im Akt befindlichen Radarfotos ergebe sich, daß der Beschwerdeführer um 11.51 Uhr eine Geschwindigkeit von 118 km/h eingehalten habe. Nach dem Bericht des Landesgendarmeriekommandos für Tirol vom 10. Juli 1986 sei bei der gegenständlichen Radarmessung das verwendete Gerät genau zwei Meter außerhalb des Malfonbachtunnels (Ostportal) der S 16 in Pettneu gestanden. Weiters sei in dem Bericht ausgeführt worden, die in diesem Bereich bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung beginne am Westportal des Tunnels, schließe die gesamte Tunnelröhre mit ein und reiche weiter bis zum Gegenverkehrsstück-Fahrbahnverengung. Zur Frage, ob auf Grund des Radarfotos der Schuldvorwurf erhoben werden könne, daß der Beschwerdeführer die Geschwindigkeit im Tunnel um ca. 38 km/h überschritten habe, sei das Gutachten eines kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen eingeholt worden. Der Sachverständige habe ausgeführt, daß die Fahrgeschwindigkeit in einer Entfernung von etwa 20 m östlich des Ostportales des Malfonbachtunnels gemessen worden sei. Sei das Fahrzeug aus dem Tunnel heraus beschleunigt worden, so könne die Geschwindigkeit im Tunnel niedriger gewesen sein als bei der Meßstelle. Ein starker Pkw in dieser Klasse könne in diesem Geschwindigkeitsbereich bei normaler Fahrweise eine Beschleunigung von etwa 1 m/sec.2 entwickeln. Sei mit dieser Beschleunigung bis zur Meßstelle gefahren worden, so hätte der Pkw am Ende des Tunnels eine Geschwindigkeit von mindestens 115 km/h gehabt. Demnach sei die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h im Tunnel um mindestens 35 km/h überschritten worden. Ausgehend davon könnte der Schuldvorwurf lauten, daß die Geschwindigkeit im Tunnel um ca. 38 km/h überschritten worden sei. Dagegen habe der Beschwerdeführer eingewendet, daß es unzulässig sei, nach Ablauf der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist eine Geschwindigkeitsüberschreitung um ca. 38 km/h vorzuwerfen. Eine derartige Übertretung sei nie Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens gewesen. Auch die Bezeichnung des Tatortes mit "Malfonbachtunnel" sei schon wegen der Länge und der Möglichkeit einer präzisen Kilometerangabe zu unpräzise. Der Sachverständige lasse überdies die für den Beschwerdeführer günstigste Variante außer Betracht. So hätte der Sachverständige nicht nur eine Beschleunigung bei normaler Fahrweise, sondern auch eine Fahrweise bei starker bzw. voller Beschleunigung berücksichtigen müssen. Beim Fahrzeugtyp des Beschwerdeführers könne bis zu einer Beschleunigung von 1,9 m/sec. ausgegangen werden, sodaß der Beschwerdeführer bei Verlassen des Malfonbachtunnels lediglich eine Geschwindigkeit von ca. 110 km/h eingehalten habe. Diesem Vorbringen entgegnete die Berufungsbehörde, daß sie dem durchaus schlüssigen Gutachten des Sachverständigen folge. Der Sachverständige sei in seinem Gutachten darauf eingegangen, warum für die Annahme einer Beschleunigung aus dem Tunnel heraus die Überschreitung der Geschwindigkeit im Tunnel mit ca. 38 km/h angenommen werden könne. Auf Grund des Akteninhaltes habe daher der gegen den Beschwerdeführer erhobene Schuldvorwurf mit Cirkaangaben hinsichtlich der Uhrzeit sowie der überschrittenen Geschwindigkeit aufrechterhalten werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht verletzt, nicht wegen der ihm zur Last gelegten Übertretung bestraft zu werden. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes bringt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkte einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, von der belangten Behörde sei die auf ca. 11.50 Uhr abgeänderte Tatzeit aktenwidrig angenommen worden. Die Tatzeit hätte, wenn schon nicht präzise 11 Uhr 51 min. 12 sec., so doch zumindest cirka 11 Uhr 51 min. lauten müssen. Die belangte Behörde übersehe, daß der Beschwerdeführer bei der ihm angelasteten Geschwindigkeitsüberschreitung pro Sekunde 32,7 m zurücklegt. Die spruchmäßig sohin manifestierte Zeitdifferenz von 72 sec. mehr oder weniger bedeute bei der dem Beschwerdeführer angelasteten Geschwindigkeitsüberschreitung eine Verlegung des Tatortes 2,36 km mehr oder weniger in westliche Richtung. Es könne zwar mit gewisser Genauigkeit ermittelt werden, welche Geschwindigkeit der Beschwerdeführer 1 sec. vor der Messung eingehalten habe. Keinesfalls sei es jedoch auch nur annähernd möglich, die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers für den Zeitraum ca. 1 min. 12 sec. früher, sohin für die Zeit 11.50 Uhr einzugrenzen. Es werfe sich die Frage auf, welche Länge der Malfonbachtunnel aufweise und ob sich der Beschwerdeführer unter der Voraussetzung, daß ihm eine Geschwindigkeit von 118 km/h unterstellt werde, um ca. 11.50 Uhr überhaupt im Malfonbachtunnel befinden konnte. Die belangte Behörde wäre auch verpflichtet gewesen, dem Beschwerdeführer die geänderte Tatzeit zur Kenntnis zu bringen, um ihm die Möglichkeit zu einer entsprechenden Stellungnahme und Verantwortung zu geben. Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides bringt der Beschwerdeführer vor, die Änderung der Tatzeit auf ca. 11.50 Uhr und die Änderung der Geschwindigkeitsüberschreitung auf ca. 38 km/h sei ihm erst nach Ablauf der Verfolgungsverjährung vorgeworfen worden. Die belangte Behörde lege sohin dem angefochtenen Bescheid eine andere Tat zugrunde als jene, deretwegen der Beschwerdeführer verfolgt worden sei. Im übrigen sei auch die Tatortbezeichnung "Pettneu-Malfonbachtunnel" zu unbestimmt und nicht präzisiert, weil sich dieser Tatortbeschreibung nicht entnehmen lasse, in welchem Bereich des Malfonbachtunnels, dessen Länge seitens der belangten Behörde nicht ermittelt worden sei, der jedoch ca. zwischen 300 und 400 m lang sein dürfte, der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen haben soll.

Gemäß § 44a lit. a VStG 1950 hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Es bedarf daher im Bescheidspruch der Anführung aller wesentlichen Tatbestandsmerkmale, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens und damit für die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die dadurch verletzten Verwaltungsvorschriften erforderlich sind.

Wesentlich für die Bezeichnung der Tat ist der Ausspruch über Zeit und Ort der Begehung. So hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Juni 1984, Slg. Nr. 11466/A, ausgesprochen, daß es nach § 44a lit. a VStG 1950 rechtlich geboten ist, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, daß 1) die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird, und daß 2) die Identität der Tat z.B. nach Ort und Zeit unverwechselbar feststeht. Was den Punkt 2) anlangt (unverwechselbares Feststehen der Identität der Tat), so muß a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat insoweit in konkretisierter Umschreibung zum Vorwurf gemacht werden, daß der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren und gegebenenfalls im außerordentlichen Verfahren (Wiederaufnahmeverfahren) auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet sein, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. Nr. 11894/A, dargetan, daß nach diesen, aber nur nach diesen Gesichtspunkten in jedem konkreten Fall zu beurteilen ist, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dem § 44a lit. a VStG genügt oder nicht genügt, mithin, ob die erfolgte Tatort- und Tatzeitangabe im konkreten Fall das Straferkenntnis als rechtmäßig oder als rechtswidrig erscheinen läßt. Es wird daher das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den wiedergegebenen Rechtschutzüberlegungen zu messendes Erfordernis sein.

Dem Beschwerdeführer wurde mit dem angefochtenen Bescheid eine Übertretung des § 52 Z. 10a StVO zur Last gelegt. Diese Verwaltungsübertretung kann nur vom Lenker eines in Fahrt befindlichen Fahrzeuges begangen werden, sodaß als Tatort für ein solches Delikt begrifflich niemals ein bestimmter Punkt, sondern stets nur eine bestimmte (Fahr‑)Strecke in Betracht kommt (vgl. dazu unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 1986, Zl. 85/02/0220, sowie die weitere darin angeführte Vorjudikatur). Diese Fahrstrecke wurde im Beschwerdefall mit "Pettneu-Malfonbachtunnel" umschrieben, woraus sich in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ergibt, daß von der belangten Behörde als Tatort der Malfonbachtunnel in Pettneu angenommen wurde. Da es sohin nicht zweifelhaft ist, auf welcher Fahrstrecke die Geschwindigkeitsüberschreitung dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wurde, entspricht die Tatumschreibung hinsichtlich des Tatortes entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers dem Konkretisierungsgebot des § 44a lit. a VStG 1950.

Was die Tatzeit anlangt, so wird bei dem hier in Rede stehenden Delikt dem Erfordernis einer hinreichenden Tatumschreibung nicht etwa nur durch die Angabe des Zeitpunktes, in dem die Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt wurde, Rechnung getragen. Dieser Zeitpunkt muß gar nicht - wie gerade der vorliegende Beschwerdefall zeigt - in den Zeitraum fallen, in dem die an dem von der Behörde angenommenen Tatort zulässige Geschwindigkeit überschritten wurde. Der Art des Deliktes entsprechend wird - so wie bei der Umschreibung des Tatortes die Anführung einer bestimmten Fahrstrecke ausreicht - auch bei der Umschreibung der Tatzeit die Anführung des Zeitraumes, innerhalb dessen das Delikt am Tatort begangen wurde, dem Konkretisierungsgebot gerecht. Diesen Zeitraum umschrieb die belangte Behörde mit "um ca. 11.50 Uhr". Sie brachte damit zum Ausdruck, daß die Geschwindigkeitsüberschreitung in der Zeit um

11.50 Uhr begangen wurde, wodurch auch die vom Beschwerdeführer für relevant erachtete Tatzeit umfaßt ist. Im Zusammenhang mit der Umschreibung des Tatortes wurde damit nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat so eindeutig umschrieben, daß kein Zweifel darüber besteht, wofür der Beschwerdeführer bestraft worden ist. Der Beschwerdeführer wurde dadurch weder in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt noch der Gefahr ausgesetzt, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

Ausgehend von den vorstehenden Überlegungen kann keine Rede davon sein, daß mit der Änderung der Tatzeit von 11.51 Uhr auf ca. 11.50 Uhr eine Auswechslung der Tat erfolgte, wie der Beschwerdeführer meint. Die belangte Behörde war vielmehr verpflichtet, die Tatzeit in Hinsicht auf den von der Behörde erster Instanz angenommenen und von ihr bestätigten Tatort entsprechend zu korrigieren. Sie war bei diesem Sachverhalt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht verpflichtet, die von ihr diesbezüglich beabsichtigte Präzisierung der Tatzeit dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu bringen.

Die gleichen Erwägungen gelten für die von der belangten Behörde vorgenommene Änderung des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung von 38 km/h auf ca. 38 km/h. Mit dem dazu erstatteten Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer überdies, daß das Ausmaß der - vom Beschwerdeführer an sich nicht in Frage gestellten - Geschwindigkeitsüberschreitung kein Tatbestandsmerkmal des § 52 Z. 10a StVO ist und daher weder in der Verfolgungshandlung angeführt noch in den Schuldspruch aufgenommen werden mußte. Durch die Aufnahme des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung in den Schuldspruch wurde jedoch der Beschwerdeführer hinsichtlich der Subsumtion seines Verhaltens unter den angeführten Tatbestand in keinem Recht verletzt (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Februar 1987, Zl. 85/03/0060).

Da sich die Beschwerde sohin zur Gänze als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 17. Juni 1987

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