European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1981080007.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 17. April 1978 hat die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG verpflichtet, für namentlich genannte Dienstnehmer für in der Begründung genannte Zeiträume Beiträge, Sonderbeiträge und Umlagen in der Gesamthöhe von S 11.679,29 zu entrichten. Der Begründung dieses Bescheides zufolge habe die Kasse am 2. August und am 6. Oktober 1977 bei der Beschwerdeführerin eine Beitragsprüfung durchgeführt. Hiebei sei festgestellt worden, daß WB vom 1. Jänner 1974 bis 31. Dezember 1974, JD vom 1. April 1974 bis 29. Februar 1976 (mit Unterbrechungen), HD vom 1. Jänner 1975 bis 31. Dezember 1975, CH vom 1. Jänner 1974 bis 31. Dezember 1974, DP vom 1. Jänner 1974 bis 30. September 1974, ES vom 1. Jänner 1974 bis 31. Dezember 1974 und GZ vom 1. September 1972 bis 30. November 1972 mit zu niedrigem Entgelt zur Versicherung gemeldet gewesen seien. Die diesbezüglichen Lohnänderungsmeldungen seien anläßlich der erwähnten Beitragsprüfung erfolgt. Auf Grund des § 44 Abs. 1 ASVG gelte als Grundlage für die Beitragsbemessung der im Beitragszeitraum gebührende Arbeitsverdienst, wobei als Arbeitsverdienst das Entgelt im Sinne des § 49 anzusehen sei.
Die Beschwerdeführerin hat Einspruch erhoben.
1.2. Mit Bescheid vom 24. Oktober 1980 hat der Landeshauptmann von Wien diesem Einspruch keine Folge gegeben.
In der Begründung dieses Bescheides heißt es, die Beschwerdeführerin habe im Einspruch eingewendet, daß sie mit den angeführten Dienstnehmern bereits im Oktober 1973 Vereinbarungen im Hinblick auf freiwillige Gehaltserhöhungen, aber unter Anrechnung auf die künftige Kollektivvertragserhöhung, getroffen habe. Die Gehaltsordnung des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs in der ab 1. Jänner 1975 geltenden Fassung besage jedoch unter Punkt G, daß die am 31. Dezember 1974 bestehenden Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter in ihrer schillingmäßigen Höhe gegenüber den ab 1. Jänner 1975 erhöhten kollektivvertraglichen Mindestgehältern aufrechtzuerhalten seien. Vereinbarungen, wie sie von der Beschwerdeführerin nunmehr geltend gemacht würden, seien im Kollektivvertrag nicht vorgesehen. Im ASVG‑Bereich herrsche zwingendes Recht; daher seien entgegenstehende private Vereinbarungen ohne jegliche rechtliche Wirkung, sodaß sich die Beitragsgrundlage in jedem Falle nach § 44 ASVG bestimme, wobei kollektivvertragliche Ansprüche unabdingbar seien und die Grundlage der Erstellung der Beitragsgrundlagen zu bilden hätten. Da aber weder die Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes noch jene des einschlägigen Kollektivvertrages Ausnahmeregelungen auf Grund privater entgegenstehender Vereinbarungen zuließen, gehe das diesbezügliche Einspruchsvorbringen ins Leere.
Bezüglich des Einspruchsvorbringens, daß die Lohnänderungs- bzw. Sonderzahlungsmeldungen eigenmächtig, ohne Anerkenntnis und Unterschrift der Beschwerdeführerin erfolgt seien, sei nach Einsichtnahme in die diesbezüglichen Meldungen festzustellen, daß diese sämtlich sowohl den Stempel der Beschwerdeführerin als auch die Unterschrift des Beauftragten der Dienstgeberin, ES, trügen.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die fraglichen Entgelterhöhungen seien ohne Ausnahme freiwillig erfolgt, und zwar unter Anrechnung auf die künftige Kollektivvertragserhöhung. Die nachträglichen Änderungsmeldungen seien im Zuge der Beitragsprüfung über Ersuchen des Organes der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse erfolgt und nicht als Anerkenntnis der Beschwerdeführerin anzusehen.
Abschnitt G betreffend „Aufrechterhaltung der Überzahlungen“ im Anhang des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs sehe vor, daß die am vorangehenden 31. Dezember „bestehenden Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter“ in ihrer schillingmäßigen Höhe gegenüber den ab Kollektivvertragsstichtag erhöhten kollektivvertraglichen Mindestgehältern aufrecht zu erhalten seien. Die genannte kollektivvertragliche Bestimmung über das sogenannte „Anhängeverfahren“ sei abdingbar; sie könne durch den einzelnen Dienstvertrag oder eine Sondervereinbarung abgeändert werden, wenn die Abänderungsvereinbarung für den Arbeitnehmer günstiger sei (§ 3 Abs. 1 ArbVG). Es sei zulässig, auf künftige Kollektivvertragsänderungen bei überkollektivvertraglichen Ist‑Lohnerhöhungen Bedacht zu nehmen. Es habe sich daher in vielen Betrieben eingebürgert, je nach der betrieblichen Übung Ist‑Lohnerhöhungen mit der Klausel vorzunehmen: „Eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung wirkt sich insoweit nicht aus, als sie mit dieser Lohnerhöhung bereits vorweggenommen wurde“ oder „eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung wird in der Höhe der nunmehrigen Lohnerhöhung aufgesogen“. Allen diesen einzelvertraglichen Formulierungen sei gemeinsam, daß eine kollektivverträgliche Lohnerhöhung vorweggenommen werden und daß sich eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung insoweit nicht auf den Dienstvertrag auswirken solle, als sie im vorhinein freiwillig zugestanden worden sei.
Diese einzelvertraglichen Regelungen kämen im Raum der Vertragsfreiheit zustande. Sie stellten den Dienstnehmer günstiger, als er ohne freiwillige Lohnerhöhung gestellt wäre, da sich das Prinzip der Berücksichtigung künftiger kollektivvertraglicher Regelungen nur insoweit auswirken könne, als die freiwillige Lohnerhöhung höher gewesen sei, als die künftige kollektivvertragliche sein werde. Die Vereinbarung eines überkollektivvertraglichen Lohns als Vorwegnahme künftiger kollektivvertraglicher Lohnerhöhungen sei zulässig, wenn der Mindestlohn des nachher abgeschlossenen Kollektivvertrages nicht unterboten werde.
Auch die belangte Behörde habe nicht in Zweifel gezogen, daß die freiwilligen Lohnerhöhungen in den gegenständlichen Fällen über den nachträglichen Erhöhungen des kollektivvertraglichen Ist‑Lohnes gelegen seien. Auch habe die belangte Behörde nicht behauptet, daß solche Vereinbarungen nicht getroffen worden seien. Sie habe sich nur auf den Standpunkt gestellt, es handle sich dabei um verbotene Ausnahmeregelungen auf Grund einzelvertraglicher, dem Kollektivvertrag entgegenstehender Vereinbarungen.
Die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin decke sich mit jener des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, die dieser mit Schreiben vom 24. November 1980 den Krankenversicherungsträgern bezüglich der Zulässigkeit derartiger Anrechnungsvereinbarungen bekanntgegeben habe.
Selbst wenn die Lohnänderungs- bzw. Sonderzahlungsmeldungen von der Beschwerdeführerin unterschrieben worden wären, so sei dies für die Lösung der vorliegenden Rechtsfrage unbedeutend. Es stehe fest, daß die Beschwerdeführerin eine Entgeltvereinbarung im Rahmen der Änderungsmeldungen nicht getroffen habe. Auch die belangte Behörde habe eine solche Vereinbarung nicht angenommen, sondern die Beitragspflicht nur deswegen bejaht, weil sie angenommen habe, die kollektivvertragliche Änderung wirke sich zwingend auf die bestehenden Ist-Löhne aus. Es stehe daher weiters fest, daß die Beschwerdeführerin die Beitragspflicht in dem im angefochtenen Bescheid angenommenen Umfang nie anerkannt habe. Im übrigen handle es sich um öffentliches Recht; ein Anerkenntnis wäre unbeachtlich.
Die Beschwerdeführerin sei an einer Klärung der grundsätzlichen Frage interessiert und lasse daher den Einspruchseinwand der Verjährung fallen.
Die belangte Behörde habe in wesentlichen Punkten kein Parteiengehör gewährt. Dies gelte insbesondere für die Frage, ob im Umfang des angefochtenen Bescheides Vereinbarungen über die Anrechnung der freiwilligen Gehaltserhöhungen bei künftigen kollektivvertraglichen Gehaltserhöhungen getroffen worden seien, ob die betreffenden kollektivvertraglichen Gehaltserhöhungen unter den freiwilligen Gehaltserhöhungen geblieben seien und ob durch die Abgabe der Änderungsmeldungen ein Anerkenntnis der Beschwerdeführerin erfolgt sei.
1.4. Der belangte Landeshauptmann von Wien hat die Verwaltungsakten vorgelegt. Er hat ebenso wie die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Gemäß § 44 Abs. 1 ASVG ist allgemeine Beitragsgrundlage für Pflichtversicherte ... der im Beitragszeitraum gebührende auf volle Schilling gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6. Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.
2.2. Streitentscheidend ist die Beurteilung des rechtlichen Verhältnisses zwischen den einzelvertraglichen Vereinbarungen über Ist‑Lohnerhöhungen unter „Aufsaugung“ durch nachfolgende kollektivvertragliche Erhöhungen einerseits und dem Punkt G der Gehaltsordnung des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreich, welcher im relevanten Zeitraum besagte, daß die am 31. Dezember des Vorjahres jeweils bestehenden Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter in ihrer schillingmäßigen Höhe gegenüber den ab 1. Jänner des folgenden Jahres erhöhten kollektivvertraglichen Mindestgehältern aufrechtzuerhalten seien. Dieser in der Beschwerde wiedergegebene Kollektivvertragspunkt habe, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ausführt, in derselben Fassung auch in jenen Kollektivverträgen bestanden, die im gegenständlichen Beitragszeitraum vom 1. September 1972 bis zum 29. Februar 1976 in Geltung gestanden seien.
2.3.1. Für die Berechnung der Beiträge nach dem § 44 Abs. 1 und 49 Abs. 1 ASVG ist nicht lediglich das tatsächlich gezahlte Entgelt (Geld- und Sachbezüge) maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich gezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Zahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch bestand. Der Beitragsvorschreibung ist daher in diesem Fall der nach dem Kollektivvertrag gebührende Lohn zugrunde zu legen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Februar 1950, Slg. N. F. Nr. 1261/A, und vom 30. November 1960, Slg. N. F. Nr. 5435/A). § 44 Abs. 1 und § 49 Abs. 1 AVSG stellen für den Fall des Zurückbleibens des tatsächlich gezahlten Entgeltes hinter jenem, worauf Anspruch besteht, auf den „Anspruchslohn“ ab (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 14. Dezember 1979, Z1. 677/76 = ZfVB 1980/5/1626, vom 27. November 1981, Zl. 08/1859/79 = ZfVB 1983/1/189, und vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211).
Ob aber ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug bestehe, ist - entgegen der Rechtsauffassung der belangten Behörde, wonach im Bereich des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes zwingendes Recht herrsche und entgegenstehende privatrechtliche Vereinbarungen ohne jegliche rechtliche Wirkung seien -, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211, und die dort zitierte Rechtsprechung).
2.3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 erster Satz des Arbeitsverfassungsgesetzes - ArbVG, BGBl. 22/1974, können die Bestimmungen in Kollektivverträgen, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Nach § 3 Abs. 1 zweiter Satz ArbVG sind Sondervereinbarungen, sofern sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt, nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind oder Angelegenheiten betreffen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt sind. Nach § 3 Abs. 2 leg. cit. sind bei der Prüfung, ob eine Sondervereinbarung im Sinne des Abs. 1 günstiger ist als der Kollektivvertrag, jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen.
§ 3 Abs. 1 zweiter Satz ArbVG kennt zwei Fälle ungültiger Sondervereinbarungen. Der erste Fall liegt vor, wenn eine Sondervereinbarung durch den Kollektivvertrag selbst ausgeschlossen ist. Der zweite Ungültigkeitsfall betrifft Sondervereinbarungen, die eine kollektivvertraglich geregelte Materie für den Arbeitnehmer ungünstiger gestalten als der Kollektivvertrag. Die Existenz dieses zweiten Nichtigkeitstatbestandes führt dazu, daß das Vorliegen des ersteren nur angenommen werden kann, wenn der Kollektivvertrag einen Ausschluß einer Sondervereinbarung auf einem bestimmten Gebiet ausdrücklich vorsieht. In allen anderen Fällen gilt einzelvertragliche Autonomie zum Abschluß von Sondervereinbarungen, die am Maßstab der Günstigkeit für den betroffenen Arbeitnehmer zu messen sind.
Eine gemäß § 3 Abs. 1 ArbVG gültige und demgemäß als Grundlage für die Beitragsbemessung zulässige Sondervereinbarung liegt nur dann vor, wenn sie den Dienstnehmer bei Abwägung aller Umstände günstiger stellt als der Kollektivvertrag (vgl. zum Kollektivvertragsgesetz: das hg. Erkenntnis vom 6. November 1957, Slg. N. F. Nr. 4464/A; zum ArbVG: die hg. Erkenntnisse vom 15. Februar 1980, Zl. 2290/77 = ZfVB 1980/6/1932 = ZAS 1982, 26, mit Entscheidungsanmerkung von Müller, sowie vom 27. November 1981, Zl. 08/1859/79 = ZfVB 1983/1/189). Bei diesem Vergleich müssen die zusammengehörigen Gruppen von Bestimmungen des Einzelvertrages mit den entsprechenden Gruppen der kollektivvertraglichen Bestimmungen verglichen werden.
Wenn also eine Bestimmung mit einer anderen so zusammenhängt, daß sie nicht ohne die andere eingeräumt worden wäre, darf nicht eine einzelne singuläre Vertragsbestimmung, sondern müssen alle zusammenhängenden Bestimmungen der Einzelvereinbarung mit dem Gesetz, dem Kollektivvertrag oder der Betriebsvereinbarung verglichen werden, um die Frage der Günstigkeit zu lösen (LGZ Wien, 7. Jänner 1974, Arb 9298, sowie das zuletzt zitierte hg. Erkenntnis unter Berufung auf Floretta-Strasser, Kommentar zum ArbVG, 1975, 37).
2.3.3. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, daß für die fraglichen Lohnzahlungszeiträume in den jeweils geltenden, inhaltlich gleichen Fassungen des Abschnittes G „Aufrechterhaltung der Überzahlungen“ im Anhang des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs die im Punkt 2.2. wiedergegebene Regelung enthalten war. Die Verfahrensparteien gehen ferner davon aus, daß der Kollektivvertrag ein ausdrückliches Verbot der Sondervereinbarung einer „Aufsaugungsklausel“ nicht enthält, welches die Vertragsparteien auf die bloße Alternative zwischen dem Unterbleiben einer überkollektivvertraglichen Ist‑Lohnerhöhung einerseits und deren Versteinerung nach Abschnitt G des genannten Kollektivvertrages andererseits beschränkt hätte. Da der Kollektivvertrag einen solchen Ausschluß der behaupteten Sondervereinbarungen im Sinne des § 3 Abs. 2 zweiter Satz ArbVG nicht enthält, ist in den Günstigkeitsvergleich nach § 3 Abs. 2 ArbVG einzutreten. Zu prüfen ist also, ob die von der Beschwerdeführerin behaupteten Vereinbarungen betreffend überkollektivvertragliche Lohnerhöhungen unter (mit eben diesem Erhöhungsbetrag begrenzter) Vorwegnahme künftiger kollektivvertraglicher (Ist-)Lohnerhöhungen ihren betroffenen Dienstnehmern ‑ insgesamt ‑ eine günstigere Stellung einräumte, als sie nach der bisherigen einzel- und kollektivvertraglichen Situation für diese bestanden hätte.
Der Günstigkeitsvergleich ergibt nun, daß die behaupteten Lohnvereinbarungen die betreffenden Dienstnehmer niemals schlechter stellen konnten als der Kollektivvertrag, sondern ihnen vielmehr insofern eine bessere Rechtsstellung einräumten, als die Dienstnehmer dann, wenn die Lohnerhöhungsvereinbarungen nicht zustande gekommen wären, nicht in den Genuß der Lohnerhöhung bis zur Aufsaugung durch spätere kollektivvertragliche Lohnerhöhungen gelangt wären (vgl. auch OGH 28. Juni 1983, 4 Ob 70‑73/83, RdW 1984, 83). Durch diese gegenüber der vertraglichen Vergleichssituation günstigeren und somit gültigen Einzelverträge durfte somit die Regelung des Abschnittes G des anzuwendenden Kollektivvertrages für diese Fälle insofern modifiziert werden, als die rechtliche Situation der betroffenen Dienstnehmer nunmehr durch die Einzelverträge im Zusammenhalt mit dem Kollektivvertrag folgendermaßen gestaltet erscheint: Die von der vorwegnehmenden Erhöhungsvereinbarung bewirkten, am Kollektivvertragsstichtag bestehenden Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter sind (nur) in jener schillingmäßigen Höhe gegenüber den ab Kollektivvertragsstichtag erhöhten kollektivvertraglichen Mindestgehältern aufrechtzuerhalten, als sie den kollektivvertraglichen Erhöhungsbetrag übersteigen.
2.4. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß Sondervereinbarungen des behaupteten Inhaltes ungültig seien und daß (ungeachtet einzelvertraglicher Vereinbarungen) nach Abschnitt G des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs die am 31. Dezember des Vorjahres bestehenden Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter in ihrer schillingmäßigen Höhe gegenüber den nach dem Stichtag erhöhten kollektivvertraglichen Mindestgehältern aufrechtzuerhalten seien.
Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsauffassung hat die belangte Behörde es unterlassen zu prüfen, ob tatsächlich Sondervereinbarungen des behaupteten Inhaltes von der Beschwerdeführerin mit den im angefochtenen Bescheid genannten Dienstnehmern abgeschlossen worden sind. Maßgebend ist dabei ausschließlich das Vorliegen dieses rechtserheblichen Sachverhaltes während des gegenständlichen Beitragszeitraumes; dem Inhalt der auf Grund einer öffentlich‑rechtlichen Verpflichtung abgegebenen, im Verwaltungsakt erliegenden Änderungsmeldungen vor dem Sozialversicherungsträger kann diesbezüglich kein selbständiger Beweiswert, etwa im Sinne eines Anerkenntnisses, beigemessen werden. Dies schließt freilich nicht aus, auch den Umstand, daß und wie es zu diesen Nachtragsmeldungen gekommen ist, in die Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorliegens der behaupteten Lohnvereinbarungen miteinzubeziehen.
2.5. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß der Landeshauptmann von Wien den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
2.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Dem Begehren auf Stempelgebührenersatz (dies gilt auch für die auf die vorliegende ASVG-Sache eingeschränkte Vollmacht) konnte im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG nicht stattgegeben werden. Das Kostenmehrbegehren war somit abzuweisen.
2.7. Gemäß § 39 Abs. 2 lit. f VwGG 1965 in der Fassung BGBl. Nr. 203/1982 konnte von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden.
2.8. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung dieses Gerichtshofes hingewiesen.
Wien, am 17. Mai 1984
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