VwGH 83/11/0274

VwGH83/11/027422.2.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Knell, Dr. Dorner und Dr. Waldner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Neuwiesinger, über die Beschwerde des A, vertreten durch B, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Verkehr vom 21. September 1983, Zl. 92.366/7‑IV/7/83, betreffend Aufforderung zur Erbringung eines Befundes gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4
KDV 1967 §34 Abs1
KFG 1967 §75 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1983110274.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem den Punkt II. betreffenden Teil wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes vom 23. April 1982 wurde dem Beschwerdeführer - nachdem dieser gegen den Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 2. Juli 1981 Vorstellung erhoben hatte und zur Entscheidung darüber auf Grund eines Devolutionsantrages des Landeshauptmannes zuständig geworden war -gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die ihm von der Bezirkshauptmannschaft am 29. Juni 1978 erteilte Lenkerberechtigung für die Gruppen A, B, C, F und G wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit im Sinne des § 66 KFG 1967 vorübergehend entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß für die Dauer von 12 Monaten, gerechnet ab 11. Juli 1981, „keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf“. In der Begründung dieses Bescheides wurde festgestellt, daß dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 22. Juli 1979 die Lenkerberechtigung auf die Dauer von sechs Monaten (ab 20. Mai 1979) entzogen worden sei, da dieser in einem alkoholbeeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt, einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet und anschließend Fahrerflucht begangen habe. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 7. Februar 1980 sei dem Beschwerdeführer abermals die Lenkerberechtigung auf die Dauer von 12 Monaten (ab 21. Dezember 1979) entzogen worden. Der Beschwerdeführer habe (nämlich) am 28. Juli 1979 ein Moped in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Er habe am 14. Juni 1981 eine fremde Sache dadurch beschädigt, daß e mit seinem dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw von der Gemeindestraße abgefahren und in den Getreidefeldern bestimmter, namentlich genannter drei Landwirte umhergefahren sei, wobei ein Flurschaden von S 4.500,-- entstanden sei. Der Beschwerdeführer sei „hiezu“ wegen des Verbrechens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB für schuldig befunden worden. Er sei wegen dieses Vorfalles auch von der Bezirkshauptmannschaft wegen der Übertretung nach § 4 Abs. 5 StVO 1960 bestraft worden. Auf Grund dieses als erwiesen angenommenen Sachverhaltes gelangte der Landeshauptmann zu der Annahme, daß der Beschwerdeführer als verkehrsunzuverlässig anzusehen sei.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab der Bundesminister für Verkehr mit Bescheid vom 30. Juni 1982, auf Grund des gleichen Sachverhaltes, keine Folge.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 1983, Zl. 82/11/0237, Wurde der zuletzt genannte Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes zusammenfassend deshalb aufgehoben, weil es der belangten Behörde - bei dem von ihr als erwiesen angenommenen Sachverhalt - nicht gelungen war, die vom Gesetz (§ 66 Abs. 1 KFG 1967) vermutete Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers zu widerlegen. Daraufhin wurde über Veranlassung der belangten Behörde das „Gutachten“ des Oberrates Dr. X vom Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz vom 25. April 1983 eingeholt. Dieses lautet, nacheinleitender Bezugnahme auf das gegenständliche, gegen den Beschwerdeführer wegen Entziehung der Lenkerberechtigung anhängige Berufungsverfahren, wie folgt:

„Das Bundesministerium für Verkehr ersucht um Erstattung eines Gutachtens über die körperliche und geistige Eignung zur Lenkung von Kraftfahrzeugen und verweist auf die vom Berufungswerber begangenen Alkoholdelikte 1979 und 1980 (während der Entziehungszeit) sowie darauf, daß er am 14. Juni 1981 vermutlich wieder in alkoholbeeinträchtigtem Zustand durch ein außerordentlich aggressives Verhalten aufgefallen ist.

Dem Akteninhalt ist zu entnehmen, daß dem Berufungswerber im Juli 1979 die Lenkerberechtigung entzogen wurde, da er in einem alkoholbeeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt und einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet und anschließend Fahrerflucht begangen hat. Am 28. Juli 1979 hat der Berufungswerber ein Moped in einem alkoholbeeinträchtigten Zustand gelenkt und es wurde ihm deshalb neuerlich die Lenkerberechtigung im Februar 1980, diesmal auf 12 Monate, entzogen. Der Anlaß zum gegenständlichen Entzugsverfahren war am 14. Juni 1981, der Berufungswerber ist laut Gendarmerieanzeige infolge zu hoher Fahrgeschwindigkeit ins Schleudern gekommen und in weiterer Folge von der Fahrbahn abgekommen. Aus purem Beschädigungstrieb ist er dann in den neben der Straße liegenden Getreidefeldern umhergefahren und hat großen Flurschaden angerichtet. Bei der mehrere Stunden nach diesem Vorfall durchgeführten Befragung war der Berufungswerber alkoholisiert. Seinen Angaben nach sei er während der Fahrt nicht alkoholisiert gewesen. Laut Mitteilung des Gendarmeriepostenkommandos vom 4. August 1981 dürfte der Berufungswerber nicht zur Trunksucht neigen.

Vom ärztlichen Standpunkt ist festzustellen, daß aufgrund der zweimaligen Anhaltung in alkoholbeeinträchtigtem Zustand als Teilnehmer am Straßenverkehr sowie der festgestellten Alkoholisierung bei der Vernehmung am Vormittag nach dem gegenständlichen Unfall mit ausreichender Sicherheit anzunehmen ist, daß der Berufungswerber gehäuft, das landesübliche Ausmaß überschreitend, dem Alkoholgenuß zuneigt und nicht im Stande ist sich derartig zu steuern in einem alkoholbeeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug nicht zu lenken. Es liegt deshalb richtigerweise die Annahme vor, daß der Berufungswerber nicht die notwendige Gesundheit zum Lenken von Kraftfahrzeugen besitzt und er eventuell an Trunksucht leidet.

Wie sehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Trunksucht (die dem medizinischen Begriff der Alkoholkrankheit oder dem alkoholismus chronikus entspricht) vorliegt, kann nur eine aktuelle nervenfachärztliche Untersuchung feststellen und es wird deshalb vorgeschlagen dem Berufungswerber aufzutragen, sich bei einer dafür geeigneten Untersuchungsstelle (beispielhaft wird das forensisch‑psychiatrische Institut der Universität Salzburg, das Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus Linz, die Psychiatrische Universitätsklinik Wien oder die neurologische Universitätsklinik Wien genannt) untersuchen zu lassen und einen Befund vorzulegen, der Auskunft über die aktuelle Situation im Hinblick auf eine eventuell bestehende Alkoholkrankheit gibt, sowie deren Auswirkungen auf seine Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen.“

Nachdem dieses „Gutachten“ dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden und dieser der formlosen Aufforderung, im Sinne dieses „Gutachtens“ einen entsprechenden „Befundbericht“ beizubringen, nicht nachgekommen war, erging zuletzt der Bescheid des Bundesministers für Verkehr vom 21. September 1983. Darin wurde im Punkt I. der (gleichfalls eine Aufforderung im Sinne des § 75 Abs. 2 KFG 1967 betreffende) Bescheid der belangten Behörde vom 24. Mai 1983, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 2. August 1983, gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1950 behoben und im Punkt II. der Beschwerdeführer „im Sinne des § 75 Abs. 2 Kraftfahrgesetz 1967 aufgefordert, sich auf eigene Kosten im Sinne der vorläufigen gutachtlichen Äußerung des im Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz für das Kraftfahrwesen bestellten ärztlichen Amtssachverständigen vom 25.4.1983 einer Untersuchung am Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus zu unterziehen“, wobei zur Vorlage dieses Befundes eine Frist von sechs Wochen ab Zustellung dieses Bescheides eingeräumt wurde. In der Begründung dieses Bescheides wies die belangte Behörde darauf hin, daß im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer mehrere Alkoholdelikte aufweise, sowie auf den der Entziehung zugrundeliegenden Sachverhalt, eine fachliche Äußerung des im Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz für das Kraftfahrwesen bestellten ärztlichen Amtssachverständigen zur Frage etwaiger Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen eingeholt worden sei. In dieser seiner Äußerung vom 25. April 1983 habe der ärztliche Amtssachverständige festgestellt, daß sehr wohl berechtigte Bedenken an der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen bestünden und erst nach Vorliegen des im Spruch angeführten Befund-berichtes zur. Frage der Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen Stellung genommen werden könne. Diese fachliche Stellungnahme hei. dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 6. Mai 1983 zu Kenntnis gebracht und ihm gleichzeitig Parteiengehör eingeräumt worden. Hiezu habe sich der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter mit (dem in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten nicht erliegenden) Schreiben vom 17. Mai 1983 geäußert. Zu dieser „Rückäußerung“ des Beschwerdeführers nehme die belangte Behörde wie folgt Stellung: Sie sei sich durchaus darüber im klaren, daß der Bescheid vom 30. Juni 1982 vom Verwaltungsgerichtshof behoben worden und nunmehr ein Ersatzbescheid zu erlassen sei, doch sei durchaus auch im Interesse des Beschwerdeführers vor Abschluß des Verfahrens die Frage seiner gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu prüfen gewesen, dies schon wegen der durchaus relevanten Vorgeschichte (mehrfache Alkoholdelikte). Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die charakterliche Beurteilung als geklärt anzusehen sei, gehe daher insofern ins Leere, als nunmehr ja eine rein medizinische Frage, nämlich die der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen geprüft werde. Den Bemerkungen des Beschwerdeführers „zur Sachverständigenäußerung“ könne seitens der belangten Behörde gleichfalls nicht beigetreten werden, da es sich noch um kein abschließendes Gutachten im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine vor-läufige gutächtliche Äußerung zur Frage etwaiger Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers handle. Die Erstellung eines definitiven Gutachtens werde ja vielmehr, wie bereits erwähnt, erst nach Vorliegen der verlangten Befunde möglich sein. Die Behörde sei im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, derart weitgehenden Bedenken nachzugehen. Die Erlassung dieses Bescheides sei dadurch ausgelöst worden, daß der Beschwerdeführer der an ihn ergangenen Aufforderung zur Beibringung des im Spruch zitierten Befundberichtes nicht nachgekommen sei. Die im Spruch getroffene Verfügung gründe sich auf die' Bestimmungen des § 75 Abs. 2 KFG 1967, wonach dem Besitzer einer Lenkerberechtigung, der einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen bzw. zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderliche Befundberichte zu erbringen, keine 'Folge leiste, die Lenkerberechtigung zu entziehen sei. Sollte der Befundbericht nicht beigebracht werden, müßte, da eine materielle Prüfung dann nicht möglich wäre, die Lenkerberechtigung allein auf Grund der Bestimmung des § 75 Abs. 2 KFG 1967 entzogen werden. Die Zuweisung an das Wagner-Jauregg-Krankenhaus erfolge im Wege der Vorinstanz, mit der sich der Beschwerdeführer diesbezüglich ins Einvernehmen zu setzen habe.

Gegen diesen Bescheid, und zwar erkennbar nur hinsichtlich seines den Punkt II. betreffenden Teiles, richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde macht der Beschwerdeführer - soweit dies in diesem Zusammenhang wesentlich erscheint - geltend, daß „ein neues Ermittlungsverfahren nicht von der belangten Behörde einzuleiten ist, sondern von der Behörde erster Instanz“. Dieser Einwand kann im gegebenen Zusammenhang (in Zusammenhalt mit dem übrigen Beschwerdevor-bringen) nur dahin verstanden werden, daß der Beschwerdeführer damit offenbar zum Ausdruck bringen will, im zugrunde-liegenden Verwaltungsverfahren habe die Behörde erster Instanz gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil sie Bedenken hinsichtlich seiner Verkehrs-zuverlässigkeit gehabt habe, worauf es auch wegen Annahme des Fehlens dieser Eignungsvoraussetzung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zur vorübergehenden Entziehung der Lenkerberechtigung nach § 74 Abs. 1 leg. cit. gekommen sei, es habe sich aber dann herausgestellt, daß dieser Entziehungsgrund nicht vorliege, und es sei der belangten Behörde verwehrt gewesen, in dem diese Entziehungsmaßnahme betreffenden Berufungsverfahren nunmehr selbst ein „neues“, sich auf einen völlig anderen Entziehungsgrund beziehendes Ermittlungsverfahren einzuleiten, wozu abermals nur die Behörde erster Instanz in einem neuen Entziehungsverfahren, in dem der Beschwerdeführer wieder die Möglichkeit gehabt hätte, den Instanzenzug auszuschöpfen, berechtigt gewesen wäre. Damit wirft der Beschwerdeführer die entscheidende Frage auf, was im Beschwerdefall für die belangte Behörde als „Sache“ im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 anzusehen gewesen sei.

Nach dieser Gesetzesstelle hat die Berufungsbehörde (sofern nicht die Berufung als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist oder ein Fall des § 66 Abs. 2 AVG 1950 vorliegt) immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Die im § 66 Abs. 4 erster Satz AVG 1950 gebrachte Wendung „in der Sache“ hat die Bedeutung einer Einschränkung der der Berufungsbehörde nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle eingeräumten weiten Entscheidungsbefugnis. „Sache“ in diesem zuletzt genannten Sinn ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Zl. 82/11/0270, und die dort zitierte weitere Judikatur). Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem zuletzt genannten Erkenntnis weiters dargelegt hat, kann die „Sache“ nicht generell, sondern nur auf Grund der jeweiligen Verwaltungsvorschrift, die die konkrete Verwaltungssache bestimmt, eruiert werden. Gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 ist dann, wenn Bedenken bestehen, ob unter anderem die Verkehrszuverlässigkeit als eine der Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben ist (§ 64 Abs. 2), unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Erweist dieses Verfahren die Berechtigung dieser Bedenken, so hat die Behörde eine der Verwaltungsmaßnahmen der §§ 73 Abs. 1, 74 Abs. 1 oder 74 Abs. 3 KFG 1967 anzuordnen. Der Grund dafür, daß hinsichtlich einer nach Erteilung der Lenkerberechtigung verkehrsunzuverlässig gewordenen Person eine der erwähnten Verwaltungsmaßnahmen gesetzt werden muß, liegt, wie sich aus § 66 Abs. 1 lit. a und b KFG 1967 klar ergibt, darin, andere Personen (die Allgemeinheit) vor einem Lenker zu schützen, von dem angenommen werden muß, er werde auf Grund seiner in bestimmten - nach den Grundsätzen des § 66 Abs. 3 leg. cit. gewerteten - Tatsachen zum Ausdruck kommenden Sinnesart in Hinkunft entweder die Verkehrssicherheit (also die Sicherheit von Personen oder/und Sachen) insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gefährden oder sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen. Die auf diesen Entziehungsgrund gestützte Entziehung der Lenkerberechtigung nach den §§ 73 Abs. 1 und 74 Abs. 1 leg. cit. sowie ihre Androhung nach § 74 Abs. 3leg. cit. sind somit Schutzmaßnahmen im (primären) Interesse anderer Personen und, mögen diese Maßnahmen auch vom jeweiligen Lenker als Strafe empfunden werden, keine Verwaltungsstrafen. Entzieht daher die Behörde erster Instanz die Lenkerberechtigung einer Person gemäß § 74 Abs. 1 leg. cit. wegen Verkehrsunzuverlässigkeit, so ist als die „in Verhandlung stehende Angelegenheit“ (im oben dargestellten Sinn) dieser Behörde und damit der Berufungsbehörde nicht die angeordnete. Verwaltungsmaßnahme als Reaktion auf den angenommenen Wegfall der Verkehrszuverlässigkeit, sondern zumindest dieser von der ersten Instanz angenommene Wegfall, der die Behörde kraft Gesetzes zu einer der genannten Verwaltungsmaßnahmen, die denselben Verwaltungszweck haben, verpflichtet. Hinzugefügt wurde in den Entscheidungsgründen des genannten Erkenntnisses ausdrücklich, daß im Beschwerdefall nicht geprüft zu werden brauchte, ob darüberhinaus als „Sache“ schlechthin der Fortbestand aller Voraussetzungen der erteilten Lenkerberechtigung mit der Konsequenz zu qualifizieren ist, daß die Berufungsbehörde auch den Entziehungsgrund auswechseln darf.

Daß aber die Berufungsbehörde zulässigerweise von dieser Möglichkeit Gebrauch machen kann, entspricht sonst der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht. So wurde bereits im Erkenntnis vom 13. März 1974, Zl. 558/73, ausgesprochen, daß die Berufungsbehörde hinsichtlich des von der Erstbehörde angenommenen Wegfalles einer bestimmten Eignungsvoraussetzung keiner Beschränkung unterliegt, weshalb sie unter anderem berechtigt ist, die Lenkerberechtigung wegen mangelnder körperlicher Eignung zu entziehen, auch wenn die Erstbehörde die Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit verfügt hatte. Auch im Erkenntnis vom 21. März 1980, Z1.3373/78, dem ein Antrag auf Erteilung der Lenkerberechtigung zugrundelag, welche in erster Instanz wegen mangelnder körperlicher Eignung, in zweiter Instanz aber schließlich wegen mangelnder geistiger Eignung verweigert wurde, wurde eine derartige Vorgangsweise der Berufungsbehörde ausdrücklich als nicht gesetzwidrig erachtet. Dies wurde damit begründet, daß die damals belangte Behörde nicht die bei ihr anhängige „Sache“, nämlich den genannten Antrag der damaligen Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Lenkerberechtigung für die Gruppe B, sondern lediglich den Grund für die Ablehnung dieses Antrages ausgewechselt habe. Diese Auffassung, aus der sich ergibt, daß es sich hiebei um verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen handelt, ohne daß die Identität der „Sache“ dadurch aufgehoben worden wäre, wird auch durch folgende Überlegung gestützt: Wird ein Antrag auf Erteilung einer Lenkerberechtigung gestellt, so hat die Behörde auf Grund des § 64 Abs. 2 KFG 1967 unter anderem auch zu prüfen, ob der Antragsteller im Sinne des § 66 leg. cit. verkehrszuverlässig, zum Lenken von Kraftfahrzeugen der entsprechenden Gruppe geistig und körperlich geeignet und fachlich befähigt ist. Fehlt nur eine dieser Voraussetzungen, so darf die Lenkerberechtigung nicht erteilt werden, weil ein Lenker eines Fahrzeuges, der nicht alle dafür nötigen Voraussetzungen besitzt, im Straßenverkehr eine Gefahr für andere Personen darstellen würde. Diesen aus dem Gesetz klar erkennbaren Verwaltungszweck hat auch die Berufungsbehörde in einem solchen Verfahren zu beachten, weshalb es ihr freistehen muß, genauso wie die Behörde erster Instanz von sich aus das Vorhandensein sämtlicher Eignungsvoraussetzungen einer Prüfung zu unterziehen, ohne bei der im Instanzenweg zu treffenden Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Lenkerberechtigung daran gebunden zu sein, daß die Erstbehörde bestimmte Eignungsvor-aussetzungen für gegeben erachtet oder sich - mit Rücksicht darauf, daß ihrer Meinung nach schon eine andere Eignungs-voraussetzung fehlte - damit überhaupt nicht mehr auseinandergesetzt hat. Stellt aber im Verfahren auf Erteilung einer Lenkerberechtigung der diesbezügliche Antrag und damit die Beurteilung der Frage, ob sämtliche Voraussetzungen für die Stattgebund dieses Antrages vorhanden sind, die „Sache“ im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 dar, so muß dies im gleichen Sinne, insbesondere auch unter Berücksichtigung des angeführten Verwaltungszweckes, insofern auch für ein die Entziehung der Lenkerberechtigung betreffendes Verfahren gelten, als es hiebei jedenfalls um das Vorhandensein dieser Voraussetzungen geht, nur mit dem Unterschied, daß nunmehr zu beurteilen ist, ob sie noch vorhanden und nicht allenfalls in der Zwischenzeit weggefallen sind. In diesem Fall ist zwar Ausgangspunkt eines Verfahrens nicht der Antrag einer Partei im Sinne des § 67 Abs. 1 KFG 1967, über den abschließend zu entscheiden ist, sondern ein von Amts wegen eingeleitetes Ermittlungsverfahren im Sinne des § 75 Abs. 1 leg. cit. Wurde aber ein solches Verfahren eingeleitet, dann ist - unabhängig davon, ob sich nachträglich herausstellt, daß die in einer bestimmten Richtung bestehenden Bedenken der Behörde gerechtfertigt waren oder nicht - dessen Gegenstand und damit „die in Verhandlung stehende Angelegenheit“ (im oben dargestellten Sinne) der seit der Erteilung der Lenkerberechtigung eingetretene Wegfall jeder der maßgeblichen Eignungsvoraussetzungen, insofern die Behörde Bedenken gegen deren weiteren Bestand hat.

Im Hinblick auf diese, im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage, was im Beschwerdefall für die belangte Behörde „Sache“ im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 war, angestellten Erwägungen und weiters mit Rücksicht auf die reformatorische Funktion der Berufungsbehörde und ihre daraus in Verbindung mit den bezüglichen Bestimmungen des Kraftfahr-gesetzes folgende Berechtigung und Verpflichtung zu einer Entscheidung nach der Sach-und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides (vgl. auch dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, 21. 82/11/0270) kann der belangten Behörde sohin nicht entgegengetreten werden, wenn sie nunmehr - nach Aufhebung ihres, weiterhin von einer Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers ausgehenden Bescheides vom 30. Juni 1982 - die Frage der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers erstmals in ihre für die Erledigung der Berufung gegen den Entziehungsbescheid vom 23. April 1982 bedeutsamen Überlegungen miteinbezogen hat. Demnach bestand aber für sie auch kein rechtliches Hindernis, gegebenenfalls die Bestimmung des § 75 Abs. 2 KFG 1967 anzuwenden, sodaß von einer Unzuständigkeit der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Rede sein kann.

Gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten gemäß § 67 Abs. 2 einzuholen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung unter anderem einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderliche Befunde zu erbringen, keine Folge, so ist ihm die Lenkerberechtigung zu entziehen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12. April 1983, Zl. 82/11/0318, ausführlich dargelegt hat, hat die Erbringung eines derartigen Befundes auf Kosten der betreffenden Partei zu erfolgen. Die gegenteilige Rechtsansicht des Beschwerdeführers ist daher nicht stichhältig.

Die belangte Behörde hat sich bei Erlassung des angefochtenen Bescheides auf das zitierte „Gutachten“ vom 25. April 1983 gestützt. In dieser amtsärztlichen Stellungnahme wurde „auf Grund der zweimaligen Anhaltung“ des Beschwerdeführers „in alkoholbeeinträchtigtem Zustand als Teilnehmer am Straßenverkehr sowie der festgestellten Alkoholisierung bei der Vernehmung am Vormittag nach dem gegenständlichen Unfall mit ausreichender Sicherheit“ auf eine besondere, das „landesübliche Ausmaß“ übersteigende Neigung des Beschwerdeführers zum Alkoholgenuß geschlossen und deshalb angenommen, daß er „nicht die notwendige Gesundheit zum Lenken von Kraftfahrzeugen besitzt und er eventuell an Trunksucht leidet“. Zwar gilt gemäß § 30 Abs. 1 KDV 1967 als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich nur geeignet, wer unter anderem die für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge maßgebenden Vorschriften nötige Gesundheit (§ 34) besitzt, und gilt gemäß § 34 Abs. 1 KDV 1967 als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe hinreichend gesund nur eine Person, bei der unter anderem nicht Trunksucht (lit. d) festgestellt wurde. Gelangt daher die Behörde auf Grund eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens zu der Annahme, daß bei einer Person Trunksucht vorliegt, so ist diese Person nicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen der entsprechenden Gruppe geeignet und eine bereits erteilte Lenkerberechtigung aus diesem Grunde zu entziehen. Die in dem genannten „Gutachten“ vom 25. April 1983 angeführten und von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides endgültig übernommenen Bedenken, daß der Beschwerdeführer allenfalls an Trunksucht leide, weshalb er im Sinne des § 75 Abs. 2 KFG 1967 die Aufforderung erhielt, einen zur näheren Klärung dieser Frage erforderlichen Befund zu erbringen, können aber vom. Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden.

Bei Beurteilung der Frage, was unter dem Ausdruck „Trunksucht“ im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 zu verstehen ist, ist davon auszugehen, daß der Verordnungsgeber diesen Begriff nicht näher umschrieben hat. Der Verwaltungsgerichtshof hält aber seine im Erkenntnis vom 27. April 1960, Slg. Nr. 5281/A, zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht aufrecht, wonach es sich dabei um den gewohnheitsmäßigen Mißbrauch von Alkohol handelt, der sich darin äußert, daß die betreffende Person derart von dem krankhaften Drange nach Alkohol beherrscht wird, daß sie die Widerstandskraft gegen den Anreiz zu dem ihr schädlichen Alkoholkonsum verloren hat. Auch diese Sucht hat zur Folge, daß dadurch das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigt sein könnten (siehe dazu die hinsichtlich „anderer Süchtigkeiten“ gleichartige Bestimmung des § 34 Abs. 1 lit. e KDV 1967).

Für eine derart schwerwiegende Annahme besteht aber im Beschwerdefall kein ausreichender Anhaltspunkt. Aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer zweimal ein Kraftfahrzeug in einem alkoholbeeinträchtigten Zustand gelenkt hat, wobei sich der letzte dieser Vorfälle der Aktenlage nach am 26. Juli 1979 ereignete, und er am 14. Juni1981 im Zuge einer Amtshandlung (viele Stunden nach dem erwiesenen Lenken eines Kraftfahrzeuges) wieder in alkoholbeeinträchtigtem Zustand angetroffen wurde, kann nicht schlüssig der Verdacht abgeleitet werden, der Beschwerdeführer leide im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im September 1983) an Trunksucht. Richtig ist, daß für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967, in dessen Rahmen eine Aufforderung im Sinne des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle erteilt wird, Bedenken in der bereits aufgezeigten Richtung genügen. Diese Bedenken müssen aber konkret begründet sein (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 1981, Zl. 81/02/0173, und vom 20. September 1983, Zl. 83/11/0111), lind es reicht daher die abstrakte Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer nur deshalb, weil er im Verlaufe eines relativ langen Zeitraumes dreimal in alkoholisiertem Zustand betreten wurde, auch an Trunksucht leiden könnte, hiefür nicht aus. Der Beschwerdeführer ist daher im Ergebnis im Recht, wenn er rügt, daß die belangte Behörde keine ausreichende Begründung für die Notwendigkeit der Beibringung des von ihm verlangten Befundes gegeben hat. Dieser Begründungsmangel ist aber offensichtlich auf eine unrichtige Rechtsauffassung der belangten Behörde zurückzuführen. Nur der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß bei dieser Sach- und Rechtslage ein Eingehen auf das Verhältnis zwischen dem Mangel an körperlicher und geistiger Eignung wegen Trunksucht einerseits und dem Fehlen der Verkehrszuverlässigkeit im Zusammenhang mit wiederholter Alkoholisierung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. a und lit. e sublit. aa KFG 1967 andererseits entbehrlich ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Damit erübrigte sich auch eine gesonderte Erledigung des Antrages des Beschwerdeführers, dieser Beschwerde gemäß § 30 Abs. 2 VwGG 1965 die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Soweit Entscheidungen zitiert wurden, die nicht in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichthofes veröffentlicht sind, wird an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am 22. Februar 1984

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