VwGH 85/03/0032

VwGH85/03/003222.5.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kratzert, über die Beschwerde des GS in G, vertreten durch Dr. GR, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 6. Dezember 1984, Zl. 11‑75 Scha 39‑84, betreffend Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1
VwGG §46 Abs1 implizit

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1985030032.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Bundespolizeidirektion Graz erließ gegen den Beschwerdeführer den Beschuldigten‑Ladungsbescheid vom 27. September 1983 wegen einer von ihm am 1. Juli 1983 begangenen Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. a StVO. Dieser Beschuldigten-Ladungsbescheid wurde laut Rückschein der Bundespolizeidirektion Graz am 5. Oktober 1983 beim Postamt hinterlegt.

Mit Straferkenntnis vom 10. Mai 1984 sprach die Bundespolizeidirektion Graz aus, der Beschwerdeführer habe am 1. Juli 1983 um 11.15 Uhr bis 11.45 Uhr in Graz vor dem Haus Mehlplatz Nr. 2 als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws das Vorschriftszeichen „Halten und Parken verboten - ausgenommen Ladetätigkeit“ nicht beachtet und während der angeführten Zeit auch keine Ladetätigkeit durchgeführt.

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 62 Abs. 3 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde gegen den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzarreststrafe 12 Stunden) verhängt. Zur Begründung führte die Behörde aus, die dem Beschwerdeführer im Spruch zur Last gelegte Verwaltungsübertretung stehe auf Grund der Anzeige und der Zeugenaussage des Meldungslegers fest. Da der Beschwerdeführer einem am 5. Oktober 1983 rechtswirksam unter Androhung der Kontumazfolgen hinterlegten Beschuldigten-Ladungsbescheid unentschuldigt nicht Folge geleistet habe, sei das Verfahren ohne seine weitere Anhörung zu Ende geführt worden. Dieses Straferkenntnis wurde laut Übernahmsbestätigung am 22. Mai 1984 beim Postamt hinterlegt, wobei als Beginn der Abholfrist dieser Tag angegeben ist.

Mit dem an die Bundespolizeidirektion Graz gerichteten Schriftsatz vom 18. Juni 1984 stellte der Beschwerdeführer einen Wiedereinsetzungsantrag verbunden mit dem Antrag auf neuerliche Ausstellung eines Beschuldigten‑Ladungsbescheides. In diesem Schriftsatz führte der Beschwerdeführer aus, daß der Beschuldigten‑Ladungsbescheid vom 27. September 1983 am 5. Oktober 1983 hinterlegt worden sei, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nachweislich ortsabwesend gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses habe er sich wiederum im Ausland befunden, sodaß er das Straferkenntnis vom 10. Mai 1984 erst am 4. Juni 1984 habe beheben können. Da vom ersten Zustellversuch an (21. Mai 1984) bis zur Behebung des Straferkenntnisses am 4. Juni 1984 die Berufungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei, habe er sich in die Kanzlei seines ausgewiesenen Vertreters begeben und habe, da derselbe gerade nicht anwesend gewesen sei, die Unterlagen der Kanzleikraft mit dem Ersuchen um Bearbeitung durch den Rechtsanwalt übergeben. Aus dessen Versehen und somit ohne Verschulden des Beschwerdeführers seien jedoch seine Unterlagen falsch archiviert worden, sodaß er erst am heutigen Tage den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stelle.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 1984 gab die Bundespolizeidirektion Graz dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fehlens der in dem „§ 71 Abs. 1 lit. a und b AVG 1950“ angeführten Voraussetzungen nicht statt. Die Behörde begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1950 der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen einer Woche nach Aufhörung des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit einer Berufung Kenntnis erlangt habe, gestellt werden müsse. Der Beschwerdeführer habe das besagte Schriftstück am 4. Juni 1984 behoben, der gegenständliche Antrag sei jedoch erst am 18. Juni 1984, somit außerhalb der einwöchigen Frist, gestellt worden. Wenn nun der Beschwerdeführer ein Versehen der Kanzleikraft geltend machen wolle, wodurch die Fristüberschreitung erfolgt sei, so müsse hiezu erwähnt werden, daß ein diesbezügliches Versehen für einen Rechtsanwalt und damit für die vertretene Partei nur dann ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis darstelle, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber der Kanzleikraft nachgekommen sei. Im vorliegenden Fall finde sich im Wiedereinsetzungsantrag kein einziger Hinweis, daß der Vertreter allgemein oder im besonderen irgendeiner solchen Überwachungspflicht nachgekommen wäre, ja das Bestehen einer solchen überhaupt erkannt hätte.

Die gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung wies die Steiermärkische Landesregierung mit Bescheid vom 6. Dezember 1984 ab. Nach der Begründung dieses Bescheides komme den Berufungsausführungen in keiner Weise Stichhältigkeit zu, ein Rechtsanwalt sei auch für die richtige Eintragung von Fristen durch seine Angestellten verantwortlich und er habe auch die Folgen einer in der Kanzlei erfolgten falschen Archivierung zu tragen. Der Vollständigkeit halber - so wurde in der Begründung des Bescheides weiter dargelegt - solle aber noch darauf hingewiesen werden, daß die vorschriftswidrige Hinterlegung des Schriftstückes durch Postbeamte nicht die Wirkung der Zustellung erlangen könne. Es werde daher auch ohne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu prüfen sein, wann der Beschwerdeführer von der Hinterlegung des Straferkenntnisses Kenntnis erhalten und zu welchem Zeitpunkt daher die Berufungsfrist zu laufen begonnen habe.

Mit der Übermittlung dieses Bescheides erteilte die Berufungsbehörde der Erstbehörde den Auftrag, im Sinne der Bestimmungen des § 17 Abs. 3 ZustellG zu erheben, ob der Beschwerdeführer am Tag der Hinterlegung des Bescheides an die Abgabestelle zurückgekehrt und so von der Hinterlegung Kenntnis erlangt habe. Sollte sich herausstellen, daß er am Tag der Hinterlegung nicht an die Abgabestelle zurückgekehrt sei, möge erhoben werden, wann er dorthin zurückgekommen und vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe.

(Auf Grund dieser Erhebungen ging die Berufungsbehörde in der Folge davon aus, daß vom Beschwerdeführer rechtzeitig eine Berufung eingebracht worden sei, und entschied mit dem weiteren - allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden - Bescheid vom 7. März 1985 in der Sache selbst dahin, daß die Berufung abgewiesen werde.)

Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 6. Dezember 1984. In der Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus den in dieser Bestimmung angeführten Gründen zu bewilligen. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden. Gemäß § 71 Abs. 3 AVG 1950 hat im Falle der Versäumung einer Frist die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen. Diese Bestimmungen sind gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden.

Es kann bei der Beurteilung des vorliegenden Beschwerdefalles dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb der Frist des § 71 Abs. 2 AVG 1950 stellte, ferner ob er mit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 18. Juni 1984 die versäumte Handlung, also die Berufung gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 10. Mai 1984 - wie dies § 71 Abs. 3 AVG 1950 vorschreibt - nachholte und schließlich, ob überhaupt ein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG 1950 vorlag. Denn der Beschwerdeführer hat schon im Wiedereinsetzungsantrag darauf hingewiesen, daß er sich zum Zeitpunkte der versuchten Zustellung des Straferkenntnisses vom 10. Mai 1984 im Ausland aufgehalten hat. In der Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 1. Oktober 1984, mit dem seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben wurde, brachte der Beschwerdeführer neuerlich vor, daß das Straferkenntnis vom 10. Mai 1984 wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle keinesfalls gesetzmäßig zugestellt worden sei. Auch in der vorliegenden Beschwerde wird vom Beschwerdeführer geltend gemacht, daß er sich zum Zeitpunkte der versuchten Zustellung des Straferkenntnisses nachweislich im Ausland aufgehalten habe.

Die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, daß eine Frist versäumt wurde. Wurde keine Frist versäumt, ist einem Wiedereinsetzungsantrag schon aus diesem Grunde nicht stattzugeben. Galt das Straferkenntnis vom 10. Mai 1984 gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG, BGBl. Nr. 200/1982, wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers von der Abgabestelle - wie er selbst ständig einwendete und auch in der vorliegenden Beschwerde behauptet, und wovon im übrigen in der Folge auch die belangte Behörde ausging - nicht mit dem ersten Tage des Beginnes der Abholfrist, sondern erst an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag während der Abholfrist als zugestellt, dann hat der Beschwerdeführer mit dem Schriftsatz vom 18. Juni 1984 keine Frist versäumt und er wurde dadurch, daß mit dem angefochtenen Bescheid im Instanzenzug seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - wenn auch aus anderen Gründen - nicht stattgegeben wurde, auch in keinem Recht verletzt.

Die Beschwerde erweist sich daher schon aus diesem Grunde nicht berechtigt, wobei sich eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen zur Frage des Vorliegens von Wiedereinsetzungsgründen erübrigte. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Prüfung hatte eine Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, zu entfallen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am 22. Mai 1985

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