VwGH 84/02/0272

VwGH84/02/027217.1.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Stoll als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Müller, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. RG in W, vertreten durch Dr. Herbert Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien I, Schubertring 3, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 5. April 1984, Zl. MA 70 - IX/G 93/83/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

BodenmarkierungsV §14
BodenmarkierungsV §5 Abs1
BodenmarkierungsV §7a
BodenmarkierungsV §8 Abs2
StVO 1960 §24 Abs3 litb
StVO 1960 §8 Abs4
StVO 1960 §9 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984020272.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt, vom 28. April 1983 wurde dem Beschwerdeführer zum Vorwurf gemacht, er habe vom 20. Dezember 1982 17.00 Uhr bis 21. Dezember 1982, 19.15 Uhr in Wien 2, Praterstraße 35 mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw vor einer Haus- und Grundstückseinfahrt geparkt; er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 3 lit. b der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen.

In dem rechtzeitig gegen diese Strafverfügung erhobenen Einspruch brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, am Tatort verlaufe zwischen der Parkspur und dem Gehsteig ein an beiden Rändern durch Sperrlinien begrenzter Radweg. Durch die Sperrlinie sei das Zu- und Wegfahren zum Haus Nr. 35 verboten (§ 9 Abs. 1 StVO), sodaß der Beschwerdeführer nicht vom Vorhandensein einer Haus- und Grundstückseinfahrt habe ausgehen müssen. Im übrigen bedürfe die Abschrägung von Gehsteigen einer Verordnung. Im übrigen habe er kein anderes Fahrzeug am Zu- oder Abfahren behindert.

Der meldungslegende Sicherheitswachebeamte berichtete, der Beschwerdeführer habe am 21. Dezember 1982 seinen Pkw vorschriftswidrig vor einer Grundstücksein- bzw. -ausfahrt geparkt. Diese sei insofern markiert, als die Gehsteigkante vor dem Haus Praterstraße 35 abgeschrägt sei. Der Beschwerdeführer sei im Irrtum, wenn er behaupte, wegen des Radweges gäbe es keine Grundstücksein- bzw. -ausfahrt.

Mit Straferkenntnis der oben genannten Behörde vom 22. September 1983 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe vom 20. Dezember 1982 17.00 Uhr bis 21. Dezember 1982

19.15 Uhr in Wien 2, Praterstraße 35, mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw vor einer Grundstückseinfahrt geparkt. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 24 Abs. 3 lit. b StVO begangen; nach der erstgenannten Gesetzesstelle wurde eine Geldstrafe von S 1.500,-- (Ersatzarreststrafe drei Tage) verhängt. In der Begründung wurde ausgeführt, der Tatbestand sei durch die Anzeige auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung des Meldungslegers sowie durch seinen Bericht erwiesen. Die Hauseinfahrt sei durch eine Gehsteigabschrägung ausreichend erkennbar.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung beharrte der Beschwerdeführer auf seiner Rechtsansicht, wegen Vorliegens einer Sperrlinie sei am Tatort keine Haus- und Grundstückseinfahrt gegeben. Eine Gehsteigabschrägung sei weder augenscheinlich noch von ihm während des Einparkens wahrgenommen worden. Auch sei dem Beschwerdeführer keine Aufschrift an dem Haustor des Hauses Nr. 35 aufgefallen. Erst nach der Tatzeit seien Änderungen in den Bodenmarkierungen am Tatort vorgenommen worden;

nunmehr sei die Parkspur mit weißen Randlinien markiert worden;

vor der angeblichen Einfahrt kennzeichne eine weiße Linie quer zur Parkspur deren Ende. Daraus ergebe sich, daß zur Tatzeit wegen der damals vorhandenen Bodenmarkierungen eine Grundstücksein- bzw. - ausfahrt nicht erkennbar gewesen sei. Es sei auch nicht festgestellt worden, ob der Beschwerdeführer durch das Parken seines Kraftfahrzeuges jemand anderen an der Zu- oder Abfahrt der Hauseinfahrt behindert habe. Zu solchen Feststellungen wäre die Marke und Type jenes Kraftfahrzeuges festzustellen gewesen, welches angeblich behindert worden sei. Es sei auch ungeklärt, ob jemand an der Zu- oder an der Abfahrt gehindert worden sei. Im übrigen stimme die Tatzeit nicht, weil der Beschwerdeführer sich am 20. Dezember 1982 um 17.00 Uhr mit seinem Pkw anderswo, nämlich auf Dienstreise. befunden habe. Zum Beweise dafür wurden zwei Zeugen geführt.

In der Folge wurden zwei Aktenstücke aus jenem Verwaltungsverfahren, in dem dem Beschwerdeführer Kosten gemäß § 89 a Abs. 7 StVO vorgeschrieben worden waren, in Fotokopie zum Verwaltungsstrafakt genommen, nämlich eine Stellungnahme des meldungslegenden Sicherheitswachebeamten vom 24. Februar 1983 und eine Zeugenaussage des KL, des angeblich an der Zufahrt behinderten Lenkers, vom 19. April 1983.

Mit Bescheid vom 5. April 1984 bestätigte die Wiener Landesregierung das erstinstanzliche Straferkenntnis. In der Begründung wurde nach Darstellung des Ganges des Verwaltungsstrafverfahrens ausgeführt, nach der Zeugenaussage KL sei die Einfahrt durch eine Aufschrift gekennzeichnet. Es sei ein doppeltes großes Haustor vorhanden, die Gehsteigkante sei abgeschrägt. KL habe infolge des abgestellten Pkws des Beschwerdeführers nicht einfahren können. Diese Angaben würden durch die des meldungslegenden Sicherheitswachebeamten mit der Maßgabe bestätigt, daß der Sicherheitswachebeamte angegeben habe, KL sei an der Ausfahrt gehindert worden. Für das Vorhandensein einer Haus- und Grundstückseinfahrt seien die äußeren Merkmale maßgebend. Diese seien im vorliegenden Fall die Abschrägung der Gehsteigkante, das doppelflügelige Haustor sowie die darauf befindliche Hinweistafel betreffend Freihaltung der Einfahrt. Diese äußeren Merkmale seien einwandfrei erkennbar gewesen. Nach der Tatzeit angebrachte Bodenmarkierungen seien bei der Beurteilung außer Betracht zu lassen. Ebenso müsse außer Betracht bleiben, daß an der gegenständlichen Stelle im Bereich des Gehsteiges ein Radweg verlaufe, welcher durch "gelbe Randlinien" abgegrenzt sei. Diese "gelben Randlinien" auf dem Gehsteig stellten keine Sperrlinien dar, sondern dienten ausschließlich der Abgrenzung des Gehsteiges von der Fahrbahn des Radweges im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 8 StVO. Keinesfalls hinderten diese Linien den Benützer der Haus- und Grundstückseinfahrt, diese mit einem Kraftfahrzeug zu benutzen. Die Linien dienten ausschließlich dazu, den den Gehsteig benutzenden Fußgängern bzw. den den Radweg benutzenden Radfahrern den Verlauf des Radweges anzuzeigen. Daraus könne sicherlich nicht abgeleitet werden, daß dem Benützer der Haus- und Grundstückseinfahrt ein Überfahren des Radweges untersagt gewesen sei. Die Abschrägung des Gehsteiges vor Grundstückseinfahrten bedürfe keiner Verordnung. Eine Verkehrsbeeinträchtigung sei kein Tatbestandsmerkmal des § 24 Abs. 3 lit. b StVO; vielmehr sei der Tatbestand bereits durch das bloße Parken verwirklicht worden. Die dem Beschwerdeführer angelastete Tat sei daher als erwiesen anzunehmen gewesen. Es folgen Erwägungen zur Strafbemessung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Strafsenat erwogen:

Der schon im Einspruch erhobene Einwand des Beschwerdeführers, es sei keine Haus- und Grundstückseinfahrt vorgelegen, weil Sperrlinien die Zu- und Abfahrt untersagt hätten, wurde von den Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens nicht in schlüssiger Weise widerlegt; insbesondere fehlt es an entsprechenden Tatsachenfeststellungen.

Gemäß § 8 Abs. 4 StVO in der Fassung vor der 10. Novelle ist unter anderem die Benützung von Radwegen und Radfahrstreifen mit Fahrzeugen, die keine Fahrräder sind, verboten. Dieses Verbot gilt nicht für das Überqueren von Radwegen und Radfahrstreifen mit Fahrzeugen zum Einfahren in Häuser oder Grundstücke oder zum Ausfahren aus Häusern und Grundstücken auf den hiefür vorgesehenen Stellen. Gemäß § 55 Abs. 2 StVO sind Sperrlinien Längs- oder Quermarkierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten. Nach derselben Gesetzesstelle gibt es auch Längsmarkierungen, die dazu dienen, den Fahrbahnrand anzuzeigen (Randlinie). Beide Arten von Linien, also Sperrlinien und Randlinien sind als nicht unterbrochene Linien auszuführen. Des Näheren bestimmt die Verordnung des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom 17. Juli 1963 über Bodenmarkierungen (Bodenmarkierungsverordnung), BGBl. Nr. 226/1963 in der zur Tatzeit geltenden Fassung, in ihrem § 5 Abs. 1, daß Sperrlinien nicht unterbrochene Längsmarkierungen in gelber Farbe sind, die in der Regel 10 bis 12 cm breit sein müssen. Demgegenüber sind Randlinien nach § 7 a dieser Verordnung nicht unterbrochene Längsmarkierungen in weißer Farbe, die den Rand der Fahrbahn anzeigen. Sie müssen in der Regel eine Breite von mindestens 10 cm haben. Nach § 8 Abs. 2 dieser Verordnung können Sperrlinien auf eine kurze Strecke unterbrochen oder durch Leitlinien ersetzt werden, wenn ein dringendes Verkehrsbedürfnis vorliegt und die Verkehrssicherheit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Die Länge des Striches und die Länge der Unterbrechung einer solchen Leitlinie hat je 1,5 m zu betragen. § 14 dieser Verordnung ist mit "Bodenmarkierungen für den Verkehr mit Fahrrädern" überschrieben und bestimmt, ein für den Fahrradverkehr bestimmter Teil der Fahrbahn sei durch eine Sperrlinie gegen den benachbarten Fahrstreifen abzugrenzen. Diese Sperrlinie könne vor einer Kreuzung, wenn es die Verkehrsverhältnisse gestatten, aufhören oder als Leitlinie weitergeführt werden. Wenn es die Verkehrsverhältnisse erforderten, könne die Sperrlinie an hiefür in Betracht kommenden Stellen auf einer Länge von 1,5 m unterbrochen werden.

In Anbetracht dieser Rechtslage ist die erstmals im Berufungsbescheid getroffene Feststellung, daß "an der gegenständlichen Straßenstelle im Bereich des Gehsteiges ein Radweg verläuft, welcher durch gelbe Randlinien abgegrenzt ist" zunächst unklar und widersprüchlich, weil die geschilderte Rechtslage keine "gelben Randlinien" kennt. Eine Bodenmarkierung im Sinne des § 14 der zitierten Verordnung kann deshalb nicht vorliegen, weil der Radweg kein Teil der Fahrbahn ist.

Es mangeln Feststellungen, welche Art von Bodenmarkierungen zur Tatzeit am Tatort angebracht waren. Sollte dies eine nicht unterbrochene Sperrlinie gewesen sein, so hätte es schon objektiv am Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 3 lit. b StVO gemangelt, weil den allfälligen Benützern der Haus- und Grundstückseinfahrt durch § 9 Abs. 1 StVO das Überfahren der ununterbrochenen Sperrlinie verboten war. Daher wäre keine Haus- und Grundstückseinfahrt im Sinne des § 24 Abs. 3 lit. b StVO vorgelegen.

Es hätte aber auch an der subjektiven Tatseite, somit das Verschulden des Beschwerdeführers, gemangelt, wenn am Tatort zur Tatzeit die bloße äußere Erscheinung einer ununterbrochenen Sperrlinie gegeben gewesen wäre. Auch dann hätte der Beschwerdeführer nicht mit dem Vorhandensein einer Haus- und Grundstückseinfahrt im Sinne der zitierten Gesetzesstelle rechnen müssen.

Die Unterlassung von Feststellungen in dieser Richtung belastet den Berufungsbescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel.

Gemäß § 44 a lit. a VStG 1950 hat der Spruch eines Straferkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Eines der Tatbestandselemente ist die Tatzeit. Das von der Berufungsbehörde schlechthin bestätigte erstinstanzliche Straferkenntnis macht dem Beschwerdeführer eine Tatzeit "20. Dezember 1982 17.00 Uhr bis 21. Dezember 1982 19.15 Uhr" zum Vorwurf. Nun hat der Beschwerdeführer hinsichtlich eines Teiles der Tatzeit, nämlich 20. Dezember 1982 17.00 Uhr, ausdrücklich den Beweis dafür angetreten, daß er seinen Pkw nicht zu dieser Zeit am Tatort abgestellt hatte. Er hat sich dafür auf zwei Zeugen berufen. Die Berufungsbehörde hat nicht ausgeführt, aus welchen Erwägungen sie von der Vernehmung dieser beiden Zeugen Abstand nahm - also weder, ob sie aus rechtlichen Erwägungen einer allenfalls teilweise unrichtigen Tatzeit keine Bedeutung zumaß oder ob sie den Beweisantrag seiner Art nach nicht als zielführend erachtete. Auch darin liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel.

Hingegen hegt der Verwaltungsgerichtshof an der Schlüssigkeit der Feststellung der belangten Behörde, es sei - abgesehen von der ungeklärten Frage des Vorhandenseins einer Sperrlinie - eine Haus- und Grundstückseinfahrt im Sinne des § 24 Abs. 3 lit. b StVO erkennbar gewesen, keine Zweifel. Daß eine Gehsteigabschrägung "bis zur Hochbordkante hochgezogen" sein müsse, entspricht weder der Rechtslage noch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Ebenso unbegründet erachtet der Verwaltungsgerichtshof die Rüge gegen die Höhe der verhängten Geldstrafe. Zutreffend verwies die belangte Behörde auf die überdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse und die nicht unbedeutenden Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers. Demgegenüber vermag auch der Hinweis auf die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers nicht durchzuschlagen.

Da die belangte Behörde den Sachverhalt in dem wesentlichen Punkt der Frage des Vorhandenseins einer Sperrlinie ergänzungsbedürftig beließ und durch die Unterlassung einer Begründung, warum sie die geführten Zeugen nicht vernahm, Verfahrensvorschriften außer acht ließ, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 2 Z. 1, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 17. Jänner 1985

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