VwGH 81/02/0252

VwGH81/02/025213.11.1981

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Närr, Dr. Degischer und Dr. Dorner als Richter, im Beisein des Schriftführers Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde der Dr. EW in W, vertreten durch Dr. Helmut Winkler, Rechtsanwalt in Wien I, Gonzagagasse 14, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Mai 1981, Zl. MA 70-IX/W 106/80/Str., betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

ÄrzteG 1949 §10 Abs1
ÄrzteG 1949 §10 Abs2
NO 1945 §37
RAO 1868 §9 Abs2
StGB §121
VStG §6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1981:1981020252.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nachdem eine gegen die Beschwerdeführerin wegen der am 25. März 1979 begangenen Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 erlassene, auf einer Anzeige eines Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien beruhende Strafverfügung der genannten Behörde vom 12. Juli 1979 infolge rechtzeitigen Einspruches der Beschwerdeführerin außer Kraft getreten war, erklärte sie in ihrer schriftlichen Rechtfertigung vom 23. Oktober 1979, zur Tatzeit als Ärztin zu einem Patienten gerufen worden zu sein, was sie dadurch zu erkennen gegeben habe, daß sie an der Windschutzscheibe ihres Fahrzeuges die Tafel "Arzt im Dienst" angebracht gehabt habe. Dies habe der Meldungsleger offensichtlich übersehen. Es sei sohin "ein Notfall im Sinne des Gesetzes vorgelegen" gewesen, weshalb die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt werde.

Der Meldungsleger bezeichnete es in seinem Bericht vom 14. November 1979 als "nicht richtig, daß das Kfz. mit der Tafel 'Arzt im Dienst' gekennzeichnet war. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte ich das Kfz. wohl überwacht, jedoch kein bargeldloses OM verhängt".

Die Beschwerdeführerin bestritt in ihrer Stellungnahme vom 6. Dezember 1979 die Richtigkeit dieser Darstellung des Meldungslegers und betonte neuerlich, zu einem Patienten gerufen worden zu sein und sich daher im ärztlichen Einsatz befunden zu haben, weshalb eine Notsituation und daher ein Entschuldigungsgrund für die Nichteinhaltung der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung vorlag.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Josefstadt, vom 7. Jänner 1980 wurde die Beschwerdeführerin daraufhin neuerlich für schuldig befunden, am 25. März 1979 von 10.40 Uhr bis 12.00 Uhr in Wien III, Barmherzigengasse 18, den dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw im Bereich von weniger als 5 m vom nächsten Schnittpunkt einander kreuzender Fahrbahnränder abgestellt, und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 24 Abs. 1 lit. d StVO 1960 begangen zu haben. Über die Beschwerdeführerin wurde daher in Anwendung des § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von S 400,-- (Ersatzarreststrafe 1 Tag) verhängt.

Ihren Schuldspruch begründete die Behörde erster Instanz mit einem Hinweis auf die eigene dienstliche Wahrnehmung des die Anzeige erstattenden Straßenaufsichtsorganes, und vertrat die Auffassung, daß die Verantwortung der Beschwerdeführerin, sie habe als Ärztin eine dringende Visite zu verrichten gehabt, als bloße Schutzbehauptung anzusehen sei, da der Meldungsleger eindeutig angegeben habe, keine Tafel "Arzt im Dienst" im Fahrzeug vorgefunden zu haben.

In ihrer gegen dieses Straferkenntnis rechtzeitig eingebrachten Berufung wandte sich die Beschwerdeführerin im wesentlichen gegen die von der Behörde vorgenommene Beweiswürdigung und machte neuerlich geltend, daß sie ihren Pkw wegen einer dringenden ärztlichen Tätigkeit am Tatort abgestellt gehabt habe und eine Notstandssituation vorlag; dies unabhängig davon, ob die Tafel "Arzt im Dienst" angebracht gewesen sei oder nicht.

Im Zuge ihrer am 13. Oktober 1980 erfolgten Einvernahme als Beschuldigte im Verwaltungsstrafverfahren erklärte die Beschwerdeführerin, daß sie "damals die Tafel 'Arzt im Dienst' ... links an der Windschutzscheibe angebracht" gehabt habe. Sie habe bei einem Patienten einen Hausbesuch gemacht und könne auf die Frage nach dem Namen des Patienten nur angeben, daß sie dazu auf Grund der ärztlichen Schweigepflicht nicht in der Lage sei.

Am 18. Februar 1981 wurde der Meldungsleger als Zeuge vernommen, wobei er nach Kenntnisnahme der Rechtfertigung der Beschwerdeführerin auf seine Angaben in der Anzeige und in der ergänzenden Stellungnahme vom 14. November 1979 verwies, die er zu seiner Zeugenaussage erhob.

Nachdem die Beschwerdeführerin in einer abschließenden Stellungnahme betont hatte, daß das bisherige Ermittlungsverfahren keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit ihrer Angaben ergeben habe, erging der Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Mai 1981, mit welchem auf Grund der Berufung der Beschwerdeführerin das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Josefstadt, vom 7. Jänner 1980 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 bestätigt wurde.

Entsprechend der Begründung ihres Bescheides ging die belangte Behörde davon aus, es sei unbestritten, daß das Fahrzeug der Beschwerdeführerin vorschriftswidrig aufgestellt gewesen sei. Es könne aber als Schuldausschließungsgrund zugunsten der Beschwerdeführerin kein Notstand angenommen werden, da ihre Behauptung, bei einem Patienten einen Hausbesuch durchgeführt zu haben, in keiner Weise erwiesen sei. Der Beschwerdeführerin könne daher nicht jene Bevorzugung zuteil werden, die Angehörige ihres Berufsstandes im Hinblick auf das Parken und Halten im Straßenverkehr unter bestimmten Umständen genießen würden. Da sich die Beschwerdeführerin auch trotz entsprechender Belehrung über eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht geweigert habe, den Namen des von ihr angeblich besuchten Patienten bekanntzugeben, sei anzunehmen gewesen, daß sie in Verfolgung ihrer persönlichen Interessen eine zu ihren Gunsten sprechende Schutzbehauptung aufgestellt habe. Wenn die Beschwerdeführerin vermeine, die Zugehörigkeit zum akademischen Stande bedeute, daß sie die Unwahrheit nicht sagen könne, dann würde dies bedeuten, daß eine Bestrafung dieses Personenkreises von vornherein nur dann möglich wäre, wenn die Tat vom Beschuldigten eingestanden werde. Da jedoch das Verfahren ohne Ansehen der Person und des Standes zu führen sei, sei ohne Rücksicht auf die ins Treffen geführten Rechtfertigungsversuche ein Schuldausschließungsgrund nicht anzunehmen und spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sie die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde vor, bei der Sachverhaltsfeststellung die im Ärztegesetz verankerte Verpflichtung zur Berufsverschwiegenheit verkannt zu haben. Diese umfasse nämlich nicht nur die Verpflichtung, die Krankheit eines Patienten nicht bekanntzugeben, sondern auch die Verpflichtung zur Geheimhaltung seines Namens. Diese Geheimhaltungsverpflichtung bestehe gegenüber jedermann, auch gegenüber der Verwaltungsbehörde, selbst wenn das Verfahren ein nicht öffentliches sei. Insbesondere im vorliegenden Fall sei es unzumutbar gewesen, daß die Beschwerdeführerin als plastische Chirurgin ihrem Patienten eine Zustimmung zur Bekanntgabe seines Namens abringe, weil dadurch die besonderen persönlichen Interessen des Patienten an der ärztlichen Schweigepflicht verletzt würden. Ein weiterer Verfahrensmangel liege darin, daß die belangte Behörde nicht den guten persönlichen Eindruck der Beschwerdeführerin, den sie bei ihrer persönlichen Aussage gemacht habe, ins Kalkül gezogen habe, sondern die Einvernahme durch die Behörde erster Instanz habe durchführen lassen, obwohl die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, sich einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von der Beschwerdeführerin zu verschaffen. Im übrigen habe die belangte Behörde bei der Beweiswürdigung übersehen, daß die Beschwerdeführerin verwaltungsstrafrechtlich unbescholten sei, sodaß man nicht so ohne weiteres ihre Aussage als bloße Schutzbehauptung abqualifizieren könne. Bei richtiger Beurteilung der Beweisergebnisse, insbesondere, wenn man der Berufung auf die ärztliche Verschwiegenheitspflicht den richtigen Stellenwert eingeräumt hätte, wäre als erwiesen anzunehmen gewesen, daß sie ihr Fahrzeug nur deshalb vorschriftswidrig abgestellt gehabt habe, um einer dringenden ärztlichen Visite bei einem Patienten nachkommen zu können. Im Hinblick auf diesen Schuldausschließungsgrund hätte sie wegen der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung daher nicht bestraft werden dürfen.

Zu diesem Vorbringen ist nachstehendes zu bemerken:

Da die Beschwerdeführerin in der Beschwerde ausdrücklich zugegeben hat, daß ihr Fahrzeug vorschriftswidrig, also entgegen der von der belangten Behörde angewendeten Vorschrift des § 24 Abs. 1 lit. d StVO 1960 im Bereich von weniger als 5 m vom nächsten Schnittpunkt einander kreuzender Fahrbahnränder abgestellt war, bleibt im Sinne der vorstehenden Beschwerdeausführungen lediglich zu prüfen, ob die belangte Behörde auf Grund des ihr vorgelegenen Ermittlungsergebnisses davon ausgehen durfte, daß auch das für die Strafbarkeit erforderliche Verschulden der Beschwerdeführerin gegeben war.

Wie schon ausgeführt worden ist, hat sich die Beschwerdeführerin auch in der Beschwerde auf das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes berufen, ist also offensichtlich der Meinung, daß die von ihr unbestrittenermaßen begangene Tat wegen eines Notstandes im Sinne des § 6 VStG 1950 nicht strafbar sei. Unter Notstand im Sinne dieser Bestimmung kann nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. (Vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1954, Zl. 466/52.)

Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte ärztliche Visite wegen einer unmittelbaren Lebensgefahr für ihren Patienten tatsächlich dringend war, weil die belangte Behörde der diesbezüglichen Rechtfertigung der Beschwerdeführerin nach Auffassung des Gerichtshofes im Rahmen des ihr zufolge § 45 Abs. 2 AVG 1950 zustehenden Rechtes der freien Beweiswürdigung mit Recht nicht gefolgt ist. Abgesehen davon, daß die Beschwerdeführerin während des gesamten Verfahrens nie behauptet hat, wegen eines im näheren Tatortbereich zur Tatzeit gegebenen Parkplatzmangels zum vorschriftswidrigen Abstellen des Fahrzeuges genötigt gewesen zu sein, hat sie - wie schon in der Sachverhaltsdarstellung dieses Erkenntnisses ausgeführt worden ist - die Beantwortung der Frage nach dem Namen des von ihr aufgesuchten Patienten einfach mit einem Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht verweigert, und überdies anläßlich der niederschriftlich festgehaltenen Stellungnahme vom 1. April 1980 zur Kenntnis genommen, "daß das Verwaltungsstrafverfahren nicht öffentlich ist und eine Bekanntgabe des Patienten nicht in die Öffentlichkeit dringen könnte, da dies einen Amtsmißbrauch bedeuten würde". Die Beschwerdeführerin hat nach der Aktenlage auch nicht den Versuch unternommen, von dem angeblich besuchten Patienten die Zustimmung zu einer der Behörde gegenüber zu erteilenden Auskunft über seinen Namen und Wohnadresse zu erhalten, und sich demgemäß entgegen der ihr im Verwaltungsstrafverfahren obliegenden Mitwirkungspflicht nicht darum bemüht, der Behörde eine allfällige Beweisaufnahme zur Feststellung der Richtigkeit der behaupteten Notstandssituation zu ermöglichen. In Erwiderung auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen ist im übrigen festzuhalten, daß es im Beschwerdefall gar keiner Erörterung bedarf, ob sich aus der im § 10 Abs. 1 des Ärztegesetzes verankerten Verpflichtung des Arztes "zur Wahrung der ihm in Ausübung seines Berufes anvertrauten oder bekanntgewordenen Geheimnisse" überhaupt seine Pflicht ableiten läßt, als Beschuldigter in einem Verwaltungsstrafverfahren gegenüber der Verwaltungsstrafbehörde die bloße Angabe des Namens und des Wohnsitzes eines Patienten zu verweigern, weil die erwähnte gesetzliche Verpflichtung unabhängig von dem Fall der Entbindung davon (vgl. § 10 Abs. 2 lit. a leg. cit.) gemäß § 10 Abs. 2 lit. b leg. cit. auch dann nicht gilt, wenn "die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt durch Interessen ... der Rechtspflege gerechtfertigt ist". Der Beschwerdeführerin wäre es daher ohne Rücksicht auf eine allenfalls nicht erfolgte Entbindung von der Geheimhaltungsverpflichtung durch den Patienten selbst jedenfalls unter Berufung auf die zuletzt genannte Bestimmung unbenommen geblieben, dessen Namen und die Anschrift der Verwaltungsstrafbehörde bekanntzugeben, ohne sich deshalb einer Verwaltungsübertretung nach § 62 Abs. 2 in Verbindung mit

§ 10 Abs. 1 des Ärztegesetzes schuldig zu machen oder gar gegen

§ 121 StGB zu verstoßen. Da ein Beschuldigter zufolge § 33 Abs. 2

VStG 1950 zur Beantwortung der an ihn gestellten Fragen nicht gezwungen werden kann, handelte die belangte Behörde daher jedenfalls nicht rechtswidrig, wenn sie - in Anbetracht des Umstandes, daß die Beschwerdeführerin ein möglicherweise vorhandenes Beweismittel, welches sich die Behörde ohne Mitwirkung der Beschwerdeführerin nicht verschaffen konnte, ohne zwingenden Grund vorenthalten hat -, ihrer unbewiesenen Notstandsbehauptung keine verwaltungsstrafrechtliche Relevanz beigemessen hat.

Schließlich ist mit dem Argument, die belangte Behörde hätte sich nicht mit der Einvernahme der Beschwerdeführerin durch die Behörde erster Instanz begnügen dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, sich einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von ihrer Persönlichkeit zu verschaffen, für den Standpunkt der Beschwerde schon deshalb nichts zu gewinnen, weil die Berufungsbehörde zufolge des auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 66 Abs. 1 AVG 1950 berechtigt ist, notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens - wozu auch die Einvernahme des Beschuldigten gehört - durch die Behörde erster Instanz durchführen zu lassen, weshalb der belangten Behörde schon aus diesem Grunde keine Verletzung von Verfahrensvorschriften im Sinne des § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 angelastet werden kann.

Es zeigt sich sohin, daß die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht gegeben ist, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 316/1976 als unbegründet abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 lit. a und b leg. cit. in Verbindung mit Art. I B Ziff. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am 13. November 1981

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