VwGH 85/14/0181

VwGH85/14/018113.5.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Tobola, über die Beschwerde des Dr. GW in B, vertreten durch Dr. Wilhelm Winkler, Rechtsanwalt in Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom 7. November 1985, Zl. 1547-2/85, betreffend Lohnsteuer 1984, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1972 §34;
EStG 1972 §34;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die damalige Braut des Beschwerdeführers übersiedelte nach seinen Angaben im Verwaltungsverfahren im Juli 1983 nach Wien, um hier als Rechtspraktikantin berufstätig zu sein. Im November 1983 erfolgte die Eheschließung. Die Gattin blieb vorerst in Wien, während der Beschwerdeführer in Vorarlberg seinem Beruf als Arbeitnehmer der Vorarlberger Gebietskrankenkasse nachging. Im Herbst 1983 wurde die Gattin des Beschwerdeführers schwanger. Die Entbindung fand am 4. Juni 1984 statt.

Der Beschwerdeführer beantragte für das Kalenderjahr 1984 die Anerkennung von Aufwendungen aus Anlaß der Geburt seines Kindes und des dadurch bedingten Aufenthaltes seiner Gattin in der Kranken- und Entbindungsanstalt "G.K." in Wien als außergewöhnliche Belastung (Krankenhauskosten abzüglich Kostenbeiträge und Kostenersätze S 52.913,--, Fahrtkosten S 3.179,-

-).

Das Finanzamt versagte dem Beschwerdeführer jedoch die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung mangels Zwangsläufigkeit.

Der Beschwerdeführer brachte mit Berufung im wesentlichen vor, die Entbindung im G.K. (Sonderklasse) sei wegen befürchteter medizinischer Komplikationen geboten und zudem von dem Bestreben getragen gewesen, eine Geburt unter für Mutter und Kind guten Bedingungen zu ermöglichen.

Die belangte Behörde gab der Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und führte begründend aus, der Beschwerdeführer hätte im Rechtsmittelverfahren nicht den Nachweis einer aus medizinischen Gründen notwendigen Behandlung der Gattin in der Sonderklasse erbracht. Die belangte Behörde habe daher dem Beschwerdeführer diesen Nachweis aufgetragen, doch habe er dem Auftrag nicht entsprochen, sondern lediglich auf die Berufung verwiesen (Vorhaltsbeantwortung vom 25. Oktober 1985). Daraus schließe die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung, daß nicht medizinische Gründe für den Entschluß entscheidend gewesen seien, die Behandlung in der Sonderklasse durchführen zu lassen. Die bloße subjektive Besorgnis des Steuerpflichtigen, daß befürchtete Komplikationen den Erfolg einer Behandlung in einer öffentlichen Krankenanstalt hätten fraglich erscheinen lassen, genüge nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1954, Zl. 1487/53, Slg. Nr. 955/F, zur Begründung der Zwangsläufigkeit nicht.

Weiters legte die belangte Behörde zu den Berufungsausführungen im angefochtenen Bescheid dar, daß sicher in öffentlichen Krankenanstalten einer Großstadt eine gewisse Anonymität gegeben sei und daß diese Anonymität für eine Frau, die vor der Entbindung stehe, auch eine Belastung bedeute. Ebenso ohne Zweifel sei eine Entbindung für die Mutter, aber auch für den Vater eine höchst persönliche familiäre Angelegenheit und so sei es auch verständlich, wenn die Anwesenheit des Vaters im Kreißsaal während des gesamten Geburtsverlaufes und in der Folge die Anwesenheit des Kindes im Zimmer der Mutter gewünscht werde. Wenn sich nun der Beschwerdeführer und seine Gattin deswegen dazu entschlossen hätten, die Kosten einer Behandlung in der Sonderklasse auf sich zu nehmen, damit die Gattin der befürchteten Anonymität entgehen könne, das neugeborene Kind in ihrem Zimmer untergebracht werde und der Beschwerdeführer bei der Geburt dabei sein könne, so sei damit die Frage der Zwangsläufigkeit noch nicht bejaht. Diese Umstände bedingten nicht, daß der Beschwerdeführer zwangsläufig im Sinne des § 34 EStG 1972 die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen auf sich hätte nehmen müssen. Mit dem Hinweis in der Berufung auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1960, Zl. 168/58, Slg. Nr. 2288/F, und vom 11. Juli 1961, Zl. 531/59, sei für den Beschwerdeführer nichts gewonnen; denn gerade der Nachweis, daß medizinische Gründe es geboten hätten, eine Behandlung in der Sonderklasse durchzuführen, wäre in diesen Fällen für den Verwaltungsgerichtshof ausschlaggebend gewesen. Deren Nachweis habe der Beschwerdeführer aber trotz Aufforderung durch die belangte Behörde nicht erbracht.

Vorliegende Beschwerde macht sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht auf Anerkennung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen verletzt.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen für die eigene medizinische Betreuung oder für die medizinische Betreuung eines unterhaltsberechtigten Angehörigen erwachsen, können auch dann zwangsläufig im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1972 anfallen, wenn sie die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen, sofern die höheren Aufwendungen aus triftigen Gründen anfallen (siehe die schon erwähnten Erkenntnisse Slg. Nr. 2288/F und Zl. 531/59). Im Hinblick auf die Art der hier in Rede stehenden Aufwendungen, nämlich solcher für eine medizinische Betreuung, muß es sich dabei (entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers) um triftige medizinische Gründe handeln; dies ergibt sich sowohl aus den beiden zuletzt genannten Erkenntnissen, wenn man die dort maßgeblichen Gründe ins Auge faßt, als auch ausdrücklich aus dem hg. Erkenntnis vom 4. März 1986, Zl. 85/14/0149.

2.1. Der Verwaltungsgerichtshof pflichtet der belangten Behörde bei, daß bloße Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen über eine bestimmte medizinische Behandlung sowie allgemein gehaltene Befürchtungen bezüglich der vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung finanzierten medizinischen Betreuung noch keine triftigen medizinischen Gründe für Aufwendungen darstellen, welche die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen. Die triftigen medizinischen Gründe müssen vielmehr in feststehenden oder sich konkret abzeichnenden ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen bestehen, welche ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung eintreten würden.

2.2. Der Gerichtshof folgt der belangten Behörde auch darin, daß der Beschwerdeführer für den Krankenhausaufenthalt der Ehegattin im G.K. im Verwaltungsverfahren weitgehend nur Wünsche, Vorstellungen und Befürchtungen allgemeiner Art im Sinne des Punktes 2.1 ins Treffen zu führen vermochte. Dies gilt für das Vorbringen über die Bedenken der Ehegattin gegen die Entbindung in einem anonymen Großstadtspital, den Wunsch der Ehegattin nach einer Geburt möglichst ohne Wehen- und Schmerzmittel, den weiteren Wunsch der Ehegattin, das Kind möglichst von Anfang an zu stillen und während des Krankenhausaufenthaltes in ihrem Zimmer unterzubringen, und schließlich auch für den Wunsch, der Beschwerdeführer solle bei der Geburt anwesend sein können. Vor allem fällt ins Gewicht, daß auch der behandelnde Arzt in diesem Zusammenhang in der vom Beschwerdeführer selbst beigebrachten Bestätigung vom 27. Juli 1985 bloß von Wünschen der Ehegattin spricht, deren Erfüllung die organisatorischen Möglichkeiten eines öffentlichen Krankenhauses bei allgemeiner Gebührenklasse überfordert hätten. Hinsichtlich der Berufungsausführungen, die Ehegattin hätte von mehreren Frauen aus ihrem Bekanntenkreis, die zuvor in Wien entbunden hätten, gewußt, daß die Betreuung durch Ärzte und Pflegepersonal bei der Entbindung in der allgemeinen Gebührenklasse dieser (öffentlichen) Krankenhäuser zu wünschen übriggelassen habe, ist der Verwaltungsgerichtshof im Sinne der einschlägigen Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift der Auffassung, daß, mag auch die medizinische Betreuung in den öffentlichen Krankenhäusern in Einzelfällen als unbefriedigend empfunden worden sein, eine Entbindung dort nicht schon schlechthin als ernsthaftes medizinisches Risiko gewertet werden kann.

3. Der Beschwerdeführer brachte als Grund für die Entbindung seiner Ehegattin im G.K. aber nicht nur Wünsche, Vorstellungen und allgemein gehaltene Befürchtungen vor. Er wies vielmehr in der Berufung auch darauf hin, daß der behandelnde Arzt während der Schwangerschaft wiederholt erhöhte Blutdruckwerte sowie eine "Xervizinsuffizienz" (Zervixinsuffizienz?), verbunden mit Arbeitsunfähigkeit, festgestellt hätte. Es sei zu befürchten gewesen, daß es bei der Geburt zu Komplikationen medizinischer Art kommen würde, so daß die Behandlung in der Sonderklasse geboten erschien. Der Beschwerdeführer reichte der Berufung nicht nur die schon erwähnte Bestätigung des behandelnden Arztes vom 27. Juni 1985, sondern auch eine mit demselben Tag datierte Bestätigung dieses Arztes nach, welche Befürchtungen über (konkrete) Komplikationen medizinischer Art bei der Geburt erhärtet, wie im folgenden noch aufgezeigt werden wird. Bei dieser Sachlage durfte sich der Beschwerdeführer in der Vorhaltsbeantwortung vom 25. Oktober 1985 in dieser Frage durchaus auf die Berufungsausführungen beziehen. An der belangten Behörde wäre es gelegen gewesen, sich mit dem Berufungsvorbringen über die bei der Geburt zu befürchtenden Komplikationen medizinischer Art vor allem im Zusammenhang mit der zweiten ärztlichen Bestätigung vom 27. Juli 1985 auseinanderzusetzen, zumal es die dort ausgewiesene Erkrankung der Ehegattin gerechtfertigt erscheinen ließ, im Sinne der Vorjudikatur den behandelnden Arzt als Arzt des Vertrauens der Geburt beizuziehen und die Ehegattin in jenem Spital unterzubringen, in dem dieser Arzt seine Privatpatienten behandelte (G.K., siehe auch Vorhaltsbeantwortung vom 25. Oktober 1985).

Die (zweite) ärztliche Bestätigung vom 27. Juli 1986 lautet nun:

"Frau Dr. J.W., geboren ... 1959, litt während ihrer Schwangerschaft an EPH-Gestose und mußte daher von mir vom 2.3.1984 bis zu ihrer Entbindung am 4.6.1984 von jeder Arbeit freigestellt werden."

Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 254, verweist bezüglich der "EPH-Gestose" auf "Spätgestose". Unter diesem Stichwort ist vermerkt, daß die Erkrankung "in schweren Fällen hohe mütterliche Mortalität" zeitigt, "etwa 20-30 % der perinatal verstorbenen Kinder stammen von Schwangeren mit Spätgestose". Nach den weiteren Ausführungen zu "Spätgestose" ist Bluthochdruck (Hypertonie) eines der drei Hauptsymptome der Krankheit. Nach den Krankheitserscheinungen "besteht Lebensgefahr für Mutter und Kind".

Die fehlende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen über die befürchteten Komplikationen medizinischer Art im Zusammenhalt mit der zweiten Bestätigung vom 27. Juli 1985 verwehrt es dem Verwaltungsgerichtshof, die inhaltliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides festzustellen. Die belangte Behörde wird im fortzusetzenden Verwaltungsverfahren in diesem Zusammenhang vor allem zu klären haben, ob die Ehegattin so schwer erkrankt war, daß bei der Geburt die geschilderten Auswirkungen (Komplikationen) tatsächlich zu befürchten waren. Die Arbeitsfreistellung der Ehegattin schon mit 2. März 1984 schließt dies jedenfalls nicht aus.

4. Kein Verfahrensmangel unterlief der belangten Behörde hingegen dadurch, daß sie die Ehegattin des Beschwerdeführers nicht als Zeugin einvernahm. Konnte doch der Beschwerdeführer nicht aufzeigen, daß die Ehegattin zur Lösung der entscheidenden Frage, ob triftige medizinische Gründe die Entbindung im G.K. (bzw. in der Sonderklasse) geboten, etwas beitragen hätte können.

5. Für das fortzusetzende Verwaltungsverfahren sei auch noch folgendes bemerkt:

5.1. Selbst wenn der Aufenthalt der Ehegattin des Beschwerdeführers im G.K. geboten gewesen sein sollte, weil sie dort vom Arzt ihres Vertrauens behandelt (entbunden) werden konnte (siehe nochmals Punkt 3), ist damit noch nichts über die Zwangsläufigkeit der Behandlung in der Sonderklasse gesagt. Sollte nämlich das G.K. im Streitjahr in der Geburtenstation nicht nur über eine Sonderklasse, sondern auch über eine allgemeine Gebührenklasse verfügt haben, so wäre die Entbindung der Ehegattin in der Sonderklasse nur dann zwangsläufig gewesen, wenn das fortzusetzende Verwaltungsverfahren ergibt, daß triftige medizinische Gründe nicht nur den Aufenthalt im G.K., sondern auch in dessen Sonderklasse geboten. Allerdings ist auch dann, wenn lediglich der Aufenthalt in der allgemeinen Gebührenklasse medizinisch geboten war, eine außergewöhnliche Belastung - wenn auch in geringerem Maße als geltend gemacht - nicht auszuschließen, sofern auch die Kosten in der allgemeinen Gebührenklasse höher gewesen sein sollten als der Kostenersatz durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und die Kostendifferenz auch die übrigen Kostenersätze (Kostenbeiträge) überstieg.

5.2. Besuche der erkrankten Ehegattin im geltend gemachten Umfang (nur drei Fahrten von Vorarlberg nach Wien) erscheinen aus sittlichen Gründen zwangsläufig im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1972. Sie teilen entgegen der von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretenen Meinung nicht das Schicksal der Krankenhauskosten. Die Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift zur Frage der Fahrtkosten aber, daß die Gattin nach der streitentscheidenden Bestätigung des behandelnden Arztes drei Monate vor der Entbindung nicht berufstätig gewesen sei und für sie offensichtlich kein zwingender Anlaß bestanden habe, während dieser Zeit in Wien zu wohnen, obgleich ihr Gatte in Vorarlberg wohnhaft gewesen sei, beruhen auf einer Annahme, zu der Stellung zu nehmen der Beschwerdeführer bisher keine Gelegenheit hatte.

6. Aus dem in Punkt 3. angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Mit dem in dieser Verordnung pauschalierten Schriftsatzaufwandersatz ist auch die Umsatzsteuer abgegolten.

Wien, am 13. Mai 1986

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte