Normen
AVG §42 Abs1
BauRallg
EisenbahnG 1957 §39
ROG OÖ 1972 §20
ROG OÖ 1972 §23
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1983:1982050125.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 18.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte ist auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 1976, Zl. 861/76, und vom 13. Mai 1980, Zl. 1396/79, zu verweisen. Mit der zuletzt genannten Entscheidung hat der Gerichtshof die damals vertretene Auffassung der Oberösterreichischen Landesregierung, die vom Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Stadtgemeinde am 10. August 1973 beschlossene Abänderung des Teilbebauungsplanes 4 A sei für das seit dem Jahre 1971 anhängige Baubewilligungsverfahren rechtlich unerheblich, als rechtsirrig beurteilt und ist aus diesem Grunde mit einer Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 vorgegangen. Diesem Erkenntnis war nämlich auf Gemeindeebene im Zuge des Berufungsverfahrens eine Abänderung des genannten Teilbebauungsplanes vorausgegangen; der Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Stadtgemeinde hatte darauf in seinem Bescheid vom 27. September 1977 der Berufung der Beschwerdeführerin gegen die in erster Instanz der erstmitbeteiligten Partei erteilte Baubewilligung keine Folge gegeben. Ausdrücklich wurde im Spruch dieses Bescheides über das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wie folgt, entschieden:
"1. Die Einwendung der vorgenannten Nachbarin, daß das Bauvorhaben dem für dieses Gebiet rechtswirksamen Bebauungsplan widerspricht, wird abgewiesen.
2. Der Einwand, daß das Bauvorhaben den Vorschreibungen der ÖBB hinsichtlich Einhaltung der Bestimmungen der ÖVE L/11 widerspreche, wird als unzulässig zurückgewiesen.
3. Die in der Äußerung vom 13. 7. 1977 vorgebrachten Einwendungen, daß durch den Bau Licht, Luft und Sonne entzogen werden und eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Hausgartens nicht mehr möglich ist, wird gemäß § 42 Abs. 1 AVG 1950 als unzulässig zurückgewiesen.
4. Die Einwendungen, welche sich auf die Bewilligung des Bauplatzes und das Genehmigungsverfahren hinsichtlich der Rechtskraft des Bebauungsplanes beziehen, werden als in diesem Verfahren unzulässig zurückgewiesen."
Zur Begründung führte die Berufungsbehörde aus, die Berufung sei abzuweisen gewesen, weil das beantragte Bauvorhaben dem derzeit rechtswirksamen Bebauungsplan entspreche. Zu den im Spruch genannten einzelnen Punkten vertrat die Berufungsbehörde die Rechtsansicht, daß das beantragte Bauvorhaben dem nunmehr rechtswirksamen Bebauungsplan entspreche, welchen die Berufungsbehörde zu berücksichtigen gehabt hätte, weil bei rechtsgestaltenden Verwaltungsakten die Rechtslage am Tage der Berufungsentscheidung zugrunde zu legen sei. Die Vorschreibung der ÖBB betreffend Einhaltung von Abständen zur bestehenden 100 kV-Leitung könnten Interessen der Nachbarschaft in subjektivöffentlicher Hinsicht nicht berühren. Gemäß § 39 Abs. 3 des Eisenbahngesetzes 1957 sei vor Errichtung von Anlagen im Gefährdungsbereich von Eisenbahnanlagen die Bewilligung der Eisenbahnbehörde einzuholen und diese sei bei Einhaltung eines bestimmten Abstandes zu erteilen. Da dies im gegenständlichen Fall zutreffe, sei die Bewilligung zu erteilen gewesen. Bei der am 4. April 1974 vor der Behörde erster Instanz durchgeführten Bauverhandlung habe die Beschwerdeführerin lediglich vorgebracht, daß auf Grund des wieder in Rechtskraft erwachsenen Bebauungsplanes eine Baubewilligung wegen Bauverbotes zu untersagen sei. Die nunmehr im Zuge des Berufungsverfahrens erhobenen Einwendungen, daß durch das Bauvorhaben Licht, Luft und Sonne entzogen werden und eine Bewirtschaftung des Hausgartens nicht mehr möglich sei, seien daher gemäß § 42 Abs. 1 AVG 1950 als präkludiert zu beurteilen. Da die in der Berufung vorgebrachten Einwendungen in keinem Zusammenhang mit den Einwendungen stünden, welche im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens vorgebracht worden seien, sei "die Berufung" (gemeint offenbar, seien die Einwendungen) in diesem Fall als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Die Bewilligung des Bauplatzes und das Genehmigungsverfahren zur Rechtswirksamkeit des Bebauungsplanes seien nicht Gegenstand des Verfahrens und es seien daher die Einwendungen, die sich darauf bezogen hätten, als in diesem Verfahren unzulässig, zurückzuweisen.
Der gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorstellung hatte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land mit Bescheid vom 25. Jänner 1978 keine Folge gegeben, die dagegen eingebrachte Berufung hatte zu dem Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 14. März 1979 geführt, welcher Gegenstand des eingangs erwähnten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Mai 1980 war.
Mit Ersatzbescheid vom 10. November 1980 hat nun die Oberösterreichische Landesregierung neuerlich über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 25. Jänner 1978 entschieden und diesen Bescheid bestätigt. Zur Begründung wurde lediglich ausgeführt, daß in Beachtung der vom Verwaltungsgerichtshof dargelegten Rechtsanschauung die Aufsichtsbehörde zweiter Instanz gemäß § 63 Abs. 1 VwGG 1965 verpflichtet gewesen sei, den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen und daher den angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land zu bestätigen.
Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wies dieser Gerichtshof mit Erkenntnis vom 11. Juni 1982, Zl. B 651/80, mangels Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber ab, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist. Der Verfassungsgerichtshof setzte sich in seiner Entscheidung insbesondere mit der Frage der Gesetzmäßigkeit der vom Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde am 10. August 1973 beschlossenen Abänderung des Teilbebauungsplanes Nr. 4 A auseinander und erachtete die diesbezüglich vorgetragenen Bedenken der Beschwerdeführerin als nicht zutreffend.
In ihrem ergänzenden Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof beantragt die Beschwerdeführerin, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Gesetzwidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Sie erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Parteiengehör, auf Erledigung von Einwendungen in der Berufungsschrift und auf Schutz vor Immissionen durch nachbarschaftliche Bauführung verletzt. Über diese Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde und der mitbeteiligten Stadtgemeinde erstatteten Gegenschriften hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung erwogen:
Zunächst fällt auf, daß sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausschließlich darauf berufen hat, daß sie in Beachtung der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes, wie sie in seinem Erkenntnis vom 13. Mai 1980, Zl. 1396/79, zum Ausdruck gebracht worden sei, den bei ihr angefochtenen Bescheid habe bestätigen müssen. Mit dieser Begründung übersieht die belangte Behörde, daß der Verwaltungsgerichtshof in einer nach § 63 Abs. 1 VwGG 1965 verbindlichen Weise ausschließlich ausgesprochen hat, daß die vom Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Stadtgemeinde am 10. August 1973 beschlossene Abänderung des Teilbebauungsplanes 4 A entgegen der von der belangten Behörde in ihrem Bescheid vom 14. März 1979 geäußerten Rechtsansicht als Verordnung zu beurteilen und daher für die Beurteilung des Bauvorhabens der Erstmitbeteiligten maßgeblich sei. Entgegen der früheren Auffassung der belangten Behörde hatte daher der Gemeinderat der Stadt T seiner neuerlichen Entscheidung diese Verordnung zugrunde legen müssen. Damit wurden aber noch nicht alle entscheidungswesentlichen Fragen beantwortet. Daß auch der Verwaltungsgerichtshof nicht der Auffassung war, seine Entscheidung hätte alle für das weitere Verfahren maßgeblichen Fragen geklärt, kann in eindeutiger Weise der Begründung des Erkenntnisses vom 13. Mai 1980 entnommen werden. Ausdrücklich wurde darin nämlich noch darauf hingewiesen, daß bei einer Änderung der Rechtslage den neuen Einwendungen der Nachbarn ganz allgemein jedenfalls nicht Präklusion entgegengehalten werden kann, weil diese nur für jene Einwendungen gelte, die zum Zeitpunkt der Bauverhandlung (im Hinblick auf die damalige Rechtslage) hätten erhoben werden können. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof auf seine Entscheidungen vom 12. Oktober 1970, Zl. 1386/69, und vom 27. Juni 1979, Zlen. 2433 und 2434/77, verwiesen. In dem zuletzt genannten Erkenntnis hatte der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, daß dann, wenn durch die Änderung der Rechtslage (insbesondere auch durch die Änderung genereller Normen, auch von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen) die Möglichkeit zur Erhebung neuer Einwendungen für den Nachbarn entsteht, hinsichtlich dieser Einwendungen keine Präklusion gegeben sei. Unter Bezugnahme auf die im damaligen Beschwerdefall maßgebliche Sach- und Rechtslage hat der Gerichtshof festgestellt, Nachbarn hätten alle mit der Änderung der Rechtslage im Zusammenhang stehenden Einwendungen ohne Rücksicht auf die Präklusionsfolgen der seinerzeitigen Bauverhandlung geltend machen können. Mit diesem Hinweis im Erkenntnis vom 13. Mai 1980 wollte der Verwaltungsgerichtshof dartun, daß die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben werde, ob die erst im Zuge des Berufungsverfahrens von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen als präkludiert anzusehen oder einer Sachentscheidung zuzuführen sind; der Umstand, daß Einwendungen erst im Zuge des Berufungsverfahrens erhoben worden sind, bedeute nicht schlechthin das Eintreten der Präklusionsfolgen.
Der Umstand, daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides sich mit diesen Fragen nicht auseinandersetzte und sohin die Bestimmungen des § 60 AVG 1950 über die Begründungspflicht verletzte, stellte bereits einen Verfahrensmangel dar.
Überprüft man nun die von der Beschwerdeführerin im Zuge des Berufungsverfahrens erhobenen Einwendungen, so zeigt sich, daß sie vor Wirksamwerden des neuen Bebauungsplanes schon mit ihren in erster Instanz erhobenen Einwendungen durchgedrungen wäre, so daß sie sich zur Wahrung ihrer Rechte auf diese Einwendungen beschränken konnte. Durch das Inkraftreten des neuen Bebauungsplanes wurde aber insoweit die Rechtslage - zu Ungunsten der Beschwerdeführerin - verändert und sie war deshalb im Hinblick auf die neue Rechtslage berechtigt, neue Einwendungen gegen das Vorhaben der erstmitbeteiligten Partei zu erheben. Diesen Einwendungen konnte nicht die Rechtsfolge der Präklusion entgegengehalten werden. Die Beschwerdeführerin durfte vielmehr berechtigterweise davon ausgehen, die geänderte Rechtslage bedeute die Möglichkeit zur Erhebung neuer Einwendungen, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Mai 1980 bereits ausgeführt hatte. Die Gemeindebehörde zweiter Instanz war daher nicht berechtigt, die erst im Zuge des Berufungsverfahrens erhobenen Einwendungen gemäß § 42 Abs. 1 AVG 1950 als unzulässig zurückzuweisen. Sie hätte sich vielmehr mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sachlich auseinandersetzen müssen. Schon aus diesem Grunde hätte die belangte Behörde auf Grund der Vorstellung der Beschwerdeführerin den bei ihr angefochtenen Bescheid der obersten Gemeindeinstanz wegen Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin aufheben müssen. Dadurch, daß die belangte Behörde dies verkannte, hat sie ihren Bescheid sogar mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet. Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich noch zu der Bemerkung veranlaßt, daß die erfolgte Aufhebung nicht bedeutet, die Beschwerdeführerin könne letztlich mit ihren Einwendungen gegen das Bauvorhaben der erstmitbeteiligten Partei durchdringen. Vielmehr wird sich die Gemeindebehörde mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sachlich auseinanderzusetzen haben. In diesem Zusammenhang vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht die Ansicht der Beschwerdeführerin zu teilen, aus den Bestimmungen des § 39 des Eisenbahngesetzes könnte ein Nachbar im baubehördlichen Bewilligungsverfahren einen Rechtsanspruch auf Versagung des Vorhabens ableiten; die Wahrnehmung eisenbahnrechtlicher Bestimmungen ist der Baubehörde, soweit nicht ausdrücklich anderes normiert ist, schon aus Gründen der mangelnden Zuständigkeit verwehrt. Soweit aber die Beschwerdeführerin Rechte aus § 46 der OÖ Bauordnung, LGBl. Nr. 35/1976, ableiten will, übersieht sie, daß im Beschwerdefall noch die Bestimmungen der Bauordnung für Oberösterreich aus dem Jahre 1875 anzuwenden waren, sind doch nach der Übergangsbestimmung des § 69 Abs. 1 der OÖ Bauordnung (1976) die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes anhängigen individuellen Verwaltungsverfahren nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften weiter zu führen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965 sowie die Verordnung BGBl. Nr. 221/1981.
Wien, am 8. März 1983
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)