VwGH 84/02/0096

VwGH84/02/009612.10.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Degischer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schemel, über die Beschwerde des KS in W, vertreten durch Dr. Klement Hohenberger, Rechtsanwalt in Wien XVI, Seeböckgasse 17, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 14. Dezember 1983, Zl. MA 70-X/St 11/83/Str., betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §12 Abs1
StVO 1960 §15 Abs5
StVO 1960 §7 Abs1
VStG §31 Abs1
VStG §44a lita
VStG §44a Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1984020096.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid vom 14. Dezember 1983 wird in seinem bestätigenden Teil wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Wegen eines am 12. Mai 1982 um 16.00 Uhr angeblich gesetzten Verhaltens fällte die Bundespolizeidirektion Wien am 11. November 1982 ein Straferkenntnis, dessen für den Beschwerdeführer bestimmte Ausfertigung am 12. November 1982 beim Postamt 1235 Wien einlangte. Dieses Straferkenntnis machte dem Beschwerdeführer unter anderem zum Vorwurf, er habe am 12. Mai 1982 um 16.00 Uhr in Wien 18, Höhenstraße nächst Häuserl am Roan (letztere Bezeichnung auf Grund des Berichtigungsbescheides der Wiener Landesregierung vom 30. April 1984, Zl. MA 70-XI/St 19/84(Str), Richtung Neuwaldegg, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws 1. seine Fahrgeschwindigkeit erhöht, obwohl er habe erkennen müssen, daß ein anderer Pkw-Lenker einen Überholvorgang angezeigt habe, 2. in weiterer Folge sein Kraftfahrzeug in der Fahrbahnmitte gelenkt, obwohl ein Rechtsfahren unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich gewesen wäre, 7. auf der Kreuzung Höhenstraße-Neuwaldegger Straße sich abermals zum Linkseinbiegen vorschriftswidrig eingereiht und neuerlich knapp vor einem anderen Pkw-Lenker einen Fahrstreifenwechsel durchgeführt, ohne sich davon überzeugt zu haben, ob dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich gewesen wäre. Er habe hiedurch folgende Verwaltungsübertretungen nach § 99 Abs. 3 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen: zu 1) in Verbindung mit § 15 Abs. 5 StVO, zu 2) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVO, zu 7) in Verbindung mit § 11 Abs. 1 StVO. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurden folgende Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt: zu 1) S 500,-- (30 Stunden), zu 2) S 400,-- (24 Stunden), zu 7) S 500,-- (30 Stunden). In der Begründung wurde ausgeführt, das Straferkenntnis stütze sich auf die über Aufforderung gelegte Anzeige sowie auf die Zeugenaussage des Dipl.Ing. S. Der Beschuldigte bestreite zwar die ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen. Die Behörde glaube jedoch den Angaben des Zeugen.

Der Beschwerdeführer ergriff gegen dieses, ihm insgesamt 7 Verwaltungsübertretungen zum Vorwurf machende Straferkenntnis zur Gänze Berufung.

Die Berufungsbehörde veranlaßte die ergänzende Vernehmung des Zeugen Dipl. Ing. S; dem Beschwerdeführer wurde Parteiengehör gewährt.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 1983 bestätigte die Wiener Landesregierung das erstinstanzliche Straferkenntnis in den Punkten 1) und 2) zur Gänze und im Punkt 7) mit der Abänderung, daß der Spruch in diesem Punkte wie folgt zu lauten habe:

"in Wien 18, ca. 20 Meter vor der Kreuzung Höhenstraße - Neuwaldegger Straße 7a) knapp vor einem anderen PKW-Lenker einen Fahrstreifenwechsel durchgeführt ohne sich davon zu überzeugen, ob dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich gewesen wäre und danach 7b) sich beim Linkseinbiegen das Fahrzeug nicht auf den der Fahrbahnmitte zunächst gelegenen Fahrstreifen seiner Fahrtrichtung eingeordnet und dadurch Verwaltungsübertretungen zu 7a) gemäß § 11 Abs. 1 StVO und zu 7b) gemäß § 12 Abs. 1 StVO 1960 begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 werden gegen den Beschuldigten Geldstrafen von S 250,-- zu Punkt 7a) und S 250,-- zu Punkt 7b) verhängt. Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafen treten an deren Stelle Ersatzarreststrafen in der Dauer von 15 Stunden zu Punkt 7a) und 15 Stunden zu Punkt 7b)."

Hinsichtlich der in den Punkten 3) bis 6) dem Beschwerdeführer zum Vorwurf gemachten Verwaltungsübertretungen wurde das erstinstanzliche Straferkenntnis behoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG 1950 eingestellt.

In der Begründung wurde nach Darstellung des Ganges des Verwaltungsstrafverfahrens ausgeführt, nach der Anzeige und Zeugenaussage des Dipl.Ing. S sei der Beschwerdeführer am Tatort zur Tatzeit unmittelbar vor dem Fahrzeug des S gefahren. Letzterer habe das mit ungefähr 40 km/h fahrende Fahrzeug des Beschwerdeführers überholen wollen. Er habe sein Vorhaben vorschriftsmäßig begonnen. Als S sich bereits auf dem linken Fahrstreifen befunden habe, habe der Beschwerdeführer plötzlich die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges erhöht und sein Fahrzeug gleichzeitig gegen die Fahrbahnmitte gelenkt, so daß S sein Überholmanöver habe abbrechen müssen. Durch die Erhöhung der Geschwindigkeit habe der Beschwerdeführer den Tatbestand nach § 15 Abs. 5 StVO verwirklicht, weil ihm als Lenker des überholten Fahrzeuges der Überholvorgang rechtzeitig angezeigt worden war. Hätte der Beschwerdeführer selbst überholen wollen, so hätte er sich vergewissern müssen, ob durch diesen Vorgang nicht ein anderer Straßenbenützer gefährdet oder behindert werde. Erst bei Verneinung dieser Frage hätte er sein Fahrzeug beschleunigen dürfen. Wer zu überholen beabsichtige, müsse sich überzeugen, ob er nicht selbst überholt werde. Die Verteidigung des Beschwerdeführers, vielleicht sei S Fahrzeug im toten Winkel gewesen, sei darauf hinzuweisen, daß die Rückspiegel eines Fahrzeuges so eingestellt werden müßten, daß der gesamte Verkehr hinter dem Fahrzeug beobachtet werden könne. Sei dies unmöglich, so müsse sich ein Lenker auf andere Art und Weise Gewißheit darüber verschaffen, daß er nicht selbst überholt werde. Der Beschwerdeführer habe nicht vorsätzlich, aber fahrlässig gehandelt. In der Tatfrage sei dem Zeugen mehr zu glauben als dem Beschwerdeführer als Beschuldigten.

Auch in der Frage, ob der Beschwerdeführer in der Fahrbahnmitte gefahren sei, folge die Berufungsbehörde der Zeugenaussage. Daher sei auch der Tatbestand des § 7 Abs. 1 StVO verwirklicht.

Der Beschwerdeführer bestreite auch die ihm zu Punkt 7) zur Last gelegte Übertretung, weil man an diesem Tatort als "eingereihter Linksabbieger" gar nicht mehr geradeaus weiterfahren könne. Nach der Zeugenaussage habe der Beschwerdeführer sich zum Linksabbiegen eingeordnet, während S geradeaus habe weiterfahren wollen. Plötzlich sei der Beschwerdepunkt knapp vor S Fahrzeug auf den rechten Fahrstreifen zurückgefahren, wodurch S zum überraschenden Abbremsen genötigt worden sei. Auch hier glaube man dem Zeugen. Wenn von einem "eingereihten Linksabbieger" die Fahrt entgegen seiner Anzeige geradeaus fortgesetzt werde, so liege ein Fahrstreifenwechsel vor. Die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge sei hiebei unentscheidend. Der Beschwerdeführer habe somit auch den in Punkt 7 b) genannten Sachverhalt verwirklicht, weshalb das erstinstanzliche Straferkenntnis "hinsichtlich der dem Berufungswerber in Punkt 7 a) und 7 b) zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen" zu bestätigen gewesen sei.

Alle Wahrnehmungen des Dipl. Ing. S könnten von einem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer gemacht werden, besondere technische Qualifikationen seien hiefür nicht notwendig. Grundsätzlich und allgemein sei einem unter Wahrheitspflicht aussagenden Zeugen mehr zu glauben als einem Beschuldigten.

Die Abänderung im Spruche zu Punkt 7) diene der genaueren Tatumschreibung und Anpassung an den Straftatbestand bzw. der richtigen Zitierung der heranzuziehenden gesetzlichen Bestimmungen.

Gegen diesen Bescheid, sofern er die Schuldsprüche bestätigte, erhob der Beschwerdeführer wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde.

Am 30. April 1984 berichtigte die Berufungsbehörde das erwähnte erstinstanzliche Straferkenntnis dahin, daß die Tatortbezeichnung zu den Punkten 1) und 2) "Wien 18, Höhenstraße nächst Häuserl am Roan" zu lauten habe. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen diesen Berichtigungsbescheid an den Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos. (Erkenntnis vom 6. Juli 1984, Zl. 84/02A/0288.) Mit Schriftsatz vom 10. Mai 1984 legte die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erklärte, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen.

Mit Aufgabedatum vom 19. Juni 1984 brachte der Beschwerdeführer einen als "Verwaltungsgerichtshofbeschwerde" bezeichneten Schriftsatz ein, in dem er erklärte, neben dem Berichtigungsbescheid (diese Beschwerde wurde zu Zl. 84/02A/0288 behandelt und bereits erledigt) auch den Berufungsbescheid "in seiner berichtigten Fassung" zu bekämpfen.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht diesen Schriftsatz, sofern er nicht den Berichtigungsbescheid bekämpft, nicht als neuerliche Beschwerde, sondern als weiteren Schriftsatz im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu Zl. 84/02A/0096 an, weil ein und derselbe Berufungsbescheid vom 14. Dezember 1983 von einer Partei nicht mit mehreren Beschwerdeschriftsätzen bekämpft werden kann, zumal die Berichtigung gar nicht diesen Berufungsbescheid, sondern den der ersten Instanz, betraf. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch auf das Vorbringen in dem letzterwähnten Schriftsatz Bedacht genommen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG 1965 gebildeten Senat erwogen:

Schon die erhobenen Rechtsrügen der Beschwerde erweisen sich als gerechtfertigt.

Unbedenklich ist zwar die Bezeichnung der beiden verschiedenen Tatorte einerseits "Wien 18, Höhenstraße nächst Häuserl am Roan Richtung Neuwaldegg" (Übertretungen in den Punkten 1) und 2)), andererseits "in Wien 18, ca. zwanzig Meter vor der Kreuzung Höhenstraße-Neuwaldegger Straße" (Übertretungen zu den Punkten 7a und 7b), wenn auch die jeweiligen Bezeichnungen der Wiener Gemeindebezirke unrichtig sind: Das Häuserl am Roan selbst liegt im 19., die Höhenstraße westlich davon aber im 17. Wiener Gemeindebezirk; die Kreuzung Höhenstraße-Neuwaldegger Straße liegt im 17. Wiener Gemeindebezirk. Die falsche Bezeichnung der Wiener Gemeindebezirke hinderte aber im vorliegenden Fall eine präzise Tatortumschreibung nicht.

Anders verhält es sich aber mit der mit 16.00 Uhr für alle drei Delikte angegebenen Tatzeit: Zu Recht bemerkt die Beschwerde, eine Tatzeit 16.00 Uhr für alle vier Delikte sei in Anbetracht der örtlichen Verschiedenheit der beiden Tatorte unmöglich. Die belangte Behörde hat sich damit begnügt, den Tatort zum Delikt laut Punkt 7) neu zu umschreiben, hat aber nicht darauf Bedacht genommen, daß damit eine einheitliche Tatzeit 16.00 Uhr widersprüchlich erscheint.

Darüber hinaus rügt die Beschwerde zu Recht hinsichtlich des Tatortes "ca. 20 Meter vor der Kreuzung Höhenstraße-Neuwaldegger Straße", daß dieser Tatort außerhalb der Frist zur Strafverfolgung dem Beschwerdeführer erstmals zum Vorwurf gemacht wurde, und zwar in der Zeugenaussage des Dipl. Ing. S vom 28. Juni 1983. Weder ist der Tatort "auf der Kreuzung Höhenstraße-Neuwaldegger Straße" identisch mit dem von der Berufungsbehörde neu umschriebenen Tatort, noch kann in Anbetracht der Umstände dieses Falles gesagt werden, daß eine auch nur ungefähre Tatortumschreibung den Erfordernissen einer rechtzeitigen Strafverfolgung entsprochen hätte. Dies geht vor allem daraus hervor, daß über die örtlichen Verhältnisse an diesen beiden möglichen Tatorten keine eindeutigen Feststellungen getroffen wurden, so daß ein Schluß, diese örtlichen Verhältnisse seien ohnehin derart gleich, daß die Verwaltungsübertretungen zu Punkt 7 a) und 7 b) dort alternativ in gleicher Weise begangen wurden, nicht gezogen werden kann. So behauptete der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung, die gegenständliche Kreuzung sei derart beschaffen, daß die Angaben des S technisch "nicht möglich" seien; ein bereits eingereihter Linksabbieger könne dort gar nicht mehr geradeaus weiterfahren. Andererseits gab S als Zeuge an, "vor der Kreuzung" gebe es dort zwei Fahrstreifen; zirka 20 Meter vor der Kreuzung habe der Beschwerdeführer ihn, Zeugen, nach rechts abgedrängt, sodann sei der Beschwerdeführer nach links in die Neuwaldegger Straße abgebogen. Auch die Berufungsbehörde konnte, betrachtet man ihre Ausführungen auf Seite 7 des Berufungsbescheides nicht dartun, daß zwischen der genannten Kreuzung selbst und einem Ort 20 Meter vor dieser Kreuzung sachverhaltsmäßig kein Unterschied bestünde. Insbesondere geht es dabei um die Frage, ob 20 Meter vor dieser Kreuzung einem nach Süden und Südwesten fahrenden Fahrzeuglenker ein oder mehrere Fahrstreifen zur Verfügung stehen, wovon auch die Frage abhängt, wie sich ein beabsichtigter Linksabbieger einzuordnen hatte und wie sich die - verbotene - Aufgabe dieser kundgetanen Absicht auf andere Verkehrsteilnehmer auswirken könnte.

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit, im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen Erkenntnis gesehen, als in seinem dem § 44 a lit. a VStG 1950 entsprechenden Teil in Ansehung der Tatzeit als mit einem ungeklärten Widerspruch behaftet. In Anbetracht des Tatortes hinsichtlich der zu 7 a) und 7 b) inkriminierten Verwaltungsübertretungen erwies sich die Strafverfolgung des Beschwerdeführers gemäß § 31 Abs. 1 VStG 1950 als unzulässig.

Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid in seinem bestätigenden Teil gemäß § 42 Abs. 1 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 Abs. 2 lit. a, 48 Abs. 1 lit. b und 59 Abs. 3 VwGG 1965, letztere Bestimmung in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 298/1984. Das Begehren, dem Beschwerdeführer auch für den Schriftsatz mit Postaufgabedatum vom 19. Juni 1984 Aufwandersatz zuzusprechen, war deshalb abzuweisen, weil gemäß § 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 der Zuspruch von Schriftsatzaufwand nur für den Beschwerdeschriftsatz vorgesehen ist.

Wien, am 12. Oktober 1984

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